Читать книгу Coyote - Jens-Uwe Sommerschuh - Страница 6

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Als die Tür aufsprang, schreckte ich hoch. Ich musste eingeschlummert sein. Der Bulle schnüffelte misstrauisch, verkniff sich aber einen Spruch und winkte mich raus. Joshua schien ebenfalls zu schlafen. Benommen trabte ich den Gang entlang. Ich knöpfte die Jacke zu, um mein beflecktes Hemd zu verbergen, dann knöpfte ich sie wieder auf. Die Nerven, es war reine Nervensache. Von einer weißen Weste konnte keine Rede sein. Wenn die hier nur das Geringste davon ahnten, was mit mir und Vickie war, dann konnte ich die Jacke auch offen lassen. Ich knöpfte sie von Neuem zu.

Der Häuptling, bei dem ich landete, war allein in seinem Büro. Er nuschelte seinen Namen, Captain soundso, und erkundigte sich, wie es mir gehe. Fein, versicherte ich. Den Umständen entsprechend, dachte ich, aber das schenkte ich mir und las seinen Namen nach, den er auf einem Blechschild an der Brust zur Schau trug.

»Captain Dlanor Nagaer«, wiederholte er für den Fall, dass er an einen Analphabeten geraten war, und fügte stolz hinzu: »Meine Vorfahren waren Iren, uralter Stammesadel, und ich bin der Chef hier. Hab früher drüben in Berkeley aufgeräumt. Setz dich.«

Sehr erfreut, dachte ich. Was mich betraf, so ließ sich meine Ahnenreihe bis zu einer Hexe zurückverfolgen, die sich selbst bestäubt hatte, es lebe die unbefleckte Empfängnis, ich war ein gescheiterter Theologiestudent, und Aufräumen hatte ich immer gehasst. Ich hielt die Klappe und setzte mich.

Captain Dlanor Nagaer hatte etwas von einer Dogge, und ich konnte mir vorstellen, dass er in den Sechzigerjahren dem einen oder anderen Studenten die Kehle durchgebissen hatte. In einem Anfall von Verwegenheit fragte ich, ob ich rauchen dürfe. Er guckte, als erkundigte sich eine Maus, nachdem die Falle zugeschnappt war, was der Speck kostete.

»Das ist wahrscheinlich nicht gestattet«, sagte er. »Oder hängt hier irgendwo ein Schild, auf dem Rauchen erlaubt steht? Außerdem ist es nicht gut für die Gesundheit. Rauchen verursacht Lungenkrebs, Herzbeschwerden und all das und kann zu Komplikationen während der Schwangerschaft führen. Schwanger?« Er hob eine seiner buschigen Brauen.

Ich staunte ein wenig, es war nicht ganz das, was ich an Fragen erwartet hatte. Aber solange sie mich nicht drauf untersuchten. Ich schüttelte den Kopf.

Daraufhin zog er eine Schublade auf, entnahm einen Bogen blanken Papiers und schrieb was. Dann stürmte er, das Blatt in der Hand, zur Tür und brüllte etwas auf den Gang hinaus. Er setzte sich wieder und musterte mich interessiert, so wie die Fliege eine Fensterscheibe, auf die sie zu scheißen gedenkt.

Es klopfte, und ein Jungbulle reichte ihm mit spitzen Fingern etwas Winziges, das wie eine Reißzwecke aussah. Es war eine, und nachdem er das Blatt an die Wand gezweckt hatte, konnte ich lesen, was da geschrieben stand: »Rauchen erlaubt.«

»Kaffee?«, fragte er.

Ich nickte. Es mochte Mittag sein oder schon drüber. Ich hatte noch keinen Kaffee gehabt. Nur vier Tassen.

Er brüllte wieder. Kurz drauf tauchte der Jungbulle mit zwei Pappbechern auf, in denen etwas Braunes schwappte, das wie Kaffee aussah. Aber es roch nicht wie Kaffee, es schmeckte nicht wie Kaffee, und es war lauwarm.

Lauwarm war keine Temperatur, das war eine Geisteshaltung, bei der sich Abgründe auftaten.

»Ich muss mich entschuldigen«, knurrte Nagaer unfroh, und ich nickte. Man hatte mir Kaffee versprochen.

»Uns ist da ein Irrtum unterlaufen«, fuhr er fort und hatte plötzlich meinen Pass in der Hand, packte ihn aber gleich wieder in die Schublade.

»Wolltest du nicht rauchen?«, fragte er und: »Könnte ich auch eine haben?«

Was sollte das nun wieder?

Ich tastete nach den Zigaretten. In der linken Tasche waren sie nicht, ich spürte die Seide, mir wurde warm. Sie waren in der rechten, ich stutzte, da war noch etwas, ein Papierknäuel, von dem ich nichts wusste, mir wurde heiß.

Nagaer sah mich scharf an. Ich zückte die Gitanes, gab ihm eine, mir würde ich auch eine gönnen. Meine Hände zitterten leicht.

»Französische«, sagte Nagaer, »das ist ja ein Ding. Feuer?«

Ich erhob mich, um ihm Feuer zu geben. Er kam mir entgegen und hämmerte mir die Faust unters Kinn. Ich taumelte gegen meinen Stuhl, der kippte um, ich auch. Wie der letzte Hirni saß ich auf dem Fußboden und betastete meinen Unterkiefer. Nett, dass Nagaer meine Nase verschont hatte. Er war hinter mir, ich duckte mich. Aber er fasste nur in meine rechte Jackentasche und kehrte an den Schreibtisch zurück. Ohne mich aus den Augen zu lassen, entfaltete er das Knäuel. Ich rappelte mich hoch, brachte den Stuhl auf die Beine, hob meine Zigarette auf und gab mir Feuer. Auf dem Papier in Nagaers Händen tummelten sich graugrüne Kräuterkrümel.

»Graspollen«, sagte er, »das ist ja ein Ding.«

Joshua hatte mir was Gutes tun wollen. Sollten sie bislang nichts gegen mich in der Hand gehabt haben …

Ich kicherte blöd, und Nagaer griente mich an, freundlich wie ein Nussknacker.

»Wie gesagt, ich muss mich entschuldigen«, wiederholte er und massierte die Knöchel seiner rechten Hand. Dann meinte er, dass er mich gehen lassen werde.

Verdattert nuckelte ich an meiner Kippe und nahm geistesabwesend einen Schluck von dem Getränk. Es hatte nichts von seiner Abscheulichkeit eingebüßt.

»Wieso bin ich hier?«, fragte ich.

»Ach, es sah so aus, als hätten wir einen großen Fisch an der Angel«, sagte er müde. »Jetzt kriege ich dich bestenfalls wegen so ’m bisschen Gras dran. Ich dachte, du wärst was Besonderes. Die Italiener suchen wie wild einen Typen, der offenbar dein Doppelgänger ist. Die haben uns um Mithilfe gebeten.«

Die Italiener? In meinem Kopf heulte eine Sirene auf.

Nagaer nahm etwas aus seiner Schublade und warf es mir herüber. Zwei unscharfe Fotos. Das erste, aus einer Zeitung ausgeschnitten, zeigte zwei Gestalten. Die eine sackte gerade an einem Bankschalter jede Menge Geld ein, während die andere im Hintergrund mit einer Pistole rumstand. Die Gesichter waren nicht gut zu erkennen unter den Strümpfen. Die Gestalt mit der Pistole trug ein enges T-Shirt mit der Aufschrift »Ich bin nicht lesbisch, na und«. Bei aller Verschwommenheit waren die Brüste unter der Mitteilung so ziemlich das Schärfste auf diesem Foto. Der Schriftzug war auf Französisch, man musste sich schon auskennen. Die andere Gestalt trug eine Lederjacke. Schade, wenn so kleidsame Beweisstücke später in einem Kanal versenkt werden mussten. Das zweite Foto war eine verwackelte Aufnahme von mir im Halbprofil, mit eben jener Lederjacke und Bart. Ich tappte im Dunkeln, wann und von wem diese Aufnahme geschossen worden war.

»Jetzt bricht die Zeit des Teilens an«, hatte in dem Brief gestanden. Nachdenklich rieb ich mir übers Kinn. Die Stoppeln waren einen Tag alt und knirschten. Den Schlag hatten sie nicht gut gedämpft.

»Ja, kann schon sein, dass der mir ähnelt«, sagte ich. »Aber wieso buchten Sie mich wegen so eines Fotos ein, um mich kurz darauf doch wieder laufen zu lassen? Warum zeigen Sie mir das überhaupt?«

»Rauslassen muss ich dich«, knurrte der Captain, »weil die den Kerl heute in Venedig festgenommen haben, eine Stunde bevor wir dich …« Er winkte ab. Ich versuchte zunächst dämlich zu gucken, um ihm dann vorzuführen, wie bei mir der Groschen fiel. So etwas mochten solche Typen.

»Wir haben vorige Woche diese Bilder gekriegt und den Hinweis, die abgebildete männliche Person halte sich vermutlich hier auf. In meinem Revier. In Venedig muss ein ziemlich präziser anonymer Tipp eingegangen sein. Wie es scheint, wollte dir jemand Stress machen. Vielleicht hast du Feinde. Aber du bist noch aus einem anderen Grunde aus der Sache raus. Ich habe bei der Einwanderungsbehörde angefragt. Tja, und du warst schon hier, als die Kiste drüben in Europa noch gar nicht gestiegen war.«

Er griff wieder in die Schublade, und es hätte gepasst, wenn Väterchen Nagaer jetzt einen Flachmann ans Licht geholt hätte, so zur Versöhnung, er begann mir fast sympathisch zu werden. Es war aber nur mein Pass, mein französischer, und er gab ihn mir. Ich konnte mir gratulieren, dass ich gerade den in der Jacke gehabt hatte. »Ich wäre nicht drauf gekommen, dass du ein Franzmann bist. Stimmt es, was man so hört? Dass ihr es verkehrt rum macht?«

Ich nickte. Zwar meinte er wohl die Franzosen im Allgemeinen, doch abgesehen davon, dass ich keiner war, machten es Vickie und ich tatsächlich derart verkehrt rum, verkehrter war es kaum vorstellbar. Ich nickte also. Im Zweifelsfall war Nicken immer gut. Es wirkte positiv, und das gefiel diesen Leuten.

»Sag mal was Französisches. Ich komme so wenig herum.«

»Va te faire baiser«, sagte ich, »qu’est-ce que ça peut te foutre.«

Er keckerte verlegen. »Klingt wirklich pervers. Und was heißt das?«

»Ich hätt’ jetzt Appetit auf was Süßes«, sagte ich, »und sobald ich hier raus bin, werde ich mir ein Baiser gönnen. Das ist so eine Art Schaumgebäck.«

Beim Wort Baiser hatte er die Stirn gerunzelt. Dass doch alle Bullen dieser Welt an einer Fremdwort-Phobie litten. Immerhin hatte ich die seltene Chance beim Schopfe gepackt, einem von denen zu sagen, er solle sich ins Knie ficken, es gehe ihn einen Dreck an.

Er fand das nicht besonders aufregend und winkte ab, als ich weitermachen wollte.

»Reden wir wieder wie normale Menschen«, murmelte er, »sonst lasse ich mir noch einen Frosch kommen. Denk dran, dass deine Aufenthaltsgenehmigung bald abläuft. Ich komme um eine Notiz wegen illegaler Substanzen nicht drum rum. Solltest du dir nur noch die kleinste Kleinigkeit zuschulden kommen lassen, fliegst du sofort raus. Wir können hier keinen Ärger gebrauchen, weder Franzmänner mit Dope noch Leute, die mit blutigen Hemden durch die Gegend rennen. Unterschreib das hier!«

Ich unterschrieb, dass ich über meine Rechte aufgeklärt worden sei und keinerlei Ansprüche geltend machen würde, Schmerzensgeld etwa.

Wenn da gestanden hätte, dass ich absolut der Meinung sei, die Bullen dieser Stadt brauten den besten Kaffee westlich von Rom, auch darunter hätte ich meine Unterschrift gesetzt.

Coyote

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