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1.Der Grundsatz der Vertragsfreiheit

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44Weil durch einen Vertrag regelmäßig jede der beiden Parteien nicht nur Rechte erhält, sondern auch verpflichtet wird, ist von großer Bedeutung, dass niemand gegen seinen Willen zu einem solchen Vertrag gezwungen werden kann.47 Dieser Grundsatz, von dem es nur wenige Ausnahmen gibt, spiegelt sich im Prinzip der Vertragsfreiheit wider.48

Idealtypisch geht die Rechtsordnung davon aus, dass zwei gleichstarke Vertragsparteien aufeinandertreffen, die sich durch Verhandlungen aus freien Stücken zu einer Einigung zusammenfinden: Der Vertrag stellt dabei den Ausgleich der beiden widerstreitenden Interessen dar. Die Vertragsfreiheit garantiert in diesem Zusammenhang, dass – so zumindest die Vorstellung – richtige und gute Verträge zustande kommen.

45Das Gegenteil zur Vertragsfreiheit bildet der Kontrahierungszwang, da aus verschiedenen Gründen eine Partei zum Vertragsschluss gezwungen ist. In verschiedenen Fällen des Ungleichgewichts zwischen den Verhandlungspartnern schützt die Rechtsordnung die schwächere Vertragspartei. Derartige Abweichungen von der Freiwilligkeit (s. dazu ab Rn. 59) finden sich zusätzlich dort, wo ein Verbraucher involviert ist (§ 13), der als prinzipiell schwächer angesehen wird als sein Vertragspartner, der Unternehmer. Ähnliches gilt, wenn eine der Parteien der anderen gewisse Vertragsbedingungen vorgibt und aufdrängt, also im Fall sog. allgemeiner Geschäftsbedingungen. Diesbezüglich in den §§ 305 ff. befindliche Regelungen zugunsten der (vermeintlich) schwächeren Vertragspartei dienen dazu, das Prinzip der Vertragsfreiheit zu schützen, weil der zu Schützende nicht die Kraft hat, sich auf Augenhöhe mit einer anderen Partei zu einigen.49

46Die vertragliche Einigung gem. § 311 bildet den Grundfall aller vereinbarten Entstehungsmodalitäten eines Schuldverhältnisses. Sie beruht unmittelbar auf der Vertragsfreiheit. Die Reichweite der Vertragsfreiheit erstreckt sich dabei vor allem auf drei Felder: die Abschlussfreiheit, die Inhalts- bzw. Gestaltungsfreiheit sowie die Formfreiheit.

47a) Abschlussfreiheit, aber gewisse Verbote und Gebote. Die erste Ausprägung der Vertragsfreiheit stellt die Abschlussfreiheit dar: Diese sichert dem Einzelnen zu, dass er frei entscheiden kann, ob er überhaupt, und dann, auf einer zweiten Ebene, mit wem er einen Vertrag abschließen will. Jeder hat also das Recht, frei zu entscheiden, ob er sich durch eine vertragliche Einigung in ein ihn bindendes Schuldverhältnis begeben möchte. Das ist auch der Inhalt von § 311, wonach für die Begründung eines Schuldverhältnisses „ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich“ ist. Der Vertrag ist insofern nichts anderes als die Kodifizierung der Abschlussfreiheit.

Beispiel: A denkt über die Art seiner Fortbewegung nach. Die Abschlussfreiheit garantiert ihm die Freiheit zu entscheiden, ob er ein Auto kaufen bzw. verkaufen möchte. Er hat darüber hinaus die Freiheit zu entscheiden, an wen er verkaufen will. Insbesondere ist niemand verpflichtet, auf ein Kaufangebot einzugehen.

Doch kann gerade die Abschlussfreiheit in gewisser Hinsicht auch eingeschränkt sein. Das gilt in erster Linie für die Situationen, in denen die Rechtsordnung einen Kontrahierungszwang vorsieht.50 Eine Einschränkung der Abschlussfreiheit findet jedoch auch in weiteren, sozusagen abgeschwächten Formen statt, nämlich immer dann, wenn die Rechtsordnung den Abschluss bestimmter Verträge verbietet. Davon abzugrenzen ist die Situation, in dem der Abschluss von Verträgen geboten ist. Bei Abschlussverboten handelt es sich um die stärkste Form der negativen Einschränkung der Vertragsfreiheit.51 Da sie einen massiven Eingriff in die Vertragsfreiheit darstellen, sind sie in der Rechtsordnung relativ selten.

Beispiel: L möchte den 14-jährigen J als Arbeitskraft einstellen. Doch hier sehen §§ 2, 5 und 7 JArbSchG ein Abschlussverbot vor: So dürfen etwa Jugendliche nach diesen Vorschriften nicht mit bestimmten Arbeiten betraut werden. Kommt es gleichwohl zu einer vertraglichen Vereinbarung, ist sie nichtig, was sich jedenfalls aus § 134 ergibt.

48Anders als die Abschlussverbote kennt die Rechtsordnung in positiver Hinsicht auch Abschlussgebote. Diese können ebenfalls eine Einschränkung der Vertragsfreiheit beinhalten. Anders als beim Kontrahierungszwang52 enthalten Abschlussgebote keine konkrete Verpflichtung, sondern eine Aufforderung an eine Vertragspartei.

Beispiel: A betreibt ein großes Unternehmen. Gem. § 154 SGB IX hat er die Pflicht, in bestimmtem Umfang Schwerbehinderte zu beschäftigen. Diese Pflicht führt jedoch nicht zu einem unmittelbaren Einstellungsanspruch eines einzelnen Schwerbehinderten.53 Stattdessen sieht die Rechtsordnung Sanktionen zulasten des Arbeitgebers vor, der dieser Pflicht nicht nachkommt. Dieser muss nämlich eine Ausgleichsabgabe zahlen und mit einem Bußgeld rechnen.54

49b) Inhalts- bzw. Gestaltungsfreiheit. Einen weiteren zentralen Bereich der Vertragsfreiheit stellt die Inhaltsfreiheit dar, die häufig auch als Gestaltungsfreiheit bezeichnet wird. Ihr zufolge können die Vertragsparteien umfassend und frei darüber entscheiden, was sie als Inhalt des Vertrags vereinbaren möchten. Die Parteien können frei vereinbaren, welche Verpflichtung sie überhaupt eingehen möchten. Hier herrscht also keine Bindung an Vorgaben, etwa des BGB. Diese umfassende Gestaltungsfreiheit ist jedoch nur im Schuldrecht durchgehalten; gerade das Sachenrecht weicht von dieser Möglichkeit sehr stark ab. Dingliche Rechte können nämlich nur in der Form vereinbart werden, wie sie das BGB in seinem dritten Buch vorsieht. Bedingt ist diese Abweichung gegenüber dem Schuldrecht insbesondere durch die Anforderungen der Rechtssicherheit, die man bei sachenrechtlichen Zuordnungen sehr viel höher einzuschätzen hat als bei schuldrechtlichen Verpflichtungen.55

Entsprechend der Inhaltsfreiheit im schuldvertraglichen Bereich können die Parteien alle von ihnen gewünschten, d. h. auch alle atypischen Verträge schließen.56 Die einzelnen Vertragstypen des Besonderen Schuldrechts, wie sie sich in den §§ 433 ff. finden, sind also mehr gesetzliche Modelle als zwingende Vorgaben. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass innerhalb dieser Modellvorgaben verschiedene Vorschriften auch zwingenden Charakter haben, von denen nicht abgewichen werden darf. Der Regelfall liegt darin, dass die Parteien eine Modellvorstellung des BGB übernehmen, also etwa einen Kaufvertrag schließen, wie er in § 433 geregelt ist. Zum Teil weichen sie dann aber von einzelnen gesetzlichen Vorschlägen vertraglich ab.

Einschränkungen der Inhalts- bzw. Gestaltungsfreiheit ergeben sich jedoch im Hinblick auf einzelne Inhalte einer Vereinbarung. Insbesondere im Allgemeinen Teil des BGB finden sich daher Vorschriften, die die Gestaltungsfreiheit einschränken. So sind etwa §§ 134 und 138 als Einschränkungen der Inhaltsfreiheit anzusehen57; auch die Bestimmungen zu den AGB58 sowie Regelungen aus dem AGG beschränken die Inhaltsfreiheit der Parteien. Hier schreibt der Gesetzgeber aus bestimmten Schutzerwägungen heraus vor, dass manche Vertragsinhalte nicht wirksam vereinbart werden können.59

Beispiel: A betreibt ein großes Warenhaus und verwendet AGB. Darin schließt er prinzipiell jegliche Haftung gegebenenfalls entstehender Körperverletzungen seiner Kunden aus. Das verstößt jedoch gegen § 309 Nr. 7, der Ausschluss ist daher unwirksam.

50c) Formfreiheit. Die Formfreiheit kann als eine besondere Ausgestaltung der Inhaltsfreiheit angesehen werden. Sie beherrscht das gesamte Schuldrecht und legt fest, dass die Parteien grundsätzlich dazu berechtigt sind, einen schuldrechtlichen Vertrag formlos abzuschließen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Gesetz eine Form ausdrücklich vorschreibt. Es gilt also ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Insbesondere ausreichend ist daher zum wirksamen Abschluss eines Vertrags eine mündliche Vereinbarung. Da die Grundlage jeder Vereinbarung Willenserklärungen sind, genügen darüber hinaus auch konkludente Verhaltensweisen, die eindeutig darauf schließen lassen, dass dadurch ein bestimmter Wille verbindlich mit Erklärungsgehalt geäußert werden soll. Das ist etwa der Fall, wenn eine Partei ein Angebot macht, auf das die andere mit einem bloßen Kopfnicken antwortet: Hier liegen sämtliche Voraussetzungen einer Willenserklärung vor. Da Formfreiheit herrscht, können die beiden Erklärungen als Angebot und Annahme zu einem wirksamen Vertrag führen.60

Weil ein prinzipieller Formzwang mit einer richtig verstandenen Vertragsfreiheit unvereinbar wäre, findet man im Gesetz nirgendwo die Formfreiheit ausdrücklich formuliert. Sie ergibt sich vielmehr unmittelbar aus der Grundkonzeption des BGB selbst.61

51aa) Die Nichtbeachtung einer Formvorschrift. Das Prinzip der Formfreiheit führt dazu, dass zwar grundsätzlich Verträge ohne Beachtung einer Form geschlossen werden können, umgekehrt kennt das Gesetz jedoch an verschiedenen Stellen eine ausdrückliche Anordnung der Beachtung einer Form. Darüber hinaus können die Parteien – auch dies ist Konsequenz aus der Vertragsfreiheit – ihrerseits vertraglich vereinbaren, dass eine Folgevereinbarung der Form unterworfen werden soll. Im letzteren Fall spricht man von einem gewillkürten Formzwang.

Gesetzlich vorgesehen ist für den Abschluss von Verträgen die Beachtung einer Form nur selten. Die meisten typisierten Verträge des BGB enthalten keine Klausel zur Formvorschrift. So stellt der Gesetzgeber die Vereinbarung eines Kauf-, Miet- oder Werkvertrags nicht unter einen gesetzlichen Formzwang. Ausnahmsweise findet sich eine Formvorschrift in § 518 für die Schenkung oder in § 766 bei der Bürgschaft.62

Die Nichtbeachtung einer gesetzlichen Formvorschrift führt zur allgemeinen Regelung des § 125 Satz 1. Der Vertrag ist grundsätzlich nichtig.63 Nur ausnahmsweise kann er geheilt werden, wenn dies vorgesehen ist. Das ist insbesondere beim Schenkungsvertrag der Fall, § 518 Abs. 2; Gleiches gilt im Rahmen der Bürgschaft nach § 766 Satz 3.

Beim gewillkürten Formzwang führt die Nichtbeachtung nicht in jedem Fall zur Unwirksamkeit des vereinbarten Rechtsgeschäftes, sondern gem. § 125 Satz 2 nur „im Zweifel“. Die unterschiedlichen Konsequenzen in der Rechtsfolge zwischen gesetzlichem und gewillkürtem Formzwang spiegeln die unterschiedlichen Intentionen des angeordneten Zwangs wider: Während eine gesetzliche Formvorschrift stets eine Warn-, Klarstellungs- und Belehrungsfunktion enthält, dient die vertraglich vereinbarte Formvorschrift in der Regel nur zu Beweiszwecken; hier bedarf es nicht der ausnahmslosen Nichtigkeit, um ihr Ziel zu erreichen.64

52bb) Die besondere gesetzliche Formvorschrift des § 311b. Abgesehen von den bereits angesprochenen Fällen der Anordnung einer Form im BGB sieht das Gesetz in seinem § 311b eine besondere Ausnahmeregelung zur Formfreiheit vor, nämlich einen Formzwang in drei dort namentlich aufgeführten Fällen. Dabei handelt es sich um die einzige Formvorschrift im Allgemeinen Teil des Schuldrechts. Die Vorschrift enthält in ihrem Absatz 1 die Anordnung der Pflicht zur notariellen Beurkundung bei einem Vertrag, der zur Veräußerung oder zum Erwerb eines Grundstücks verpflichtet. Nach Absatz 3 gilt das Gleiche für einen Vertrag über die Verpflichtung zur Übertragung des gegenwärtigen Vermögens, nach Absatz 5 Satz 2 für einen Vertrag, der unter künftigen gesetzlichen Erben über den gesetzlichen Erbteil oder den Pflichtteil einer Partei geschlossen wird.

53(1) Übertragung eines Grundstücks. Entsprechend der wichtigen Formvorschrift in § 311b Abs. 1 bedarf ein Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, der notariellen Beurkundung. Entscheidend ist zunächst, dass diese Formanordnung ausschließlich für das Verpflichtungsgeschäft gilt; der Wortlaut ist insoweit eindeutig. Erfasst werden sämtliche schuldrechtlichen Verträge, die eine entsprechende Verpflichtung zur Übereignung oder zum Erwerb eines Grundstücks enthalten.65 Möglich ist also insbesondere der Kauf, aber in gleicher Weise auch der Tausch oder die Schenkung. Wichtig ist, dass unter diese Formvorschrift infolge des Abstraktionsprinzips nicht das Verfügungsgeschäft fällt. Für eine Form hinsichtlich der Verfügung über das Grundstück gilt ausschließlich das Sachenrecht, also die Formvorschriften des § 873 i. V. m. § 925.

Beispiel: Schließen A als Verkäufer und B als Käufer einen Kaufvertrag über ein Haus ab, ist dieser ausnahmsweise formbedürftig nach § 311b Abs. 1. Gleiches gilt, wenn A und B einen Tausch vereinbaren: A gibt sein Haus, B seine Motoryacht.

54Um die Reichweite dieser Formvorschrift genau einschätzen zu können, muss man sich klarmachen, welchen Zweck sie verfolgt: Gerade § 311b dient durch die Anordnung der notariellen Beurkundungspflicht in erster Linie dem Schutz der Vertragsparteien66, vor allem vor einer übereilten Vertragsschließung.67 Darüber hinaus soll sie eine Beweissicherungsfunktion ausüben. Das hohe Formerfordernis in diesem Bereich resultiert daraus, dass die Rechtsordnung Grundstücken eine besonders hohe Wertigkeit zuordnet. Deshalb sollen die Vertragsparteien eindrücklich dazu angehalten werden, sich den Vertragsschluss gut zu überlegen. Die Rechtsordnung geht davon aus, dass hinsichtlich des Grundstücksverkehrs besondere Sorgfaltsanforderungen gelten sollen, weil die Grundstückszuweisung eine Sonderstellung einnimmt.68

Für die Reichweite der Formvorschrift folgt daraus, dass der Formzwang zur notariellen Beurkundung sich ausschließlich auf das Verpflichtungsgeschäft erstreckt. Dabei ist jedoch nur die Verpflichtung zur Übertragung bzw. zum Erwerb von Eigentum gemeint. Negativ heißt dies zugleich, dass andere Rechtsgeschäfte, die sich auf Grundstücke beziehen, nicht der Formvorschrift des § 311b unterfallen, insbesondere also nicht Miet- oder Pachtverträge, auch nicht die Vereinbarung von beschränkten dinglichen Rechten wie der Hypothek oder der Grundschuld. Nicht ohne weiteres aus dem Wortlaut ersichtlich wird jedoch, inwieweit sämtliche mit einem dort genannten Verpflichtungsgeschäft zusammenhängende Vereinbarungen auch der Formvorschrift unterliegen. Um dies zu beantworten, bedarf es des Rekurses auf den Sinn und Zweck dieser Vorschrift, d. h. auf die Beweissicherungs- und Übereilungsschutzfunktion: Diese Funktionen kann das Gesetz nur dann erfüllen, wenn es die Formvorschrift umfassend anlegt. Daher ist die Rechtsprechung der Auffassung, dass die Beweissicherung bzw. die Schutzfunktionen nur dann erzielt werden können, wenn der „ganze Vertrag“ von der Beurkundung erfasst ist69: Das bedeutet, dass sich die Erforderlichkeit der notariellen Beurkundung nicht nur auf einzelne Vertragsbestandteile erstreckt, sondern für den gesamten Vertragsinhalt gilt.70 Bei dieser umfassenden Auslegung des § 311b Abs. 1 ist sehr streng vorzugehen. Insbesondere führt dies dazu, dass sämtliche Vereinbarungen, aus denen sich das konkrete Verpflichtungsgeschäft entsprechend dem Willen der Vertragsparteien zusammensetzt, der Beurkundungspflicht unterliegen.71 Infolgedessen kann man nicht nach verschiedenen Vertragsbestandteilen differenzieren, insbesondere nicht danach, ob eine Regelung, die im Zusammenhang mit einem Verpflichtungsgeschäft über den Erwerb bzw. die Veräußerung eines Grundstücks erfolgt, wesentlich oder unwesentlich ist. Denn alle Vertragsbestandteile unterliegen der Beurkundungspflicht.72

55Auch hier gilt jedoch, dass diese sehr strenge Auslegung nicht immer durchgehalten wird. Vielmehr kann es in seltenen Ausnahmefällen dazu kommen, dass man auf der Grundlage des Grundsatzes von Treu und Glauben anders entscheidet, ein an sich nach der zuvor vorgestellten Auslegungsregel formnichtiger Vertrag also als wirksam anzusehen ist. Zumindest kann es einer der Vertragsparteien im Wege einer Einrede verwehrt sein, sich auf die Nichtigkeit zu berufen.73 Dies hat die Rechtsprechung insbesondere dann angenommen, wenn dem durch die Nichtigkeit begünstigten Teil im Zusammenhang mit den Vertragsverhandlungen ein grob treuwidriges Verhalten zur Last fällt oder wenn die Nichtigkeit die wirtschaftliche Existenz des anderen Teils in Frage stellt. Doch im Prinzip bleibt es dabei, dass die notarielle Beurkundungspflicht außerordentlich weit reicht und umfassend gilt.

Liegt ein Verstoß gegen diese Pflicht vor, ist also eine einzelne Abrede, die im Zusammenhang mit einem entsprechenden Verpflichtungsgeschäft steht, nicht beurkundet worden, ist diese Vereinbarung nach §§ 311b Abs. 1 Satz 1, 125 Satz 1 nichtig. Nach der dann greifenden Auslegungsregel des § 139 ist im Zweifel der gesamte Vertrag als nichtig anzusehen.74 Hier wird es Ausnahmen von der Zweifelsregelung kaum geben können, will man nicht das gesamte, zuvor skizzierte System unterlaufen.75

Eine Einschränkung hinsichtlich der Nichtigkeit bietet jedoch § 311b Abs. 1 Satz 2, d. h. die dort enthaltene Heilungsvorschrift. Ist ein Vertrag über die Verpflichtung, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, bereits ausgeführt, sind also Auflassung und Eintragung in das Grundbuch erfolgt, wird dieser eigentlich zunächst formwidrige und damit nichtige Vertrag seinem ganzen Inhalt nach gültig.76 Hinter dieser Heilungsvorschrift stehen erneut Sinn und Zweck dieser Formvorschrift. Haben die Parteien bei einem formnichtigen Verpflichtungsvertrag die Verpflichtung bereits erfüllt, ist ein besonderer Schutz vor einer Übereilung nicht mehr erforderlich. Die wesentlichen Formzwecke werden insofern durch die Auflassung, die ihrerseits wiederum formbedürftig ist, erfüllt.77 Hinzu kommt eine weitere Überlegung: Ist einmal eine Auflassung erfolgt, sollen die somit vollzogenen und formbedürftigen sachenrechtlichen Veränderungen nicht mehr im Nachhinein unwirksam werden, nur weil das Verpflichtungsgeschäft eine Form nicht beachtet hat. Wichtig ist, dass die Heilung nach § 311b Abs. 1 Satz 2 dem Wortlaut und auch Sinn der Vorschrift gemäß nur dann eintreten kann, wenn bei dem Verpflichtungsgeschäft die Nichtigkeit auf dem Formmangel beruht. Andere Unwirksamkeitsgründe, etwa eine Geschäftsunfähigkeit einer der Vertragsparteien, werden durch diese Heilungsvorschrift nicht erfasst. Die Heilung tritt ein, sobald Auflassung und Eintragung im Grundbuch erfolgt sind. Sodann wirkt sie von Beginn an, d. h. ex tunc: Anders ist die Formulierung im Gesetz, dass der Vertrag „seinem ganzen Inhalt nach“ gültig wird, nicht zu verstehen.78

56(2) Übertragung des ganzen Vermögens. Neben der wichtigen Formvorschrift in § 311b Abs. 1 enthält diese Norm noch weitere Formvorschriften, deren Beachtung in bestimmten Fällen zur Wirksamkeit eines Vertrags erforderlich ist. Nach § 311b Abs. 2 ist jeder Vertrag, der auf eine Übertragung des künftigen Vermögens gerichtet ist, von vornherein nichtig.79 Demgegenüber kann das gesamte gegenwärtige Vermögen durchaus übertragen werden. Nach § 311b Abs. 3 ist dazu jedoch eine notarielle Beurkundung erforderlich. Verpflichtet sich hierzu jemand, soll er durch diese Formvorschrift besonders geschützt werden.80 Sie betrifft wie diejenige des Absatz 1 nur Verpflichtungsgeschäfte. Entscheidend ist jedoch, dass es hier um die Verpflichtung zur Übertragung des Vermögens als Ganzes geht. Sollen hingegen nur einzelne Gegenstände, seien es auch sehr viele, übertragen werden, ist die Beachtung einer besonderen Form nicht erforderlich, auch nicht hinsichtlich des Verpflichtungsgeschäfts. Das ist dadurch zu rechtfertigen, dass sich bei der Übertragung des Vermögens als Ganzes der Übertragende möglicherweise nicht klar darüber ist, was er im Einzelnen überträgt. Davor soll er geschützt werden. Überträgt er hingegen alle Gegenstände einzeln, weiß er um den Umfang des Verpflichtungsgeschäfts. Daher bedarf er hier nicht in gleichem Maße eines Schutzes.81 Anders als die Vorschrift über die Verpflichtung zur Übertragung eines Grundstücks enthält § 311b Abs. 3 keine Heilungsmöglichkeit.

57(3) Übertragung des künftigen Erbes. § 311b Abs. 5 enthält eine dritte Formvorschrift des Allgemeinen Schuldrechts. Nach dieser bedarf ein Vertrag, der unter künftigen gesetzlichen Erben über den gesetzlichen Erbteil oder den Pflichtteil eines von ihnen geschlossen wird, der notariellen Beurkundung. In Abgrenzung zu dem Vertrag, der über den Nachlass eines noch lebenden Dritten abgeschlossen wird und der nach § 311b Abs. 4 nichtig ist, ist also ein solcher Vertrag über den gesetzlichen Erbteil oder Pflichtteil durchaus statthaft. Aus Schutzgründen vor Übereilung ist jedoch hier erneut die besondere Formvorschrift vorgesehen.82

Schuldrecht I - Allgemeiner Teil

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