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2. Zivilrechtliche Risiken

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Die zivilrechtliche Haftung des Strafverteidigers wird meist stiefmütterlich behandelt und spielt offenbar auch in der Rechtsprechung keine tragende Rolle. So gibt es sogar Stimmen, welche die Frage in den Raum stellen, ob beim Strafrechtsmandat Haftungsfälle überhaupt denkbar sind.[43] Dies ist jedoch nicht die Lösung, erst Recht gilt dies nicht, wenn der Strafverteidiger Unterhaltsinteressen vertritt.

Vielmehr liegt es im Strafrecht anders als im Zivilrecht. Das hängt vor allem zunächst mit der Materie zusammen. Es geht seltener um konkrete Zahlen, weshalb ein Schaden schwieriger darzustellen sein wird. So liegt etwa die Strafzumessung im Ermessen des Gerichts (vgl. §§ 261, 267 Abs. 3 StPO) und bewegt sich innerhalb des vorgesehenen Strafrahmens mit Blick auf einen tatsächlich entstandenen Schaden (bedingt durch eine fehlerhafte anwaltliche Beratung) in einem kaum überprüfbaren bzw. in einem kaum beweisbaren Raum. Denn nach ständiger Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes trägt der Mandant die Beweislast dafür, dass die Pflichtverletzung des Anwalts (§ 280 Abs. 1 S. 1 BGB) für den geltend gemachten Schaden ursächlich geworden ist.[44] Hierbei spielt schon die Vorfrage eine bedeutsame Rolle, dass der Richter, der von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln hat (§ 244 Abs. 2 StPO), kaum bestätigen wird, dass er bestimmte Umstände nur deswegen nicht bzw. fehlerhaft berücksichtigt hat, weil sie der Anwalt nicht oder fehlerhaft vorgebracht hat. Zudem stehen Strafrichter regelmäßig nicht als Zeugen dafür zur Verfügung, dass eine niedrigere Strafe bei entsprechendem Vortrag des Verteidigers ausgesprochen worden wäre; mit Blick auf das Beratungsgeheimnis nach § 43 DRiG sind sie schon ein ungeeignetes Beweismittel.[45]

Entscheidend ist im Strafrecht (im Vergleich zum zivilrechtlichen Berater) vor allem auch, dass das Verschulden des Rechtsanwalts dem Mandanten im Strafrecht (richtigerweise) regelmäßig nicht zugerechnet wird und dem Mandanten hieraus dann keine Nachteile erwachsen (anders als nach den Regeln der ZPO).[46] Auch ist ein unzureichender Vortrag oder ein nicht gestellter Beweisantrag wegen der grundsätzlich geltenden Amtsaufklärungspflicht – unter monetären Gesichtspunkten – häufig nicht schädlich.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Strafverteidiger sich in einem haftungs- bzw. risikofreien Raum bewegt. Denn ein Schaden kann dem Mandanten auch entstehen, wenn er eine Geldstrafe zu Unrecht zahlen muss und dieses Unrecht gerade wegen eines Anwaltsfehlers ausgesprochen wurde.[47] Dasselbe gilt, wenn es um vermeidbare Kosten oder die angebliche „Schlechtverteidigung“[48] geht. Besteht das Mandat etwa darin, die Erfolgsaussichten eines gegen einen Strafbefehl eingelegten Einspruchs zu prüfen, und ergibt diese Prüfung, dass eine Herabsetzung der festgesetzten Geldstrafe nicht zu erwarten ist, so ist schon aus Kostengründen zur Rücknahme des Einspruchs zu raten.[49] Der Rat zur Rücknahme wird umso dringlicher, wenn konkret sogar das Gegenteil, nämlich etwa wegen einer bislang im Strafbefehl zu niedrig bemessener Tagessatzhöhe mit einer Erhöhung der Geldstrafe oder gar mit einer Strafschärfung in Form einer Erhöhung der Tagesssatzanzahl oder etwa der Erhöhung einer Maßregel der Besserung (z.B. anstelle von einer 6-monatigen Entziehung des Führerscheins eine 10-monatige Entziehung) zu rechnen ist.[50] Der Anwalt muss wissen, dass im Einspruchsverfahren gegen einen Strafbefehl das Verbot der „reformatio in peius“ nicht gilt.[51] Abgesehen von der zivilrechtlichen Haftungsfrage sei an dieser Stelle der Hinweis erlaubt, dass es im Regelfall wohl zu einem der schwerwiegendsten Fehlberatungen gehören kann, wenn es durch einen Einspruch gegen einen Strafbefehl zu einer schwereren Bestrafung kommt und diese Fehlberatung auch nicht mehr durch Rechtsmittel korrigiert werden kann. Hat der Rechtsanwalt den Mandanten in solchen Fällen zuvor nicht über das Risiko einer durchzuführenden Hauptverhandlung aufgeklärt, liegt es auf der Hand, dass der Mandant an der ordnungsgemäßen Beratung Zweifel hegt. Ein weiterer Bereich einer möglichen Haftung wird auch eröffnet, wenn der Strafverteidiger den Mandanten nicht über die Folgen eines Geständnisses aufklärt (z.B. Verlust der Approbation, Verlust der Gaststättenerlaubnis, etc.) und der Mandant später von den Folgen eines Geständnisses eingeholt wird und finanziellen Schaden erleidet. In diesen Fällen kann sich eine zusätzliche explizite Haftungsausschlusserklärung mit entsprechender Belehrung anbieten, die der Mandant gegenzeichnet.

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Zu den Pflichten des Rechtsanwalts gehört es im Regelfall im Übrigen, nach Kräften dem Aufkommen von Irrtümern und Versehen des Gerichts entgegenzuwirken.[52] Daher hat er in jedem Fall – auch wenn der Amtsermittlungsgrundsatz gilt – stets zu prüfen, ob nicht z.B. die Verjährung oder ein anderes Verfahrenshindernis dem Verfahren grundsätzlich entgegensteht. Übersieht er dies und übersieht es auch das Gericht, kann es neben den Kosten für die Verteidigung in einem eigentlich nicht möglichen Verfahren auch sonst zu weiteren Schäden für den Mandanten kommen.[53]

Mit Blick auf fristgerechte und formgerechte Anträge hat es der Verteidiger üblicherweise leicht. Denn nach § 246 Abs. 1 StPO darf eine Beweiserhebung nicht deshalb abgelehnt werden, weil das Beweismittel oder die zu beweisende Tatsache zu spät vorgebracht worden sei. Allerdings wird der Verteidiger auch angesichts der neueren Entwicklung in der Rechtsprechung zur erlaubten Fristsetzung des Gerichts für etwaige Beweisanträge in der Hauptverhandlung zukünftig darauf Acht geben müssen, dass Beweisanträge vor diesem Hintergrund nicht doch verfristet sind. Auch hat er zu überlegen, ob und inwieweit entsprechende Beweiserhebungen schon im Ermittlungsverfahren zu beantragen sind, um einen Tatverdacht zu entkräften. Bei dieser Überlegung ist freilich immer vorrangig zu prüfen, ob und inwieweit dies mit der Verteidigungstaktik im Übrigen in Einklang zu bringen ist. Alleine wegen zivilrechtlicher Haftungsängste darf der Verteidiger nicht ins Blaue hinein Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren beantragen.

Wann der Strafverteidiger seine Pflichten neben diesen exemplarischen Einzelfallgestaltungen im Übrigen haftungsrechtlich relevant verletzt, richtet sich nach den allgemeinen Regeln und unterscheidet sich kaum von den Vorgaben eines Rechtsanwalts bei anderen Mandanten.[54] Es ist jedoch kaum möglich, alle Pflichten und zivil- und haftungsrechtlichen Konsequenzen nachfolgend darzustellen. Vielmehr wird sich der Verteidiger – wie vorangestellt – an exemplarischen Beispielsfällen orientieren können, um haftungsrelevante Fallstricke zu umgehen.[55]

Hierbei ist allgemein darauf hinzuweisen, dass Grundlage für etwaige Ansprüche von Seiten des Mandanten in der Regel dessen Unzufriedenheit sein wird. Der Verteidiger wird also auch bereits im Vorfeld und bei der Beratung – wie stets – darum bemüht sein (müssen), den Mandanten zufrieden zu stellen. Gelingt ihm dies, wird seine Arbeit in den allerseltensten Fällen mit einer zivilrechtlichen Haftungsinanspruchnahme quittiert werden.

Gleichwohl kann es der Verteidiger nicht in allen Fällen beeinflussen. Selbst das beste erzielte Ergebnis im Ermittlungsverfahren, im Zwischenverfahren, in der Hauptverhandlung oder im Vollstreckungsverfahren führt auf Seiten des Mandanten zwar häufig zunächst zur Zufriedenheit, im Nachhinein aber zum Missfallen. Nicht selten entwickelt der Mandant z.B. nach einem mit der Staatsanwaltschaft abgestimmten Strafbefehl oder nach einer Absprache zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung mit einigem zeitlichen Abstand das Gefühl, dass alles doch „eine riesige Ungerechtigkeit“ gewesen ist. Gerät er dann an einen entsprechenden Berufskollegen, der ihn in seiner Meinung stärkt, wird er in Ermangelung anderer Möglichkeiten vielleicht auch nicht davor zurückschrecken, nun gegen den eigenen damaligen Verteidiger ins Feld zu ziehen. Solchen Situationen muss der Verteidiger vorbeugen und darf sich nicht stets auf mündliche Absprachen mit dem Mandanten unter dem Druck des laufenden Verfahrens verlassen. Umso bedeutsamer sind schriftlichen Mandatsvereinbarungen oder im Einzelfall abgeschlossene Haftungsfreistellungvereinbarungen.

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Es soll auch denkbar sein, dass der Mandant wegen eines Anwaltsfehlers Schmerzensgeld gegen seinen Strafverteidiger geltend machen können soll, wenn er aufgrund des Anwaltsfehlers unberechtigterweise in Untersuchungshaft saß.[56] Ein solches Schmerzensgeld wird für den Anwalt auch zu einem versicherungsrechtlichen Problem, da das Schmerzensgeld sich auf Personen und nicht auf Vermögensschäden bezieht, welche regelmäßig durch die Berufshaftpflichtversicherung abgedeckt sind.[57] Auch soll der Strafverteidiger dafür Sorge zu tragen haben, dass sonstige für die Strafzumessung relevanten Umstände vorgetragen werden. So hatte der Bundesgerichtshof etwa einen Fall zu entscheiden, in welchem verabsäumt wurde, bei einer Verurteilung den Verlust von beamtenrechtlichen Versorgungsbezügen ebenso mit zu würdigen wie berufsrechtliche und standesrechtliche Folgen auf Seiten des Mandanten.[58] Solche Umstände können selbstverständlich auch bereits im Ermittlungsverfahren eine Rolle spielen, wenn der Staatsanwalt z.B. über den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls nachdenkt und das Strafmaß gerade für solche Fragen bedeutsam ist. Im zivilrechtlichen Haftungsprozess ist dann stets zu klären, wie bei entsprechendem Vortrag des Verteidigers das Strafverfahren entschieden worden wäre. Dabei gelten nicht die strafrechtlichen, sondern die allgemeinen Regeln des Zivilprozesses, insbesondere also die Dispositionsmaxime, obwohl dem Strafverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz zugrundelag.[59]

Schließlich kann es für die Klarheit des Mandats und für spätere haftungsrechtliche Fragen dienlich sein, wenn in den Mandatsvereinbarungen klar definiert wird, in welchem Bereich der Strafverteidiger den Mandanten zu beraten hat. Denn insbesondere die anwaltlichen Hinweispflichten außerhalb des eigentlichen strafrechtlichen Auftrags sind in der Rechtsprechung nicht klar auszumachen.[60] Klare Mandatsverhältnisse helfen unter diesem Blickwinkel jedenfalls schon, Abgrenzungsfragen über den Auftrag zu vermeiden.

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Nicht völlig in Vergessenheit geraten darf das Kostenrisiko. Der Verteidiger kann auf seinen Kosten und Auslagen „sitzen bleiben“, wenn der Mandant das Honorar nicht zahlt, welches regelmäßig so berechnet ist, dass der Verteidiger seine Kosten und Auslagen damit decken kann. Dies ist eine Frage der Vergütung des Verteidigers und wie der Verteidiger seine Vergütung sichert. Sie wird deswegen gesondert in einem eigenen Kapitel weiter unten behandelt.[61] Das Kostenrisiko kann sich allerdings auch so äußern, dass dem Verteidiger die Verfahrenskosten auferlegt werden, wenn er sich entweder weigert, die Verteidigung zu führen oder gar ausbleibt (§ 145 Abs. 4 StPO).[62] Da sich § 145 StPO allerdings ausdrücklich auf die Hauptverhandlung bezieht und § 145 Abs. 4 StPO nicht entsprechend anwendbar ist,[63] soll eine weitergehende Betrachtung für das Ermittlungsverfahren ausbleiben.[64]

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