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Deutsche Fankultur in den 1980er und 1990er Jahren

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Die deutsche Fankultur orientierte sich in seiner Ausdrucks- und Organisationsform, wie gerade kurz skizziert, Mitte bis Ende der 1980er Jahre an den englischen Verhältnissen. Doch das Vorbild England geriet auf Grund einiger schwerer Ausschreitungen und Katastrophen langsam, aber sicher ins Wanken. Gemeint sind die Tragödien mit zahlreichen Toten und Verletzten bei Fußballspielen 1985 in Bradford (57 Tote), im Brüsseler Heysel-Stadion (39 Opfer und 454 Verletzte) sowie 1989 in Sheffield (96 Tote).

Die Folgen dieser tragischen Ereignisse sind für die Fankultur weitreichend und in zweifacher Hinsicht von besonderer Relevanz. Zum einen erfolgte aufgrund dieser Ereignisse eine Stigmatisierung der gesamten Fanszene weltweit. Der Fußballfan war von nun an gewaltbereit und gefährlich.54 Für Presse, Funk und Fernsehen existierte der Fan seitdem nahezu ausschließlich als Randalierer, Säufer und Neonazi.55

Zum anderen war man in England seit diesen Katastrophen der Auffassung, Stehplätze würden die Gewalt auf den Rängen fördern. Und so wurden bis 1995 alle Stehplätze in den Stadien abgebaut und durch Sitzplätze ersetzt, oder es wurden gleich komplett neue Arenen ohne Stehplätze, dafür aber mit VIP-Logen gebaut. Weitere Konsequenzen waren der Abbau von Zäunen, die Einführung von Stadionverboten, ein generelles Fahnenverbot sowie die Anhebung der Eintrittspreise. Besonders Letzteres veränderte die Fankultur massiv, denn die Leidtragenden dieser Einschränkungen waren die, für die der Fußball mehr war als reiner Konsum und Unterhaltung, zumeist Menschen aus Unter- und Mittelschichtenmilieus, für die der Fußball ein Teil ihrer persönlichen Identität geworden war und die nun durch teure Eintrittspreise aus dem Stadion verdrängt wurden.56 Die Folgen waren eindeutig und sind bis heute unübersehbar. Die Fanszene in England verlor das, was sie ausmachte: Stimmung, Identität und die Eigenschaft, das Fußballspiel als Spektakel zu erleben. Aber es war gerade das, was Deutsche, besonders die jungen Fans, die gerade dazugekommen waren, faszinierte. Die deutsche Fanszene wandte sich ab und orientierte sich südwärts, größtenteils nach Italien, wo schon seit Längerem die Ultraszene die Fankultur bestimmte. Hier fand man das Verlorengegangene in den stimmungsvollen Spielen der Serie A mit bengalischen Feuern, überdimensionalen Fahnen und lautstarken Gesängen wieder. Hinzu kam, dass deutsche Fußballfans durch die neuen Pay-TV-Sender die Spiele der höchsten italienischen Spielklasse nun auch in Deutschland sehen konnten und jeder am Bildschirm miterleben durfte, welche Stimmung in italienischen Stadien herrschte.

Ultras im Abseits?

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