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b) Vertragsanbahnung mit Einwirkungsmöglichkeit
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Ebenso verhält es sich bei § 311 II Nr. 2. Die genaue Unterscheidung und Zuordnung zwischen Nr. 1 und Nr. 2 ist allerdings nicht immer trennscharf möglich. Entscheidend ist bei der Nr. 2, dass der schlichte soziale Kontakt nicht ausreicht („eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung“). Der rechtsgeschäftliche Kontakt muss also von beiden Seiten auf einen Vertragsschluss gerichtet sein. Die Vorschrift normiert eine Einwirkungs- und Anvertrauenshaftung bereits für das Stadium der Vertragsanbahnung.
Wie weit dies gehen kann, zeigt unser Fall 8: A soll im Warenhaus des W eine Anstellung erhalten. Noch bevor der Anstellungsvertrag unterschrieben ist, wird A von W bevollmächtigt, Verhandlungen mit Kunden zu führen, ohne jedoch Verträge mit ihnen abschließen zu dürfen. Dessen ungeachtet verkauft A dem Kunden K in einem der Büroräume des Warenhauses einen nach dem Willen des W unverkäuflichen Gegenstand und begeht zudem die Unvorsichtigkeit, dem K mitzuteilen, wo er, wie er von W bei Gelegenheit der Verhandlungen über sein Arbeitsverhältnis erfahren hat, Gegenstände gleicher Art zum Einkaufspreis bekommen kann. Den Kaufpreis für den Gegenstand legt A nicht in die Ladenkasse, sondern in eine Kasse im Büro. Währenddessen ist F, die Ehefrau des K, die an sich vor dem Warenhaus warten wollte, sich dann jedoch wegen eines Platzregens im Warenhaus untergestellt hat, auf einer Bananenschale ausgerutscht, die A achtlos weggeworfen hatte. Was können K und F von W verlangen? W verlangt von A Schadensersatz in Höhe von 3000 €, die ihm – was zutrifft – entgangen sind, weil A dem K die anderweitige Einkaufsmöglichkeit verraten hat.
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I. K könnte gegen W einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des von A verkauften Gegenstandes aus § 433 I haben. Da W nicht selbst gehandelt hat, wirkt die Erklärung des A nur unter den Voraussetzungen des § 164 I 1 für und gegen ihn. A hat eine eigene Willenserklärung abgegeben. Es handelt sich um ein sog. unternehmensbezogenes Geschäft, so dass auch dem Offenkundigkeitsprinzip (vgl. § 164 I 2) entsprochen ist. Fraglich ist jedoch, ob auch die erforderliche Vertretungsmacht bestand, da A nur Verhandlungsmacht, nicht aber Vertretungsmacht hatte. Auch unter dem Gesichtspunkt der Anscheinsvollmacht lässt sich keine Vertretungsmacht begründen, weil A zum ersten Mal für W auftrat und es deshalb an einem entsprechenden Vertrauenstatbestand fehlt[36]. In Betracht kommt freilich eine Ladenvollmacht nach § 56 HGB[37], für deren Bestand entgegen dem Wortlaut der Vorschrift die arbeitsrechtliche Anstellung nicht erforderlich ist[38], so dass der Anwendung nicht entgegensteht, dass A vor dem Abschluss des Anstellungsvertrags tätig wurde. Jedoch wurde der Kauf in den Büroräumen und nicht im Laden abgeschlossen, so dass die Voraussetzungen des § 56 HGB als Fall der Rechtsscheinvollmacht nicht vorliegen[39], zumal das Geld auch nicht in die Ladenkasse, sondern in die Kasse im Büro gelegt wurde[40]. Ein Anspruch aus § 433 I besteht somit nicht.
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Fraglich ist, ob sich ein Anspruch auf Übereignung des Gegenstandes aus §§ 311 II Nr. 2, 280 I 1, 241 II ergeben kann. Ein Anspruch nach den Regeln der culpa in contrahendo auf Erfüllung scheidet jedoch aus[41], weil andernfalls der Schutzzweck der Vorschriften über die Beschränkung der Vertretungsmacht unterlaufen würde[42]. Allenfalls wird das negative Interesse und gerade nicht das Erfüllungsinteresse ersetzt, wenn etwa, wie hier, der unbefugte Vertragsabschluss durch einen verhandlungsbefugten, wenngleich nicht vertretungsberechtigten Mitarbeiter erfolgt, dessen Verhalten dem Vertretenen nach § 278 S. 1 zugerechnet werden kann, sofern dieser immerhin die Befugnis hatte, den rechtsgeschäftlichen Kontakt mit dem Dritten herzustellen[43]. Folglich scheidet ein Erfüllungsanspruch aus; allenfalls könnten – hier nicht ersichtliche – Schäden, die im Vertrauen auf die Wirksamkeit entstanden sind, ersetzt werden. Ein denkbarer Anspruch aus § 831 I 1 umfasst unabhängig von einer möglichen Exkulpation nach § 831 I 2 jedenfalls nur das Integritätsinteresse.
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II. Zu prüfen ist weiterhin, ob F Ansprüche gegen W hat.
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1. In Betracht kommt zunächst ein Anspruch aus §§ 311 II, 280 I 1, 241 II. Das dafür erforderliche Schuldverhältnis ist eventuell durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen bzw. die Vertragsanbahnung entstanden, § 311 II. Das Fehlverhalten des A könnte dem W dann möglicherweise nach § 278 S. 1 zugerechnet werden, weil und sofern er ihn in die Einhaltung der Schutzpflichten gegenüber seinen Kunden mit einbezogen hat. Problematisch ist dabei, ob ihr verhängnisvolles Betreten des Warenhauses „im Hinblick auf eine rechtsgeschäftliche Beziehung“ erfolgte, § 311 II Nr. 2. Das ist zweifelhaft, weil nicht sie, sondern ihr Mann eine solche eingehen wollte. Gewiss lässt sich vertreten, dass auch derjenige, der sich nur unterstellt (keinesfalls aber etwa der Ladendieb, der den Inhaber nur schädigen will und daher keinen Schutz verdient!), vom Angebot des Kaufhausinhabers angelockt werden sollte. Folgt man dem, kommt es darauf an, ob sich W die Unachtsamkeit des A nach § 278 S. 1 zurechnen lassen müsste. Das wäre wohl der Fall, weil W willentlich zugelassen hat, dass A in seinem Pflichtenkreis – nämlich bezogen auf Schutzpflichten gegenüber etwaigen Kunden – tätig war. Doch sprechen die besseren Gründe und insbesondere die Wertung des Gesetzes, den bloßen sozialen Kontakt nicht ausreichen zu lassen[44], gegen eine Haftung des W. Auch unter dem Gesichtspunkt eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (vgl. § 311 III 1)[45] lässt sich kein Anspruch der F gegen W begründen, denn es war für W zumindest nicht erkennbar, dass F in den Schutzbereich eines etwaigen Vertrags mit K einbezogen sein sollte. Vielmehr war sie eher zufällig zeitgleich im Warenhaus des W[46].
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2. F könnte aber einen Anspruch aus § 831 I gegen W haben[47]. Voraussetzung dafür ist, dass A, der die Bananenschale weggeworfen hat, als sein Verrichtungsgehilfe anzusehen ist. Dann müsste er W gegenüber weisungsgebunden sein. Hier war zwar der Anstellungsvertrag noch nicht unterschrieben, doch musste A gleichwohl schon den Weisungen des W gehorchen und ist daher sein Verrichtungsgehilfe. W haftet somit der F aus § 831, da für ihn keine Exkulpationsmöglichkeit nach § 831 I 2 besteht.
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III. W könnte gegen A einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 3000 € aus §§ 311 II Nr. 2, 280 I 1, 241 II haben. Einen Anstellungsvertrag hatten W und A freilich noch nicht geschlossen, so dass sich unter dem Gesichtspunkt der Vertragsverletzung mangels Vertrags noch kein Anspruch aus § 280 I 1 herleiten lässt. In Betracht kommt eine nachteilige Einwirkung auf die Interessen des W i. S. d. § 311 II Nr. 2, weil W dem A immerhin die Möglichkeit gegeben hatte, auf seine Interessen einzuwirken, indem er ihn bereits vor dem endgültigen Vertragsschluss mit der günstigen Einkaufsmöglichkeit vertraut gemacht hat. Er hat ihm als potenziellem Vertragspartner des Dienstvertrags damit ein Betriebsgeheimnis anvertraut, das A fahrlässig (§ 276 II) an K weitergegeben hat. Damit wird die Einwirkungs- und Anvertrauenshaftung des §§ 311 II Nr. 2, 280 I 1, 241 II ausgelöst[48]. Allerdings dürfte der Anspruch des W gegen A nach § 254 I zu mindern sein, weil er dem A noch vor endgültigem Abschluss des Dienstvertrags die Möglichkeit gegeben hat, Vertragsverhandlungen zu führen.
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Beachte:
Auch wenn hier keine Anscheinsvollmacht bestand, so wirft diese doch gerade im Hinblick auf die culpa in contrahendo eine Streitfrage auf. Einige[49] lehnen die Anscheinsvollmacht nämlich – zumindest im Bürgerlichen Recht[50] – ab. Nach dieser Ansicht kommt allenfalls ein Anspruch aus c. i. c. in Betracht. Im Rahmen dessen kann freilich das – regelmäßig vorliegende – Verschulden des Vertreters nach § 278 S. 1 zugerechnet werden, weil eine Sonderverbindung besteht. Wer dieser Ansicht folgt, sollte also im Anschluss immer einen Anspruch aus §§ 311 II Nr. 2, 280 I 1, 241 II prüfen.