Читать книгу Coyote - Jens-Uwe Sommerschuh - Страница 18

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Der Verkehr auf der Brücke hatte nachgelassen. Dennoch vernahm ich die Geräusche der Reifen und Motoren jetzt überdeutlich. Der Nebel hatte die ferne Stadt geschluckt und die Golden Gate Bridge freigegeben. Auch den Mond sah ich nun. Mir ging einiges auf.

»Wer hat dir das erzählt?«

Meine Stimme klang rau, mein Mund war trocken, als wäre ich in der Wüste unterwegs. Linnet grinste selbstsicher. Sie war noch nicht am Ende ihrer Geschichte angelangt.

»Mach dir keine Sorgen. Ich kenne Leute, die überall rumkommen.«

»Wer hat dir das erzählt?«, wiederholte ich und sprang von dem Mauerstumpf.

Klein sah sie aus, wie sie da über mir kauerte, und verdammt jung. Sie trug ein helles Hemdchen, das ihre schmalen Schultern nicht verbarg. Sie hatte die Daumen hinter die Träger ihrer Latzhose geschoben, was trotzig wirkte, Blue Asphalt, aber sie schaute mich ganz offen an.

»Na gut«, lenkte sie ein. »Ich habe es von einem Typen namens Bekker. Der läuft in erlesener Ausstattung durch die Stadt und brabbelt Haikus und andere Weisheiten, und eigentlich hört ihm außer seinem Eichhörnchen keiner zu. Er soll vor Jahren auf Pilzen hängen geblieben sein. Man sagt, er sei ziemlich … sonderbar. Und er merkt sich alles. Keiner nimmt ihn für voll, glaube ich, und wenn er sich irgendwo dazugesellt, reden alle weiter, als wäre nichts. Aber der weiß alles. Und er weiß fantastische Geschichten. Manchmal suche ich ihn, wenn ich mich langweile, um ihm eine seiner Stories zu entlocken. Oft braucht es nur ein Stichwort.«

Nur ein Stichwort. Wer weiß, wer – außer Linnet – diese offenbar stadtbekannte Quelle noch angezapft hatte?

Ich war ganz ruhig. In höchster Gefahr kehrt die Besonnenheit zurück.

Ich will auf ihr spielen,

jetzt, wo nur der Mond und ich ganz alleine sind.

Ein Haiku von Joseki, das einzige, das ich auswendig wusste. Ich sollte mal mit Bekker drüber sprechen, vielleicht konnte ich es gegen was anderes tauschen. Ich sollte überhaupt mal mit ihm reden, mit ihm und Johann und Zahnlücke Dawn und Sonnenbrille Morbo und der halben Stadt. Aber jetzt war Linnet dran.

Sie war verstummt, als ich nicht mehr zuhörte. Und nun sprang sie herab, direkt auf mich zu, eine fliegende Jungfrau. Ich riss die Hände hoch und versuchte, sie zu fangen. Meine Finger verhakten sich unter ihren Achselhöhlen, eine Naht riss, ich brach mir fast die Daumen, sie war schwerer als erwartet. Ächzend setzte ich sie ab. Ich hatte feuchte Finger.

»Ich wusste, dass du mich fängst«, sagte sie, rieb ihre bleiche Nase an meiner Jacke und trat einen Schritt zurück. »Willst du weiter zuhören?«

»Raus mit der Sprache«, knurrte ich und malte mir aus, wie sie fallen würde, wenn sie übers Geländer dieser grandiosen Brücke gekippt war, mit ausgebreiteten Armen oder wie ein Stein.

»Ich sagte ihm, du seist ein Europäer, der vor einigen Monaten hier aufgekreuzt ist. Er wollte wissen, wie du aussiehst, was du anhast, wie du sprichst. Aber erst, als ich diese Mischung aus Priester und Coyote zur Sprache brachte, machte es bei ihm klick. Er interessiert sich für dich, glaube ich, und auch für diese Frau, mit der du hergekommen bist. Ihr Sinn sei verwirrt, sagte er, so etwas zieht ihn magisch an. Und sie teile ein Geheimnis mit dir, das bindender sei als alles Geld. Ihr Weg führe sie erdwärts, sagte er, sie sei der Regen, der versickern wird, oder so ähnlich. Und du, erklärte er, du verbirgst ein weiteres Rätsel. Hast du eine Idee, was er meinen könnte?«

»Ich möchte auf die Brücke«, sagte ich, »und ich will, dass du mir erzählst, was du über diese Mrs. LaFleur wirklich weißt.«

Ich las in ihren Augen eine Spur von Enttäuschung, aber keine Angst. Die Dämmerung kam. Ein paar Schritte oberhalb der Stelle, wo wir gesessen hatten, gewahrte ich gegen den malvenfarbenen Abendhimmel die Silhouette eines Liebespaares. Hätten die beiden sich so angeregt unterhalten wie wir, wären sie mir bestimmt eher aufgefallen. Doch die redeten nicht.

Coyote

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