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1.Weites und enges Verständnis vom Schuldverhältnis

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18Im zweiten Buch des BGB steht das „Schuldverhältnis“ im Mittelpunkt der Regelungen. § 241 Abs. 1 als erste Norm des zweiten Buchs macht dabei zugleich deutlich, worin das Besondere im Schuldverhältnis besteht: Kraft des Schuldverhältnisses, so heißt es dort, ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Das Schuldverhältnis stellt also eine Sonderbeziehung, eine Sonderverbindung21 dar, die zwischen dem Gläubiger auf der einen und dem Schuldner auf der anderen Seite besteht. Der Gläubiger ist aufgrund dieser Sonderverbindung berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu verlangen, die auch in einem Unterlassen bestehen kann (s. § 241 Abs. 1 Satz 2).

19Das Schuldverhältnis wird wesentlich durch eine Bipolarität, eine Zweiseitigkeit geprägt. Es sind zwei Parteien von dem Schuldverhältnis erfasst, der Gläubiger und der Schuldner. Dabei schließt diese Formulierung nicht aus, dass auf der einen Seite auch mehrere Personen stehen können. Entscheidend ist vielmehr, dass es sich bei einem Schuldverhältnis immer um eine Beziehung zwischen zwei Seiten handelt, nämlich Gläubiger und Schuldner. Das ist nur an wenigen Stellen anders, nämlich dann, wenn Dritte am Schuldverhältnis beteiligt werden. Selbst in diesen Fällen22 bleibt es aber stets dabei, dass auch eine Zweierbeziehung gegeben sein muss. Neben dieser Zweiseitigkeit wird das Schuldverhältnis dadurch geprägt, dass die eine Seite (der Gläubiger) von der anderen Seite (dem Schuldner) etwas, also ein Tun oder Unterlassen, verlangen kann. Das stellt zugleich einen Anspruch i. S. v. § 194 Abs. 1 dar. Der Grund hierfür kann auf verschiedenen Tatbeständen, wie einer vertraglichen oder gesetzlichen Begründung des Schuldverhältnisses, beruhen.

20Eine vertragliche Begründung des Schuldverhältnisses setzt voraus, dass sich Gläubiger und Schuldner darüber geeinigt haben, dass eine solche Sonderverbindung zwischen ihnen bestehen soll.

Beispiel: A und B vereinbaren, dass der A dem B sein Fahrrad verkauft. – Sie vereinbaren einen Kaufvertrag. Damit entsteht zwischen ihnen ein (vertragliches) Schuldverhältnis.

21Hier spielt der Grundsatz der Vertragsfreiheit mit hinein – denn prinzipiell ist niemand dazu verpflichtet, sich in ein solches enges Verhältnis, also in eine Sonderverbindung zu einem anderen zu begeben. Wer allerdings einen Vertrag abschließt, wird dies nur sehr selten ohne Gegenleistung tun. Das hat aber zunächst nichts mit dem Entstehen eines Schuldverhältnisses zu tun, welches hier allein deshalb zustande kommt, weil sich zwei Parteien auf eine solche Sonderverbindung geeinigt haben, aus der heraus der eine, der Gläubiger, von dem anderen, dem Schuldner, etwas verlangen kann.

22Daneben ist eine Begründung des Schuldverhältnisses auch auf gesetzlichem Wege möglich, etwa im Rahmen der §§ 678 ff., 823. Das Besondere hieran ist, dass die Parteien sich nicht darüber geeinigt haben, dass eine solche Sonderbeziehung zwischen ihnen bestehen soll, sondern das Gesetz selbst knüpft an ein tatsächliches Geschehen bestimmte Pflichten eines Beteiligten. Die Erfüllung eines gesetzlichen Tatbestandes führt damit zum Entstehen eines Schuldverhältnisses.

Beispiel: A schießt beim Fußballspiel den Ball in das Fenster des B. – Er fügt diesem damit einen Sachschaden zu und verletzt somit das Eigentum des B. In dieser Situation ordnet § 823 Abs. 1 an, dass derjenige, dessen Eigentum verletzt ist, gegen den Schädiger einen Ersatzanspruch hat. Er erhält also einen gesetzlichen Schadensersatzanspruch, infolgedessen besteht zwischen A und B ein gesetzliches Schuldverhältnis.

23Welchen Inhalt ein vertragliches Schuldverhältnis hat, ist vom Gesetz nicht vorgegeben. Hier gilt vielmehr der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Einigen sich die Parteien auf einen im Gesetz vorgesehenen Vertragstypus, so können subsidiär die dort enthaltenen Regelungen eingreifen, wenn nämlich die Parteien nichts anderes vereinbart haben; gelegentlich gelten hier auch zwingend bestimmte Schutzvorschriften zugunsten einer der Vertragsparteien.

Beispiel: Vereinbaren A und B einen Arbeitsvertrag, nach dem der B für A arbeiten soll, sind zunächst die Regelungen des Vertrags, hilfsweise diejenigen der §§ 611a ff., anwendbar. Jedenfalls gilt etwa § 623, der zwingend zugunsten des B regelt, dass eine Kündigung schriftlich erfolgen muss.23

24Doch prinzipiell ist der Inhalt des Schuldverhältnisses frei, zumindest hinsichtlich der von den Parteien vereinbarten Pflichten und Rechte, dazu gleich noch ausführlicher.24 Entscheidend ist, dass man dort, wo ein Schuldverhältnis zwischen zwei Parteien besteht, hinreichend differenzieren muss, wenn man vom „Schuldverhältnis“ spricht. Hier gibt es nämlich unterschiedliche Begrifflichkeiten, die man strikt auseinanderhalten muss.25

25So steht auf einer höheren Ebene das sog. Schuldverhältnis im weiteren Sinne. Spricht man hiervon, so meint man das Schuldverhältnis als Ganzes, also die vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien, sofern es sich um ein vertragliches Schuldverhältnis handelt.26

Beispiel: In dem zuvor genannten Beispiel (unter Rn. 23) bildet der Arbeitsvertrag die Grundlage für das Arbeitsverhältnis zwischen A und B und damit für das „Schuldverhältnis im weiteren Sinne“.

26In diesem weiten Verständnis wird der Begriff auch im BGB gelegentlich gebraucht, etwa dort, wo es in der Überschrift des zweiten Buchs des BGB heißt: „Recht der Schuldverhältnisse“. Auch § 241 Abs. 2, der bestimmte Nebenpflichten begründet, gebraucht den Begriff des Schuldverhältnisses im weiteren Sinne.27 Dort ist nämlich formuliert, „das Schuldverhältnis“ könne nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten – hier ist also gemeint, dass die gesamte Vereinbarung, die zwischen den Parteien besteht, solche Sekundärpflichten hervorrufen kann.

27Im Gegensatz dazu findet sich das Schuldverhältnis im engeren Sinne. Das soll gerade nicht das gesamte Verhältnis zwischen den Parteien beschreiben, sondern nur den konkreten einzelnen Anspruch des Gläubigers gegen den Schuldner.28 Als Schuldverhältnis im engeren Sinne ist daher das Recht auf eine Leistung zu verstehen, die sich aus § 241 Abs. 1 Satz 1 ergibt. Gemeint ist damit der konkrete schuldrechtliche Anspruch, also die Forderung, die der Gläubiger gegen den Schuldner hat. Letztlich geht es also beim Schuldverhältnis im engeren Sinne nur um eine einzelne, konkrete Pflicht, nicht jedoch um die Rechtsbeziehung zwischen den Parteien im Ganzen.

Beispiel: Bei einem Kaufvertrag, den A und B über ein Haus abschließen, bildet dieser die Grundlage für die gesamte Rechtsbeziehung, also das Schuldverhältnis im weiteren Sinne; A hat daraus etwa die Pflicht, den Käufer über bestimmte Umstände aufzuklären, die für den Kauf von Bedeutung sind – bezüglich dieser konkreten Aufklärungspflicht besteht dann ein „Schuldverhältnis im engeren Sinne“.

28Das BGB gebraucht den Begriff des Schuldverhältnisses in der Regel im engeren Sinne. Besonders deutlich wird dies etwa bei § 362, der die Erfüllung behandelt. Ohne bereits hier in die Tiefe zu gehen29, stellt § 362 einen Untergangstatbestand für eine Leistungspflicht dar: Eine schuldvertragliche Beziehung zwischen Parteien führt dazu, dass der Schuldner dem Gläubiger zur Leistung verpflichtet ist. Wenn nun der Schuldner seine Leistung erbringt, wenn etwa der Käufer seinen Kaufpreis bezahlt, so nennt man dies Erfüllung. Nach § 362 Abs. 1 erlischt dadurch das Schuldverhältnis. Bleibt man nun beim Beispiel des Käufers, der seine kaufvertragliche Pflicht zur Kaufpreiszahlung erfüllt, erlischt hierdurch das Schuldverhältnis – gemeint ist aber vom Gesetz nur das Schuldverhältnis im engeren Sinne! Das heißt, es erlischt ausschließlich die Leistungspflicht des Käufers zur Kaufpreiszahlung. Unberührt davon bleibt der Kaufvertrag als solches. Dieser besteht weiter fort, etwa hinsichtlich verschiedener, sich zusätzlich aus dem Kaufvertrag ergebender Pflichten aus § 241 Abs. 2.30

29Es geht also nicht das Schuldverhältnis im weiteren Sinne unter, das heißt die kaufvertragliche Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer. Ohne dass dies terminologisch aus dem BGB hervorgeht, muss man daher bei allen Vorschriften, die man im Schuldrecht vorfindet, überlegen, ob es sich hierbei um das Schuldverhältnis im engeren oder um das im weiteren Sinne handelt. So ist auch bei § 397 Abs. 1 Vorsicht geboten, der den Erlass betrifft. Zwar scheint die gesetzliche Formulierung („Das Schuldverhältnis erlischt, wenn der Gläubiger dem Schuldner durch Vertrag die Schuld erlässt.“) auf das Schuldverhältnis im weiteren Sinne hinzudeuten. Jedoch ist damit nicht gemeint, dass das gesamte Schuldverhältnis untergehen soll.31 Vielmehr erlöschen nur die aus dem Schuldverhältnis stammenden einzelnen Forderungen, also das Schuldverhältnis im engeren Sinne. Für ein Erlöschen des gesamten Schuldverhältnisses ist in der Regel ein Aufhebungsvertrag notwendig.32

30Im Regelfall verwendet das BGB im Schuldrecht somit den Begriff des Schuldverhältnisses im engeren Sinne; Ausnahmen gibt es nur wenige, wie etwa § 241 Abs. 233, § 425 Abs. 134 oder § 273 Abs. 1.35

Schuldrecht I - Allgemeiner Teil

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