Читать книгу Coyote - Jens-Uwe Sommerschuh - Страница 14

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Fieberhaft überlegte ich. Abhauen oder der Sache auf den Grund gehen?

Ich ließ Vickie nichts merken, als ich sie fragte, ob sie den Hotelausgang alleine finde, ich wolle noch ein bisschen Luft schnappen. Sie warf mir einen lässigen Handkuss zu und turnte hinab. Ich hörte, wie sich auf dem Gang, an dem mein Zimmer lag, ihre Schritte entfernten. Sonst nichts. Wie ich auch die Ohren spitzte, es klappte keine Tür, niemand schien ihr aufgelauert zu haben.

Bewaffnet mit einem ellenlangen, fingerdicken Kupferrohr schlich ich hinunter. Ich baute mich links neben dem Türpfosten auf, das Rohr in der erhobenen Rechten, und fädelte mit der Behutsamkeit eines Glashütter Uhrmachers den Schlüssel ein.

Nichts.

Der Schlüssel machte fast kein Geräusch. Braver Schlüssel.

Nichts.

Ich merkte, dass ich schwitzte. Ich atmete tief durch und stieß die Tür auf, ohne meine Deckung zu verlassen.

Nichts.

Der da drin schien in aller Ruhe auf mich zu warten.

»Komm raus«, sagte ich. »Komm raus.«

Nichts geschah.

Ich war so auf das konzentriert, was mich in diesem Zimmer erwartete, dass ich die Kleine erst wahrnahm, als sie mich von hinten ansprach. Mir blieb fast das Herz stehen.

»Was du tun da, Mista?«

Sie sprach genauso leise, wie sie die Treppe raufgekommen sein musste. Mit kindlicher Skepsis betrachtete sie das Mordinstrument, das ich immer noch über dem Kopf hielt.

»Da ist jemand in meinem Zimmer.«

»Nein, Mista. Niemand hier oben, Mista. Nur du und mich. Lady gegangen. Andere Mista gegangen. Du haben nicht getroffen andere Mista?«

Ich ließ meinen Arm sinken, löste mich vom Türrahmen und ging hinein. Niemand da. Es schien nichts verändert zu sein. Fast nichts, es roch nach Moschus, und auf dem Bett lag ein Brief. Ein leichter Luftzug strich durch den Raum, kühlte meinen Schweiß, und ich spürte ein Wummern bis zum Hals.

»Komm rein«, forderte ich sie auf.

»Das ich darf nicht, Mista. Nur wenn putzen. Nur wenn Mista nicht da.«

Ich trat zur Schwelle. Sie wich einen Schritt zurück, machte jedoch keine Anstalten zu gehen. Obwohl sie mir nur bis zur Schulter reichte, schaute sie mich mit einer Bestimmtheit an, in der keinerlei Angst mitschwang, aber auch keine Neugier. Sie sah jetzt aus wie eine Frau, eine sehr junge Frau im Körper eines Kindes. Mir stieg ein flüchtiger Hauch in die Nase, ein Duft, der fremd war und mir dennoch nicht zum ersten Mal begegnete. Sandelholz und etwas Süßes. Wie wenn Früchte auf einem Sandelholzbrett zerschnitten und mit Zimt bestreut werden. Mango und Zimt. Das war der Duft, der hier vor einer Stunde im Raum geschwebt hatte.

»Ich erlaube es aber«, sagte ich. Was ich sie fragen wollte, war nicht für den Gang bestimmt, auch wenn sie hundertmal beteuern würde, dass hier sonst niemand war.

»Mein Mann sagen, das ich darf nicht. Mutta sagen so auch.«

Führet eure Gäste nicht in Versuchung, dachte ich.

Und dann redete sie von ganz allein, in ihrem leisen Singsang: »Andere Mista fragen nach Mista. Ich sagen: Mista nicht hier. Andere Mista wieder gehen. Dann du kommen, Mista. Ich wollen sagen das. Aber Lady nicht sollen wissen, kann sein. Du schauen Lady an, Mista, ich können glauben, Lady nicht sollen wissen. Dann andere Mista kommen wieder. Ich sagen, du haben Besuch, Mista. Andere Mista werden laut. Sagen, Freund sein von Mista. Sagen, wichtig sein, wichtige Geschäft für Mista. Werden böse, Mista. Augen von andere Mista nicht sagen falsch. Wichtige Geschäft sein wichtige Geschäft. Ich nicht wollen verderben wichtige Geschäft. Ich sagen, welche Zimmer. Andere Mista gehen hier oben. Dann Lady gehen. Dann andere Mista gehen. Andere Mista sagen, ich sagen falsch, du nicht hier oben sein. Ich niemals sagen falsch. Ich viel sagen nichts. Ich niemals sagen falsch. Ich gehen hier oben, fragen Mista …«

»Es ist gut«, unterbrach ich sie. Alles paletti, ich war ein Geschäftsmann, der eine Lady mit aufs Zimmer nahm und sich ansonsten freute, wenn seine Geschäftsfreunde den Weg zu ihm fanden. Jemand hatte mich außerordentlich schnell ausfindig gemacht, und ich war bereit, meine Bibel zu verwetten, dass dieser Jemand einen grauen Hut mit breiter Krempe trug, ein ehrenwerter Freund von mir, ein Gentleman vom Scheitel bis zum Zeh, abgesehen davon, dass ihm zwei Schneidezähne fehlten. Ich fragte mich, was für Geschäfte mir die Kleine zutraute.

»Alles in Ordnung«, sagte ich, »ein Missverständnis. Ich hätte übrigens gern ein anderes Zimmer, ein schöneres, eins mit Blick auf die Straße, und …« Ich angelte nach dem Bündel Scheine in meiner Jacke. Ihr Blick veränderte sich nicht um die geringste Nuance, obwohl ihr nicht entgangen war, dass ich zunächst ein champagnerfarbenes Stück Seide ans Licht beförderte. Ich gab ihr achtzig Dollar, fast doppelt so viel, wie die Nacht in dem Kabuff hier gekostet hatte.

»Stimmt so«, sagte ich, »und ich möchte, dass du ab sofort jedem, der nach mir fragt, erzählst, ich sei heute hier ausgezogen, und du wüsstest nicht, wohin. Und dein Mann und deine Mutter sollten es auch so halten.« Hatte sie das gefressen?

»Ich geben Mista andere Zimmer. Kosten fünfzig. Ich sagen, du ausgezogen aus diese Zimmer. Ich niemals sagen falsch. Ich nicht sagen mehr. Ich viel sagen nichts.«

Sie reichte mir dreißig Piepen über die Schwelle zurück, mir stieg wieder eine zarte Wolke saftgetränkten Sandelholzes in die Nase, ein Duft, der in den Bauch fuhr, und sie bedeutete mir, ihr zu folgen.

Ich warf das Rohr in den Mülleimer und steckte den Brief ein. Mehr gab es nicht mitzunehmen.

Das andere Zimmer war größer und heller. Vor dem Fenster sah ich die Feuerleiter. Die Kleine blieb auch hier in der Tür stehen und schien zu warten, ob ich noch einen Wunsch hätte.

Einen hatte ich noch.

»Wie sah der Mann aus?«

Sie schwieg, weder trotzig noch ängstlich, eher, als wollte sie sich erinnern oder die rechten Worte finden.

Nun mach schon, dachte ich. Wieder war ich versucht, mit einem Schein nachzuhelfen, zögerte aber. Was sie für richtig hielt, würde sie tun und sagen.

Sag schon, dachte ich, sag, dass ihm ein paar Zähne fehlen.

»Andere Mista«, brach sie das Schweigen, »sprechen Sprache nicht wie hier. Andere Mista aussehen wie reich. Nein. Aussehen wie wollen aussehen wie reich.«

Das passte überhaupt nicht zusammen. Aber warum sollte es? Gott allein kennt die Feinde, die nach dir trachten, und du kennst nichts als deine Taten, deine Sünden.

»Hatte er was mit den Zähnen?«, fragte ich trotzdem.

Sie blickte verständnislos.

»Ich meine, fehlten ihm ein paar Zähne?«

Ich machte ein Hasengesicht, ich stülpte meine Unterlippe hoch und klopfte mit dem Finger auf die Zähne. Sie lachte. Es war das erste Mal, dass ich sie lachen sah. Sie gluckste, und selbst das ging beinahe tonlos ab.

»Nein«, sagte sie schließlich, »nichts fehlen in Gesicht von andere Mista. Mehr da sein. Gläser für Augen. Nicht Gläser, wenn Augen schlecht. Gläser, wenn Sonne. Gläser, wenn nicht sehen sollen Augen.«

Ha, jetzt war ich ihr auf die Schliche gekommen.

»Ich denke, du hast gesehen, dass seine Augen nicht lügen«, sagte ich ziemlich scharf.

Sie trat mindestens zwei Fußnägel breit zurück, um mir ihre Empörung zu demonstrieren. »Ich niemals sagen falsch«, piepste sie, »andere Mista nehmen Gläser ab, wenn mit mir sprechen und wenn schreiben auf Papier. Ich sollen geben das, wenn Mista nicht da. Ich sagen zu andere Mista, du sein da. Andere Mista kommen von hier oben und sagen, du sein nicht da. Ich nicht wissen, was tun. Ich wollen geben das.«

Sie fuhr mit der Hand in ihr Kleidchen, fischte einen Zettel heraus und hielt ihn mir hin. »Falls dich der Brief nicht erreicht, morgen Abend ab neun im Specs.« Keine Unterschrift. Aber eine kleine Besonderheit. Der Mann, der aussehen wie wollen aussehen wie reich, der unbekannte Geschäftsfreund mit der Sonnenbrille, hatte die Mitteilung auf Italienisch verfasst.

Coyote

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