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Entstehung von Fanidentität und der Ultrakultur in Italien

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Wie die Wurzeln des Fußballs in England zu finden sind, so verhält es sich mit der Entstehung von Ultragruppen in Italien. Hier entstanden in den 1960er Jahren erste Ultragruppen, die seit jeher mit der Fankultur eng verflochten sind. Die Entwicklung der Szene begann in Norditalien, als sich in der Jugend- und Fankultur, inspiriert durch studentische Proteste und die Arbeiterbewegung, eine linksgerichtete Protestbewegung formierte. Ihr Aufbegehren richtete sich gegen die fortschreitende soziale Ungleichheit in der Gesellschaft Italiens, und ihre Forderungen wurden überwiegend in der Fankurve von Fußballstadien auf Bannern propagiert.41 Aus dem kreativen Potenzial der politischen Demonstrationen gelangten Transparente, Megafone, Doppelhalter, Rauchkörper und bengalische Feuer in die Stadien, die bis heute wichtiger Bestandteil der italienischen Ultraszene sind.42

Der Ursprung des Begriffs Ultra ist nicht eindeutig festzulegen. Am wahrscheinlichsten ist es aber, dass er auf wütende Anhänger des AC Torino zurückgeht, die nach einer 2:3-Niederlage den Schiedsrichter bis zum Flughafen weit außerhalb von Turin verfolgten. Ein Reporter bezeichnete dieses Verhalten mit dem treffenden Begriff „extrem“, italienisch „ultrà“.43 Dieser Begriff wurde landesweit schnell zum Inbegriff einer neuen Jugend-, Protest- und Fankultur.

Ein erstes Banner mit dem Schriftzug „Ultras“ soll 1964 beim Pokalfinale der Landesmeister in der „Inter-Kurve“ zu sehen gewesen sein. Die Ehre der ersten und ältesten Ultragruppierung schreibt man aber dem schwarz-roten Stadtrivalen, der Gruppe „Fossa dei Leoni“ vom AC Milan zu.44

In der Folgezeit, um 1969, entstanden in Italien etliche Ultragruppen. Waren es zu Beginn der Szene eher linksgerichtete Gruppen, die sich mit der sozialistischen Bewegung solidarisierten, so entstanden Mitte der 1970er Jahre immer mehr Gruppen, die sich offen zu faschistischen und rechten Ideologien bekannten.

In den 1980er Jahren wurde der Zulauf zu den Ultragruppen immer größer, und so zählte z. B. die Gruppierung „Drughi Bianconeri“ (Juventus Turin) zwischenzeitlich mehr als 10.000 Mitglieder. Zugleich kam es zu immer gewalttätigeren Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Ultragruppen unterschiedlichster Vereine oder politischen Richtungen.

Seit den 1990er Jahren nahm der Einfluss der Ultragruppen auf die Vereinsbegehren extreme Formen an. So wurde z. B. die Einkaufspolitik des Vereins mitbestimmt, was am besten an einem Zitat des Vereinspräsidenten von Hellas Verona, Giambattista Pastorello, gezeigt werden kann. Er gab öffentlich zu: „Meine Fans würden es nicht erlauben, den schwarzen Spieler Patrick Mboma zu verpflichten.“ Des Weiteren stellten Vereine den Ultragruppen Eintrittskarten zur Verfügung, die eigenständig verwaltet werden konnten, aber meist gleich wieder auf dem Schwarzmarkt gewinnbringend verkauft wurden. Selbst der Ordnungsdienst der Kurve wird von den einzelnen Gruppen kontrolliert.

Heute sind mehr als 445 registrierte Ultragruppen mit mehr als 74.000 Mitgliedern in Italien bekannt.

Ultras im Abseits?

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