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Ich schaute aus dem Fenster auf Schilder und Leuchttafeln, die allerhand verhießen: Live Nude Girls, Live Exotic Strip Review, Bite The Bacon, Pearl’s Jazz Bar und was sich hier noch so bot. Gegenüber lag in einer Sackgasse versteckt der Eingang zum Specs, er war von einem einsamen Großstadtbaum verdeckt. Mir zu Füßen packte Paramount Pictures ein, wahrscheinlich warteten an der nächsten Ecke schon die Warner Brothers, dass die Kreuzung frei wurde. Jemand fotografierte die Fassade des Vesuvio. Jemand fotografierte das Straßenschild mit dem Namen von Jack Kerouac. Jemand fotografierte das Fenster, an dem ich saß.

»Razzia, du Coyote«, sagte Vickie, die sich angeschlichen hatte und erleichtert wirkte, sie schniefte gut gelaunt. »Lass uns eine Razzia veranstalten und alle Missverständnisse verhaften. Erstens: Wo ist meine Bloody Mary?«

»Unten.«

Ich hatte das Zeug wirklich am Tresen vergessen. Unten war das erste Wort, das ich seit dem Tassensterben an sie richtete, ich fand, dass es ganz gut passte. Sie war so schlau, sich den Drink selbst zu holen.

»Razzia, du Fiesling«, meinte sie, als sie zurückkam. »Ich bin auf dem besten Wege, dir diesen verdammten Schlüpfer zu verzeihen, falls du mir sagst, wo die Schlange wohnt, die ihn für dich abgestreift hat. Ich werde ihr die Augen auskratzen. Ich werde sie häuten.«

»Vergiss es«, knurrte ich gequält. Ich spürte, wie das Stückchen Seide in meiner Jacke heiß wurde, gleich konnte es in Flammen aufgehen.

Vickie schwenkte drohend ihre Bloody Mary.

»Hör doch auf«, sagte ich. »Die Eignerin habe ich hundert Jahre nicht gesehen. Ich wusste gar nicht, dass ich dieses Teil noch habe.«

Das war nun wirklich gelogen. Ich hatte kaum einen Tag verstreichen lassen, ohne mit den Fingerspitzen nach der Seide zu tasten. Wahr blieb, dass dies Vickie wirklich nicht tangierte. Ich fand, sie war im Großen und Ganzen nicht zu kurz gekommen. Dennoch beschloss ich, das Thema zu wechseln.

»Gestern hatten wir Post«, sagte ich scharf und wurde deutlicher. Auch auf die Fotos kam ich zu sprechen. Wie konnte uns ein Italiener derart auf die Schliche gekommen sein, dass es ihm fast gelungen war, uns ans Messer zu liefern? Woher hatte der unsere Adresse?

Vickies Nasenspitze war jetzt, abgesehen von den Sommersprossen, weiß wie der Nebel, der hier abends durch die Stadt zieht. Ihr bleiches Gesicht und ihr heller Schopf kontrastierten mit dem blutroten Drink, an dem sie hektisch nuckelte, als wären die Antworten per Strohhalm zu haben.

»Morbo«, murmelte sie. »Morbo, Morbo, Morbo.«

Ja, natürlich! Wieso nur war ich nicht selbst drauf gekommen?

»Razzia«, zischte ich, froh drüber, den Spieß umdrehen zu können. Es war kein Spaß mehr. Es ging auch nicht mehr nur um das Geld. Es ging uns an den Kragen. »Du hast ihm irgendwas gesteckt. Du hast dich verplaudert. Du …«

»Hör auf«, schrie sie. »Gesteckt, verplaudert … Du spinnst wohl. Es stimmt, dass ich mich in Venedig ein paarmal mit ihm getroffen habe …«

»Weiß ich«, knurrte ich.

»Quatsch nicht dazwischen! Schließlich kannte ich ihn, lange bevor du … Und ich …«, kleines Effektpäuschen, »ich bin keine Frau«, sie hob die Brauen, »ich bin keine, die so eine Beziehung einfach abstreifen kann wie einen alten Slip.«

Ich schluckte, erwiderte aber nichts.

»Jedenfalls hatte er von unseren Plänen keine Ahnung, ich habe ihm nichts erzählt. Ha, wie sollte ich denn? Ich habe nur darüber gesprochen, da-dass ich …« Wenn sie schwindelte, kündigte sie das dankenswerterweise mit einem Stottern an. »… da-dass ich a-aus Ve-venedig we-weggehen werde.«

Den Rest hatte er sich zusammengereimt, soso.

»War es seine Handschrift?«, fragte ich.

»Weiß ich doch nicht«, stieß sie hervor. »Wir haben nie schriftlich miteinander verkehrt.«

Klar, dieser Morbo wusste, dass sie von hier stammte. Das erklärte aber immer noch nicht, wie er uns aufgestöbert hatte.

Wir waren allein auf der Galerie. Die Gäste unten waren mit ihrem Pegel beschäftigt. Der Barkeeper polierte die Zapfhähne. Vickie zuckte schniefend die Achseln. Sie riss die Augen weit auf. In Friedenszeiten umschloss ein grauer Ring die Pupille, gesprenkelt mit ein paar gelben Sternen. Jetzt war die Iris nur noch gelb. Vickie tat mir leid. Wir hatten harte Zeiten hinter uns, und die wahren Härten schienen uns erst noch bevorzustehen. »Lass gut sein«, brummte ich, steckte meine Nase ins Bier und blickte dann hinunter auf die Columbus. Jemand fotografierte die Fassade des Vesuvio, das Straßenschild, das Fenster und mich. Es war ein erstklassiger Platz. Wenn ich vorhatte, in die Fotoalben von Millionen Besuchern dieser Stadt zu gelangen, brauchte ich nur hier sitzen zu bleiben.

»Was wollten die Bullen von dir?«, fragte ich.

»Och, di-di-die waren ganz freundlich und wollten nur wissen, ob ich di-dich kenne. Ich hab ja-ja gesagt, ja, ich würd dich flüchtig kennen. Das ist gut, nicht? Mein flüchtiger Freund …« Sie kicherte.

»Und mehr war nicht?«, hörte ich den flüchtigen Freund sagen.

»Ob ich schon mal in Italien war, haben sie gefragt. Darauf ich: Die Spaghetti in North Beach sind so lecker, dass ich dafür nicht übern Teich muss. Dann sagten sie, ich würde mich strafbar machen, wenn ich jemanden ohne Aufenthaltsgenehmigung beherberge, und deine Erlaubnis laufe bald ab. Zum Schluss wollte der eine wissen, der Weiße, ob ich Französisch kann. Ich: Sehe ich so aus? Er: Ein bisschen. Ich: Wieso? Er: Nur so. Und das war’s. Der Schwarze hat bloß gegrinst und dann ganz nett gesagt, da-da-dass ich gehen kann. Der war wirklich sehr freundlich. Er hat mir sogar seine Nummer gegeben. Falls ma-mal was ist.«

Soso. Ein Weißer und ein Schwarzer. Ich konnte mir Nagaers Visage gut vorstellen. Ein schwarzer Bulle war mir dort nicht zu Gesicht gekommen, aber das musste nichts bedeuten.

»Vögeln«, sagte Vickie. »Oah, ich würde jetzt furchtbar gerne vögeln.«

Draußen wurde gehupt. Ein Rettungswagen schoss mit Sirenengeheul vorbei. Ein Bettler ergatterte einen Vierteldollar. Gestottert hatte sie diesmal nicht. Ich kippte mein Bier. Es war nichts mehr drin. »Wie schön«, sagte ich nach einer Weile, in der ich uns beim Atmen zuhören konnte. »Wieviel Kohle haben wir eigentlich noch?«

»Was weiß ich«, erwiderte Vickie und spielte mit ihrem Ohr. »Ich würde dann gern vögeln.«

»Fein«, meinte ich und ertappte mich dabei, dass ich schon wieder versuchte, das leere Glas auszutrinken. »Wieviel Kohle haben wir noch?«

Vickie seufzte. »Achtzigtausend Dollar, fast. Ich würde dann wirklich gern vögeln.« Ihre Nasenflügel bebten, ihre Lippen schürzten sich, ihre Oberlider wölbten sich wie der Rialto.

»Hast du schon gesagt«, erinnerte ich sie. »Und wieviel davon in bar?«

»Fünfhundert oder so, glaube ich«, zischte sie.

Dann grinste sie breit. »Hast du wieder ein Zimmer? Zeig mir deinen Palazzo, Fremder. Es ist die rechte Zeit für eine kleine Fickstunde.«

Coyote

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