Читать книгу Coyote - Jens-Uwe Sommerschuh - Страница 15
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Nachdem sie gegangen war, nahm ich mir den Brief vor. Er steckte in dem gleichen gelblichen Kuvert wie der, den ich gestern weggeworfen hatte.
»Ciao, stallone della sciattona«, stand auf dem Bogen. Schlampenhengst, welch kraftvolle Anrede, und ich musste kein Graphologe sein, um die steile Handschrift wiederzuerkennen. »Die Zeit des Teilens ist angebrochen. Haltet den Zaster bereit. Morbo.«
Nichts weiter.
Morbo trug Sonnenbrille. Viele trugen Sonnenbrille.
Der Name Morbo bedeutete Seuche oder Pest, ich konnte mir vorstellen, was von einem Mann mit diesem Pseudonym zu erwarten war. Man kriegte ihn nicht wieder los, und nur im Ausnahmefall kam man mit dem Leben davon. Der Pestbote war uns also dicht auf den Fersen, aber ich würde ihm ein Schnippchen schlagen. Fehlte nur noch eine Idee. Irgendwohin gehen, wo die Seuche nicht hingelangen konnte. San Francisco war kein guter Ort mehr. Wo gab es noch gute Orte? In Mexiko? In Filmen tauchten Leute wie ich in Mexiko unter. Die Aufenthaltsgenehmigung in meinem aktuellen Pass lief sowieso bald ab. Wenn ich über die Grenze ginge, hätte ich ein Vierteljahr Ruhe. Ein Visum für drei Monate rückten die Mexikaner fast immer raus, hatte mir Johann erzählt. Mir war nur schleierhaft, wie ich Vickie dazu bewegen sollte, ihrem San Francisco schon wieder den Rücken zu kehren. Leider hatte sie ein gestörtes Verhältnis zum Umgang mit akuter Gefahr. Aus Venedig abzuhauen, war sie bereit gewesen, weil sie San Francisco schöner fand. Und wenn ich ohne sie verschwand?
Es war das erste Mal, dass ich daran dachte, und wenn ich ehrlich war, konnte ich das auch sofort wieder vergessen. Nicht nur, weil wir durch den Coup und die Beute aneinanderklebten. All unsere Zerwürfnisse, mein oder ihr Wegrennen waren Teil des launischen Spiels gewesen, das Mann und Frau manchmal spielten, und wir hatten im Stillen immer gewusst, dass der andere einlenken würde. Wir hatten auf unsere Weise ein Gleichgewicht gefunden, das stabil war und nur stabil bleiben würde, wenn keiner von der Wippe sprang. Vickie würde mich noch im letzten Kaff dieser Welt aufspüren. Um Vickie loszuwerden, müsste ich sie töten.
Ich lauschte dem Klang dieses Gedankens nach.
Das denkt sich so dahin: Ich könnte dich umbringen.
Ich staunte, was ein Gehirn im Stress zu denken bereit ist. Absurd, denn sie würde mir fehlen. Die anderthalb Jahre mit ihr waren die längste Strecke, die ich je mit einer Frau gegangen war. Es war nicht die schönste, die lag weiter zurück, aber …
Im Spiegel sah ich, dass die Stoppeln mein Gesicht bereits beträchtlich verdunkelten. Aber ich würde jetzt zu keinem Schönheitswettbewerb gehen. Ich würde mir bei Linnet keinen Korb holen. Ich musste nur fest daran glauben.
Über dem Waschbecken verbrannte ich die Schriftstücke und spülte die Asche weg. Dann begab ich mich in die Spur.