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3.3.2 Kritische Würdigung

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Hentschel fokussiert ihre Untersuchung auf die inhaltliche und kontextuelle Füllung von διακονέω und seinen Derivaten. Sie zielt damit auf die Gewinnung und Darstellung des Bedeutungspotentials und BedeutungsspektrumsBedeutungsspektrum des Lexems ab. Basis ihrer Untersuchung ist das von Collins vorgeschlagene und auch in dieser Studie skizzierte BedeutungsspektrumBedeutungsspektrum, das in seiner Grundthese im Verlauf ihrer Untersuchung sowohl eine grundsätzliche Bestätigung als auch an einigen Stellen eine Korrektur erfährt, insofern Hentschel die „BeauftragungBeauftragung“ als wichtigsten Aspekt des Lexems sieht.1

Den Hauptuntersuchungsgegenstand der Studie bilden die Schriften des Neuen Testaments, exemplarisch eingeschränkt auf das Lukanische Doppelwerk, die Briefe des PaulusPaulus und die deuteropaulinische Literatur.2 Besonderes Augenmerk legt Hentschel außerdem auf die Rolle von Frauen im Kontext der Nutzung des Lexems. Zugleich ist aber kritisch zu hinterfragen, ob das Ausblenden dreier Evangelien gerechtfertigt ist und ob das BedeutungsspektrumBedeutungsspektrum des untersuchten Lexems dadurch unvollständig dargestellt wird.3

Nach Hentschel ist christliche „Diakonie“ als BeziehungsgeschehenBeziehungsgeschehen zu verstehen, das sich zwischen einer beauftragten Person und der jeweiligen Auftraggeberin bzw. dem jeweiligen Auftraggeber vollziehe. In dieser Lesart wäre nicht davon auszugehen, dass unter dem Begriff „Dienst“ Tätigkeiten oder Handlungen impliziert sind, mit denen ein geringes Ansehen und eine geringe WürdeWürde verbunden sind. Vielmehr sei von einer den Aufgaben und Tätigkeiten eigenen AutoritätAutorität und WürdeWürde auszugehen, die als abgeleitete AutoritätAutorität an der der auftraggebenden Person partizipiere. In dieser Perspektive kann hier eine Differenz zu Beyer festgehalten werden, der zunächst den Ursprung der „Diakonie“ im TischdienstTischdienst sieht und der ihr darüber hinaus das Moment der Niedrigkeit und das der Demut ins Stammbuch schreibt. Ihre Begründung erfährt bei Beyer diese Deutung durch das VorbildVorbild und Handeln Jesu Christi mit einem besonderen Fokus auf dessen demütige LebenshingabeLebenshingabe.

Demgegenüber wird in den Ausführungen Hentschels ersichtlich, dass ein Diakon bzw. ein mit Diakonia beauftragter Mensch an der AutoritätAutorität der auftraggebenden Person teilhat. Wenn mit dem Lexem die VerkündigungVerkündigung des Evangeliums bezeichnet wird, sei deutlich, dass die Verkündigerin bzw. der Verkündiger an der AutoritätAutorität ihre bzw. seines Auftraggebers, mithin an der AutoritätAutorität Christi oder Gottes partizipiert. Diese Partizipation stelle ein Spezifikum christlicher „Diakonie“ dar, das dann auch auf materiell-karitative Tätigkeiten zu beziehen ist, sich jedoch nicht in diesen Aufgaben erschöpft.

Vor dem Hintergrund der Ausführungen von Hentschel ergeben sich exemplarisch folgende vier Frageperspektiven bzw. Denkhorizonte zu einer möglichen Weiterarbeit:

1 Mit dem Verständnis der Teilhabe an einer abgeleiteten AutoritätAutorität ergibt sich ein Spannungsfeld, insbesondere vor dem Hintergrund der von Hentschel dargestellten metaphorischen Bedeutung der Mahlszenen bei Lukas. Wie kann der Gedanke der Autoritätszuschreibung zusammengedacht werden mit der ihr vorauslaufenden niedrigen Aufgabe einer bei Tisch bedienenden Person? Ist der Aspekt der Niedrigkeit als eine innere Einstellung aufzufassen, die das mit AutoritätAutorität verbundene AmtAmt als beauftragten Dienst mit Ursprung im freien Willen Gottes erkennt und es insofern zu seiner EhreEhre ausführt?

2 Plausibel erscheint eine Bedeutungsbestimmung des Lexems als „BeauftragungBeauftragung“. Diese Bestimmung zeichnet das Lexem als ein BeziehungsgeschehenBeziehungsgeschehen zwischen beauftragter Person und Auftraggeberin bzw. Auftraggeber aus. Damit wird aber auch deutlich, dass „Diakonie“ einen denkbar weiten Raum bezeichnet, der in sich Tätigkeiten verschiedenster Art vereint und im Prinzip keine Fokussierung auf ein bestimmtes Aufgabenfeld erfährt. Daran anschließend wäre zu fragen, was dieser Ertrag für das gegenwärtige Verständnis diakonischen Handelns bedeute. Beispielsweise wäre in Bezug auf eine institutionalisierte Diakonie zu erwägen, wie der Gedanke der BeauftragungBeauftragung seine praktische Umsetzung innerhalb des alltäglichen Diensts erfährt. Inwiefern können sich Mitarbeitende diakonischer WerkeDiakonische Werke und Verbände überhaupt als Beauftragte verstehen und sich innerhalb eines AbhängigkeitsverhältnissesAbhängigkeitsverhältnis verorten, dem über dienstrechtliche Aspekte hinaus weitere theologische Dimensionen inhärent sind.

3 Ferner erscheint besonders der Gedanke einer abgeleiteten AutoritätAutorität der bzw. des diakonisch Handelnden fruchtbar für eine Weiterarbeit zu sein. Zu fragen wäre, ob diesem Gedanken eine Relevanz innerhalb der aktuellen diakoniewissenschaftlichen Forschungslandschaft, bzw. noch drängender, in der diakonischen Praxis zukommt und inwieweit er in diesen Kontexten problematisiert und thematisiert wird. Zumindest würde sich diese Frage nahelegen, da sich z. B. Beziehungskonstellationen innerhalb einer Pflegesituation asymmetrisch darstellen, weil der zu Pflegende auf die ZuwendungZuwendung der Pflegerin bzw. des Pflegers angewiesen ist. Selbstverständlich ergibt sich die Fragestellung auch in Bezug auf den gemeindeleitenden Aspekt der „Diakonie“. Besonders eindrücklich erscheint zunächst der Hinweis, dass die Rede vom „Dienst“ zur faktischen Verschleierung von MachtMacht- und AbhängigkeitsverhältnissenAbhängigkeitsverhältnis dienen könne und die Möglichkeit der Vertuschung ihres Missbrauchs gegeben ist. Zugleich ist aber auch festzuhalten, dass auch die Bezeichnung „BeauftragungBeauftragung“ dazu verwendet werden kann, MachtMacht- und AbhängigkeitsverhältnisseAbhängigkeitsverhältnis zu kaschieren. Darum wäre weiterführend zu überlegen, ob die Rede von einer „BeauftragungBeauftragung“ wirklich einen Gewinn gegenüber der Rede vom „Dienst“ besitzt. Vor diesem Hintergrund kann in dieser Fragestellung ein Desiderat gesehen werden, sofern sie auf aktuelle diakonische Vollzüge Anwendung findet.4

4 Hentschel selbst benennt in ihrer zweiten Studie zum Themenbereich der neutestamentlichen Ekklesiologie als Forschungsdesiderat eine „dringend notwendige Diskussion über grundlegende Fragen zum AmtsAmt- und Gemeindeverständnis im Neuen Testament und der Alten Kirche“5, beispielsweise hinsichtlich der „Vorstellung von der Sendung Christi […] und nicht zuletzt von der Rolle der Amtsträgerinnen und AmtsträgerAmtsträger.“6 Diese Diskussion ergebe sich aus der Verwendung von διακονέω und seinen Derivaten in ekklesiologisch relevanten Texten, die je nach Kontext verschiedene Implikationen in Bezug auf die ÄmterAmt und ihr Verständnis innerhalb der urchristlichen Gemeinde besitzen würden – wie die vorangehenden Ausführungen bereits gezeigt haben. Eine derartige Diskussion könne sodann auch für ein aktuelles Verständnis von „Diakonie“ fruchtbar gemacht werden und kritisch die verbreitete Annahme untersuchen, „dass diakonia und seine Ableitungen den TischdienstTischdienst sowie niedrige Frauen- und Sklavendienste bezeichnen.“7

Entscheidend ist Hentschels Wahrnehmung, dass die Bedeutung von διακονέω und seinen Derivaten stark vom Kontext abhängig sei.8 Eine sachgemäße Übersetzung des Begriffes in die deutsche Sprache ist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden und habe ein breites BedeutungsspektrumBedeutungsspektrum zu erfassen. Vor diesem Hintergrund kann nicht nur ein Aspekt aus diesem Spektrum als Grundbedeutung erhoben werden. „Eine sachgemäße Interpretation von diakonia und seinen Ableitungen zeigt, dass der Bezug zwischen Wort und Tat, GlaubeGlaube und Lebensweise im Neuen Testament viel enger ist und deutlich differenzierter beurteilt wird, als eine Aufteilung in Verkündigungsamt und Diakonie nahelegen.“9

Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl

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