Читать книгу Coyote - Jens-Uwe Sommerschuh - Страница 5
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Willkommen daheim, Bruderherz, willkommen bei Joshua«, wurde ich in der Zelle begrüßt. Das Gesicht meines Empfangsdirektors war schwarz wie Ebenholz und voller Furchen.
»Ich hatte noch nicht das Vergnügen«, knurrte ich, »ich bin neu hier. Wieso tust du so, als wäre das dein Laden?«
Ich ließ mich auf die Pritsche plumpsen, die dabei derart quietschte, dass ich wider Willen an Vickie dachte. Wenn Vickie loslegte, quietschte immer was. Einmal war eine Etage tiefer die Lampe gekommen, sogar noch vor ihr, das war in Venedig. Vickie war Expertin für Schwingungen. Meine Nerven konnten ein Lied davon singen.
»Völlig egal«, feixte Joshua, »ob du schon mal hier warst. Es ist besser fürs Gemüt, Bruderherz, sich überall wie zu Hause zu fühlen. Das Leben ist ein Fest, von dem dich keiner ausladen kann, so lange du der Gastgeber bist. Bist du in eine Schlägerei geraten? Oder haben dich die Bullen so zermatscht?«
Wunderbar, dachte ich, wieder ein Philosoph. Mein Blick fiel auf mein Hemd. Es war voller Blut.
»Nee«, sagte ich böse, »weder noch. Kennst du die Kreissäge in der Nähe der oberen Fillmore?«
Joshua machte große Augen und kratzte sich am Kopf, bis eine Idee kam. »Haben sie dir die Zigaretten gelassen?«
Sie hatten mir nichts abgenommen, abgesehen von Handschellen und Pass, Dingen, die mir nicht gehörten. Sie hatten mich gefilzt, aber kein tieferes Interesse an den paar Dollarscheinen, den Gitanes und dem Champagnerslip gezeigt, von dem bis heute Morgen niemand außer mir gewusst hatte, obwohl ich ihn schon eine halbe Ewigkeit mit mir rumtrug, ich blöder, achtloser Romantiker.
Ich fummelte die Zigaretten aus der Jacke und hielt sie ihm hin. Er nahm sich zwei, riss sie längs auf, als hätten sie Reißverschlüsse, verteilte den Tabak auf einer Papierwindel, bröselte was hinzu und rollte das Ganze zu einer schlanken Tüte von solcher Eleganz, dass sie bei jedem Schönheitswettbewerb für Joints in die Endrunde gekommen wäre.
»Mir haben sie auch alles gelassen«, griente er. »Leider war mir, als sie mich gestern hoppnahmen, gerade der Tabak ausgegangen. Du kommst wie gerufen, Bruderherz. Feuer habe ich selber.«
Das war nicht schlecht, mal ungestört rauchen zu können. In den meisten Cafés dieser Stadt kippten sie schon bei der Frage nach einem Aschenbecher aus den Latschen. Selbst auf offener Straße gafften sie, als würdest du gleichzeitig ans Schaufenster pinkeln und dir die Pulsadern aufschneiden, bloß wegen der Zigarette. Wegen eines Joints konntest du sogar in den Knast wandern. Nun, wir waren ja schon drin.
»Bist du verrückt?«, fragte ich dennoch, als Joshua mir die Tüte reichte.
Er nickte grinsend, und ich nahm vorsichtig einen Zug.
»Ich bin ein ganz normaler verrückter Amerikaner«, sagte Joshua, »und was du da paffst, sind ganz normale Bachblüten-Pollen, mit denen sich ganz normale Verrücktheit wunderbar dämpfen und dadurch gerade so aushalten lässt, abgesehen von anderen heilsamen Nebenwirkungen. Du bist nicht von hier, Bruderherz, oder?«
Nein, ich war nicht von hier. Ich stammte von einem anderen Stern. Aber dort sah es nicht gut für mich aus, schon lange nicht mehr. Und hier fing es auch an, mulmig zu werden, es mulmte bereits.
Ich saugte an Joshuas Bauwerk. Hätte ich auf einer Wiese gelegen, dann hätte der Augenblick was Schönes gehabt.
»Hör, wie das Gras wächst«, meinte Joshua. »Ich höre ständig das Gras wachsen.«
Ich lag auf dem Rücken und starrte nach oben, wo kein blauer Himmel war. Blauer Dunst unter der Zellendecke. Von wegen Bachblüten. Mister Bach, der esoterisch geprüfte Kräuterprofessor, würde uns was husten. Aber der war längst jenseits jeden Hustens.
»Wie kommt das«, fragte ich, »dass wir uns diese Zelle teilen? Ich hab gelesen, dass sie Schwarze und Weiße im Knast getrennt unterbringen. Das Buch hieß Hokus Pokus.«
Er wieherte, bis ein Erstickungsanfall ihn auf die Erde zurückholte. »Hokus Pokus«, er schnappte nach Luft. »Bruderherz, da bist du einem Spaßvogel aufgesessen. Außerdem ist das unkorrekt. Es gibt keine Schwarzen mehr. Und Weiße auch nicht. Es gibt britische, deutsche, griechische, irische, italienische Amerikaner. Es gibt Chinesen und Japaner. Es gibt auch noch ein paar eingeborene Amerikaner, früher als Indianer bekannt. Aber Neger, Nigger oder Schwarze, keine Spur. Wir sind afrikanische Amerikaner, jawohl!«
Er lachte ein wenig. Sein Antlitz war ein schwarzes Faltengebirge.
»Hör zu, Bruderherz: Beim Gesäß meiner Großmutter, schwarz wie mein Gesicht, und beim Blute Jesu, rot wie meins auch, ich weiß, was dein Literat meint. Ein neu eröffneter Knast ist schon mit Schwarzen voll, noch ehe sie den ersten Weißen auch nur vor den Richter gebracht haben. Drum bauen sie auf der anderen Seite der Stadt noch ein klitzekleines Kittchen für die nicht-afrikanischen Amerikaner. Sollte man denken. Aber es ist Unsinn, Propaganda, Schwarz-Weiß-Scheiße. Bei meinen bisherigen Visiten im Vollzug, Bruderherz, bin ich an Typen aller Hautfarben geraten. Da gab’s eine Auswahl anständiger Jungs mit Gesichtern in allen Schattierungen von Kalkweiß bis Kohlrabenschwarz, nicht zu vergessen die Grünen, vom Mars oder aus dem Vietnamkrieg, und es gab braune, gelbe, rosa Arschlöcher, die …«
Er brach ab. Auf dem Gang tappten Schritte vorbei.
»Weswegen haben sie dich denn eingelocht, Bruderherz?«, wechselte er das Thema, und seine Stimme klang beiläufig, fast zu beiläufig. Außerdem hatte er mir die Hand aufs Knie gelegt.
Ich schnipste mit den Fingern und sprang auf.
Sein Blick rutschte weg, fing sich aber sofort, das hatte nur einen Flohschiss lang gedauert, er grinste wieder, die Lider halb geschlossen, und zeigte seine Falten.
»Ist ja gut«, murmelte er, »wollte dich nicht nerven. Dachte nur, Bruderherz, dir würde es guttun zu reden, so wie du aussiehst.«
Ich schüttelte den Kopf. Es lag mir fern, das Kriegsbeil auszugraben, ich ging auf und ab, um mich zu beruhigen, dann legte ich mich wieder hin.
»Wenn du rauskommst«, sagte er später, »und Hilfe brauchst, dann wende dich im Specs an Dawn. Frag nicht nach ihm. Frag niemals nach ihm. Der taucht irgendwann auf, und dann weißt du, dass er da ist. Michael James Dawn.«
Ich kannte das Specs, eine dunkle Kneipe in North Beach, in einer kleinen Sackgasse seitlich der Columbus Avenue. Dawn kannte ich nicht.
»Ihm fehlen die zwei Schneidezähne«, meinte Joshua.
Wem Schneidezähne fehlten, der hatte seine beste Zeit hinter sich. Der war mindestens einmal zu langsam gewesen. Wer einmal zu langsam gewesen war, dem würde das wieder passieren.
»Wem Schneidezähne fehlen«, krächzte Joshua, »der hat Fehler gemacht. Das weißt du sicher, Bruderherz. Doch Dawn macht solche Fehler nicht. Dawn hat sich die Zähne ziehen lassen, damit seine Gegner ihn unterschätzen. Sie unterschätzen ihn nie zweimal. Sie haben keine Gelegenheit dazu.«