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1. Einteilung der Pflichten
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Vor den Sekundärpflichten sind in der Fallbearbeitung Primärpflichten zu prüfen, weil sie verschuldensunabhängig bestehen[86]. Diese dürfen nicht ohne weiteres mit den Hauptpflichten gleichgesetzt werden, weil auch Nebenpflichten im Einzelfall durchaus Primärpflichten sein können. Hauptleistungspflicht ist auch die Pflicht zur mangelfreien Leistung (vgl. §§ 433 I 2, 633 I)[87]. Zuweilen besteht die entscheidende[88] Pflichtverletzung bei der Erbringung einer mangelhaften Leistung allerdings nicht in der Lieferung der mangelhaften Sache, sondern im vom Schuldner zu vertretenden (§ 280 I 2) Unterlassen der Nacherfüllung[89]. Dass dies allerdings nicht zwangsläufig so sein muss[90], zeigt der schon angesprochene Pferdefutterfall[91], bei welchem die Nacherfüllung ersichtlich nicht weiterführen würde. Bloßer Bestandteil der Hauptleistungspflicht ist dagegen die Pflicht nach § 243 I, eine Sache mittlerer Art und Güte auszuwählen (sog. Auswahlpflicht)[92], wenn eine nur der Gattung nach bestimmte Sache geschuldet wird. Folgerichtig kann auch die Verletzung dieser Pflicht einen Schadensersatzanspruch aus §§ 437 Nr. 3, 281 I 1, 283 S. 1 begründen[93].
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Von den Hauptleistungspflichten können bloße Nebenleistungspflichten unterschieden werden[94]. Die Abgrenzung gestaltet sich zuweilen schwierig. Das zeigt sich deutlich bei der Pflicht zur Aushändigung einer Bedienungsanleitung beim Verkauf eines komplizierten technischen Gegenstandes[95]. Diese Pflicht ist eine vertragliche Leistungspflicht[96], da sie der Erfüllung des spezifisch vertraglichen Leistungsinteresses des Gläubigers (Leistungsinteresse) zu dienen bestimmt ist[97]. Während sie im Regelfall als Nebenleistungspflicht eingeordnet werden kann, dürfte umso eher eine Hauptleistungspflicht angenommen werden, je komplizierter das zu bedienende Gerät ist[98]. Auch die Abnahmepflicht des Käufers aus § 433 II ist grundsätzlich eine Nebenleistungspflicht, die aber etwa bei Räumungsverkäufen zur Hauptleistungspflicht werden kann[99]. Das Gesetz behandelt die Verletzung vertraglicher Haupt- und Nebenleistungspflichten oftmals gleich. So richtet sich der Schadensersatz statt der Leistung – anders als bei der Verletzung bloßer Schutzpflichten – nach der Vorschrift des § 281 I 1. Praktisch relevant wird das etwa bei der Pflicht des Mieters zur Vornahme von Schönheitsreparaturen[100]. Für den Anspruch aus §§ 280 I 1, III, 281 I 1 kommt es nicht mehr darauf an, ob die Verpflichtung zur Vornahme solcher Schönheitsreparaturen als synallagmatische Hauptleistungspflicht eingeordnet wird. Auch beim Rücktrittsrecht (etwa nach § 323 I 1) unterscheidet das Gesetz nicht zwischen Haupt- und Nebenleistungspflichten[101]; vielfach ist der Rücktritt aber bei unwesentlichen Pflichtverletzungen ausgeschlossen (vgl. § 323 V 2).
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Bedeutsamer als die Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenleistungspflichten ist die Abgrenzung zwischen Nebenleistungspflichten und nicht leistungsbezogenen Nebenpflichten (Schutzpflichten)[102]. Die Schutzpflichten sind in § 241 II dogmatisch verankert und verpflichten jede Partei des Schuldverhältnisses zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Anders als Leistungspflichten sind sie stets handlungs- und nie erfolgsbezogen[103]. Beim Kaufvertrag ist etwa die Pflicht, die vorhandenen Verkaufsräume gefahrenfrei zu halten, als Schutzpflicht einzuordnen; Gleiches gilt für die Pflicht zur Warnung, Beratung oder Aufklärung, wenn mit der Kaufsache auch bei ordnungsgemäßer Bedienung besondere Risiken verbunden sein können[104]. Bedeutsam ist die Unterscheidung zwischen Nebenleistungspflichten und nicht leistungsbezogenen Nebenpflichten vor allem für den Rücktritt und den Schadensersatz statt der Leistung. Sie sind bei Verletzung einer nicht leistungsbezogenen Nebenpflicht nur unter der Voraussetzung der Unzumutbarkeit[105] der weiteren Leistungserbringung möglich, erfordern allerdings keine Nachfristsetzung, vgl. §§ 282, 324[106]. Nicht leistungsbezogene Nebenpflichten zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Verletzung die Hauptleistung, also das Leistungsinteresse, nicht beeinträchtigt; vielmehr schützen sie das Integritätsinteresse des anderen Teils[107].
Den Schadensersatz wegen solcher Nebenpflichtverletzungen zeigt unser Fall 4: Bei der Ausführung von Elektroarbeiten beschädigt der Elektriker E aus Unachtsamkeit Einrichtungsgegenstände im Hause des B. Als B den E nach der Beschädigung zur Rede stellt, wird er von diesem auf das Übelste beleidigt. Daraufhin wird es dem B zu viel. Er verweist den E des Hauses und lässt die noch unerledigten Arbeiten durch X erledigen, der dafür 300 € mehr verlangt. Welche Ansprüche hat B gegen E?
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1. Wegen der Mehrkosten für den anderen Elektriker könnte B gegen E einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 I 1, III, 282 haben. Voraussetzung dafür ist zunächst die Verletzung einer nicht leistungsbezogenen Nebenpflicht aus dem Schuldverhältnis.
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a) Eine derartige Nebenpflichtverletzung im Sinne des § 241 II liegt in mehrfacher Hinsicht vor. Zunächst besteht sie darin, dass E Einrichtungsgegenstände des B, also dessen sonstige Rechte, beschädigt hat. Zudem liegt in der massiven Beleidigung eine Beeinträchtigung des Rechtsguts der Ehre. Diese Pflichtverletzungen muss E zu vertreten haben. Hinsichtlich der Beleidigungen handelte E vorsätzlich, vgl. § 276 I 1. Die Beschädigung der Einrichtungsgegenstände geschah dagegen aus Unachtsamkeit. Mangels Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 II) liegt somit Fahrlässigkeit vor. Damit sind die Voraussetzungen des § 280 I 1 gegeben, auf die § 282 Bezug nimmt.
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b) Schadensersatz statt der Leistung kann freilich nach § 280 III nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 282 verlangt werden. Neben der Verletzung einer nicht leistungsbezogenen Nebenpflicht gemäß § 241 II ist danach erforderlich, dass dem Gläubiger die Leistung durch den Schuldner nicht mehr zuzumuten ist (Unzumutbarkeit). Für die Beantwortung dieser Wertungsfrage sind die Interessen des Gläubigers und des Schuldners unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und der Grundsätze von Treu und Glauben abzuwägen[108]. Die Unzumutbarkeit muss dabei auf der Verletzung der Nebenpflicht beruhen. Die Beschädigung der Einrichtungsgegenstände als bloße Verletzung eines sonstigen Rechtsguts genügt in der Regel noch nicht für die Annahme der Unzumutbarkeit, weil der Gläubiger den dadurch entstehenden Schaden gemäß § 280 I 1 vom Schuldner ersetzt verlangen kann[109]. Vielmehr muss die Pflichtverletzung den Verdacht begründen, sich auch künftig zu wiederholen, so dass das Vertrauen auf die korrekte Pflichterfüllung zerstört ist. Ob für die Annahme der Unzumutbarkeit eine vom Schuldner missachtete Abmahnung erforderlich ist[110], kann hier dahinstehen, weil jedenfalls eine schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung bereits beim ersten Vorkommen das Vertrauensverhältnis zerstört, mithin Unzumutbarkeit begründet[111]. E hat B auf das Übelste beleidigt. Aufgrund dieser schwerwiegenden Ehrverletzung ist dem B ein Festhalten an der Vertragserfüllung unzumutbar. B kann daher Schadensersatz statt der Leistung verlangen. Dieser umfasst auch und gerade die Mehrkosten eines Deckungsgeschäfts[112], hier also die der anderweitigen Auftragsvergabe an X mitsamt der entstehenden Mehrkosten in Höhe von 300 €.
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Ein Anspruch aus § 823 I kommt wegen der Mehrkosten nicht in Betracht, weil es sich insoweit nur um einen primären Vermögensschaden handelt[113]. Hier zeigt sich im Übrigen eine Besonderheit des § 241 II, denn die Erwähnung der „Rechtsgüter und Interessen“ soll gerade zum Ausdruck bringen, dass die Schutzpflichten auch zum Schutz des Vermögens bestehen können und nicht nur die absoluten Rechte i. S. d. § 823 I schützen.
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2. Bezüglich der zerstörten Einrichtungsgegenstände hat B gegen E einen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 280 I 1, 241 II, da E seine Nebenpflicht aus dem Werkvertrag fahrlässig verletzt hat. Des Weiteren hat B gegen E einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I wegen der fahrlässig zerstörten Einrichtungsgegenstände, da E das Eigentum des B rechtswidrig und schuldhaft verletzt hat.
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3. Wegen der Ehrverletzung steht dem B dagegen kein Schadensersatzanspruch zu. Die Ansprüche aus § 280 I 1 sowie aus § 823 I und § 823 II i. V. m. § 185 StGB[114] scheitern zumindest am ersatzfähigen Schaden. Ein Vermögensschaden ist nicht entstanden und die Vorschrift des § 253 II beschränkt die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden (abweichend vom Katalog des § 823 I!) auf die Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der sexuellen Selbstbestimmung; die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird damit ausdrücklich nicht erfasst[115]. Zwar ist anerkannt, dass bei besonders schweren Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch immaterielle Schäden direkt nach § 823 I ersetzt werden können[116], allerdings dürfte es hier an einer solchen besonders schweren Beeinträchtigung der Ehre des B fehlen.