Читать книгу Schuldrecht I - Allgemeiner Teil - Jacob Joussen - Страница 17
2.Inhalt: Pflichten und Obliegenheiten
Оглавление31Ist ein Schuldverhältnis im weiteren Sinne begründet, haben also die Parteien sich insbesondere vertraglich darauf geeinigt, dass zwischen ihnen eine schuldrechtliche Sonderbeziehung bestehen soll, entstehen hieraus Rechte und Pflichten; zudem kann es verschiedene sog. Obliegenheiten geben, die aus der schuldvertraglichen Beziehung resultieren. Hinsichtlich der entstandenen Pflichten differenziert man zwischen den sog. Primär- und den Sekundärpflichten.
32a) Primärpflichten. Allgemein gesprochen verpflichtet das Schuldverhältnis den Schuldner zu einer Leistung, d. h. zu einem Tun oder Unterlassen. Das folgt aus § 241 Abs. 1. Diese Pflicht des Schuldners korrespondiert mit dem Recht des Gläubigers, von dem Schuldner gerade diese Leistung verlangen zu können. Der genaue Inhalt dessen, was der Schuldner zu leisten hat, ist bei einem vertraglichen Schuldverhältnis von den Parteien eigens geregelt. Welche Pflichten den Schuldner im Einzelnen treffen, kann daher nur dadurch in Erfahrung gebracht werden, dass man die vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien heranzieht. Das Gesetz selbst differenziert hier zwischen sog. Leistungspflichten auf der einen Seite und nicht einklagbaren Obliegenheiten bzw. Schutzpflichten auf der anderen Seite. Innerhalb der Leistungspflichten, die selbstständig einklagbar sind, ist dann noch einmal eine Unterscheidung zu treffen vor allem zwischen den sog. Primär- oder Hauptleistungspflichten auf der einen und den sog. Nebenleistungspflichten auf der anderen Seite.
33aa) Hauptleistungspflichten. Als Hauptleistungspflicht wird diejenige Leistungspflicht bezeichnet, die für das konkrete Schuldverhältnis wesentlich ist und es zentral ausmacht. Hauptleistungspflichten bestimmen insofern den gesamten Schuldvertragstypen.
Beispiel: A verkauft dem B sein Boot. – In dem abgeschlossenen Kaufvertrag ist die Pflicht des B zur Kaufpreiszahlung ebenso eine Hauptleistungspflicht wie umgekehrt die Pflicht des A zur Übergabe und Eigentumsverschaffung des Bootes. Die jeweiligen Primärpflichten ergeben sich bei den vertraglichen Schuldverhältnissen aus der konkreten Vereinbarung der Parteien und ggf., wenn die Parteien sich für einen der normierten Vertragstypen des BGB entschieden haben, aus den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen. Eine Hauptleistungspflicht bei einem nicht vorgesehenen Vertragstypus des BGB kann allein aus dem Willen der Beteiligten geschlossen werden. Hauptleistungspflicht ist in einem solchen Vertrag dann stets diejenige Pflicht, der nach den Umständen eine wesentliche Bedeutung beigemessen wird.36
34In einem gesetzlichen Schuldverhältnis ist die Hauptleistungspflicht allein dem Gesetz zu entnehmen. Bei einem bereicherungsrechtlichen Anspruch aus § 812 Abs. 1 ist dies etwa die Herausgabe der erlangten Sache.
35Bezüglich der primären Leistungspflicht gilt bei einem Schuldverhältnis noch etwas Besonderes, und zwar dann, wenn es sich um ein sog. synallagmatisches Schuldverhältnis handelt. In einem Synallagma stehen nämlich die Primärpflichten der beiden Parteien in einem Gegenseitigkeitsverhältnis i. S. d. § 320. Was bedeutet das? Am besten lässt sich das an einem bekannten Vertragstypus deutlich machen, etwa am Kaufvertrag: Entsprechend dem soeben genannten Beispielsfall, dem Verkauf des Bootes, ist der Verkäufer dazu verpflichtet, die Kaufsache (das Boot) zu übergeben und das Eigentum an ihr zu verschaffen. Das sind die Primärpflichten des Verkäufers. Umgekehrt ist der Käufer dazu verpflichtet, den Kaufpreis zu bezahlen und die Kaufsache (das Boot) abzunehmen. Das sind die Primärpflichten des Käufers. Diese Primärpflichten stehen nun in einem Gegenseitigkeitsverhältnis und sind eng miteinander verknüpft. Das bezeichnet man als Synallagma. Jede Partei ist hierbei zugleich Schuldner und Gläubiger der anderen, wenn auch für verschiedene Pflichten: Der Käufer ist Schuldner des Gläubigers, also des Verkäufers, im Hinblick vor allem auf die Kaufpreiszahlung. Umgekehrt ist der Verkäufer seinerseits auch Schuldner (und nicht nur Gläubiger der Kaufpreisforderung), nämlich im Hinblick auf die Eigentumsverschaffung und Übergabepflicht an der Kaufsache. Die Primärleistungspflichten in einem solchen Verhältnis sind eng aneinander gebunden, das folgt aus dem schon genannten § 320: Jeder muss seine Leistungspflicht grundsätzlich nur dann erbringen, wenn der andere seine Leistungspflicht erfüllt.37
36bb) Nebenleistungspflichten. Neben den genannten Hauptleistungspflichten bestehen weitere Pflichten der Vertragsparteien, die sog. Nebenleistungspflichten. Nebenleistungspflichten dienen regelmäßig der Vorbereitung und leichteren Erbringung der Hauptleistungspflicht. Sie ergänzen diese, stellen aber anders als die Hauptleistungspflicht nicht die zentrale Regelungsmaterie der Vereinbarung oder des gesetzlichen Schuldverhältnisses dar. Sie können sich aus verschiedenen Rechtsquellen ergeben, so aus besonderen gesetzlichen Vorschriften oder aus § 242. Darüber hinaus ist auch eine vertragliche Vereinbarung von Nebenleistungspflichten möglich, wenn die Vertragsauslegung (§§ 133, 157) ergibt, dass bestimmte Nebenpflichten wie insbesondere eine Auskunftserteilungspflicht gewollt sind. Die Nebenleistungspflichten sind selbstständig einklagbar38, sie stehen aber nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis, § 320 ist also nicht anwendbar (wohl aber § 273).39
Beispiel: A beauftragt seinen Bekannten B damit, ein wichtiges Einschreiben zur Post zu bringen. – Die Erfüllung des Auftrags durch B stellt dabei die Hauptleistungspflicht des Auftragsverhältnisses aus § 662 dar. Möchte der A von B erfahren, ob alles gut gelaufen ist, ist B dem A zur Auskunft verpflichtet – diese Nebenpflicht folgt beim Auftrag unmittelbar aus § 666.
37cc) Sonstige Verhaltenspflichten. Ebenfalls unter die Primärpflichten (wobei hier terminologisch sehr viel Unsicherheit besteht!) zählen die sonstigen Verhaltenspflichten, die sich insbesondere aus § 241 Abs. 2 ergeben. Diese Pflichten sind anders als die Haupt- und Nebenleistungspflichten nicht auf die konkrete Anspruchserfüllung gerichtet, sie haben also nicht unmittelbar das Ziel, die vom Schuldner zu erbringende Leistung durchzuführen bzw. zu erleichtern oder zu ermöglichen.40 Vielmehr dienen diese sonstigen Verhaltenspflichten in erster Linie dem Schutz der Rechte und Rechtsgüter des Vertragspartners; es geht also bei den sonstigen Verhaltens- und Schutzpflichten um das „Integritätsinteresse“ des anderen. Nach § 241 Abs. 2 steht die Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils im Mittelpunkt dieser Schutzpflichten. Welche Schutzpflichten von den Parteien zu beachten sind, ergibt sich allein aus dem Schuldverhältnis (im weiteren Sinne), das zwischen ihnen besteht.41
38Gelegentlich sind einzelne Verhaltenspflichten gesetzlich normiert, beispielsweise für das Mietrecht in § 535 Abs. 1 Satz 2. Oftmals bedarf es jedoch einer (ergänzenden) Vertragsauslegung der zugrunde liegenden Parteivereinbarung, teilweise ist auch ein Rückgriff auf den Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 notwendig. Diese Schutzpflichten, die sowohl in den gesetzlichen als auch in den vertraglichen Schuldverhältnissen bestehen, sind insbesondere auf Rücksichtnahme, Aufklärung, Information, Sicherung und Warnung ausgerichtet.
Beispiel: Haben A und B einen Mietvertrag abgeschlossen, ist der Vermieter A für das Wohlergehen seines Vertragspartners B verantwortlich. Ihn trifft daher beispielsweise die Nebenpflicht, den Hausflur ausreichend zu beleuchten, sodass der B nicht stürzt, wenn er das Haus des Vermieters verlässt.
39Die Verhaltenspflichten sind nicht einklagbar, da sie hierfür zu unbestimmt sind. Sie müssen zwar von den Parteien beachtet werden, jedoch ist eine Klage auf ihre Erfüllung nicht möglich.42 Ihnen kommt allerdings dann eine Bedeutung zu, wenn eine Pflichtverletzung vorliegt. Hieraus kann sich nämlich ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 ergeben.43
40b) Sekundärpflichten. Neben den zuvor erläuterten Primärpflichten gibt es auch zusätzlich noch sog. Sekundärpflichten. Diese ergeben sich jedoch nicht unmittelbar aus dem Schuldverhältnis, wie es bei den Primärpflichten der Fall ist. Vielmehr treten sie erst an die Stelle der Primärpflichten, wenn diese gestört werden oder untergehen. Solche Sekundärpflichten stehen dann entweder neben der ursprünglichen Primärpflicht, denkbar ist aber auch, dass sie diese Primärpflicht ersetzen und an ihre Stelle treten. Näheres folgt aus den Vorschriften des § 280 Abs. 1 bis 3 und wird an späterer Stelle erläutert.44
Zusammenfassendes Beispiel: V und K haben einen Kaufvertrag über ein Fahrrad abgeschlossen. – Nun hat der K gegen V einen Primäranspruch auf die Lieferung des Fahrrads aus § 433 Abs. 1. Das ist eine Primärleistungspflicht, sie folgt unmittelbar aus dem Schuldvertrag und ist einklagbar. Ebenfalls Primärpflichten aus diesem Kaufvertrag können Nebenleistungspflichten sein, beispielsweise ist V verpflichtet, das Fahrrad, wenn er es liefern sollte, ordnungsgemäß zu verpacken. Das ist keine Primärpflicht im Sinne einer Hauptleistungspflicht, sie steht nicht im Synallagma, aber es ist eine von K ggf. einklagbare Pflicht des V. Eine Nebenleistungspflicht ist es, weil sie lediglich dazu dient, die Hauptleistungspflicht des V (die Eigentumsverschaffung und Übergabe des Fahrrads) zu erleichtern bzw. zu ermöglichen. Schließlich ebenfalls als Primärpflicht aus diesem Kaufvertrag ist die Pflicht des V anzusehen, dafür zu sorgen, dass der K in den Verkaufsräumlichkeiten nicht zu Schaden kommt, beispielsweise nicht ausrutscht und sich verletzt. Diese Primärpflicht im Sinne einer Verhaltens- bzw. Schutzpflicht ergibt sich aus der vertraglichen Vereinbarung, aber auch aus § 241 Abs. 2. Diese Primärpflicht ist nicht einklagbar, aber ihre Verletzung kann zu einem Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 führen. Sekundärpflichten bestehen zunächst in diesem Kaufvertragsverhältnis nicht. Erst dann, wenn etwa der V schuldhaft das Fahrrad zerstört, bevor er es liefern kann, tritt ein Ersatzanspruch an die Stelle des ursprünglichen Primäranspruchs des K. Er hat nämlich nun einen Anspruch gegen den V aus dem Umstand, dass dieser die Unmöglichkeit der Leistungserfüllung herbeigeführt hat. Diese Sekundärpflicht des V kommt jedoch erst an zweiter Stelle – deshalb ist im Prüfungsaufbau immer als erstes zu überlegen, welche Primärpflichten bestehen, bevor auf die Sekundärpflichten übergegangen werden kann, sofern beide Pflichten nebeneinander noch denkbar sind.
41c) Obliegenheiten. Eine letzte Gruppe von Verpflichtungen in einem Schuldverhältnis sind die sog. „Obliegenheiten“. Das sind jedoch keine Pflichten im Sinne eines Schuldverhältnisses in engem Sinne, also eines Anspruchs. Bei den Obliegenheiten kann nicht der eine etwas von dem anderen verlangen, vielmehr handelt es sich lediglich um „Pflichten gegen sich selbst“.45 Diese bestehen ausschließlich im Eigeninteresse und sind daher insbesondere auch nicht einklagbar, also auch nicht Grundlage für einen Sekundäranspruch. Der Gegner einer Schuldvertragspartei kann also keine Erfüllungs- oder Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn Obliegenheiten verletzt werden, vielmehr handelt es sich um ein Rechtsgebot im eigenen Interesse des Belasteten. Beachtet er die Obliegenheiten nicht, ist dies für ihn selbst ggf. nachteilig. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 Satz 1: Verletzt der Geschädigte seine Schadensabwendungs- und -minderungspflicht, begeht er eine Obliegenheitsverletzung und verliert seinen Schadensersatzanspruch bzw. erhält nur einen geminderten Anspruch. Der Schädiger selbst hat hieraus gegen den Geschädigten keinen Anspruch.
Beispiel: Weitere Beispiele stellen die Untersuchungs- und Rügeobliegenheit des Kaufmannes nach § 377 Abs. 1 HGB sowie die Annahmeobliegenheit des Gläubigers innerhalb der §§ 293 ff. BGB dar.46