Читать книгу Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl - Jan Quenstedt - Страница 77

1. Vorbemerkungen 1.1 Einführung

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Im zweiten Abschnitt dieser Studie liegt der Fokus auf einer Darstellung der sozialgeschichtlichen Umwelt des Neuen Testaments, exemplarisch fokussiert auf das antike VereinigungswesenVereinigungswesen. Ziel dieses Abschnitts ist eine exemplarische Skizzierung der paganen gesellschaftlichen Kultur sozial-fürsorglichen HandelnsHandeln, sozial-fürsorglich innerhalb geschlossener bzw. organisierter Gruppen, als Voraussetzung für den Vergleich (Abschnitt III) mit der neutestamentlichen Praxis bzw. Literatur. Primär fokussiert sich diese Untersuchung auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der SozialstrukturSozialstruktur von Vereinigungen und frühen christlichen Gemeinden. Mit diesem Vergleich soll das Proprium einer christlichen Kultur sozial-fürsorglichen HandelnsHandeln, sozial-fürsorglich genauer gezeichnet werden. Von besonderer Relevanz ist die Frage nach der Begründung und dem Adressatenkreis dieses Handelns. Dabei ist zu überprüfen, ob das Christentum OrganisationsformenOrganisationsform und Begründungszusammenhänge für sozial-fürsorgliches HandelnHandeln, sozial-fürsorglich aus der antiken Umwelt übernommen und transformiert hat.

Die Bedeutung einer solchen sozialgeschichtlichen Vorgehensweise hat bereits Eva Ebel herausgestellt: „Da ein Verein ein freiwilliger Zusammenschluss von Menschen ist, die sich regelmäßig treffen, um gemeinsam kultische Handlungen zu vollziehen, miteinander zu essen und Geselligkeit zu genießen, liegen die Parallelen zwischen dem paganen Vereinigungsleben und dem GemeindelebenGemeindeleben der ersten Christinnen und Christen auf der Hand. […] Kaum ein anderes Phänomen ermöglicht so detaillierte Einblicke in alltägliche und weit verbreitete Freizeitaktivitäten antiker Menschen und damit in die Erfahrungen und Erwartungen, mit denen sie dem neuen Angebot der Christinnen und Christen begegnen.“1 Die vorliegende Arbeit verfolgt eine vergleichbare Aufgabenstellung und Zielbeschreibung. Ziel des Vergleichs ist es, „die christlichen Gemeinden in den Markt der religiös-geselligen Möglichkeiten der Antike einzuzeichnen und so das besondere Profil der Gemeinschaft der Christinnen und Christen herauszuarbeiten.“2 Im speziellen Fall dieser Studie ist das Profil auf den sozialen Bereich zu fokussieren.

Auch Udo Schnelle hat unlängst noch einmal auf die Interdependenzen zwischen dem frühen Christentum und der antiken Umwelt hingewiesen: „Ein neues kulturelles System wie das frühe Christentum konnte nur entstehen, weil es in der Lage war, sich mit bestehenden kulturellen Strömungen zu vernetzen und Neuorganisationen von Vorstellungen und Überlieferungen vorzunehmen.“3 Weil mit großer Sicherheit davon auszugehen ist, dass die Christinnen und Christen der frühen christlichen Gemeinden aus verschiedenen kulturellen Kontexten und sozialen Bezügen stammen (vgl. als biblische Anhaltspunkte u.a. Apg 2Apg 2; Gal 3,26–29Gal 3,26–29; 1Kor 71Kor 7; Brief an PhilemonPhilemon), spielen besonders sozialgeschichtliche Wahrnehmungen eine wichtige Rolle für die Frage nach der Herausbildung von christlichen OrganisationsformenOrganisationsform, Handlungsfeldern und BegründungszusammenhängenBegründungszusammenhang. Schnelle zufolge lassen sich „die Erfolge der frühchristlichen MissionMission […] nur unter der Voraussetzung erklären, dass eine hohe Anschlussfähigkeit in Bezug auf die jüdischen und griechisch-römischen Traditionsströme bestand.“4 In Bezug auf die Frage nach den Schnittstellen zwischen christlicher Gemeinde und antiken Vereinigungen kann diese These in der Frage weitergeführt werden, inwieweit das Christentum bestehende Denk- und Handlungsmuster aufgegriffen oder adaptiert hat.

Dass die Etablierung des Christentums innerhalb vorhandener Strukturen nicht immer reibungslos verlief, bezeugt eine Erzählung der Apostelgeschichte des Lukas, die zugleich die voranstehenden Ausführungen zum Zusammenhang von frühen Gemeinden und Vereinigungen veranschaulicht.5 Apg 19,23–40Apg 19,23–40 berichtet von einer Auseinandersetzung zwischen christlichen Missionaren, namentlich Missionsgefährten des PaulusPaulus (Apg 19,29Apg 19,23–40) und einer Gruppe von Menschen aus dem Berufsstand der ἁργυροκόποι, der Silberschmiede. Gruppiert sind sie und ihre Zulieferer um einen Mann mit dem Namen Demetrius, dessen Stellung umstritten ist, obgleich ihn die Apostelgeschichte als Rädelsführer des Aufruhrs gegen die christlichen MissionareMissionar zeichnet.6 Deutlich wird darin auch, dass es sich wenigstens um das Auftreten einer Interessensvereinigung handelte, deren MitgliederMitglied durch ihre berufliche Ausrichtung verbunden waren. Auch vor dem Hintergrund vergleichbarer Quellen, wäre ebenfalls eine Deutung als BerufsvereinigungBerufsvereinigung oder Handwerkszunft als besondere Form einer Vereinigung denkbar.7 Apg 19,25Apg 19,23–40 lässt dabei aber offen, ob sich die VersammlungVersammlung erst durch den Akt des Zusammenrufens situationsbedingt konstituierte oder ob der beschriebene Personenkreis bereits anderweitig organisiert ist und er einen Bestand über die konkrete Situation hinaus hat.8 Im Hintergrund des Aufruhrs ist ein Interessenskonflikt anzunehmen, der seinen Ausgangspunkt zwar bei einer theologischen Frage nimmt, seine Gestalt und sein Hauptproblem jedoch im ökonomischen Bereich findet: Einen Verdienstausfall der Silberschmiede durch die vermeintliche Verdrängung des Diana-Kults aufgrund der christlichen VerkündigungVerkündigung (vgl. Apg 19,24–27Apg 19,23–40). Und damit einhergehend der mögliche Verlust von Status und sozialem Ansehen. In der Gruppe der ephesischen Silberschmiede steht der christlichen MissionMission ein Globalplayer gegenüber: Zielt Paulus noch darauf ab, mit seiner MissionMission in RomRom und darüber hinaus zu missionieren (Apg 19,21Apg 19,21), so ist der Dianakult nach Aussage des Demetrius bereits über den gesamten Erdkreis verbreitet und bekannt (Apg 19,27Apg 19,23–40). Der Auseinandersetzung wird dadurch eine Bedeutung über den konkreten Fall in EphesusEphesus hinaus zugesprochen. Illustriert wird die Bedeutsamkeit durch den Zug der städtischen Bevölkerung zum Theater, das als zentraler Versammlungsplatz der Bürgerschaft angesehen werden kann.9 Somit wird der Konflikt aus dem Interessensbereich einer bestimmten Personengruppe herausgehoben und zu einer gesamtstädtischen Angelegenheit transformiert. Im Rahmen der Theaterszene spricht als Vertreter dieser AutoritätAutorität ein γραμματεύςγραμματεύς zur aufgeregten Bevölkerung, gebietet ihr Einhalt und entlässt die VersammlungVersammlung. Einerseits geschieht dies mit dem Verweis auf die Unschuld der im Mittelpunkt der Anschuldigung stehenden Christen (Apg 19,37Apg 19,23–40), andererseits mit dem Hinweis auf die mögliche Konsequenz des Verhaltens der Stadtbevölkerung, einer Anklage bzw. Anschuldigung der Störung der öffentlichen Ordnung. Im Hintergrund der Aussage von Apg 19,40Apg 19,23–40 dürfte eine als realistisch anzusehende Befürchtung eines militärischen Eingreifens römischer Truppen zur Beruhigung der Situation in EphesusEphesus gesehen werden. Schinkel weist daraufhin, dass „der Text wenig aussagekräftig im Blick auf den konkreten Streitfall in Ephesos [sei, er jedoch] […] eine dem Leser sehr wohl präsente und historisch belegbare politisch-rechtliche Problematik im Blick auf Vereinigungen [nutzt], deren Aktivitäten sich über die eigentliche Abzweckung hinaus verändern und zu einer Bedrohung für die öffentliche Ordnung zu werden drohen.“10 Wie sich noch zeigen wird, ist die „Verteidigung der bestehenden Identifikationsmöglichkeiten und [die] Abgrenzung von den Elementen, die den IdentitätsverlustIdentität befördern könnten“11, ein Charakteristikum antiker Vereinigungen. Insofern verbinden sich in der lukanischen Überlieferung neben ökonomischen und religiösen Fragestellungen auch sozio-kulturelle Perspektiven. Die sich aus der Unruhe und Zusammenkunft ergebenden Fragen werden abschließend in rechtlichen Kategorien verhandelt (Apg 19,37–40Apg 19,23–40) und verschaffen der Perikope eine weitere Bedeutungsdimension.12 Eine Sinnrichtung der Demetriosepisode ist also in der Darstellung eines Konflikts zu sehen, der ein historisches Problemfeld illustriert, das sich durch die Entstehung und Verbreitung christlicher Gruppen innerhalb der städtisch-antiken Gesellschaft ergab.13

In sozialgeschichtlicher Perspektive liegen die Parallelen zwischen der Situation der frühen Christen und der gegenwärtigen Situation und aktuellen Fragestellungen implizit auf der Hand und fordern zu einer Verhältnisbestimmung auf: Mussten sich die jungen christlichen Gemeinden gegenüber einer paganen Umwelt etablieren und entfalten, sieht sich das gegenwärtige Christentum vielfältigen Anfragen einer zunehmend säkularen Gesellschaft ausgesetzt.14 Auch im Bereich von „Diakonie“ und Diakonik – so haben es die Annäherungsversuche gezeigt – muss sich das christliche sozial-fürsorgliche Handeln gegenüber anders begründeten Formen sozial-fürsorglichen HandelnsHandeln, sozial-fürsorglich etablieren.

Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl

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