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2. Das erste Gespräch

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In dem ersten Gespräch zwischen dem Verteidiger und dem Mandanten ist zuvorderst die prozessuale Situation des Mandanten zu klären. Er kann (schon) Beschuldigter oder (noch) Zeuge sein; auch den Begriff des Verdächtigen kennt die StPO (§ 163b StPO)[4]. Die Polizei hat das Recht, sog. Vorermittlungen zu führen, d. h. formlose informatorische Befragungen vorzunehmen.[5] Abhängig von seiner Rolle hat er unterschiedliche Rechte und Pflichten. Je nachdem wird der angerufene Rechtsanwalt anders zu handeln haben: als Verteidiger des Beschuldigten oder als Beistand eines Zeugen.[6] Das abzuklären – noch dazu in dem ersten Gespräch – ist manchmal gar nicht so einfach, bestand doch in Rechtsprechung und Literatur bis in die jüngste Vergangenheit immer noch Uneinigkeit, wann im Ermittlungsverfahren die Beschuldigteneigenschaft beginnt.[7] Hält der Mandant eine entsprechende Vorladung oder ein entsprechendes Schreiben („In der Sache gegen Sie wegen …“, „Zu Ihrer Vernehmung als Beschuldigter…“) in der Hand,[8] ist seine Funktion eindeutig. Denn dann wird das Strafverfahren erkennbar gegen ihn betrieben.[9] Gleiches gilt, wenn der Mandant von Maßnahmen wie Blutprobe, Sicherstellung des Führerscheins u.Ä. berichtet. Bestehen Zweifel und ist die sachbearbeitende Dienststelle bekannt, empfiehlt sich für den Verteidiger, den jeweiligen Polizeibeamten oder Staatsanwalt anzurufen. In diesem Telefonat muss der Verteidiger sehr vorsichtig fragen, um nicht „schlafende Hunde zu wecken“. Ist ein solches Gespräch nicht möglich, wird der Verteidiger sich schriftlich an die Ermittlungsorgane wenden. In dem Schreiben darf er sich jedoch keineswegs als Verteidiger ausgeben; auch darf die Vollmacht nicht missverständlich bzw. offenbarend formuliert sein (z.B. „Strafprozessvollmacht wegen Betrugs“). Ggf. bietet es sich sogar an, eine zivilrechtliche Vollmacht vom Mandanten ausfüllen zu lassen, die darauf schließen lässt, dass der Mandant lediglich allgemein vom Anwalt bzw. der Kanzlei beraten wird. Idealerweise wird eine Vollmacht zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vorgelegt werden, sondern der Strafverteidiger wird versuchen, die Situation ohne das entsprechende Vollmachtsformular aufzuklären. Geht er nicht so behutsam mit dieser Situation um, sondern offenbart sogar bislang unbekannte Fakten und Umstände, verletzt er nicht nur die Fürsorgepflicht für seinen bisher als Beschuldigten nicht erkannten Mandanten, sondern auch seine Verschwiegenheitsverpflichtung.[10] Ein korrektes Schreiben könnte wie folgt aussehen:

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Muster 4

Dr. Karl Robertus

– Rechtsanwalt –

67655 Kaiserslautern, den 4.7.2010

Pfalzstraße 14

Polizeipräsidium

– Kriminalpolizei, Kl 15 –

Am Pfaffplatz

67655 Kaiserslautern

Betr.: Vorladung des Herrn Gerhard Barth (geb. am 2.10.1975) zur Vernehmung am 10.7.2010

Sehr geehrte Damen und Herren,

In vorbezeichneter Angelegenheit zeige ich an, dass ich Herrn Gerhard Barth anwaltlich berate und vertrete. Meine Bevollmächtigung versichere ich zunächst anwaltlich.

Mein Mandant hat mir Ihre Vorladung für den 10.7.2010 übergeben. Um ihn diesbezüglich sachgerecht beraten zu können, bitte ich um Mitteilung, um welchen Vernehmungsgegenstand es sich handeln soll und in welcher Funktion mein Mandant befragt werden soll.

Eine entsprechende Vollmacht werde ich sodann vorlegen.

Mit freundlichen Grüßen

Rechtsanwalt

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Mit der Klärung der prozessualen Stellung des Mandanten ist seine zeitliche Situation festzustellen. Hat er eine Vorladung zu einem bestimmten Termin erhalten? Ist ihm von der Staatsanwaltschaft eine Frist zur Abgabe einer schriftlichen Erklärung oder zu der Anzeige eines gewählten Verteidigers gesetzt? Ist für eine evtl. Gegenanzeige eine Strafantragsfrist zu beachten? Steht bei einem inhaftierten Mandanten der Ablauf der 6-Monats-Frist des § 121 StPO bzw. der 3-Monats-Frist des § 122 Abs. 4 StPO bevor?

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Der Verteidiger muss ferner das Ziel des Mandanten eruieren, das dieser mit der Beauftragung verfolgt. Das klingt einfacher als es ist. Anders als im Zwischen- und Hauptverfahren, in denen durch Anklageschrift und Eröffnungsbeschluss Konturen gezeichnet sind, weiß der Mandant im Ermittlungsverfahren (gerade zu dessen Beginn) oft gar nicht, was auf ihn zukommen kann. Der Verteidiger muss jedoch wissen, was der Mandant will. Denn sonst kann er nicht überprüfen, ob die Erreichung dieses Zieles prozessual und berufsrechtlich möglich ist. Den Mandanten darüber im Unklaren zu lassen, ist bedenklich. Natürlich sind, noch dazu in diesem frühen Stadium des (Ermittlungs-)Verfahrens, keine verbindlichen Aussagen möglich. Grundlinien und Grenzen kann der Verteidiger jedoch aufzeigen. Dabei darf er nicht vergessen, dass der Mandant zu ihm gekommen ist, weil er von ihm Hilfe und Beistand erwartet. Der Verteidiger soll deshalb nicht in den düstersten Farben die Prozessaussichten schildern, sondern dem Mandanten auch Hoffnung machen. Eine vernünftige Mischung von gesundem Realismus und psychologischem Zuspruch ist angebracht. Im Strafrecht ist jedoch kein Platz für unklare verklausulierte Erklärungen; Offenheit werden die Mandanten dem Verteidiger in jedem Verfahrensstadium danken.

Das führt dazu, den Mandanten in der jeweilig gebotenen Form und Länge über den Verlauf eines Strafverfahrens sowie die Rechte und Pflichten eines Verteidigers aufzuklären.

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Die (allgemeine) Belehrung über Wesen und Verlauf eines Strafverfahrens darf kein wissenschaftliches Kolleg werden. Den Mandanten interessieren keine Paragraphen und Lehrmeinungen. Er hat ein bestimmtes Ziel. Das zu erreichen, soll ihm der Verteidiger helfen. Der Weg zu dem Ziel ist ihm zumeist gleichgültig: „Sie sind der Fachmann, Herr Rechtsanwalt.“ Der Mandant muss jedoch wissen, dass es Wege gibt, die zu gehen verboten sind. Andererseits ist er auf seine Rechte als Beschuldigter hinzuweisen. Ebenso ist ihm die Stellung des Verteidigers innerhalb des Strafverfahrens zu erklären. Ihm ist auch klar zu machen, dass an entscheidenden Stellen seine eigene richtungsweisende Entscheidung maßgeblich sein wird.

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Letzteres geht Hand in Hand mit der Verdeutlichung der strafrechtlichen und berufsrechtlichen Grenzen der Tätigkeit eines Verteidigers. Hier herrscht oft blanke Unkenntnis. Das viel zitierte Beispiel des Mandanten, der dem Verteidiger eine Anklageschrift überbringt mit dem Bemerken: „Was da steht, das stimmt. Das sage ich aber nur Ihnen. Das Lügen besorgen Sie.“[11] – ist natürlich ein Extremfall. Aber Fragen, „was man denn sagen solle“, „wie viel man für einen Nachtrunk verkonsumiert haben müsse“, „man habe da einen Freund, der würde sich als Alibizeuge zur Verfügung stellen und halte auch dicht“, all das sind Alltagsprobleme eines Verteidigers. Der Verteidiger sollte solchen Ansinnen jedoch nicht zu schroff begegnen und den (potenziellen) Mandanten etwa gleich hinauswerfen. Denn der Mandant hat in den meisten Fällen eben nur eine falsche Vorstellung von der Stellung eines Verteidigers. Worin er leider auch durch Publikationen bestärkt wird.[12] Der Verteidiger muss dem Mandanten ruhig und sachlich erklären, dass für den Verteidiger eine Wahrheitspflicht[13] besteht und Strafvorschriften wie Begünstigung und Strafvereitelung auch für ihn gelten. Er sollte darauf hinweisen, dass der Mandant selbst zwar für eine unwahre Aussage nicht belangt werden kann, der Verteidiger selbst aber nicht zur Lüge und/oder zu unwahren Angaben raten darf.[14] Auch ein Hinweis auf die Bundesrechtsanwaltsordnung und die Berufsordnung kann angebracht sein. Manchmal hat der Verteidiger den Mandanten auch abzuhalten, ihm bestimmte Gegenstände zur Aufbewahrung zu übergeben. Der Verteidiger sollte es grundsätzlich ablehnen, Gegenstände gleich welcher Art und Herkunft für den Beschuldigten in seiner Kanzlei oder Wohnung aufzubewahren. Unnötige Konflikte werden so vermieden.[15]

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Genauso hat der Verteidiger dem Mandanten aber die „Kehrseite der Medaille“ darzulegen; als da sind: Absolute Vertraulichkeit all dessen, was zwischen Mandant und Verteidiger geschieht; Schweigepflicht; Treuepflicht; Fürsorgepflicht. Der Mandant muss wissen, dass der Verteidiger (in den erwähnten Grenzen) bedingungslos auf seiner Seite steht und für ihn kämpfen wird. Er muss spüren, dass der Verteidiger nicht ängstlich und weich ist. Er braucht in dem Verteidiger keinen Beichtvater zu sehen[16] und auch keinen Moralapostel.[17] Und er muss vor allem den Eindruck haben, dass sein Fall für den Verteidiger der Fall ist. Der Verteidiger hat jeden Fall zu dem „Fall seines Lebens“ zu machen. Darin liegt (zu einem großen Teil) das Geheimnis für einen erfolgreichen Verteidiger. Gleichgültigkeit ist der Feind des Erfolges.

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Wie diese allgemeinen Beratungen im Einzelnen erfolgen, hängt von der Person des Mandanten ab. Damit ist nicht nur der Unterschied zwischen dem „erfahrenen Knastologen“ und dem erstmals in ein Strafverfahren Verwickelten gemeint, sondern auch und gerade die Differenzierung innerhalb der letzten Gruppe. Es gibt keine zwei Fälle, die identisch sind und es gibt keine zwei Menschen, die gleich sind. Zudem befinden sich die erstmals in einem Ermittlungsverfahren Beschuldigten in einer besonderen psychischen Situation. Diese ist geprägt von Unkenntnis und dem daraus resultierenden Gefühl der Hilflosigkeit und Angst. Der Verteidiger muss dem Mandanten daher mit Einfühlungsvermögen und psychologischem Geschick begegnen. Er muss fähig sein, mit Menschen umgehen zu können. Das kann er aus Büchern und Seminaren allein nicht lernen. Dazu braucht er Erfahrung(en). Enttäuschungen werden nicht ausbleiben. Sie werden jedoch künftig Fehler vermeiden lassen.

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Kommt es zu einer (endgültigen) Annahme des Mandats, sind dem Mandanten Vollmacht(en) und Mandatsbedingungen zur Unterschrift vorzulegen. Der Mandant sollte sich beides in Ruhe durchlesen. Oft hält er das für überflüssig: „Ihnen kann ich ja vertrauen.“ Der Verteidiger sollte trotzdem darauf bestehen und auch anbieten, die „juristischen Formulierungen“ zu erläutern. Dazu besteht umso mehr Grund, als der Mandant in diesem Zeitpunkt besonders aufgeregt ist. Gerade in Zwangssituationen muss der Verteidiger auch damit rechnen, dass ein Mandant später die Vergütungsvereinbarung anficht und behauptet, er sei nicht in der Lage gewesen, die Reichweite der Vereinbarung zu verstehen oder gar, er sei zur Unterzeichnung gezwungen gewesen.[18]

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Das erste Gespräch zwischen Verteidiger und Mandant mündet immer in die Fragen: „Was habe ich zu erwarten? Was soll ich tun?

Eine Beantwortung dieser Fragen, die Erteilung eines konkreten Rates und u. U. die Aufnahme einer nach außen wirkenden Tätigkeit des Verteidigers setzen voraus, dass der Verteidiger weiß, um was es geht. Die gebotene Prüfung der Sach- und Rechtslage ist jedoch äußerst schwierig. Denn zum einen befindet sich das Strafverfahren (als Ermittlungsverfahren) in einem ganz frühen Stadium, in dem die bekannten Tatsachen generell noch dürftig sind. Zum anderen besitzt der Mandant keine Anklageschrift bzw. keinen Eröffnungsbeschluss, woraus Konturen dessen abzulesen wären, was die Staatsanwaltschaft denkt. Und als Drittes ist der Verteidiger mangels Akteneinsicht zunächst allein auf die Informationen des Mandanten angewiesen. Sicherlich sind diese für ihn eine sehr wichtige Erkenntnisquelle. Aber eine sehr einseitige, die gelegentlich auch sehr getrübt ist, sei es absichtlich oder irrtümlich. Vorsicht ist daher geboten. Der Verteidiger, der in diesem Stadium des Verfahrens und mit diesem Wissensstand dem Mandanten einen verbindlichen Rat erteilt, handelt grob fahrlässig.

Deswegen braucht er einer Auskunft nicht auszuweichen. Er kann sie beispielsweise alternativ gestalten; er kann von seinen Erfahrungen mit ähnlichen Fällen berichten. Er sollte einer Auskunft auch nicht ausweichen. Denn damit würde er den Mandanten mutlos machen. Dieser will jedoch Hilfe, auch und gerade in diesem Verfahrensstadium.

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Ist somit der Verteidiger in aller Regel noch nicht in der Lage, sich ein umfassendes Bild von der Sach- und Rechtslage zu machen, so kann er doch einige grundlegende Ratschläge erteilen.

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Dazu gehört zunächst der Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht eines jeden Beschuldigten[19]. Es empfiehlt sich ggf., den Wortlaut des § 136 Abs. 1 S. 2 StPO dem Mandanten vorzulesen. Dies gilt auch für den Mandanten, der schon bei einer Vernehmung war und dort eine entsprechende Belehrung unterschrieben hatte; in der Aufregung hat er sie entweder nicht richtig gelesen oder nicht verstanden. Der Mandant wird allerdings sofort fragen, ob ein Schweigen nicht als Eingeständnis von Schuld angesehen wird, zumindest aber als Zeichen eines schlechten Gewissens[20]. Der Verteidiger wird darauf antworten können, dass aus dem (totalen) Schweigen eines Beschuldigten keine für ihn nachteiligen Schlüsse gezogen werden dürfen.[21] Diese Auskunft befriedigt den gegenüber den Strafverfolgungsbehörden ängstlichen und misstrauischen Beschuldigten meist nicht. Die Antwort des Verteidigers ist deshalb in mehrfacher Hinsicht zu ergänzen. Zum einen dahingehend, dass man den eigentlichen und endgültigen Rat von dem Ergebnis der Akteneinsicht und einer erneuten Besprechung mit dem Mandanten abhängig machen werde. Zum anderen mit dem Hinweis darauf, man werde die momentane Aussageverweigerung in einer alles offen lassenden Form den Ermittlungsorganen mitteilen.[22] Schließlich wird der Strafverteidiger darauf hinweisen, dass der Mandant gerade aufgrund des Rates des Strafverteidigers von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht und dies auch gegenüber den Ermittlungsbehörden deutlich gemacht wird. Durch eine klare Formulierung kann somit von vorneherein höchstvorsorglich dem Eindruck begegnet werden, der Mandant habe selbst (zunächst) den Weg des Schweigens gewählt.

Der Verteidiger braucht hier mitunter viel Überzeugungskraft. Er darf jedoch der Ungeduld des Mandanten nicht nachgeben. Denn eine Einlassung des Mandanten „ins Blaue hinein“ kann verhängnisvoll sein und ist fast immer irreparabel. Daher gilt: Ist der Verteidiger allein auf die Informationen des Mandanten angewiesen, so muss er ihm in der Regel den Rat geben, zunächst keine Aussagen zu machen. Der bekannte Satz: „Wer früh spricht, sitzt länger“ gilt durchaus auch heute noch.

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Von dieser Regel gibt es Ausnahmen. Dazu gehört der Fall des Mandanten, der bereits Angaben gemacht hat, dabei jedoch in seiner laienhaften Wertung entlastende Umstände verschwiegen hat. Der Verteidiger, der dies erkennt, wird je nach Sachlage sofort handeln und die Lücken ergänzen (lassen). Ferner rechnen hierzu bestimmte Haftsachen, in denen der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr im Raume steht. In den letzten Jahren ist leider die Praxis der Ermittlungsbehörden zu erkennen, dass nicht in erster Linie die Haftgründe des § 112 Abs. 2 StPO für eine Festnahme und die Beantragung eines Haftbefehls im Vordergrund stehen, sondern vielmehr der mit der Untersuchungshaft verbundene Glaube, schneller zu einer Aussage des Beschuldigten und damit schneller zu einem Aufklärungserfolg zu gelangen. Der ebenfalls allgemeine und bekannte Satz „U-Haft schafft Rechtskraft“ gilt mehr denn je. Gerade in solchen Situationen ist es die vornehmliche Pflicht des Strafverteidigers, den Mandanten über den mitunter lediglich kurzfristigen Erfolg der Haftverschonung durch eine zügige Aussage ebenso zu erläutern wie die langfristigen Ziele, die in einem Strafverfahren eine Rolle spielen können.[23]

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Hierzu zählen auch die Fälle einer Selbstanzeige. Denn wenn der Verteidiger hier wartet, kann es oft zu spät sein (ist die Tat beispielsweise im Steuerstrafrecht entdeckt ist die Straffreiheit ausgeschlossen; vgl. § 371 AO).

Der Verteidiger befindet sich in solchen Fällen in einer sehr prekären Situation, kann er doch allein aufgrund der Informationen des Mandanten kaum zuverlässig abschätzen, wie groß die Gefahren einer Entdeckung der Straftat und die Chancen einer Straffreiheit des Mandanten sind. Es bleibt oft gar nichts anderes übrig, als mit dem zuständigen Staatsanwalt zu sprechen, wenn dieser bekannt ist. Ist überhaupt noch kein Staatsanwalt mit dem Fall befasst und deswegen der Staatsanwalt unbekannt, ist es die Aufgabe des Verteidigers, zu eruieren, welche Abteilung bei der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft für das selbst anzuzeigende Delikt zuständig sein wird. Hiernach kann mit dem für die Abteilung jeweils zuständigen Oberstaatsanwalt auch direkt der Kontakt aufzunehmen sein. Ob eine solche Kontaktaufnahme persönlich oder telefonisch erfolgt, ist sicherlich eine Frage des Einzelfalls. Leitet der angesprochene Oberstaatsanwalt den Verteidiger nicht direkt an einen zuständigen Dezernenten und sachbearbeitenden Staatsanwalt weiter (weil er z.B. erst einmal Näheres über den Fall wissen muss), wird der Fall abstrakt mit dem Oberstaatsanwalt – soweit möglich – zu besprechen sein. Natürlich ohne Angabe von Namen und mit dem Ziel, eine Einschätzung des Gesprächspartners auf staatsanwaltschaftlicher Seite zu erfahren. Hiernach kann ein weiteres Gespräch möglicherweise zielführender mit dem Mandanten geführt werden. Entschließt sich der Verteidiger zu dem Rat, von einer Selbstanzeige abzusehen, so ist dies weder strafrechtlich noch berufsrechtlich zu beanstanden.[24]

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Eile ist allerdings geboten, wenn der Mandant ein Geständnis bzw. eine Selbstanzeige ablegen will. Es kann nämlich sein, dass sein Geständnis „zu spät“ kommt, die Tat bereits aufgeklärt ist. Dann erhält er für das Geständnis nichts mehr, weil er es aus Sicht der Behörden stets unter dem Druck der Beweismittel und mit dem Rücken an der Wand abgelegt haben wird. Ein frühes Geständnis kann andererseits möglicherweise den Weg zu einer Verfahrensbehandlung nach §§ 153, 153a StPO eröffnen; lässt eine Erledigung im Strafbefehlsverfahren zu; stellt ganz allgemein einen wichtigen Strafzumessungsgrund dar; führt in besonderen Fällen sogar zu einem Absehen von Strafe.[25] Dies auch, wenn das Geständnis nicht aus Reue und Einsicht, sondern aus taktischen Gründen abgelegt wird.[26] Mitunter lässt sich durch einen Schritt nach vorne für den Mandanten auch ein besseres Gesprächsklima mit den Ermittlungsbehörden erreichen, welches dann wiederum in Einzelfällen dazu genutzt werden kann, von einem Haftbefehlsantrag durch die Staatsanwaltschaft verschont zu bleiben.

Allerdings gibt es auch falsche Geständnisse. Vielmehr als man gemeinhin glaubt und aus den unterschiedlichsten Gründen.[27]

Das muss der Verteidiger wissen und bei seinem Mandanten überprüfen. Er braucht ihm auch nicht zu einem Geständnis zu raten.[28] Wenn der Verteidiger begründete Möglichkeiten dafür sieht, dem Mandanten könne auf prozessordnungsgemäßem Weg die Straftat nicht nachgewiesen werden, dann wird er im Allgemeinen auch nicht zu einem Geständnis raten bzw. ihm von einem solchen abraten.[29] Schließlich kommt der Beschuldigte zu dem Verteidiger, weil er sich dessen Sachverstand und Erfahrung zunutze machen will; nicht, um sich bei dem Verteidiger zu entsühnen. Etwas anderes ist es hingegen, wenn der Mandant nach Erörterung von Vor- und Nachteilen, Chancen und Risiken zum Eingeständnis seiner Schuld entschlossen ist. Dem sollte der Verteidiger sich nicht entgegenstellen. Ist der Verteidiger der Ansicht, dass dies allerdings nicht seiner Verteidigungsstrategie entspricht, bleibt es ihm unbenommen, das Mandat niederzulegen. Ob der Verteidiger den Mandanten dazu veranlassen darf, ein abgelegtes Geständnis zu widerrufen, ist umstritten.[30]

Besteht zwischen dem Verteidiger und dem Mandanten Einigkeit über die Ablegung eines Geständnisses, ist der richtige Weg zu besprechen. Dabei sollte nicht „Versteck gespielt“ werden, indem die vorangegangene Beratung des Verteidigers verschwiegen wird.[31] Warum soll der Beschuldigte nicht erklären dürfen, nach Überlegung und Rücksprache mit seinem Anwalt habe er sich entschlossen, reinen Tisch zu machen? Wie peinlich (und u. U. nachteilig), wenn die verschwiegene Beratung später offenbar wird! Der schnellste Weg ist die Abfassung eines Schriftsatzes, in dem das Geständnis enthalten ist; sei es in direkter oder indirekter Rede. Freilich verliert das Geständnis etwas an Ursprünglichkeit und Direktheit, da der Verteidiger mit formuliert hat. Wird ein Sachverhalt aber schnörkellos, einfach und klar abgefasst schadet auch die Feder des Anwalts nichts. Sicherer und authentischer ist hingegen stets ein persönliches Geständnis. Hierfür ist eine Vernehmung des Beschuldigten durch den sachbearbeitenden Polizeibeamten oder (was vorzuziehen ist) durch den zuständigen Staatsanwalt zu erreichen. Wenn man ein Geständnis ankündigt, bekommt man zumeist auch einen umgehenden Termin.

Der Verteidiger sollte bei der Vernehmung anwesend sein. Er braucht keine Bedenken zu haben, dass seine vorangegangene Beratung und nunmehrige Anwesenheit den Wert des Geständnisses mindern. Entscheidend ist: Das Geständnis ist sofort und vor Akteneinsicht abgegeben worden.

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Der Mandant bringt bei der ersten Besprechung oft eine Ladung zur Vernehmung mit. Er will wissen, ob er der Ladung nachkommen muss. Ist er zur Polizei vorgeladen, muss er es in einem Verfahren nach der StPO nicht. Eine zwangsweise Vorführung wäre unzulässig.[32] In der Bevölkerung ist das weithin unbekannt. Anders verhält es sich mit Ladungen des Staatsanwalts (§ 163a Abs. 3 StPO) und des Ermittlungsrichters (§ 133 StPO). Ihnen muss der Beschuldigte nachkommen, andernfalls droht die Vorführung.

Soll und wird der Mandant in dem anberaumten Vernehmungstermin die Einlassung zur Sache verweigern, ist zu differenzieren. Handelt es sich um eine Vorladung der Polizei, wird der Mandant nicht hingehen (keinesfalls darf der Verteidiger den Mandanten auch nur zu dem Zweck allein zur Polizei gehen lassen, um die Aussageverweigerung protokollieren zu lassen: Zu groß ist die Gefahr von „informellen“ Gesprächen und deren Fixierung in Aktennotizen). Handelt es sich um eine Vorladung der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts, ist es ggf. zweckmäßig, den Termin aufheben zu lassen. Staatsanwaltschaft und Gericht kommen einem solchen Verlangen zumeist auch nach. Selbstverständlich darf der Verteidiger dem Mandanten erst dann den Rat geben, den Termin nicht wahrzunehmen, wenn er sich von dessen Aufhebung überzeugt hat.[33]

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Zu den grundlegenden Ratschlägen des Verteidigers in der ersten Besprechung gehört auch der Hinweis an den Mandanten, in seinen Kontakten zu Mitbeschuldigten, Zeugen und Verletzten sehr vorsichtig zu sein. Dem Mandanten ist klarzumachen, wie wichtig deren Bekundungen und sonstiges prozessuales Verhalten sein werden und wie leicht dies durch das Verhalten des Mandanten zu seinem Nachteil verändert werden kann. Auch ein Hinweis auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr kann in geeigneten Fällen geboten sein. Will der Mandant sich jedoch um die Angehörigen eines Getöteten kümmern oder will er den Verletzten aufsuchen und sich entschuldigen, sollte ihn der Verteidiger davon nicht abhalten; sowohl aus menschlichen als auch aus verfahrenstaktischen Gründen. Mit Blick auf § 46a StGB (Täter-Opfer-Ausgleich) und zur Vermeidung weiterer zivilgerichtlicher Verfahren gegen den Mandanten kann es mitunter sogar geboten sein, schon im Ermittlungsverfahren Kontakt mit dem Geschädigten aufzunehmen, um eine zivilrechtliche Befriedigung und Streitbeilegung herbeizuführen. Wobei allerdings zwei Dinge zu bedenken sind. Zum einen wird ein solches Verhalten als Eingeständnis der Schuld angesehen. Zum anderen kann es bei den durch eine Straftat schwer Getroffenen zu unliebsamen Reaktionen führen. Dies sollte der Mandant daher nicht alleine bewältigen, sondern stets angeleitet vom Strafverteidiger. Denn nur er wird ein neutrales und klares – auch nutzbringendes – Schreiben an einen Geschädigten bzw. dessen Anwalt verfassen können unter Vorlage eines denkbaren Vergleichsvorschlages. Jeder andere Weg droht dem Mandanten im Übrigen auf die Füße zu fallen, wenn er sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, etwaige Zeugen auf diese Weise beeinflussen zu wollen. In den meisten Fällen befürworten Staatsanwaltschaften ein solches Vorgehen bereits im Ermittlungsverfahren und bedenken einen zivilrechtlichen Ausgleich, der vom Mandanten über seinen Strafverteidiger betrieben wird, im Rahmen der Abschlussverfügung. Es hat nicht selten auch Fälle gegeben, in denen das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung schlicht deswegen entfallen ist, weil der Mandant im Ermittlungsverfahren einen zivilrechtlichen Ausgleich mit dem Gegner herbeigeführt hat, mit der Folge, dass das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren etwa nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden ist. Der angestrebte zivilrechtliche Ausgleich hat vor diesem Hintergrund im Lichte des § 46a StGB auch nichts mit einer Zeugenbeeinflussung zu tun. Auch ist er nicht ohne Weiteres mit dem Fall aus dem Jahr 2000 zu vergleichen, welchen der Bundesgerichtshof zu entscheiden hatte, nachdem dem Opfer einer Straftat ein Schmerzensgeld im Gegenzug zu einer günstigen Aussage für den Beschuldigten angeboten worden war; selbstverständlich wäre eine solche Verknüpfung zwischen Schmerzensgeldzahlung und Verhalten des Opfers unzulässig.[34] Auch diese vorgenannte Entscheidung des Bundesgerichtshof sollte bei jedem Strafverteidiger zum Standardwissen zählen.

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Den Mandanten drängt es oft, eine Gegenanzeige zu erstatten. Sei es wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung, sei es wegen eines ganz anderen Vorganges auf Seiten des Anzeigers. Ein Abraten durch den Verteidiger wird leicht als Schwäche angesehen. Das Gegenteil ist meistens richtig. Denn die Gegenanzeige provoziert meist nur weitere Anzeigen; sie steht zudem oftmals auf den schwachen Füßen der alleinigen Argumentation durch den Beschuldigten. Außerdem stößt sie bei den wenigsten Staatsanwälten auf eine erhöhte Sympathie, da eine Gegenanzeige nicht alleine dazu führt, dass die eigentlichen Beschuldigungen aus der Welt geräumt sind. Im Gegenteil verursacht die Gegenanzeige für den Mandanten oftmals zu einem falschen Zeitpunkt mehr Kosten und Aufwand, da Ermittlungsverfahren ausgedehnt und ausgebreitet werden. Der Verteidiger sollte sich auch deswegen zunächst die Angaben des Mandanten notieren und ihm versprechen, nach Akteneinsicht darauf zurückzukommen. Kritisch sind lediglich die Fälle, in denen der Ablauf der Strafantragsfrist unmittelbar bevorsteht. Hier bleibt dem Verteidiger gar nichts anderes übrig, als sofort Strafantrag zu stellen. Er wird jedoch dabei in geeigneter Form darauf hinweisen, dass der Strafantrag zunächst zur Fristwahrung gestellt und Näheres dazu nach Akteneinsicht ausgeführt werde.[35]

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Die grundlegende, allgemeine und erste Beratung sollte der Verteidiger mit dem Hinweis abschließen, dass der Mandant auch das Recht habe, sich über den Verteidiger schriftlich zu äußern (§§ 136 Abs. 1 S. 4, 163a Abs. 3 S. 2, 163a Abs. 4 S. 2 StPO). Ob dies opportun sei und was überhaupt opportun sei, werde er mit dem Mandanten nach Akteneinsicht besprechen.

Verteidigung im Ermittlungsverfahren

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