Читать книгу Ultras im Abseits? - Jannis Linkelmann - Страница 10
Spielstätten
ОглавлениеUnmittelbar spürten Fußballfans die Modernisierung des Fußballs anhand der Stadien. Das erste Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende sah eine grundlegende Erneuerung der Spielstätten der erfahrungsgemäß in der 1. Bundesliga und vieler der über mehrere Jahre in der 2. Bundesliga vertretenen Klubs. Die Bautätigkeit von Vereinen und Kommunen setzte bereits zu Beginn der Dekade ein, verstärkte sich im Vorfeld der WM 2006, als große Investitionen in die Austragungsstätten getätigt wurden, und hielt zum Ende des Jahrzehnts an. Die neuen Spielstätten zeichneten sich in der Regel durch komplette Überdachungen, großzügige Parkplätze und den Verzicht auf Leichtathletiklaufbahnen aus. Für die Zuschauer ergaben sich daraus die Vorteile eines optimierten Wetterschutzes, besserer Verkehrsanbindungen und einer geringeren Distanz zum Spielfeld. Zudem erhöhten ausgebaute Gastronomieeinrichtungen und Sanitäranlagen den Komfort. Auf der anderen Seite steigerten die Vereine ihre Einnahmen durch die Einrichtung großzügiger Logenbereiche, die Verringerung des Stehplatzangebots, die Ausweitung der Werbung und die Steigerung der Eintrittspreise. Zudem vermarkteten die Klubs die Spielstätten nicht mehr als reine Austragungsplätze sportlicher Wettkämpfe, sondern als Event-Orte. Dies drückte sich in der Namensgebung aus, denn Stadien hießen nun in der Regel Arenen und wurden nach Firmen benannt. Wie umfassend die Vermarktung der Stadiennamen, das Aufkommen der Arenen und die Bautätigkeit nach der Jahrtausendwende waren, lässt sich anhand eines Überblicks der Spielstätten der die 1. Bundesliga prägenden Vereine ablesen. Mit dem Berliner „Olympiastadion“, dem Bremer „Weser-Stadion“ und dem Kaiserslauterer „Fritz-Walter-Stadion“ existierten 2010 nur noch drei Austragungsorte mit einem Traditionsnamen.
Stadion | Verein | Fertigstellung oder Modernisierungsende |
Imtech Arena | Hamburger SV | 2000 |
Veltins-Arena | FC Schalke 04 | 2001 |
Volkswagen Arena | VfL Wolfsburg | 2002 |
Signal Iduna Park | Borussia Dortmund | 2003 |
Stadion im Borussia-Park | Borussia Mönchengladbach | 2004 |
RheinEnergieStadion | 1. FC Köln | 2004 |
AWD-Arena | Hannover 96 | 2004 |
Olympiastadion | Hertha BSC | 2004 |
Allianz Arena | Bayern München | 2005 |
Commerzbank-Arena | Eintracht Frankfurt | 2005 |
easyCredit Stadion | 1. FC Nürnberg | 2005 |
Fritz-Walter-Stadion | 1. FC Kaiserslautern | 2006 |
Rhein-Neckar-Arena | TSG 1899 Hoffenheim | 2009 |
BayArena | Bayer Leverkusen | 200911 |
Weser-Stadion | Werder Bremen | 201112 |
Mercedes-Benz Arena | VfB Stuttgart | 201113 |
Coface Arena | 1. FSV Mainz 05 | 201114 |
rewirpowerStadion | VfL Bochum | 201115 |
Neubauten und Modernisierungen10
Während die meisten Zuschauer den neuen Komfort genossen, ergab sich für viele traditionell eingestellte Fans, wie im Fall der fernsehgerechten Anstoßzeiten, ein Konflikt, denn sie sahen einen Ausverkauf an Sponsoren und wohlhabende Gäste. Sie fürchteten, dass ihre aufrichtige, laut-
starke Unterstützung als stimmungsvolles Beiwerk abgetan werden könnte, um ein zahlungsfähiges Publikum zu unterhalten, dem ein familienorientiertes Wochenendvergnügen verkauft werden sollte. Vor diesem Hintergrund erlangte für sie die Namensgebung eine besondere Bedeutung, denn sie sahen im verstärkten Sponsoring keine Chance zur Finanzierung der Vereine, sondern einen Ausverkauf der Tradition. Das galt vor allem in den Fällen, in denen bestehende Stadien mit klangvolle Namen umbenannt wurden, wie das Dortmunder „Westfalenstadion“ in „Signal Iduna Park“, das Nürnberger „Frankenstadion“ in „easyCredit-Stadion“, das Hannoveraner „Niedersachsenstadion“ in „AWD-Arena“, das Frankfurter „Waldstadion“ in „Commerzbank-Arena“ oder das Hamburger „Volksparkstadion“ zunächst in „AOL Arena“, danach in „HSH Nordbank Arena“ und schließlich in „Imtech Arena“. Dabei wies der Umstand, dass die scheinbar unbedeutende Umbenennung von Stadien den Unwillen traditionell eingestellter Fans entfachen konnte, auf das der Entwicklung innewohnende Konfliktpotenzial hin.
Grundsätzlich hatten die Bauherren die Wahl zwischen dem Aus- oder Neubau eines bestehenden Stadions bei laufendem Spielbetrieb oder der kompletten Neuerrichtung an einem anderen Ort. Dies geschah beispielsweise in Köln und Mönchengladbach. In der Domstadt errichtete die Kommune für die WM 2006 einen zeitgemäßen Austragungsort, indem sie die Spielstätte des 1. FC Köln in Phasen abreißen und durch eine neue, 50.000 Plätze aufweisende Konstruktion ersetzen ließ. Auf diese Weise verschwand mit dem 1975 entstandenen „Müngersdorfer Stadion“ eine für die 1970er Jahre typische „Betonschüssel“ mit Leichtathletiklaufbahnen und flachen Rängen. Obwohl die damit verbundene Umbenennung in „RheinEnergie-Stadion“ bei einem Teil der Fans, insbesondere den Ultras, für Unmut sorgte, nahm der weit überwiegende Teil das neue Bauwerk am alten Ort an, das sie bis an den Spielfeldrand vorrücken ließ. Die Gründe für den geringen Widerstand gegen den Verlust des Namens dürfte in dem erheblichen Komfortgewinn und dem Umstand liegen, dass der im einige Kilometer entfernten Geißbockheim gelegene Hort der Klubtradition unangetastet blieb.
Am Niederrhein beschritt Borussia Mönchengladbach einen anderen Weg. Der Verein nutzte ein frei gewordenes Militärgelände am Stadtrand, um nicht nur ein vereinseigenes Stadion zu bauen, sondern seine weiteren Einrichtungen wie Trainingsplätze und Geschäftsstelle an einem Ort zu konzentrieren. In diesem Fall lag ein vollkommener Traditionsbruch vor, denn der in der Nähe der Innenstadt gelegene, traditionsreiche, jedoch überalterte, nur teilweise überdachte und lediglich 35.000 Plätze fassende „Bökelberg“ wurde abgerissen. Dabei war sich der Verein offenbar eines möglichen Konflikts mit Traditionalisten bewusst, denn der Neubau wurde nicht nach dem legendären Trainer Hennes Weisweiler benannt, sondern erhielt den nichtssagenden Namen „Stadion im Borussia-Park“, der im Fall einer Vermarktung problemlos durch die Bezeichnung eines Sponsors ersetzt werden könnte. Dass die Fans hingegen den im Vergleich zum Kölner Vorgehen vollzogenen Traditionsbruch hinnahmen, dürfte nicht zuletzt an der Hoffnung gelegen haben, mit der neuen, nun ca. 54.000 Plätze umfassenden Spielstätte die Wettbewerbsfähigkeit entscheidend zu stärken.