Читать книгу Das Geheimnis von Sunderley - Isa Piccola - Страница 8

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Endlich war es soweit!

Der große Ballabend, auf den meine Tochter Helena und ich uns so sehr gefreut hatten, war da. Es war eigentlich auch Lizzies Geburtstag. Sie wollte ihn jedoch nicht weiter begehen. Der Ball wäre ihr Geschenk, sagte sie. Ich widersprach nicht. Der Ball war wirklich ein wichtiges Ereignis, vor allem für Helena. Es war höchste Zeit, daß sie endlich heiratete.

Helenas neues Kleid war rechtzeitig fertiggeworden und sie war äußerst zufrieden damit, denn sie sah einfach bezaubernd darin aus, wie eine Prinzessin. Schon lange vor der festgesetzten Zeit hatte sie es angelegt und präsentierte es mir und ihrer Schwester, die daneben in ihrem einfachen schwarzen Kleid recht blaß aussehen würde. Doch das hatte Lizzie sich selbst zuzuschreiben, sie hatte es nicht anders gewollt, und in ihrem Alter konnte man sie ja nicht mehr zu ihrem Glück zwingen, wenn sie es nicht wollte.

Ich meinerseits begab mich erst eine Stunde vor der angesetzten Abfahrt in unser Ankleidezimmer. Von dort mußte ich erst einmal meinen Mann vertreiben, der es sich wieder einmal mit seiner abscheulichen Pfeife gemütlich gemacht hatte. Eine unangenehme Angewohnheit, die ich ihm nicht abgewöhnen konnte.

Als er endlich gegangen war, nahm ich das Kleid, das ich tragen wollte, aus dem großen Schrank. Ich hatte es zuletzt bei der Beerdigung von Mr Pollies getragen, welche schon einige Jahre zurücklag. Aber da ich immer sehr auf meine Figur achte – leider ganz im Gegensatz zu Lizzie - paßte es noch. Kein Wunder bei den Strapazen, denen ich ständig ausgesetzt bin; da kann ich überhaupt nicht an Gewicht zulegen, wie so viele Frauen in meinem Alter. Es ist heutzutage nicht einfach, zwei Töchter gut zu verheiraten…

Als ich schließlich angekleidet war, rief ich nach Helena, damit diese mir die Haare ordnete. Ich würde nur eine einfache Hochsteckfrisur tragen, denn ich wollte meinen Töchtern nicht die Aufmerksamkeit stehlen. Es waren nur noch fünfzehn Minuten bis zur Abfahrt. Ich wurde langsam unruhig und fragte meine Tochter, wo ihr Vater wäre. Aber ich erinnerte mich rechtzeitig, daß ich ihn zuvor selbst in die Bibliothek geschickt hatte, und rief nach ihm.

Mr Devane (ich nenne ihn öfter so, das schafft die manchmal nötige Distanz) antwortete auf mein Rufen mit einem ungebührlich lauten „Ja, ich bin fertig, Catherine, kommst du?“ Ich folgte seinem unnötigen Appell und begab mich ebenfalls in den Salon, um dort auf Lizzie und Helena zu warten, die noch rasch mit Hilfe des Mädchens ihre eigenen Haare anders stecken wollte.

Schließlich waren alle versammelt. Helena sah wirklich bezaubernd aus, wie ich voller Mutterstolz erneut feststellen mußte. Ich dachte kurz daran, einmal einen Maler zu bestellen, damit er meine Schönheiten für die Nachwelt festhielt. In diesem Moment schlug die Kaminuhr sieben Mal. Es war Zeit.

Ich trug unseren Bediensteten auf, gut auf das Haus zu achten, und gemeinsam bestiegen wir die vor dem Haus wartende Familienkarosse. Mein Mann half uns hinein, und fort ging es nach Stonehall zu den LeFroys.

Ich war äußerst gespannt auf die Familie LeFroy. Von einer Bekannten hatte ich gehört, daß sie sehr vermögend sein mußten, was für Helena natürlich nur von Vorteil sein konnte. Ich war überzeugt davon, daß sie jedem jungen Mann ins Auge fallen würde. Es war so wichtig, sie endlich gut zu versorgen, denn schließlich würde Lizzie einmal die Erbin von Sunderley sein, während Helena nach meinem Tod mit leeren Händen dastehen würde. Ich hatte das stets als ungerecht empfunden, aber so war nun einmal die Regelung, gegen die niemand etwas unternehmen konnte. Und von der niemand außerhalb der Familie etwas wußte.

Ich betrachtete meine zwei Töchter, wie sie mir so gegenübersaßen. Wieder kam mir die Idee mit dem Maler, aber wo sollte ich einen finden, der gute Arbeit lieferte und nicht zu teuer wäre? Ich müßte auch mit ihm verhandeln, daß er Lizzie etwas schmaler malte, damit sie die Harmonie des Gesamtbildes weniger störte. Hoffentlich schreckte sie die jungen Männer nicht zu sehr ab.

Wir fuhren den hell erleuchteten Hauptweg zum LeFroyschen Anwesen entlang. Ich konnte nicht umhin, die Pracht zu bewundern. Es waren so viele Fackeln aufgestellt worden, daß beinahe eine tageslichtähnliche Helligkeit erreicht wurde. Trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit – es war Anfang Oktober, und in unserem eigenen Garten blühten gerade einmal ein paar Chrysanthemen - war der Weg mit den prächtigsten und vielfältigsten Blumengestecken gesäumt. Meine Bekannte hatte wahrlich nicht übertrieben – hier würde Helena eine gute Partie machen.

Wir hielten vor dem Hauptportal. Mr Devane half seinen drei Frauen aus dem Wagen und bot mir den rechten Arm. Lizzie und Helena folgten. Letzterer konnte ich die Freude über das Ereignis ansehen, Lizzie aber zeigte keinerlei Gefühlsregung. Sie sah fast ein wenig gelangweilt aus. Ich drehte mich um und bedeutete ihr zu lächeln, doch wieder einmal war sie stur und schaute beinahe noch finsterer drein als zuvor. Aber ich wollte mir von ihr nicht diesen herrlichen Abend verderben lassen.

Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die neue Umgebung. Als ich die beiden livrierten Diener sah, welche die Gäste empfingen und sie zur Garderobe wiesen, warf ich meinem Mann einen vielsagenden Blick zu, den dieser aber wieder einmal nicht zu verstehen schien, denn er zuckte nur hilflos mit den Schultern.

Zwei Mädchen nahmen uns Damen in einem zur Garderobe umfunktionierten Vorraum die Hauben und Umhänge ab und halfen uns, unsere Kleider noch einmal herzurichten. William gab seinen Zylinder einem weiteren Bediensteten, der uns auch die vier Tanzkarten, eine für jeden von uns, übergab. Ein kurzer Blick darauf zeigte mir, daß ich nicht mehr als drei der geplanten einundzwanzig Tänze mit meinem Mann bestreiten würde. William bat mich auch prompt um meine Karte und schrieb sich für drei der sieben Walzer ein. Fast wurde ich rot wie damals als junges Mädchen auf unserem ersten Ball. Er hatte sich seinerzeit für alle einundzwanzig Tänze eingetragen... Ich würde diese ja noch heute tanzen, aber Williams Kreislauf ist nicht mehr der alte, und ich wollte ihn nicht zu sehr überanstrengen. Vielleicht fände sich später noch ein anderer Tänzer für mich. Der Abend wäre lang genug.

Ich hatte keine Zeit, großartig in Erinnerungen zu schwelgen. Ein weiterer Diener führte nun Neuankömmlinge wie uns von dem Garderobenraum in den festlich erleuchteten Ballsaal im ersten Stock. Die Pracht, die uns dort erwartete, war beinahe königlich zu nennen. Eine Unzahl von Kerzen blendete die Augen und tauchte den Saal in taghelles Licht. Das lag nicht zuletzt daran, daß die Gastgeber, so wie üblich, einen Raum mit sehr hellen Tapeten als Ballsaal gewählt hatten. Das Licht der Kronleuchter brach sich in den zahlreichen Spiegeln an den Wänden und in dem blankgeputzten Fußboden. Man konnte sich fast auch darin spiegeln.

Ich mußte die Augen für einen Augenblick zusammenkneifen, so sehr war ich geblendet von all der Herrlichkeit. Wir wurden gemeldet und ein Herr kam auf unsere kleine Gesellschaft zu. Das mußte unser Gastgeber sein. Ich betrachtete ihn mit Wohlwollen. Sein tadelloses Aussehen verriet nicht sein Alter, welches in der Tat schwer zu schätzen war. Sein nur an den Schläfen leicht ergrautes und ansonsten sehr dunkles Haar stand in einem reizvollen Kontrast zu seinem fast jugendlich zu nennenden Gesicht, um dessen Augen sich kaum Lachfältchen gebildet hatten. Er begrüßte seine neuen Gäste auf das herzlichste:

„Familie Devane! Ich bin sehr erfreut, unsere Nachbarn endlich einmal persönlich kennenzulernen. Seien Sie uns herzlich willkommen! Ich hoffe, daß Sie sich heute abend ausgezeichnet unterhalten werden.“

Er winkte einer Frau, die gerade noch neben ihm gestanden hatte. Nun kam sie majestätischen Schrittes und betont langsam heran. Mr LeFroy stellte sie vor:

„Ich möchte Ihnen meine Schwester vorstellen: Miss Sarah LeFroy. Sarah, dies sind unsere Nachbarn aus Sunderley, die Familie Devane.“

Miss LeFroy neigte leicht den Kopf und sah uns mit ihren dunklen Augen durchdringend an. Ich bemerkte ihre zierliche Figur, welche sie durch ihr enganliegendes Kleid aus schwerem dunkelblauem Samt noch betonte. Schon an diesem überaus kostbaren Kleid erkannte ich, daß sie nicht beabsichtigte, heute abend zu tanzen. Der Kontrast des dunklen Stoffes mit ihrer makellosen weißen Haut und dem hellblonden Haar ließ sie vornehm und zerbrechlich erscheinen. Sie schien um einige Jahre jünger als ihr Bruder zu sein. In ihrem kunstvoll aufgesteckten Haar hatte sie einige Federn befestigt, wahrscheinlich von Paradiesvögeln, wie es gerade die Mode war. Sehr elegant, wie ich fand – nur leider unerschwinglich für unsereinen.

Mein Blick wanderte immer wieder vom Bruder zur Schwester und zurück, während Mr LeFroy sich mit meinem Mann unterhielt. Ich hatte das Gefühl, den beiden zuvor schon einmal begegnet zu sein. Aber dieses Gefühl hatte ich schon bei allen möglichen Menschen, und in den seltensten Fällen stellte es sich als wahr heraus…

Mr LeFroys sonore Stimme unterbrach meine Gedanken:

„Und das sind sicher Ihre Töchter, Mr Devane? Reizende Geschöpfe, wahrhaftig! Kein Wunder bei der bezaubernden Mutter.“

Er ging auf Helena zu, welche von meinem Mann vorgestellt wurde. Ich sah, wie Elizabeth den Kopf senkte. Mr LeFroy wechselte einige charmante Worte mit Helena, woraufhin William Lizzie vorstellte. Eigentlich hätte ihr als der älteren zuerst die Ehre gebührt, aber so war es nun einmal in diesen Kreisen – Schönheit vor Alter. Mr LeFroy küßte jedoch auch Lizzie galant die Hand und sah ihr anschließend tief in die Augen. Zu tief, wie ich fand.

„Miss Elizabeth Devane, sehr erfreut. Ich hoffe auch für uns beide auf eine gute...“ - er schien zu überlegen - „... Beziehung. Rein nachbarschaftlich natürlich.“ Er lachte, wie um seine kleine Wortspielerei zu unterstreichen, und fügte zwanglos hinzu: „Ich hoffe doch, daß mir die Damen später jede einen Tanz gewähren? Mindestens einen!“ Dann wandte er sich schnell wieder an meinen Mann, ohne eine Antwort der Mädchen abzuwarten. „Ich bitte, mich nun zu entschuldigen. Ich muß die anderen Gäste begrüßen, auch wenn ich gern noch ein wenig in Ihrer Gesellschaft verweilen würde. Ich hoffe, Sie werden uns den gesamten Abend beehren, oder beabsichtigen Sie, noch auf einen anderen Ball zu gehen?“

William verneinte. Erstens wurden an diesem Abend keine weiteren Bälle in der Gegend gegeben, und zweitens würden wir uns mitnichten das größte gesellschaftliche Ereignis des Jahres entgehen lassen. Mr LeFroy entließ uns mit dem Vorschlag, daß sich die jungen Damen doch in die eben beginnende Quadrille einreihen sollten, mit welcher der Ball eröffnet wurde.

Helena folgte seiner Aufforderung sofort, während Lizzie sich – einmal mehr – in eine stille Ecke zurückzog und von dort offenbar das Geschehen beobachten wollte. Ich fragte mich, warum sie denn überhaupt mitgekommen war, wenn sie weder tanzte noch sich um einen Gesprächspartner bemühte!

Ich promenierte ein wenig durch den Ballsaal und suchte nach jemandem, mit dem es sich lohnen würde, den Abend zu verbringen. Schließlich wollte ich nicht die ganze Zeit neben William stehen. Ihn hatte ich jeden Tag zur Verfügung. Ich mußte jedoch nach einiger Zeit feststellen, daß ich kaum ein bekanntes Gesicht sah. Meine Familienmitglieder hatten sich recht schnell verstreut und in ein mehr oder weniger interessantes Gespräch vertieft. Mr Devane unterhielt sich mit einem Herrn in seinem Alter. Als ich ihn genauer betrachtete, erkannte ich Williams alten Freund Sir Guyson, der früher mit ihm bei der Marine gedient hatte und uns auch danach noch ab und zu besucht hatte. Doch die beiden Herren hatten sich jetzt seit mindestens fünfundzwanzig Jahren nicht gesehen, dementsprechend viel hatte man sich sicherlich unter alten Kameraden zu erzählen.

Helena stand jetzt nach dem ersten Tanz etwas verlegen neben drei jungen Offizieren, die sich um ihre Tanzkarte stritten. Ein gutes Zeichen. Und kein Wunder, so bezaubernd, wie Helena wieder einmal aussah. Während ich noch überlegte, ob ich ihr vielleicht beistehen sollte, glitt mein Blick zur Tür des Ballsaales. Ich stand glücklicherweise nicht weit von dort entfernt, so daß ich alles genau beobachten konnte.

Denn soeben traten zwei junge, äußerst elegant gekleidete Herren ein. Im übrigen sahen sie beide sehr gut aus. Der eine, der etwas voranging, war hoch gewachsen und von schlanker Statur. Er mochte in den dreißiger Jahren stehen. Eine dunkelblonde Strähne seines dichten, etwas längeren Haares fiel ihm in die Stirn. Seine Gesichtszüge waren klar und energisch geschnitten. Er erinnerte mich an jemanden, nur wußte ich in diesem Moment wieder einmal nicht, an wen.

Der andere, der ihm folgte, mochte etwa im selben Alter sein. Seine äußere Erscheinung war ebenfalls dazu angetan, die Aufmerksamkeit der Damen auf sich zu lenken. An seiner Kleidung war nichts auszusetzen, der Anzug war tadellos, wenn auch vom Schnitt her nicht mehr ganz dem derzeitigen Zeitgeschmack entsprechend. Seine pechschwarzen Haare schienen noch frei von jeglichen Zeichen des Alters zu sein, so wie sein gepflegter schmaler Oberlippenbart und die dichten Koteletten. Seine dunklen Augen hatten jedoch einen stechenden Blick, der alles und jeden zu mustern schien.

Mittlerweile waren auch die anderen Gäste auf die beiden Herren aufmerksam geworden und ein leises Murmeln erhob sich, so daß auch Mr LeFroy aufmerksam wurde. Er ließ seinen Gesprächspartner stehen und eilte freudig erregt auf die Neuankömmlinge zu. Den, der zuerst eingetreten war, schloß er kurz in die Arme, um ihn danach von oben bis unten zu betrachten. Er nickte wohlwollend und sagte ein paar Worte, die ich nicht verstehen konnte. Dem anderen schenkte er kaum einen Blick. Dann wandte er sich mit lauter Stimme an die Eingeladenen:

„Verehrte Gäste! Ich bitte einen Augenblick um Ihre Aufmerksamkeit. Dieser Ball heute findet aus einem ganz besonderen Anlaß statt. Mein Sohn Louis hat seinen Dienst bei der Marine beendet und ist heute heimgekehrt – an seinem 35. Geburtstag. Lassen Sie uns deshalb das Glas auf sein Wohl erheben!“

Schon beim Eintritt der jungen Männer waren Bedienstete mit Champagnergläsern zu jedem Gast gekommen, so daß nun jeder versorgt war und mit seinem Nachbarn anstoßen konnte. Ich prostete Mr LeFroy lächelnd aus der Ferne zu. Er fügte nach einer kurzen Pause hinzu:

„Und nun möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß im Nebenraum einige Erfrischungen auf Sie warten.“ Er hatte natürlich an alles gedacht. Die Gäste klatschten Beifall und begaben sich anschließend zum Buffet.

Ich war noch nicht hungrig und wandte mich an die Dame, die neben mir stand. Wahrscheinlich gehörte sie zu Mr LeFroys Bekanntenkreis, denn sie wirkte äußerst vornehm und ich hatte sie noch bei keinem gesellschaftlichen Ereignis in der hiesigen Gegend gesehen. Dennoch bemühte ich mich, ein Gespräch anzufangen:

„Welch ein Zufall! Meine älteste Tochter wurde genau am gleichen Tag geboren wie der junge Mr LeFroy.“ Die Dame schaute mich etwas verwundert an und nickte dann stumm. Als ob sie mir bedeuten wollte, daß es sie nicht interessierte, wann der Geburtstag meiner Tochter war. Ich erkannte, daß ich hier unerwünscht war, und machte mich erneut auf die Suche nach meiner Familie.

Ich sah Helena auf der Tanzfläche mit einem der jungen Offiziere, die sich zuvor um ihre Tanzkarte gestritten hatten. Mein Mann unterhielt sich immer noch mit Sir Guyson. Beide konnte ich unmöglich stören. Doch wo war Lizzie? Sie konnte ich nirgends entdecken.

Unruhig und möglichst unauffällig begann ich, einen Raum nach dem anderen zu durchsuchen. Sie blieb unauffindbar. Ich begab mich also letztendlich doch zu Mr Devane und riß ihn unter vielen Entschuldigungen von seinem Freund fort. William war äußerst unangenehm berührt und wollte entrüstet fragen, was das denn sollte. Aber ich gab selbst die Erklärung für mein zugegebenermaßen merkwürdiges Verhalten.

„Du mußt dir keine Sorgen machen, aber... hast du Lizzie gesehen? Ich bin auf der Suche nach ihr.“

Er schüttelte ungehalten den Kopf.

„Nein, ich habe sie nicht gesehen. Weshalb denn? Ist etwas geschehen? Hast du vielleicht einen passenden Mann für sie gefunden?“ Ich überhörte die leichte Ironie in seinem Tonfall geflissentlich.

„Ich hoffe nicht, daß etwas geschehen ist. Aber bald wird uns Mr LeFroy sicher seinen Sohn vorstellen, und da sollte sie dabei sein. Laß sie uns suchen.“

William murmelte etwas, das ich nicht verstand und folgte mir unwillig. Wir stiegen die Treppen vom ersten Stock hinab und gelangten zu einer Tür, die laut Aussage der Bediensteten zum Garten führte.

„Sie kann nur draußen sein, denn ich habe bereits alle Räume des Hauses nach ihr abgesucht. Gehen wir hinaus, William.“ Ich hakte mich bei meinem Mann ein und zog ihn hinaus. Die Dunkelheit war mir nicht ganz geheuer. Zu Hause brachten mich keine zehn Pferde aus dem Haus, nachdem die Sonne untergegangen war.

Meine Augen mußten sich erst an die Schwärze der Nacht gewöhnen. Auf den ersten Blick konnte ich deshalb nichts erkennen. Nur wenige Fackeln erhellten die Wege notdürftig. Es war nicht mehr die Jahreszeit für ein Gartenfest, weshalb die LeFroys sicher auf die Beleuchtung hinter dem Haus weitgehend verzichtet hatten. Nach einiger Zeit sah ich an einem kleinen Teich eine Gestalt, die sich über das Wasser beugte, als ob...

„Lizzie!!“

Ich lief, so schnell es mein Kleid gestattete, ohne auf meinen Mann oder den Weg zu achten. Die Gestalt wandte sich erschrocken um und schien zu überlegen, was sie tun sollte. Es war tatsächlich Lizzie. Ich erreichte sie und umschlang sie mit den Armen.

„Kind! Wir dachten, du seiest...“

Sie lächelte mich müde an.

„Nein, Mama. Mir fehlte nur ein wenig frische Luft. Es ist so stickig da drinnen. Ich wollte euch keine Sorgen verursachen. - Dieser kleine Teich hier ist faszinierend, nicht wahr?“

Sie schaute auf die Wasseroberfläche, und ich sah den Mond, der sich darin spiegelte. Doch ich hatte keine Zeit für verwirrte Gefühle.

„Kind, du zitterst ja. Laß uns wieder hineingehen! Es ist viel zu kalt hier draußen. Schau doch nur, du ruinierst dir dein Kleid in dem nassen Gras. Der Saum ist schon ganz naß! Und woher hast du überhaupt diesen Mantel?“

Lizzie sah erst auf den Mantel aus grobem Wollstoff, der über ihren Schultern lag, und blickte dann mich erschrocken an. Schließlich stotterte sie:

„Ich… ein junger Herr kam und brachte ihn mir. Es… es ist doch Papas Mantel. Ich bat einen Bediensteten, ihn mir aus der Garderobe zu holen.“

William schüttelte den Kopf.

„Nein, Lizzie. Es ist nicht mein Mantel. Da hat der Mann etwas verwechselt. Komm, wir gehen zurück, bevor ihn jemand vermißt.“

Doch Lizzie bat uns unter Tränen:

„Nein, bitte nicht. Nicht wieder ins Haus. Entschuldigt, aber ich möchte nach Hause. Mir ist unwohl. Es ist alles zuviel. Ich bin krank. Bitte, laßt mich nach Hause fahren, der Wagen kommt dann wieder zurück. Ich möchte euch nicht den Abend verderben. Wenn ich zu Hause bin, wird es sicher wieder besser.“

Doch ich wollte mich nicht so leicht überzeugen lassen, daß sie allein nach Hause fuhr:

„Kind, das geht nicht. Was sollen die Leute von uns denken? Vor allem Mr LeFroy? Er wird uns bald seinen Sohn vorstellen!“

Doch sie schien durch nichts zum Bleiben zu bewegen. Dabei sah sie so flehentlich drein, daß ich schließlich nachgab. Was hätte ich auch tun sollen mit diesem Häufchen Elend? Sie war naß und verfroren, so konnte sie sich wirklich nicht mehr auf dem Ball blicken lassen. Elizabeth umarmte uns noch einmal zum Abschied und lief um das Haus herum, um mit unserem Wagen davonzufahren. Ich sah ihr mit gemischten Gefühlen nach. Gott sei Dank waren keine Ballgäste im Garten – es war viel zu kalt jetzt im Herbst, und zudem waren die Tänze in vollem Gange. Nicht auszudenken, wenn jemand sie so gesehen hätte! William nahm mich schließlich beim Arm und zog mich sanft mit sich. Er hegte anscheinend ähnliche Gedanken:

„Wir wollen nicht noch mehr Aufsehen erregen, Catherine. Ich vertraue Lizzie. Sie ist alt genug, um selbst zurechtzukommen. Wir werden noch eine Zeit bleiben, Helena zuliebe. Jetzt hat sie eine der wenigen Gelegenheiten, einen anständigen jungen Mann kennenzulernen. Laß uns wieder hineingehen. Du schuldest mir noch drei Walzer.“

Er führte mich zurück zum Haus und musterte dabei unwillkürlich den dunklen Garten. Ich folgte seinem Blick. Viel konnte man nicht erkennen. Der Park war im zeitgemäßen Stil angelegt, mit vielen Freiflächen und Blickachsen. Keine verstaubte Geometrie mehr wie in Frankreich. Es gab zahlreiche sehr alte und sehr hohe Bäume, die rund um das Haus standen und im Sommer durch ihren Schatten ein zu großes Erhitzen des alten Gemäuers verhinderten. William meinte, er würde Mr LeFroy den Rat geben, einige davon fällen oder wenigstens beschneiden zu lassen. Bei einem Sturm stellten die vielen morschen Äste ein zu großes Risiko dar.

Wie recht mein Mann wieder einmal hatte, sollte sich bereits am nächsten Tag zeigen.

***

Das Geheimnis von Sunderley

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