Читать книгу Das Geheimnis von Sunderley - Isa Piccola - Страница 12

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Der Nachmittag, an dem die Herren LeFroy so unerwartet auftauchten, würde ebenso furchtbar werden wie der Ball. Das wußte ich, als sie so unerwartet ankamen und alle in helle Aufregung versetzten. Helena richtete sofort ihr Haar und setzte ihr reizendstes Lächeln auf. Mama war vollends aus dem Häuschen, und nur Papa und ich bewahrten Ruhe. Wir beide wußten, wer bald wieder im Mittelpunkt stehen würde.

Daher nutzte ich die erste Gelegenheit, mich ohne viel Aufhebens zurückzuziehen. Papa entschuldigte mich glücklicherweise für den Rest des Nachmittags. Schnell stieg ich die Stufen zu meinem Turmzimmer empor – nur fort von all dem Trubel. Oben angekommen setzte ich mich an das Fenster zum Garten und sah in den Regen hinaus. Er hatte nachgelassen, doch noch nicht gänzlich aufgehört. Die dunklen Wolken in der Ferne kündeten davon, daß er bald wieder stärker werden würde. Vielleicht käme auch noch ein Gewitter.

Langsam ließ ich den Blick über den Garten schweifen. Die Herbstastern begannen zu blühen, recht spät für dieses Jahr. Sie hatten unter dem starken Regen gelitten. Später würde ich hinausgehen und sie wieder aufrichten. Auch der Rosenpavillon sah mitgenommen aus. Der Boden um ihn herum war übersät mit roten Blütenblättern. Doch was war das? Erstaunt stellte ich fest, daß sich jemand im Inneren des Pavillons befand. Wer mochte das sein? Bei diesem Wetter würde sich sicher keiner der Angestellten dort aufhalten? Angestrengt versuchte ich, mehr zu erkennen, und allmählich beschlich mich eine Ahnung. Es war ein Mann, ohne Zweifel. Und als er einmal den Kopf hob, wußte ich, daß er es war.

Aufgeregt griff ich nach meinem Mantel und wollte hinauseilen, als mir einfiel, daß der einzige Weg nach draußen durch den Salon führte. Unmöglich. Nach kurzer Überlegung blieb nur ein Ausweg: der durch die Küche, den ich als Kind immer genommen hatte. Dort mußte ich nicht durch den Salon, allerdings aus dem Fenster klettern. Nun, es sah ja keiner.

Außer unserer Köchin Mary, und die lächelte verständig, als ich in der Küche begann, die zwei Töpfe mit Pudding, die auf dem Fensterbrett standen, wegzuräumen. Sie sagte kein Wort, denn sie wußte sehr wohl, daß ich keine andere Möglichkeit hatte. Sie hätte nie gefragt, wo ich hinwollte, und ich konnte sicher sein, daß sie es auch nicht wüßte, wenn jemand sie nach mir fragen würde.

In kürzester Zeit kletterte ich also aus dem Fenster, lief durch den Garten und gelangte zum Rosenpavillon. Wohlweislich hatte ich einen Weg genommen, der nicht vom Pavillon aus gesehen werden konnte. So konnte ich ihn überraschen, und überrascht war er in der Tat, als ich in sein Blickfeld trat:

„Miss Devane! Ich… verzeihen Sie bitte, ich suchte hier nur Unterschlupf vor dem Unwetter, das mich überrascht hatte. Ich werde sofort wieder aufbrechen…“ Wirklich stand er auf, so daß ich rasch entgegnete:

„Nein, nein, ich bitte Sie, bleiben Sie. Sie können auch gern mit ins Haus kommen. Dort ist es trockener.“

Zwar wußte ich nicht, wie meine Familie reagieren oder wie ich überhaupt erklären sollte, daß ich einen fremden Mann zu uns einlud. Aber ich mußte mir auch keine Gedanken darum machen, denn er lehnte ab:

„Nein, das wäre nicht schicklich. Wenn Sie mir nur erlauben, hier das Ende des Regens abzuwarten.“

„Natürlich.“ Vorsichtig setzte ich mich ihm gegenüber auf einen der Gartenstühle. „Ich werde Ihnen ein wenig Gesellschaft leisten, wenn es Sie nicht stört.“

„Sehr gern.“

Wir schwiegen und sahen eine Weile in den leichten Nieselregen hinaus. Etwas ungeschickt versuchte ich, ein Gespräch anzuknüpfen:

„Sie… Sie sind wieder zufällig hier in der Nähe gewesen?“

Er lächelte.

„Mehr oder weniger. Ich war beruflich unterwegs und wollte einen kleinen Umweg machen… zugegeben in der Hoffnung, Sie zufällig zu treffen.“

Da ich spürte, wie mir die Röte bei diesen Worten ins Gesicht schoß, senkte ich den Blick und antwortete:

„Ich sah Sie vom Fenster aus und es… es tat mir leid, daß Sie hier so allein im Regen saßen…“ Krampfhaft suchte ich nach einem unverfänglichen Thema, doch mir fiel nur wieder eine banale Frage ein: „Sind Sie gestern abend gut nach Hause gekommen?“

Er nickte.

„Ich muß mich noch entschuldigen, daß ich Sie einfach stehengelassen habe.“

„Oh nein, Sie… Sie hatten sicher gute Gründe, sich zu entfernen. Solche Bälle sind einfach schrecklich, finde ich.“

Er sah mich etwas verblüfft an und erwiderte:

„Wirklich? Die meisten jungen Damen schwärmen doch davon und können es kaum erwarten, auf ihren ersten Ball zu gehen. Ist es denn nicht so wunderbar, wie immer erzählt wird?“

Nun war es an mir, erstaunt zu sein:

„Sie waren noch nie auf einem Ball?“

„Nein, in meinem Leben nicht.“ Seine Miene verdüsterte sich, als er fortfuhr: „Obwohl… obwohl es hätte sein können. Aber es gab Menschen, die mir die Gelegenheit dazu genommen haben.“

Seine kryptischen Worte machten mich neugierig, und vorsichtig fragte ich:

„Sie sind… nicht dort geboren worden, wo Sie jetzt leben?“

Er warf mir einen kurzen Blick zu und sah dann in die Ferne, während er zu erzählen begann:

„Ich bin recht allein auf dieser Welt, müssen Sie wissen. Meine wahre Familie habe ich schon früh verloren. Dennoch habe ich eine glückliche Kindheit und Jugend bei meiner Ziehmutter verbracht. Sie hat mich aufgenommen und mir all das gegeben, was ich mir nur wünschen konnte. Liebe, Wärme und Geborgenheit. Sie hat auch dafür gesorgt, daß mich der hiesige Pfarrer unterrichtete und ich ein wenig Bildung auf meinem Lebensweg bekommen habe. Ich habe schon immer schnell und gern gelernt. Leider… leider war ich zu dieser Zeit noch nicht fähig, das Gute, das ich besaß, zu schätzen und festzuhalten.“

Er schwieg, den Blick immer noch ins Leere gerichtet. Dabei hätte ich so gern in seine blauen Augen geblickt… Schließlich sprach er weiter:

„Irgendwann begann ich, Fragen zu stellen. Ich hatte sehr wohl bemerkt, daß bei meiner Ziehmutter und mir nicht alles so war, wie… nun, wie bei anderen Familien. Wo war mein Vater? Warum war meine Mutter so viel älter als andere Mütter? Ich spürte, daß sie mir etwas über meine Herkunft verheimlichte. Ich wollte schließlich wissen, wer ich wirklich war. An meinem achtzehnten Geburtstag erzählte meine Ziehmutter es mir.“ Wieder stockte er in seiner Erzählung. Die Erinnerung an diese Zeit mußte sehr schmerzlich für ihn sein. Doch er zwang sich, seine Geschichte weiter zu erzählen:

„Der Schock darüber war so groß, daß ich plötzlich alles in Frage stellte. Ich grübelte darüber nach, wer ich hätte sein können, wenn… ja, wenn... Ich verfluchte die Menschen, die ich für mein Unglück verantwortlich machte, und begann sie zu hassen. Ich suchte nach Antworten, die ich nicht fand. Zumindest nicht hier, so glaubte ich damals. Ich verließ also meine Ziehmutter – der ich trotz allem ehrlich dankbar war – und irrte ein paar Monate durch Europa. Aber schließlich zog es mich nach Frankreich, denn ich hatte in Erfahrung gebracht, daß sie sich dort aufhielten. Paris war mein Ziel. Aber das Leben dort war nicht einfach, und die Antworten, die ich suchte, fand ich auch dort nicht. Am Ende schlug ich mich mehr schlecht als recht durch und drohte in den Gassen der Stadt mein Leben für immer als Bettler und Dieb zu fristen.“

Endlich hob er den Blick, wohl um zu sehen, wie meine Reaktion auf diese Eröffnung ausfiele. Aber ich war nicht erschrocken, denn so, wie er jetzt vor mir saß, zeugte jeder Zoll seiner Erscheinung davon, daß er ein Ehrenmann war. Ein kleines, undurchdringliches Lächeln umspielte seine Lippen, als er fortfuhr:

„Ich sehe, Sie kann nichts so leicht aus der Fassung bringen. Oder aber Sie haben sich gut unter Kontrolle. Nun, wie Sie sehen, bin ich nicht in Paris untergegangen, denn eines Tages traf ich einen Freund - einen echten Freund, der mir half, mein Leben zu verändern. Mit seiner Unterstützung gelang es mir, mich aus meiner verzweifelten Lage zu befreien. Ich begann wieder zu arbeiten. Allmählich schuf ich mir wieder eine anständige Existenz.“

Er schwieg erneut und schien in Gedanken vollkommen in seine Vergangenheit zurückgekehrt zu sein. Geduldig wartete ich. Schließlich beendete er seinen Bericht recht abrupt:

„Aber letztendlich kehrte ich wieder zu meiner Ziehmutter zurück und lebe seitdem bei ihr.“

Er hielt inne, schien aber in dieser anderen Welt und Zeit zu bleiben. Weitere Fragen zu stellen, wagte ich nicht, denn ich wollte nicht neugierig erscheinen. Dabei hätte ich so vieles wissen wollen. Sein Bericht war recht vage und schien allerhand auszulassen. Was war mit seiner eigentlichen Familie geschehen? Wovon lebte er heute? Wer war seine Ziehmutter? Und vor allem drängte sich eine Frage auf, die ich nun doch nicht zurückhalten konnte:

„Wer sind die Menschen, die an Ihrem Unglück schuld sein sollen?“

Er zögerte, bevor er meinte:

„Sie kennen sie nicht, es hat also keinen Zweck, wenn ich Ihnen Namen nenne...“ Dieses Geheimnis wollte er wohl vorerst für sich behalten. Aber eine Frage mußte ich noch stellen:

„Haben Sie ihnen geschadet?“

Seine Stimme und sein Blick wurden bei der Antwort deutlich kühler:

„Miss Devane, bitte verzeihen Sie meine Offenheit, aber ich denke, daß unsere Bekanntschaft noch zu frisch ist, um sie mit Details über diese Zeit zu belasten. Ich gebe zu, daß ich in mancher Beziehung aus heutiger Sicht nicht immer ganz einwandfrei gehandelt habe, aber es ist dabei niemand ernsthaft zu Schaden gekommen.“

In diesem Augenblick war es zwecklos, weitere Fragen zu stellen, und ich hatte auch kein Recht dazu. Beinahe schämte ich mich ob meiner Neugierde.

„Wahrscheinlich haben Sie Recht. Ich werde nicht weiter in Sie dringen. Aber vielleicht...“

Da brach ich ab, weil ich ihn nicht verletzen wollte. Er schien jedoch meine Gedanken lesen zu können:

„Ich weiß, was Sie sagen wollen. Aber ich kann es hin und her wenden, jeden Abend zermartere ich mir den Kopf, ich kann keine Schuld auf meiner Seite entdecken.“

Er versuchte zu lächeln und ich erwiderte:

„Nun gut. Ich kann mir darüber kein Urteil erlauben, weil ich die näheren Umstände nicht kenne, aber ich danke Ihnen, daß Sie mir Ihre Vergangenheit so offen dargelegt haben.“ Unwillkürlich warf ich einen Blick zum Haus. Es dunkelte bereits, die Kerzen wurden angezündet. Es half nichts - ich mußte zurück: „Es ist schon recht spät. Sie werden verzeihen, Jean, wenn ich mich jetzt zurückziehe.“

Er nickte nur stumm und schien ein wenig enttäuscht zu sein. Schließlich erhob ich mich.

„Leben Sie wohl und eine gute Nacht!“

Vergeblich versuchte ich, den leichten Verdruß, der mich ungewollt erfaßt hatte, zu überspielen. Jean merkte sehr wohl, daß etwas nicht stimmte. Er stand auf und verneigte sich.

„Gute Nacht, Miss Devane. Danke für Ihre Gesellschaft. Ich würde mich freuen, wenn wir uns einmal wiedersehen würden.“

Stumm nickte ich und eilte zum Küchenfenster zurück. Hoffentlich war meine Abwesenheit noch nicht bemerkt worden.

***

Das Geheimnis von Sunderley

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