Читать книгу Coyote - Jens-Uwe Sommerschuh - Страница 22

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Nachdem ich die Zigarette ausgedrückt hatte, wartete ich. Warten auf Mister X. Queen Bloody Mary III. leistete mir Gesellschaft. Es war eine meiner Schwächen, dass ich mich auf Gefahren nicht konzentrieren konnte. Ich fand das Spielchen mit der Zigarette albern. Ich hätte sie lieber geraucht. Der Wodka lieferte mir gestochen scharfe Bilder von allem, was hier vorging, und ließ in mir weise Sprüche quackern, die ich einst auswendig gelernt und noch nicht vergessen hatte. Meine Augen hältst du, dass sie wachen müssen; ich bin so voll Unruhe, dass ich nicht reden kann. Ich gedenke der alten Zeit, der vergangenen Jahre … Psalm siebenundsiebzig. Wäre ich der Theologie treu geblieben, dann säße ich jetzt nicht hier. Ich könnte ein netter Landpfarrer sein, Kinderchen taufen und liebe Hinterbliebene trösten, und ich hätte eine rundliche Pfarrersfrau, der ich es dienstags von hinten und freitags von vorn besorgen würde, und mein Herz wäre frei von Angst vor den Folgen meines Tuns. Doch es war leider zum Glück anders gelaufen. Um ein vom Wege abgekommenes Mägdelein auf den Pfad der Tugend zurückzuführen oder zumindest in dessen Nähe, hatte ich die Banca Antoniana Popolare Veneta um fast achtzigtausend Euro erleichtert. Hatte wirklich der hehre Wunsch zu helfen mich dazu bewogen? Zumindest war das eine Sicht, die meine Motive in hellem Glanze schimmern ließ. Wenn ich ehrlich war, hatte ich seither, trotz der guten Taten und der vielen Kohle, keine Ruhe mehr gefunden.

Denn siehe, Herr, sie lauern mir auf; Starke rotten sich wider mich zusammen ohne meine Schuld und Missetat. Ich habe nichts verschuldet; sie aber laufen herzu und machen sich bereit. Psalm neunundfünfzig.

Es war klasse, sich einzureden, nichts dafür zu können.

Der Mann mit der breiten Zahnlücke hatte mich, seit ich wieder am Tresen stand, keines Blickes mehr gewürdigt, sondern stumm vor sich hin gesoffen. Falls das Mister X war, hatte Mister X mehr Zeit als ich.

Das Specs war vollgestopft mit Trödel, dessen Wert nur Eingeweihte zu schätzen wussten. Es gab hier Brillen aller Art, die meisten mit erblindeten oder zersprungenen Gläsern, und unter dem Plunder, der im Halbdunkel von der Decke hing, befand sich die vergilbte Erstausgabe eines wunderbaren Buches von Richard Brautigan, Dreaming of Babylon. Brautigan, einst hier Stammzecher, wie Peter der Barkeeper erzählt hatte, träumte schon lange nicht mehr, der hatte sich vor ein paar Jahren drüben in Bolinas die Kugel gegeben. Das Buch hing noch da, Erinnerung an eine nicht bezahlte und letztlich doch beglichene Rechnung.

Zahnlücke wurde zunehmend betrunken. Er schwankte kräftig. Nur die schmalen Fuchsaugen über den hohen Wangenknochen blickten wach. Der Mann hatte breite Schultern, und ich hätte wetten mögen, dass er Michael James Dawn hieß.

Eine Gruppe von Geschäftsleuten kam hereingelärmt, zwei junge, straff gescheitelte Amerikaner und drei alterslose Hongkong-Chinesen. Es galt, wie ich aufschnappte, einen Vertrag zu feiern, mit dem sie sich gegenseitig prächtig über den Tisch gezogen hatten.

Zahnlücke rempelte den einen an und brummte dann etwas, das keine Entschuldigung war. Flugs gaben ihm die Schlipse einen Whisky aus, sie schienen es aufregend zu finden, hier zu sein. Er rührte das Glas nicht an, sondern bahnte sich zornig brummend eine Schneise durch das Quintett, um schaukelnd den Platz zu wechseln. Eifrig traten sie zur Seite. Zufällig war neben mir was frei.

»Reiches Gesocks«, sagte er halblaut, und seine Stimme knarrte dabei. Mit schleppender Zunge gab er dann eine Story zum Besten, an der Linnet ihre helle Freude gehabt hätte, so haarsträubend erlogen klang sie.

In den Siebzigern sei er als GI drüben in Europa gewesen, in Heidelberg, und nach seiner Entlassung noch ein Weilchen dort geblieben, bei Freunden, die es mit der RAF hatten, und da habe er eine Menge gelernt. Zurück in Amerika, sei er sofort drangegangen, auch so eine Gruppe zu gründen.

Ich schwieg mit hochinteressierter Miene, freundliches Grinsen inbegriffen.

Ob ich daran glaube, dass alle Menschen gleich seien, wollte er wissen, und ob ich auch glaube, dass man dafür bis aufs Messer kämpfen müsse, damit sie so behandelt würden.

Johann hatte mir aufgetragen, keinen Mist zu bauen, und ich wusste nicht, ob das jetzt schon die Gelegenheit war. Für mich gab es nichts Verschiedeneres als zwei Menschen, soviel zum Thema Gleichheit, und falls ich jemals so etwas wie Glauben besessen hatte, der Glaube an Gerechtigkeit, der war mir gleich als Erstes abhandengekommen. Nimm, denn es wird dir nicht gegeben. Doch wenn du dich dabei ungeschickt anstellst, kriegst du aufs Maul.

Ich sagte nichts.

»Wärst auch schön blöd, wenn du antworten würdest«, sagte er, und seine Zunge holperte. »Ich könnte nämlich ein Bulle sein. Wär dir das recht, wenn ich ein Bulle wäre?«

Ich sagte nichts. Aber allmählich schmerzten meine Wangenmuskeln von dem dämlichen Gegrinse.

»Viele halten mich für einen Bullen, weil ich ab und zu diese Story erzähle. Sie geht nämlich so weiter, dass ich in Chicago eine revolutionäre Zelle aufgezogen habe, die freilich noch vor der ersten Aktion hoppgenommen wurde. Sie geht nämlich außerdem so weiter, dass ich acht Jahre abfasste, ein dreckiges Halbblut, eine rote Rothaut, die angeblich den Präsidenten der Vereinigten Staaten stürzen wollte, acht Jahre sind eine lange Zeit. Stimmt’s, acht Jahre sind eine lange Zeit?« Er hob drohend die Stimme.

Ich gab das Grinsen auf, steckte mir eine Gitane an und drückte sie nach dem ersten Zug wieder aus. Schade drum. Aber ich wollte mal sehen, ob das nun endlich was bewirkte.

Es bewirkte nichts. Der Kerl starrte mich nur böse an.

Der Mann, der sich mir im Knast als Joshua vorgestellt hatte und jetzt da hinten saß, der hatte mir, falls das hier Dawn war, diesen Typen empfohlen und mich vor ihm gewarnt. Johann hatte eine Begegnung mit einem gewissen Mister X eingefädelt, der angeblich mein Problem lösen würde, und hatte mich zugleich gewarnt. Alles passte zusammen und passte wiederum nicht. Vor allem missfiel mir die Vorstellung, mir von dem hier helfen zu lassen. Er flößte mir Unbehagen ein.

Die Tür ging auf, herein trat eine verspiegelte Sonnenbrille und kam direkt auf mich zu.

Als ich aufspringen wollte, war ich überrascht, dass ich nicht gleich hochkam. Waren mir die paar Wodkas in die Beine gefahren? Ich taumelte und stieß dabei gegen meinen Nebenmann. Seine Faust explodierte an meinem Kinn. Kurz vor meinem K. o. gewahrte ich noch, dass Sonnenbrille wieder hinausstürzte, Zahnlücke ihm hinterher.

Ich hörte Peter »Raus hier!« brüllen. Dann legte ich mich schlafen.

Weißes Rauschen umfing mich, und die Engel sangen: Schaff uns Beistand in der Not; denn Menschenhilfe ist nichts nütze. Na dann, gute Nacht.

Irgendwann machte es klick.

Coyote

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