Читать книгу Das Geheimnis von Sunderley - Isa Piccola - Страница 19

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Allmählich wurde mir die Aufmerksamkeit von Edward LeFroy unheimlich.

Er verbrachte immer mehr Zeit mit mir; meist, indem er mich auf meinen geliebten Spaziergängen begleitete. Einmal lud er mich sogar ein, mit ihm die Baustelle auf Stonehall zu besichtigen und dort meine Meinung zum Umbau zu äußern. Dabei wollte ich das alles gar nicht. In Wahrheit wollte ich nur eines: zurück zur Hütte von Precious Wilson, wo ich mit Jean einen so wunderbaren Regennachmittag verbracht hatte…

Seit unserer Begegnung dort hatte ich ihn nicht wieder gesehen. Zwar war ich fast jeden Tag bei der Hütte gewesen, doch hatte ich ihn nie angetroffen. Ob er es bewußt vermied, zurückzukehren zu diesem für uns nun noch geheimnisvolleren Ort? Jeden Abend vor dem Einschlafen dachte ich an ihn und unser kleines Geheimnis, und mir wurde warm ums Herz. Doch auch diese Gedanken konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß jemand ganz anderes etwas ganz anderes mit mir vorzuhaben schien.

Hinzu kam noch, daß ich dem jungen Mr LeFroy ein Dorn im Auge zu sein schien. Immer öfter warf er mir feindselige Blicke zu, selbst wenn ich mich nur mit seinem Vater unterhielt. Als ich mit Edward auf der Baustelle war, geriet er mit seinem Sohn sogar in einen solchen Streit, daß ich mich lieber zurückzog und abwartete, bis sich die beiden beruhigt hatten.

Edward LeFroy nahm das Ganze sehr mit. Wir ritten schweigend zurück nach Sunderley, er vollkommen in seine Gedanken versunken. Dort angekommen, zog er sich mit einem knappen Gruß zurück. Deswegen nahm ich an, daß er von nun an seltener mit mir verkehren würde.

Doch bereits am nächsten Morgen sah ich mich in meiner Erwartung getäuscht. Beim Frühstück fragte er mich:

„Miss Devane, was halten Sie von einem kleinen Spaziergang? Ich war lange nicht im Dorf, wollte einmal nach dem Rechten sehen. Würden Sie mich begleiten?“

Den Vorschlag konnte ich schlecht ablehnen, auch wenn Louis noch so mißmutig zu uns herübersah. Vielleicht war er aber auch nur enttäuscht, weil er selbst auf den geplanten Spaziergang mit Helena verzichten mußte, da diese wieder einmal unter unerträglichen Kopfschmerzen litt. So entgegnete ich:

„Sehr gern. Ein Spaziergang wird auch mir guttun.“

Also machten wir uns nach Beendigung des Frühstücks zunächst zu zweit auf den Weg. Kaum waren wir jedoch einige Schritte vom Haus entfernt, wurden wir von den beiden Damen Gallingher eingeholt. Keuchend rief Emma uns hinterher:

„Warten Sie, so warten Sie doch auf uns!“

Als wir stehenblieben und uns erstaunt umwandten, kamen Mutter und Tochter äußerst undamenhaft hinterhergeeilt. Emma rang nach Atem, um zu erklären:

„Danke, daß Sie gewartet haben! Es ist doch angenehmer, nicht allein spazieren zu gehen. Finden Sie nicht auch? Außerdem sollte ein unverheiratetes junges Mädchen nie allein mit einem Gentleman spazierengehen. Das gäbe nur zu Spekulationen Anlaß. Und zu viert hat man etwas Unterhaltung und muß nicht immer nur in die dumme Landschaft gucken. Wo gehen wir denn hin? Ach, das ist ja auch gleich, immer der Nase nach, nicht wahr?“

Sie unterstrich ihren geistreichen Witz mit einem sehr unnatürlichen Lachen. Edward und ich zwangen uns jeweils zu einem höflichen Lächeln. Dann wurde der Weg gemeinsam fortgesetzt. Mr LeFroy und ich gingen auf dem schmalen Weg voran, Emma und Aphrodite hinterdrein, wobei Emma immer wieder versuchte, zwischen uns zu gelangen. Da keiner von uns Anstalten machte, etwas zu sagen, fuhr Emma fort:

„Mr LeFroy, wie geht denn der Wiederaufbau Ihres Anwesens voran?“

Nun mußte der Angesprochene sich notgedrungen äußern. Die Antwort fiel knapp aus, wie um zu zeigen, daß er über diese Fragerei nicht sehr erfreut war:

„Es geht recht gut voran. Wenn das Wetter hält, können wir Weihnachten bereits wieder im neuen Heim feiern. Vielleicht auch schon früher, das bleibt abzuwarten.“

Damit schien das Thema für ihn ausreichend behandelt. Mrs Gallingher ließ aber nicht locker.

„Ach, wie schön!“ Sie klatschte in die Hände. „Und wird das Haus dann sein wie früher? Oder bauen Sie etwas moderner?“ LeFroy stöhnte und erwiderte dann noch knapper:

„Es soll alles so aussehen wie vor dem Brand. Allerdings werde ich wohl Gasbeleuchtung installieren lassen.“

Mrs Gallingher drängte sich nun endgültig zwischen uns. Wollte ich nicht durch das feuchte Gras laufen, mußte ich nach hinten ausweichen. So gesellte ich mich neben Aphrodite und versuchte, ein Gespräch mit ihr zu beginnen. Mir fiel nichts Besseres ein, als sie nach ihrer Unterkunft zu fragen:

„Wie gefällt dir dein Zimmer, liebe Cousine?“

Aphrodite war es nicht gewöhnt, daß jemand sie nach ihrer Meinung fragte. Deswegen reagierte sie anfangs etwas kurz angebunden.

„Recht gut, Cousine Elizabeth, danke. Es war sehr freundlich von dir, es für uns zu räumen.“ Sie schwieg einen Moment, bevor sie nachdenklich fortfuhr: „Ich glaube, wir haben uns noch nicht einmal bedankt. Das möchte ich hiermit tun. Danke, daß wir in deinem Zimmer wohnen können!“

Sie griff nach meiner Hand und drückte sie fest. Für einen Augenblick vergaß ich meinen Groll auf ihre Mutter. Offenbar war Aphrodite doch eine Frau, die durchaus eine eigene Meinung hatte – wenn man sie denn danach fragte. Und das tat ihre Mutter mit Sicherheit nie. Darum antwortete ich: „Für dich habe ich es gern getan.“ Für deine Mutter nicht, fügte ich in Gedanken hinzu.

Aphrodite spürte wohl auch die weitere unausgesprochene Frage, die mich bewegte. Sie konnte sie aber nicht beantworten, was sie sehr bedauerte:

„Ich weiß, was du fragen möchtest, Elizabeth. Doch leider weiß ich nicht, wann dein Zimmer wieder zu deiner Verfügung steht. Mama scheint sich in den Kopf gesetzt zu haben, länger hier zu bleiben.“

Sie verlangsamte ihren Schritt und zwang mich, Gleiches zu tun. Beim nächsten Satz senkte sie die Stimme.

„Ich fürchte, sie beabsichtigt, mich – oder womöglich gar sich selbst - mit Mr LeFroy zu verheiraten.“

Ungläubig sah ich sie an.

„Aber... das kann ich mir nicht vorstellen. Wie kommst du auf einen solchen Gedanken?“

Aphrodite verlangsamte das Tempo noch weiter, so daß wir ein ganzes Stück hinter Emma und Mr LeFroy zurückfielen.

„Ich weiß, daß Mama ursprünglich angedacht hatte, nur drei Tage zu bleiben und dann weiterzureisen. Gestern sprach sie mir gegenüber von mindestens zwei Wochen. Und sieh doch nur, wie sie Mr LeFroy in Beschlag nimmt. Sie blamiert uns unsäglich. Ich kann dich nur bitten, ihr Verhalten zu entschuldigen. Wie sie dich eben fortgedrängelt hat... das ist einfach unmöglich! Ich kann nur hoffen, daß Mama sich nicht noch mehr...“

Sie wagte nicht, ihren Gedanken auszusprechen. Zudem war die, über welche gesprochen worden war, soeben mit einem überraschten ‚Oh!’ stehengeblieben. Als sie sich zu uns umdrehte, sah ich ihren enttäuschten Gesichtsausdruck. Dann wandte sie sich an Aphrodite, die inzwischen mit mir herangekommen war:

„Stell dir vor, Aphrodite...“

Mr LeFroy faßte sie am Arm und unterbrach sie:

„Mrs Gallingher, bitte, das soll vorerst unter uns bleiben.“

Doch Emma schien sehr empört und vermutete wohl hinter LeFroys Bitte eine Finte, die sie sofort aus dem Weg zu räumen gedachte. Sie schüttelte seinen Arm unwillig ab und sagte aufgebracht:

„Aber Mr LeFroy, weshalb denn? Elizabeth weiß ja wohl Bescheid, und vor meiner Tochter habe ich keine Geheimnisse. Stell Dir vor, Aphrodite, Mr LeFroy beabsichtigt, Elizabeth zu heiraten!“

Die Überraschung war zu groß, als daß ich auf irgendeine Weise reagieren konnte. Entgeistert sah ich Mr LeFroy an. Der stand hinter Mrs Gallingher und versuchte verzweifelt, mir zu bedeuten, daß ich das Spiel mitspielen sollte. Als ich nicht zu begreifen schien, schlug er sich rasch an meine Seite und faßte mich am Arm.

„Jawohl, so ist es. Ich bitte Sie aber dennoch, es vorerst für sich zu behalten. Da wir einen Todesfall in der Familie haben, wäre es momentan nicht sehr schicklich, eine solche Nachricht zu verbreiten.“

Damit zog er mich unsanft mit sich fort. Aphrodite wollte umkehren, wurde dann aber von ihrer Mutter gezwungen, uns zu folgen und den Spaziergang fortzusetzen. Von weitem hörte ich noch, wie sie ihr zuraunte:

„Haltung, meine Tochter, Haltung. Ich weiß, wie hart dich das trifft. Aber uns bleibt ja noch Louis.“

Emma hatte die Hoffnung auf eine gute Partie, wenigstens für ihre Tochter, also noch nicht aufgegeben. Außerdem kam ihr wahrscheinlich – und das zu Recht - irgend etwas an der ganzen Sache verdächtig vor. Sie wußte nur noch nicht, was genau. Aber das würde sie herausfinden, nahm ich an.

Mr LeFroy schlug ein höheres Tempo an, wohl um einen gehörigen Abstand zwischen uns und den beiden Damen zu erreichen. Er wählte nicht den geraden Weg ins Dorf, sondern bog in einen Seitenweg ein. Den Kopf starr nach vorn gerichtet, zog er mich so nah an sich heran, daß ich seine geflüsterten Worte verstehen konnte.

„Verzeihen Sie diesen Überfall, Miss Devane. Mir blieb einfach keine andere Wahl. Mrs Gallingher hatte das Gespräch dermaßen auf die Spitze getrieben, daß ich keinen Ausweg mehr sah. Sie wollte unbedingt ihre Tochter mit mir… verkuppeln. Aber Aphrodite ist mir schlicht zuwider. Deswegen kam mir diese Notlüge in den Sinn. Ich hoffe, daß ich auch ein wenig in Ihrem Sinn gehandelt habe, denn dadurch werden die beiden Damen hoffentlich ihr Quartier bald räumen. Ich vermutete schon die ganze Zeit, daß sie nur in der Hoffnung bleiben, daß eine der beiden sich gut verheiraten kann. Wenn diese Hoffnung zerstört ist, werden sie vielleicht bald das Feld räumen. Ich bitte Sie also inständig, spielen Sie das Spiel mit, solange es sein muß. Ihnen entstehen daraus keinerlei Verpflichtungen, denn die beiden Damen sind ja die einzigen, die davon wissen, und ich habe sie um Verschwiegenheit gebeten.“

Noch immer wußte ich nicht, was ich erwidern sollte. Alles war so unwirklich, wie in einem Traum. Es war das erste Mal, daß ein Mann seiner Stellung so mit mir redete, mir so nahe kam und sogar noch eine Art Heiratsantrag gemacht hatte. Ob ihm in diesem Augenblick bewußt war, daß ein solches Versprechen bindend war, zumal es unter Zeugen gemacht worden war? Stumm nickte ich und versuchte, weniger verkrampft zu wirken. Unzählige Gedanken stürmten auf mich ein. Kurz blickte ich zurück, um mich zu vergewissern, daß die beiden Damen noch ausreichend weit entfernt waren, bevor ich mich zu einer Frage durchringen konnte:

„Aber weshalb haben Sie denn ausgerechnet mich gewählt und keine andere? Helena zum Beispiel. Oder Sie hätten doch auch irgendeine Braut erfinden können. Mrs Gallingher wird Ihnen nie glauben, daß Sie jemanden wie mich ernstlich heiraten wollen.“

Er kam nicht zu einer Entgegnung, denn mittlerweile waren wir im Dorf angelangt und von den beiden Damen Gallingher, die auf Emmas Betreiben ebenfalls ihr Tempo erhöht hatten, wieder eingeholt worden. Er gebot mir daher mit einem harten Blick zu schweigen. Laut sagte er:

„Da wären wir bereits im Dorf, dem Ziel unseres Spazierganges. Haben Sie vielleicht einige Einkäufe zu erledigen, meine Damen?“

Einen Moment lang überlegte ich, dann sagte ich:

„Ja, in der Tat. Ich benötige einige Kräuter. Am anderen Ende des Dorfes wohnt eine weise Frau. Ich kenne sie. Ich werde rasch bei ihr vorbeischauen.“

Schon wollte ich allein davoneilen, aber Mr LeFroy wich mir nicht von der Seite und hielt mich unauffällig fest.

„Ich begleite Sie selbstverständlich. Was ist mit Ihnen, meine Damen?“

Er wandte sich etwas unwirsch an die beiden Gallinghers. Diese zögerten. Emma mußte aufgrund seines Verhaltens inzwischen klargeworden sein, daß er keinen besonderen Wert auf ihre Gesellschaft legte. Um sich möglichst nicht alle Chancen zu vergeben, sagte sie deshalb:

„Nein, wir benötigen nichts. Wir werden den Weg ein Stück zurückgehen und auf der Bank, die dort am Wegesrand stand, auf Sie warten.“

Das war ihm nur recht, und so verabschiedete er sich etwas freundlicher und ging mit mir durch das Dorf.

Langton Green war ein typisches Straßendorf, das an der Verbindungsstraße zwischen Rochester und London lag. Neben einer Mühle und einer mit dieser verbundenen Bäckerei lag die einzige Attraktion des Örtchens in einer zweihundertjährigen Eiche, die auf dem Dorfanger stand und beliebter Treffpunkt für Jung und Alt war. Wir kamen dort vorbei und fingen die neugierigen Blicke der Dorfältesten auf, die sich zum vormittäglichen Klatsch und Tratsch versammelt hatten. Mr LeFroy kümmerte sich nicht weiter um das Getuschel, das beim Auftauchen eines so stattlichen Unbekannten einsetzte. Seit seiner Rückkehr aus Frankreich hatte er sich nicht viel von seinem Besitz entfernt, und natürlich hatte er sich in all den Jahren in Paris so verändert, daß er nicht sofort wiedererkannt wurde. Wahrscheinlich war er in all der Zeit nicht ein einziges Mal im Dorf gewesen – weshalb auch?

Dagegen senkte ich beschämt den Blick. Es war mir außerordentlich unangenehm, allein mit einem Mann an meiner Seite gesehen zu werden. Das gab unendlichen Raum für Spekulationen, denn so etwas gehörte sich einfach nicht für eine unverheiratete junge Frau. Also beschleunigte ich meinen Schritt und beeilte mich, das Ziel des Spazierganges zu erreichen.

Das Haus von Maud Emmerane lag ganz am Ende des Dorfes, beinahe außerhalb. Es war eine niedrige, nur mit Stroh gedeckte Lehmhütte, deren Wände mit den Jahren schief geworden waren, so daß es aussah, als ob sie den nächsten heftigen Herbststurm nicht überstehen würden. Eher würden die Holzwürmer in den Dachbalken überleben als deren Behausung. Trotz der geschlossenen Fenster und Türen drangen betäubende Gerüche nach draußen. Es war, als ob die Hütte in eine Wolke aus duftenden Essenzen gehüllt wäre.

Mein Begleiter rümpfte die Nase und hustete übertrieben. In mir dagegen stiegen Erinnerungen auf.

Als Kind, in Zeiten, als ich Gut und Böse vielleicht besser unterscheiden konnte als heute, hatte ich Maud oft besucht und in dem Duft aus frischen Kräutern und getrockneten Blüten gebadet. Oft hatte ich ihr beim Sammeln und Aufbereiten der Pflanzen geholfen. Wir waren stundenlang durch Wälder und Wiesen gezogen. Dies waren kostbare Stunden der Freiheit, die jedoch nach nur zwei Jahren beendet waren. Maud stand im Dorf im Ruf, eine Hexe zu sein. Ihre Heilkunst war vielen Menschen ein Dorn im Auge. Sie hatte einige ‚wundersame’ Heilungen vollbracht, die für das einfache Gemüt mancher Leute an Wunder grenzten – allerdings an Wunder, die der Teufel verursacht hatte. Und wie es so ist... Geschichten machten die Runde, und hatte ich als Kind diese noch ignoriert, war ich als Heranwachsende um so offener dafür.

Die Besuche bei Maud wurden allmählich seltener, bis ich sie ganz einstellte und vergaß, daß es dort einmal einen Menschen gegeben hatte, der fast eine zweite Mutter für mich gewesen war.

Und nun stand ich wieder vor diesem Haus, mit pochendem Herzen und gegen meinen Willen. Aber es war die einzige Möglichkeit, LeFroy für einen Moment zu entfliehen – so hatte ich gehofft, allerdings nicht bedacht, daß es sich nicht geziemt hätte, wenn er mich allein hätte gehen lassen. Jetzt mußte ich notgedrungen eintreten.

Zaghaft klopfte ich an und hoffte inständig, daß ich keine Antwort bekäme. Vielleicht lebte sie ja nicht mehr? Die Abwesenheit von Leuten wie ihr fiele niemandem auf... Doch nach einigen Sekunden hörte ich die vertraute Stimme:

„Herein!“

Zögernd folgte ich der Aufforderung. Mr LeFroy trat hinter mir in das Halbdunkel der Hütte. Diese bestand auf den ersten Blick nur aus einem einzigen Raum. Von früher wußte ich jedoch, daß es noch mehrere Verschläge gab, in denen Maud verschiedene Essenzen und Mixturen aufbewahrte.

Die alte Frau saß an einem Tisch und war dabei, Kräuter in einem Mörser zu zerstoßen. Auf dem Tisch lag ein ganzer Haufen getrockneter Lavendel. Sie würde die zerstoßenen Kräuter in kleine, selbstgenähte Säckchen füllen und verkaufen. Menschen mit Schlafstörungen konnte damit gut geholfen werden, erinnerte ich mich… Maud hatte schneeweiße Haare, die ihr lang über die Schultern herabfielen - im Sitzen berührten sie fast den Boden und hüllten die Trägerin in eine Art Mantel. Unter einer hohen, vom Alter zerfurchten Stirn blitzte ein Paar aufmerksamer, fast schwarz zu nennender Augen aus ihren tiefen Höhlen. Ihr ganzes Gesicht schien eine einzige Landkarte geworden zu sein, so viele Faltengebirge und Flußläufe hatte das Leben darin gezeichnet. Es tat gut, sie anscheinend wohlauf zu sehen.

Als sie mich erkannte, erhob sie sich. Verlegen blieb ich stehen. Wenn sie über diesen unerwarteten Besuch überrascht war, faßte sie sich schnell und sagte schlicht:

„Ich habe gewußt, daß du eines Tages zu mir zurückfinden würdest. Eines Tages würdest du erkennen, daß man auf das Gerede der Leute nicht hören darf, sondern seinem eigenen Verstand vertrauen muß. Was kann ich für dich tun, mein Kind?“

Erst jetzt bemerkte sie meinen Begleiter. Er war bisher an der Tür stehengeblieben und trat nun in den fahlen Lichtschein, der durch das einzige Fenster des Raumes fiel. Ihre Miene verdüsterte sich. Sie bemerkte:

„Oh, ich wußte nicht, daß du in Begleitung kommst.“

Sie musterte LeFroy von oben bis unten. Danach wußte sie offensichtlich nicht mehr, was sie sagen sollte. Jedoch bemerkte ich, daß er den Blick senkte. Das verwunderte mich, war er doch von höherem Stand als die arme Maud und hätte ihr dies durch sein Verhalten bedeuten können. Es entstand eine verlegene Stille, die ich endlich brach:

„Verzeihen Sie die Störung, Mrs Emmerane. Mein Begleiter Mr LeFroy und ich kommen, um einige Besorgungen bei Ihnen zu machen.“

Maud zuckte fast unmerklich zusammen. Sie konnte ihre Enttäuschung nur mit Mühe verbergen, hatte ich doch ihren Worten entnommen, daß sie gehofft hatte, ich wäre aus Anhänglichkeit wiedergekommen. Nun mußte sie einsehen, daß ihr einstiger Schützling die Vorurteile, die andere ihm eingepflanzt hatten, noch nicht überwunden hatte. Müde erwiderte sie:

„Was benötigst du?“

Krampfhaft hatte ich überlegt, was ich denn gebrauchen könnte. Schließlich fiel mein Blick auf ein Regal mit verschiedenen Flaschen und Gläsern. Da erinnerte ich mich an einen ganz besonderen Duft, den ich als Kind immer so geliebt hatte:

„Bitte, ein Fläschchen mit Ihrem Rosenwasser.“

Mauds Rosenwasser besaß ein ungewöhnlich intensives Aroma aufgrund der speziellen Verarbeitungsweise, die sie anwandte. Sie wies mit ihrer sehnigen Hand auf das Regal.

„Dort, im obersten Fach, steht, was du suchst. Nimm es dir. Ich schenke es dir.“

Während ich ihrer Aufforderung folgte, kramte Mr LeFroy einige Geldstücke aus seiner Geldbörse und wollte sie Maud reichen, doch die lehnte ab. Mit zitternder Hand suchte sie nach dem Mörser und machte sich daran, ihre Arbeit fortzusetzen - wie um zu zeigen, daß sie jetzt wieder ihre Ruhe haben wollte. Aber die Gefühle, die in ihr aufwallten, waren so stark, daß ihr der Stößel abrutschte und sich der Inhalt des Mörsers über den Tisch verteilte. Schnell sprang ich hinzu, um den Schaden zu begrenzen.

In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und ich blickte in das überraschte Gesicht von Jean.

***

Das Geheimnis von Sunderley

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