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V. Das Berufsrisiko des Strafverteidigers
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Der Beruf des Strafverteidigers kann gefährlich sein, muss es aber nicht.[1]
Im Spannungsverhältnis zwischen dem beschuldigten Mandanten im Ermittlungsverfahren und den Vorwurf erhebenden Ermittlungsbehörden übt der Strafverteidiger seinen Beruf aus. Auf der einen Seite stehen die Interessen des Mandanten, das Ermittlungsverfahren – meist so schnell wie möglich – zu beenden und Tatverdachtsmomente zu zerstreuen. Auf der anderen Seite ist es das Bestreben der Ermittlungsbehörden, den Sachverhalt bestmöglich aufzuklären und im Ermittlungsverfahren zu einer Entscheidungsgrundlage zu gelangen.
Als Interessenvertreter wird vom Mandanten viel, wenn nicht die gesamte Hoffnung in den Strafverteidiger gesetzt und nicht selten verlangt der Mandant, dass der Verteidiger nun die Verantwortung habe und dafür sorgen soll, dass alles ein gutes Ende findet. Als Organ der Rechtspflege erkennen die Ermittlungsbehörden den Strafverteidiger an und setzen voraus, dass er als solches sämtliche Grenzen rechtmäßiger Verteidigungsaktivität kennt und diese nicht überschreitet. Skepsis begegnet dem Verteidiger mitunter von beiden Seiten. Zuweilen meint der Mandant, der Verteidiger setze sich nicht in ausreichendem Maße ein und gebe den Ermittlungsbehörden zu sehr nach. Andererseits vermuten die Ermittlungsbehörden manchmal im für sie nicht einsehbaren Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Verteidigung (vgl. etwa §§ 148, 53 Abs. 1 Nr. 2, 160a Abs. 1 StPO) etwas Unrechtmäßiges. Bei diesen gegenläufigen Interessen ist es keine leichte Aufgabe, weder von der einen noch von der anderen Seite mit Vorwürfen konfrontiert zu werden.
Als Rechtsanwalt wird sich der Strafverteidiger bei Fehltritten auch nicht auf Rechtsunkenntnis (selbst nicht in Spezialbereichen) berufen können. Es wird von ihm, sei er auch jung und unerfahren, verlangt, dass er weiß, was er tut. Angesichts dessen ist es unerlässlich, dass der Strafverteidiger die wesentlichen Gefahrenbereiche kennt, maßgebliche Urteile der Rechtsprechung aus der Vergangenheit studiert hat und auch berufsrechtliche Vorgaben nicht bloß als verstaubte Verwaltungsvorschriften abtut.
Gerade dem jungen und alleine auf dem umkämpften Anwaltsmarkt tätigen Strafverteidiger, aber auch älteren Kollegen, werden im Geschäftsalltag Fehler passieren. Nicht immer lassen sich Situationen ex ante (!) als problematisch erkennen. So ist es auch schon dem erfahrensten Kollegen passiert, dass er auf Verlangen der JVA nach einem Ausweisdokument des eigenen Mandanten dem Mandanten im Rahmen des unüberwachten Verteidigerbesuchs einen Reisepass ausgehändigt hatte, um diesen nach dem Besuch einem zuständigen Beamten innerhalb der JVA zu übergeben. Groß war die Verwunderung zunächst, dass gegen den Kollegen ein Ermittlungsverfahren wegen versuchter Gefangenenbefreiung (§ 120 Abs. 1, Abs. 3 StGB) eingeleitet wurde. Bei einer Rückbesinnung fiel die Vorschrift des § 115 OWiG dem Berufskollegen wie Schuppen von den Augen. Natürlich kannte er sie und hatte alles andere als einen sog. Kassiberschmuggel im Sinn, als er unüberlegt den Reisepass an seinen Mandanten in der JVA übergab. Dasselbe hätte ihm natürlich auch bei Übergabe eines Kugelschreibers oder vergleichbaren Dingen passieren können. Das Verfahren endete mit einer Einstellung hinsichtlich der versuchten Gefangenenbefreiung in Ermangelung eines bereits untauglichen Tatobjekts und in Ermangelung eines entsprechenden Vorsatzes Die Geldbuße nach § 115 OWiG musste gleichwohl bezahlt werden. Dass ein solches Verfahren einem Kollegen nicht lediglich auf das Gemüt schlägt, ihn zusätzlich Zeit und Geld kostet sowie zudem auch ganz erheblich seinen Ruf schädigen kann, liegt auf der Hand.
Gefahren muss der Verteidiger vorbeugen. Gegenüber dem Mandanten hat dies ebenso zu erfolgen wie gegenüber den Ermittlungsbehörden. Gelingt dies, wird die Berufsausübung nicht risikobehaftet sein. Oft kann es deswegen schon hilfreich sein, in Kenntnis der maßgeblichen Rechtsprechung im Vorhinein in Einzelfällen abstrakt und im Vertrauen den Rat eines anderen (erfahrenen) Kollegen zu suchen. In solchen Gesprächen wird der „richtige Weg“ in den allermeisten Fällen klar erkennbar.
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Aber wie hat sich der Verteidiger zu verhalten, damit er im beschriebenen Spannungsverhältnis keine Bodenhaftung verliert?
Auf diese Frage kann es keine allgemein gültige Regel geben. Dies schon deswegen nicht, weil es auch – leider zu häufig – zu unberechtigten Anschuldigungen von Seiten der Ermittlungsbehörden oder anderen Stellen (z.B. auch anwaltlichen Kollegen), aber zuweilen auch von Seiten des Mandanten kommt. Solchem Verhalten kann man kaum präventiv entgegentreten. Das Berufsbild des Verteidigers bringt es mit sich, dass er häufig „ein einsamer und alleingelassener Kämpfer“[2] ist. Deswegen muss man Vorhalten und Vorwürfen auch in eigener Sache fundiert entgegentreten können.
Allerdings tut der Verteidiger gut daran, sich vorrangig an den berufsrechtlichen Regeln und etwa an den Thesen des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer zur Verteidigung zu orientieren.[3] Es sind vor allen Dingen Normen maßgeblich und wichtig, welche die Stellung des Anwalts, die Aufgaben des Verteidigers, den Umgang mit schwierigen Fragen der Interessenkollision und etwa vor allem den Umgang mit Honorar und Fremdgeldern betreffen (vgl. insbesondere §§ 43 ff. BRAO, §§ 2, 3, 4, 11, 15, 19, 20, 21, 23, 25 BerufsO sowie Thesen 1, 2, 3, 9, 11, 12, 13, 14 und beispielsweise 19).[4] Die Kenntnis der berufsrechtlichen Normen ist insbesondere auch ratsam, weil sich nach ihnen ein berufsrechtliches Verfahren richtet.[5]
Darüber hinaus wird sich der Verteidiger im Laufe der Zeit gerade gegenüber Mandanten nicht in Situationen hinein manövrieren, die fast unausweichlich zu Problemen führen, wenn er im Mandat Klarheit schafft und walten lässt sowie Distanz zum Mandanten wahrt.[6] Es mag befremdlich klingen. Doch führt z.B. alleine das Aufgeben der förmlichen „Sie“-Form gegenüber dem Mandanten und das spätere Duzen zu einer Grenzaufweichung. Noch klarer gesagt: Ein Mandant wird nicht „geduzt“. So wird der Verteidiger einem zwielichtigen Wunsch des Mandanten leichter, geschickter, klarer und einfacher – ohne eine prompte Mandatskündigung – ablehnen können, wenn er Distanz wahrt. Auch wirkt es bei vielen Gerichten nicht förderlich, wenn sich Verteidiger und Mandant im Gerichtssaal duzen. Nimmt man zur Kenntnis, dass sich etwa Richterkollegen mit „Sie“ ansprechen, obwohl sie vielleicht viele Jahre miteinander zusammenarbeiten, wird klar, dass aus ihrer Sicht das „Duzen“ des Mandanten Raum für Vermutungen zulässt. Zu große Nähe zum Mandanten verringert das Blickfeld.[7] Der Verteidiger ist nicht „Kumpel“ oder gar „Komplize“.[8]
Zur Klarheit des Mandats gehört ferner, dass sich der Verteidiger auf konspirative Absprachen, anbiedernde Verhaltenssituationen oder verschwörerartige Gespräche nicht einlässt. Er hat sich im Idealfall gegenüber dem Mandanten so zu verhalten, dass selbst ein negativ eingestellter Ermittlungsbeamter hieran nichts Aussetzenswertes finden könnte.[9] Je deutlicher der Verteidiger seinen Standpunkt und seine klare Vorgehensweise von Beginn unterstreicht, desto weniger Missverständnisse auf Seiten des Mandanten wird es geben und desto weniger wird der Verteidiger in schwierige Situationen gelangen. Beginnt der Verteidiger das Anbahnungsgespräch in der JVA damit, dass er einen Brief für die Angehörigen unter dem Deckmantel der unüberwachten Verteidigerkommunikation mit dem Mandanten aus der JVA herausschmuggelt, hat er sich gleich zu Beginn erpressbar gemacht. Im Übrigen hat er wenigstens eine Ordnungswidrigkeit begangen (§ 115 OWiG). Langfristig wird es dem Verteidiger auch nicht zuträglich sein, wenn er solchen Wünschen des Mandanten nachgibt. Denn – für manche mag es erstaunlich sein – gerade diejenigen Verteidiger, die solchen Wünschen von vorneherein nicht nachgeben und stets Klarheit im Mandat garantieren, sind solche, die auch von Mandantenseite als seriös und über jeden Verdacht erhaben gelten. Es gilt der Grundsatz: „Wehret den Anfängen“.[10]
Teil 1 Die Übernahme des Mandats › V › 1. Besondere strafrechtliche Risiken