Читать книгу Verteidigung im Ermittlungsverfahren - Jens Bosbach - Страница 42

1. Das allererste Gespräch

Оглавление

47

Der Verteidiger, der in aller Ruhe den (potenziellen) Mandanten in seiner Kanzlei empfängt und die Übernahme der Verteidigung bespricht, ist ein Idealbild. Die Praxis sieht oft anders aus; dies bringt die Tätigkeit des Strafverteidigers mit sich und zeichnet den Strafverteidiger auch aus.

Nicht selten wird der Strafverteidiger nicht vom potentiellen Mandanten selber kontaktiert, sondern von Freunden, Verwandten oder anderen anwaltlichen Beratern des potentiellen Mandanten. Dies ist oft dem Umstand geschuldet, dass der potentielle Mandant selbst möglicherweise schon deswegen nicht telefonieren kann, weil er in Haft ist, während der Durchsuchung nicht die Möglichkeit erhält, einen Verteidiger anzurufen, einen Strafverteidiger selbst nicht kennt oder etwa bei einem anwaltlichen Kollegen aus einem anderen Rechtsgebiet im Beratungsgespräch sitzt, während der anwaltliche Kollege den Strafverteidiger konsultiert. In solchen Situationen ist es oberste Pflicht, flexibel zu sein. Der Strafverteidiger hat seinen Arbeitsplatz und sein Arbeitsumfeld so zu organisieren,[1] dass er notfalls auch sofort dem potentiellen Mandanten zur Hilfe eilen oder zumindest einen Kollegen bitten kann, dies zu erledigen. Denn der potentielle Mandant ist in einer solchen Konstellation alleine überfordert und verbaut sich ohne Beistand und ohne Not möglicherweise wichtige Verteidigungsmöglichkeiten.

Für den Verteidiger ist es zudem ein Gebot, schnell „vor Ort“ zu sein, da ein potentieller Mandant in Not sicherlich nicht lange warten kann und wird, sondern vielmehr froh ist, wenn überhaupt nur ein Strafverteidiger – zunächst gleich welcher – ihm zur Seite steht. Gemütlichkeit wird bei diesem Beruf oft mit Mandatsflaute bestraft.

Die notwendige Flexibilität des Strafverteidigers bringt dabei auch mit sich, dass er sich nur schwer im Vorhinein auf bestimmte strafrechtliche Themengebiete in seiner alltäglichen Arbeit begrenzen kann. Denn wenn beispielsweise der Freund eines (anderen) Mandanten anruft, um den Strafverteidiger darauf hinzuweisen, dass bei dem potentiellen neuen Mandanten gerade durchsucht wird oder dieser vorläufig festgenommen worden ist, wird dieser Freund nur in seltenen Fällen wissen, warum die Ermittlungsbehörden gerade gegen den potentiellen Mandanten vorgehen. Gleichwohl braucht der potentielle Mandant Hilfe. In dieser Situation erst zu klären, ob es sich um ein „Sexualdelikt“, ein Delikt aus dem Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts oder den großen Fall aus dem Bereich des Wirtschaftsstrafrechts handelt, ist zum einen kaum möglich und muss zum anderen auch sekundär sein. Ein Strafverteidiger wird auch nicht sagen können, dass er auf die Bitte, zu einem potentiellen Mandanten in die Vorführzelle im Polizeipräsidium zu fahren, deswegen nicht reagiert, weil es sich

vielleicht um das falsche Mandat handelt oder
weil die Vorführzelle beim Ermittlungsrichter im Polizeipräsidium lediglich ein 3 qm großer Raum ist und der vorzuführende potentielle Mandant am Vorabend festgenommen wurde und nun vor einem ersten Verteidigergespräch weder geduscht noch sonst gewaschen ist.

Hört man solche Vorbehalte gegen eine Kontaktaufnahme mit potentiellen Mandanten, hat dies nichts mehr mit dem Beruf des Strafverteidigers zu tun.

Im Übrigen gehen auch die Ermittlungsbehörden durchaus davon aus, dass ein Strafverteidiger, wenn er angerufen und um sein Erscheinen gebeten wird, erscheint. Auf den Satz des Mandanten vor einer Vernehmung „ich habe einen Strafverteidiger angerufen, er kann aber gerade nicht“ ist auch schon der Satz des Staatsanwalts gefallen: „Was ist das denn für ein Strafverteidiger, den Sie sich da ausgesucht haben?“ Ist einem aufgrund der Rechtsprechungsentwicklung zu § 136 StPO bekannt, welche Fälle und wie lange es gebraucht hat, bis der Bundesgerichtshof die fehlende ordnungsgemäße Belehrung über die Möglichkeit der Konsultation eines Strafverteidigers vor den Angaben zur Sache und die fehlende ausreichende Möglichkeit zur Auswahl eines Strafverteidigers mit einem Verwertungsverbot etwaiger nachfolgender Sachangaben quittiert hat, muss klar sein, dass der Strafverteidiger gefordert ist. Vor diesem Hintergrund kann es nur zu einem Kopfschütteln führen, wenn ein Strafverteidiger einem (potentiellen) Mandanten nicht schnellstmöglich zu Hilfe eilt oder jedenfalls für eine schnellstmögliche Hilfe im Kollegenkreis sorgt, wenn dieser Mandant nach einer Festnahme und nach der Suche eines möglichen Anwalts im Telefonbuch (womöglich noch in fremder Sprache) anruft und mit diesem einen letzten Anruf Hilfe sucht.

48

Es wird aber auch oft anders kommen. So ruft ein potentieller Mandant auch durchaus selbst in der Kanzlei des Strafverteidigers an, um Kontakt zu ihm aufzunehmen oder aber – was selten vorkommt – verirrt sich direkt persönlich in die Kanzlei des Verteidigers. Wie der Mandant in diesen Situationen in der Kanzlei des Strafverteidigers aufgenommen und empfangen wird, bleibt jedem selbst überlassen. Die Tatsache, dass er bei dem Strafverteidiger in erster Linie Hilfe suchen wird und wahrscheinlich (aufgrund des gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens) dazu gezwungen ist, überhaupt zu einem Strafverteidiger Kontakt aufzunehmen, sollte allerdings jedem stets bewusst sein. Deswegen kann sich nur empfehlen, die eigene „Empfangspolitik“ – soweit möglich – an diesen Grundvoraussetzungen auszurichten. Anderenfalls ist der Verteidiger ein Mandat möglicherweise schon wieder los, bevor es überhaupt zustande gekommen ist. Der Mandant, der das Gefühl hat, in der Kanzlei wird laut darüber gesprochen, wo von welchem anderen Mandanten gerade die Akte liegt und wer gerade auf einem anderen Telefon anruft, wird in die Arbeit des Anwaltes weniger Vertrauen setzen als derjenige, der eine ruhige, nicht hektische und diskrete Atmosphäre vorfindet.

49

Diese Hinweise sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass ggf. nach einer ersten Kontaktaufnahme mit dem Mandanten und nach der Kenntnis über den strafrechtlichen Vorwurf Gedanken darüber angestellt werden können, ob man in der Sache für den Mandanten der taugliche und bestmögliche Strafverteidiger ist. Denn Strafverteidigung muss nicht gleich Strafverteidigung sein. Auch innerhalb der Strafverteidigung gibt es Spezialgebiete, die besondere Kompetenzen und zuweilen auch eine besondere Büroorganisation erfordern. So ist es für die Vertretung etwa in wirtschaftsstrafrechtlichen Großverfahren unerlässlich, dass ein Büro mit großen Daten- und Aktenmengen „umgehen“ (kopieren, einscannen, DVDs und CDs erstellen, etc.) kann. Fragen Sie sich vorher, ob Sie und Ihr Büro die Bearbeitung und Verwaltung einer Akteneinsicht in einem Fall mit z.B. 120 Leitzordnern sicherstellen können, ohne dass andere Mandate zurückstehen müssen. Im betäubungsmittelrechtlichen Bereich ist es hingegen beispielsweise erforderlich, dass sich der Strafverteidiger mit dem Sprachjargon und gutachterlichen Auswertungen bestens auskennt. So bringt der Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts nicht nur eine besondere Sprache auf Seiten der Mandanten mit sich, sondern bietet auch eine Vielzahl von Details, die für die richtige Einordnung der Straftatbestände zum unerlässlichen Basiswissen des Strafverteidigers zählen müssen (z.B. die Grenzwerte der nicht geringen Menge, die besonderen Vorgehensweisen der Ermittlungsbehörden, die umfangreiche Rechtsprechung zum Tatbegriff und zu den Konkurrenzen, etc.). Ähnlich kann es beispielsweise im Verkehrsstrafrecht liegen, da hier nicht nur Messmethoden bekannt sein müssen, sondern auch und gerade Fragen der Blutalkoholbestimmung, der Weg-Zeit-Berechnung, etc. immer wieder bedeutsam sind. Wie soll der Strafverteidiger im Umweltstrafrecht beraten, wenn er selbst kein Basiswissen im Bereich des Verwaltungsrechts aufweist?

Der Strafverteidiger wird sich deswegen in jedem Einzelfall wohl überlegen müssen, ob er auf dem jeweiligen Rechtsgebiet innerhalb des Strafrechts der richtige Ansprechpartner ist. Zum Wohle des Mandanten, welches im Vordergrund stehen sollte, muss er hier selbstkritisch sein. Dabei wird nicht verkannt, dass natürlich wirtschaftliche Gründe auch oftmals für die Mandatsannahme sprechen und jeder Strafverteidiger einmal in seinem Rechtsgebiet den ersten Fall angenommen, an ihm gelernt und ihn vielleicht sogar sehr erfolgreich verteidigt hat. Für all diese Gedanken bleibt aber noch Zeit für die Phase nach der ersten Kontaktaufnahme.[2]

50

Oft wird der (potenzielle) Mandant den Verteidiger bei dem ersten Anruf in der Kanzlei gar nicht antreffen. Der Mandant kann dann zwar mit dem Büropersonal einen Besprechungstermin mit dem Verteidiger vereinbaren. Handelt es sich um einen viel beschäftigten und durch auswärtige Hauptverhandlungen länger abwesenden Verteidiger, ist ein solcher Termin oft weit hinausgeschoben. Darauf will und kann der Mandant nicht warten (Vorladung zur Vernehmung, beschlagnahmter Führerschein, Schreiben des Staatsanwalts mit Fristsetzung zur Abgabe einer Erklärung).

In solchen Fällen, aber auch in den vorgenannten (Beispiels-)Situationen ist die sofortige Übernahme des Mandats problematisch. Für einen seinen Beruf ernst nehmenden Verteidiger und für den Rechtsstaat sind die nachfolgenden Worte eine Selbstverständlichkeit: Sachgerechte Verteidigung erfordert zwischen Verteidiger und Mandant ein Vertrauensverhältnis; dieses Vertrauensverhältnis ist besonders privilegiert und wird von der StPO gestützt.[3] Ein solches zu begründen, ohne den Mandanten gesehen oder gar gesprochen zu haben, fällt schwer. Unmöglich aber ist es nicht. So können sich z.B. der Verteidiger und der Mandant aus früheren Mandatsverhältnissen kennen. Da ein Strafverteidiger jedoch nur wenige „Stammkunden“ hat, bleibt das Problem in der Mehrzahl der Fälle bestehen.

Und es ist ein Problem, denn der Verteidiger lebt von seinem Beruf. Dafür benötigt er Mandanten. Wenn ein potenzieller Mandant aber auf einen Termin vertröstet wird, bleibt ihm oft gar nichts anderes übrig, als zu einem anderen Rechtsanwalt zu gehen. Ein (teilweiser) Ausweg aus dem Dilemma stellt die Mandatsannahme „unter Vorbehalt“ dar. Man erklärt dem Auftraggeber, dass man ihm gern sofort helfen wolle, jedoch die endgültige Übernahme der Verteidigung ein eingehendes Gespräch zwischen dem Verteidiger und ihm sowie eine Einigung über bestimmte Fragen voraussetze. In der Regel wird das akzeptiert.

Dass es hierbei nicht sein Bewenden haben kann, liegt auf der Hand. Denn jedenfalls für eine ausführliche Besprechung mit Blick auf die Sach- und Rechtslage und zur Erörterung einer Verteidigungsstrategie wird später das persönliche Gespräch ohnehin vonnöten sein. Dies alles kann schon deswegen nicht mehr telefonisch erfolgen, weil gerade im Strafrecht nicht immer ausgeschlossen werden kann, dass Telefonanschlüsse der Mandanten von Behörden überwacht werden. Ob und inwieweit Erkenntnisse aus solchen Telefonaten später verwertet werden dürfen, darf nicht der Maßstab sein. Auch die Gespräche über die Vergütung der Verteidigertätigkeit bieten sich nicht für eine Telefonkonferenz, E-Mail-Verkehr oder sonstige Kommunikation an. Wer einmal erlebt hat, wie sehr die Vergütung eines Strafverteidigers das Interesse der Ermittlungsbehörden – sei es nur wegen der Höhe des Stundensatzes – weckt und in welchem Maße solche Punkte Gesprächsklima und Gesprächsverlauf im eigentlichen Ermittlungsverfahren bestimmen, sorgt hiernach für Diskretion. Als Strafverteidiger wundert man sich zuweilen, wie interessant die eigentliche Vergütung seiner Tätigkeit für Polizisten, Staatsanwälte und Richter ist. Ob dies positiv oder negativ ist, mag jeder selbst beurteilen. In die Öffentlichkeit, in die Telefonleitung und in E-Mail-Postfächer oder den Stammtisch gehören solche Gespräche jedenfalls nicht.

Teil 2 Die ersten Tätigkeiten des VerteidigersI › 2. Das erste Gespräch

Verteidigung im Ermittlungsverfahren

Подняться наверх