Читать книгу Coyote - Jens-Uwe Sommerschuh - Страница 23
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Als mir jemand die Handschellen aufschloss, kam ich zu mir. Ich wusste nicht, wer mich hergebracht hatte und wieviel Zeit vergangen war. Ich fühlte mich wie ein Fisch, den sie eben aus dem Wasser gezogen und vom Angelhaken befreit hatten, ein kleiner blöder Fisch, nicht größer als ein Köder.
Es war nicht der Laden von gestern, hier roch es anders, und hinter dem Schreibtisch saß kein Captain Nagaer, sondern ein Sergeant Jones. Sie hatten mich in einen der beiden Sessel verfrachtet, die dem Büro einen Hauch von Luxus verliehen. In dem anderen saß ein Schwarzer, einer mit vielen Falten im Gesicht.
Joshua grinste mich an. »Willkommen, Bruderherz«, sagte er. »Ist mir kein besonderes Vergnügen, dich wiederzusehen, so schnell zumindest und unter solchen Umständen. Du scheinst ja den Ärger anzuziehen wie ein toter Hering die Fliegen.«
Na bitte, dachte ich, kleiner blöder Fisch.
»Was tust du denn hier?«, fragte ich, darauf gefasst, dass Sergeant Jones unsere Konversation umgehend unterbinden würde. Aber der schien es prima zu finden, dass wir uns kannten und miteinander plauderten, der ging einfach raus.
»Dir Fragen stellen«, sagte Joshua lakonisch.
Ach ja? Fragen hatte ich auch ein paar, vor allem jetzt, als Joshua sich an den Schreibtisch setzte. Schneller, als mir jemand welche beantwortete, gesellten sich neue hinzu. Die Welt war voller Abgründe. Nie war sie so, wie ich sie mir dachte.
Joshua stellte seine Fragen: »Was hat Dawn dir erzählt? Hast du Dawn vorher schon mal getroffen? Was hast du mit Sutter draußen zu bequatschen gehabt? Woher kennst du den? Was wollte der Typ mit der Sonnenbrille von dir? Wo steckt die Frau, bei der du gewohnt hast? Wo warst du den Abend über? Wir hatten dich die ganze Zeit im Blick, bis du mit dieser Frau in dein Hotel gegangen bist. Sie hat das Hotel wieder verlassen, Bruderherz, du nicht. Du hast dort in schöner Regelmäßigkeit Besuch empfangen, und gegen Abend hast du dich dann selbst besucht, hah?«
»Mit welcher Frage soll ich anfangen?«
»Fang mit der letzten an und arbeite dich zum Anfang durch. Aber flunker nicht rum, sonst werfe ich dich dieser Stadt da draußen noch heute zum Fraß vor. Wenn du fertig bist, habe ich noch eine Extrafrage.«
»Ich war Zigaretten holen«, sagte ich, »in dem Geschäft auf der Haight Street, da könnt ihr fragen. Muss mich euer Bettler übersehen haben, als ich los bin. Gegen halb elf war ich zurück.«
»Das dachte ich mir«, knurrte er. »Dieser Penner! Weiter!«
»Obwohl ich aussehe, als könnte ich kein Wässerchen trüben, habe ich ständig Stress«, sagte ich. »Meine Bekannte ist mit mir unzufrieden und wirft mir Geschirr an die Nase. Danach werde ich mit einem Verbrecher verwechselt und verhaftet, gerate in einer Zelle an einen netten Mitinsassen, der mir was von einem Mann mit einer auffälligen Zahnlücke flüstert. Beim Verhör findet der Vernehmer in meiner Tasche rein zufällig etwas Gras, das ich dort nicht gesät habe. Er schlägt mich nieder und lässt mich dann frei. Anderntags bin ich dabei, mich ein wenig zu betrinken, und als ich mich zu gehen anschicke, befördert mich einer, der mich vorher mit Indianergeschichten vollgelabert hat, ein Mann mit auffälliger Zahnlücke übrigens, auf die Bretter. Wo meine Bekannte ist, weiß ich nicht. Einen Sutter kenne ich nicht, kann also auch nichts mit ihm beredet haben. Und von einem Typen mit Sonnenbrille, der was von mir will, höre ich auch zum ersten Mal. Wer soll das bitte sein?«
»Ich meine den, Bruderherz, der reinkam, bevor Dawn dir eine verpasst hat, denselben, der dich zweimal im Obrero besucht hat«, präzisierte Joshua.
»Vorher nie gesehen«, erklärte ich wahrheitsgemäß. Sag so wenig wie möglich, hatte ich gelernt, und bei dem, was du sagst, lüg so wenig wie möglich.
»Ich fürchte«, brummte Joshua, »dass wir dich überschätzt haben. Durch diese komische Verwechslung warst du für uns interessant. Jemand, der untertauchen will, braucht Kontakte. Jemand, der eine Eintragung wegen Drogen hat, wird unruhig und aktiviert seine Kontakte. Und da du ab und zu mit Sutter gesehen worden bist, schien es möglich zu sein, über dich an ihn und Dawn ranzukommen. Sutter, das ist der Alte, der am Tresen kurz neben dir stand und dir dann folgte, nachdem du rausgegangen warst. Dass du ihm noch am Nachmittag nach deiner Freilassung in die Arme gelaufen bist, im Vesuvio, falls du dich erinnerst, schien unsere Vermutung zu bestätigen. Aber das hat sich jetzt wohl dank Dawns Faustschlag erledigt. Um ein Haar hätte ich meine Tarnung aufgeben müssen, um dein Leben zu retten, Bruderherz. Es war nicht leicht, unbemerkt eine Streife anzufordern, die dich da wegen Trunkenheit rausholte, ohne dass jemand Verdacht schöpfte.«
»Darf ich gehen?«
»Na ja«, murmelte Joshua, »ich kann dich nicht festhalten. Aber da ist eine Stimme, Bruderherz, die mir flüstert, dass du aus der Stadt verschwinden solltest. Geh zurück nach Europa. Wer in einem fremden Land innerhalb von zwei Tagen dreimal aufs Maul kriegt, und zwar von einer Frau, einem Cop und einem Ganoven, der sollte sich sagen: Okay, das ist nicht mein Land. Meine Zeit hier ist abgelaufen. In … Wo warst du her? … In Frankreich ist die Luft für mich einfach gesünder, sollte der sich sagen und Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ein Ticket zu kriegen.«
Ich schaffte es noch nicht, ihn zu hassen. Sollte ich nun bye-bye sagen oder wortlos die Flocke machen, wie hielten sie es hier?
»Was war mit der Extrafrage?«
Ich hätte jetzt lieber gehen sollen.
»Das ist die Frage, was ich von jemandem halten soll, der mit einem Seidenhöschen in der Jackentasche spazieren geht. Aber wir sind hier in San Francisco, und es geht mich auch nichts an, ob du schwul bist. Bist du schwul?«
Er reichte mir die Hand.
Dieser Mann hatte mir Gras untergejubelt. Er hatte mich als Köder benutzt. Und er hatte mein Allerheiligstes begrapscht. Ich übersah die Hand.
Als ich zur Tür ging, stürmte der Sergeant herein, flüsterte Joshua was ins Ohr und eilte wieder davon. Joshua schob die Zunge in die Backe, als hätte er Zahnschmerzen. »Aha«, sagte er, »ein Toter in South of Market. Bleivergiftung. Er hatte nicht mal Zeit, seine Sonnenbrille abzunehmen.«