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Ich erwachte durch einen ungeheuren Lärm auf dem Flur.

Erschrocken fuhr ich zusammen. Ich sah mich um und kam langsam zu mir. Allmählich kehrte die Erinnerung zurück.

Ich war nicht auf Stonehall.

Stonehall, wie es meine Familie in all den Jahrhunderten geschaffen hatte, existierte nicht mehr.

Ich war auf Sunderley.

Ausgerechnet hier sollte ich nun die nächsten Wochen oder vielleicht gar Monate verbringen. Ausgerechnet an dem Ort, den wir Deveux stets so sehr verabscheut hatten. Warum traf uns das Schicksal in den letzten Jahren so hart?

Alles hatte mit dem Tod meiner Frau Amanda begonnen. Dann die überstürzte Flucht in ein neues Leben. Paris – Stadt der Sehnsucht und der Hoffnung für meine Schwester, meinen Sohn und mich. Es hatte so vielversprechend begonnen. Und so schmerzhaft geendet. Wieder Vertreibung und Flucht. Ein erneuter Anfang am altbekannten Ort. Wieder neu erblühte Hoffnung. Wieder ein grauenvoller Schicksalsschlag.

Das Ende.

Ich hatte keinen Lebensmut mehr.

Mein Blick wanderte zu Sarah. Ich schämte mich, am Totenbett meiner Schwester eingeschlafen zu sein. Es war meine heiligste Aufgabe, ihre letzte Ruhe zu bewachen. Ich durfte keine Minute davon versäumen. Ich betrachtete ihre zerbrechliche Gestalt. Sie hatte nicht mehr genügend Kraft zum Kämpfen gehabt. Wie sollte es nun weitergehen? Ein Leben ohne sie konnte ich mir nicht vorstellen. Sie war so zart, fragil und liebreizend. Klug, aber nicht anmaßend. Kraftvoll, aber nicht stark. Viel zu gut für diese erbarmungslose Welt. Ich hatte sie stets vor allem Unbill beschützt.

Vor all denen, die es nur auf ihr – oder vielmehr mein – Vermögen abgesehen hatten.

Vor all denen, die ihr nur Schlechtes wollten.

Nur dieses eine Mal war ich zu spät gekommen. Dieses eine Mal war das Schicksal schneller als ich gewesen…

Wiederum ließ mich ein lautes Rumpeln aufschrecken. Was hatte dies zu bedeuten? Ich mußte es herausfinden. Es durfte nicht sein, daß man in diesem Haus die heilige Ruhe der Toten dermaßen mißachtete. So wagte ich mich erstmals seit zwei Tagen aus dem Zimmer und betrat den hell erleuchteten Flur.

Die Vorgänge dort befremdeten mich. Ein Dienstmädchen trug zwei Damenkleider von einem in ein anderes Zimmer. Ich hielt sie an und erkundigte mich, was denn geschehen sei. Sie teilte mir mit, daß Gäste angekommen seien. Dies mache den Umzug von Miss Elizabeth notwendig. Ich war höchst erstaunt über das Geschehen. Hatte man hier nicht einmal ausreichend Gästezimmer? So etwas wäre auf Stonehall undenkbar!

Da erblickte ich Elizabeth Devane. Sie nahm mit ein paar Schreibutensilien in der Hand den gleichen Weg wie das Dienstmädchen.

„Ein Lichtblick an diesem trüben Tag!“, entfuhr es mir, als sie auf mich zukam. Sie ging mit einem flüchtigen Knicks und einem Lächeln wortlos an mir vorbei.

Ich fühlte einen Stich in der Brust.

Ich blieb einen Moment dort stehen und wartete, daß sie zurückkäme. Wieder lächelte sie mich an, ein wenig scheu und voller Mitleid in den grauen Augen. Erneut sprach ich sie an:

„Sie ziehen um, sagte mir das Mädchen?“

Sie blieb stehen und erwiderte anscheinend ein wenig traurig:

„Ja, ich muß mein Zimmer für einige Zeit zur Verfügung stellen. Wir haben Besuch bekommen. Eine Cousine von Papa und deren Tochter.“

Ich nickte verständnisvoll und sagte dann:

„Wäre es möglich, etwas weniger Lärm zu machen?“

Schuldbewußt senkte sie den Blick.

„Verzeihen Sie, mir sind meine Schreibutensilien aus der Hand gefallen. Ich werde mich mehr vorsehen.“

„Brav.“ Ich ertappte mich dabei, wie ich ihr beinahe die Wange getätschelt hätte, doch glücklicherweise setzte sie ihren Weg fort.

So eine Tochter hätte ich mir gewünscht. Doch Amanda schenkte mir nur einen Sohn. Bei der Geburt des zweiten Kindes starb sie, und das Kind auch.

Wieder spürte ich einen Stich in der Brust. War es Bedauern? Warum hatte ich nicht noch einmal geheiratet? Ich hätte eine Tochter haben können…

Ich riß mich aus meiner Melancholie und begab mich mißmutig hinunter in den Salon. Es half nichts, ich mußte allmählich in dieses Leben zurückkehren. Ich durfte keine Schwäche zeigen. Schon oben an der Treppe hörte ich, wie sich im Salon eine recht muntere Gesellschaft angeregt zu unterhalten schien. Keine Stimmung, wie man sie in einem Trauerhaus erwartete.

Ich betrat den Raum und sah mich um. Louis schien erfreut über meine Anwesenheit, aber meine entrüstete Miene irritierte ihn wohl. Ich ließ mich mehr oder minder bereitwillig den Neuankömmlingen vorstellen. Emma und Aphrodite Gallingher. Zwei Namen, die ich nicht so schnell vergessen würde.

Schon damals erkannte ich, wes Geistes Kind die Gäste waren. Emma Gallingher setzte sich sofort nach der Begrüßung auf den freien Stuhl neben mich. Ein aufdringliches Weib, vom Benehmen her nicht besser als eine Küchenmagd. So sah sie auch aus. Aufgeputzt wie ein Kakadu, mit einer Federboa über dem nicht zu übersehenden Ausschnitt und falschen Straußenfedern am Hut. Sie war ebenfalls Witwe, wie sie mir taktlos mitteilte.

Natürlich.

Ich machte böse Miene zum harmlosen Spiel, das ich schnell durchschaut hatte.

Meine Gedanken wanderten wieder zu Elizabeth Devane. Sie schien mir etwas Besonderes zu sein. Eine Devane eben. Die Devanes waren bekannt für ihren Stolz, doch dieser schien Elizabeth noch nicht verdorben zu haben. Was verwunderlich war. Sie schien mit einer gewissen Intelligenz ausgestattet zu sein, und trat dennoch bescheiden und demütig auf - ganz im Gegensatz zu ihrer aufdringlichen Mutter und ihrem geistlosen Vater. Aber etwas kräftig gebaut. Wie geschaffen…

Mrs Gallingher erzählte mir von ihrem verstorbenen Mann.

Ich grübelte weiter. Ich achtete nicht mehr auf das Geschwätz meiner Nachbarin. Vergebens bemühte sie sich um eine Bemerkung oder ein freundliches Nicken von mir. Wie taktlos manche Menschen sein konnten! Sie kannten nur ihre eigenen Sorgen. Was andere empfanden, kümmerte sie nicht.

Meine Gedanken wanderten wieder zu meiner verstorbenen Frau.

Amanda.

Bildschön, rein, überaus geistreich und majestätisch – schlicht eine faszinierende Frau. Sie und Elizabeth konnten unterschiedlicher nicht sein. Amanda besaß eine energische Persönlichkeit. Wie oft hatte sie ihren Willen durchgesetzt! Solche Frauen mußten in ihre Schranken gewiesen werden. Sie mußten lernen, eine würdige Frau zu sein.

Das mußten viele lernen.

Schließlich faßte ich einen Entschluß.

Ich würde das große Geheimnis lösen. Es lag in dieser Familie verborgen. Und ich war mir sicher, daß es hier noch bewahrt wurde. Es war nicht verloren gegangen wie in meiner Familie.

Nur deswegen war ich einen Schritt auf die Devanes zugegangen.

Nur deswegen hatte ich die über all die Jahrhunderte dauernde Fehde beendet.

Nur, um endlich herauszufinden, worauf sich diese Fehde überhaupt gründete. Wir Deveux wußten es nicht mehr. Sein früher Tod hatte meinen Vater der Möglichkeit beraubt, es mir mitzuteilen. Heute sah ich das als ein Zeichen. Ein Zeichen, diesen erbärmlichen Kleinkrieg endlich zu beenden. Und endlich zu erfahren, was es mit Sunderley auf sich hatte.

Das wäre auch eine Möglichkeit, Genugtuung zu erlangen für die Demütigungen, die unsere Familie in der Vergangenheit erfahren hatte - und eine nicht zu unterschätzende.

Indem ich eine traf, traf ich alle.

***

Das Geheimnis von Sunderley

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