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Venedig vor anderthalb Jahren. Im Dezember. Schwer verkatert war ich eines Vormittags in San Samuele auf den Kahn gesprungen, den Vaporetto zwoundachtzig, damals meine Hauslinie, und in San Marco war ich wieder ausgestiegen, direkt vor Harry’s Bar. Erst dort bemerkte ich das Hochwasser.

Das war keine Seltenheit. Die Venezianer nannten es Acqua alta. Die Lagune schwappte in die Gassen, die Kanäle traten über die Ufermauern, und die Piazza und Piazzetta San Marco verwandelten sich für eine Stunde oder länger in rechteckige Seen, auf denen tote Tauben trieben. Die verreckten Tauben fielen sonst nicht auf.

Ich hatte am Vorabend mit Minardi gesoffen, dem Grappa-Händler, bei dem ich Stammkunde war. Lange nach Ladenschluss, gegen Mitternacht, hatte ich die Fliege gemacht. Dass ich meine Geldbörse bei ihm liegen lassen hatte, war mir erst am Morgen aufgegangen. Ich war blank, ich saß völlig auf dem Trocknen, meine gesamte Barschaft lag in diesem Schnapsladen. Es war nicht weit dorthin, doch nun hatten wir Hochwasser, und ohne Gummistiefel blieben mir nur die Stege, die wie immer rasch aufgebaut worden waren. Natürlich waren die Stege von Millionen Japanern verstopft.

Ich hätte in Harry’s Bar anschreiben lassen sollen, um bei zwei, drei, vier Laphroaig abzuwarten, dass sich die Wassermassen und Millionen Japaner wieder verlaufen würden. Aber ich gehörte nicht zu denen, die in Harry’s Bar Kredit hatten. So reihte ich mich ein und trottete über den Steg, links die Alte Bibliothek, rechts der Dogenpalast, unter mir Wasser, über mir der Waschhaushimmel, vor mir der Singsang staunender Menschen aus dem Land der aufgehenden Sonne und hinter mir … keine Ahnung. Es ging mir nicht besonders, nicht nur wegen des Katers. Meine Seele trug schon seit Monaten Grau. Minardi hatte mir geraten, mal wieder gründlich zu bumsen, doch ich hatte nur abgewinkt.

Die Stege waren zu schmal für Gegenverkehr. Ständig stießen sich die Leute mit der Schulter an oder bekamen einen Ellbogen in den Bauch.

Weiter vorne platschte es. Die Gänsereihe stockte. Die Japaner vor mir schnatterten aufgeregt. Eine Sehenswürdigkeit. Eine Madonna mit nassen Füßen. Ein badender Engel. Irgendein Grund, die Videokameras schnurren zu lassen. Ich blieb stehen, gezwungenermaßen. Mein Hintermann lief weich auf mich auf.

»Scusi«, sagte er. Sagte sie. Es war eine Frau.

»Keine Ursache«, murmelte ich und drehte mich andeutungsweise um. Das hätte ich lassen sollen. Doch das wusste ich da noch nicht.

»Toll, so ein Menschenauflauf.«

Waschecht war ihr Italienisch nicht. Genauso unecht wie das Hellblond ihres zerzausten Schopfes. Ihre Schneidezähne blitzten, die zwei mittleren ragten eine Idee weiter vor. Ihre Augen, grau schillernd mit einem Stich ins Gelbe, waren verwegen geschnitten, die äußeren Augenwinkel reichten tief hinab, schräg stehende Augenhalbmonde, aus denen spöttische Lichter funkelten. Sie war nur wenig kleiner als ich, und wir hätten gleichzeitig in dieselbe Banane beißen können, so nah war ihr Gesicht. Über ihre Nase zog eine Milchstraße von Sommersprossen, mitten im Dezember, und einer der Sterne war größer als alle anderen, eine Supernova, die auf dem Nasenrücken explodierte.

»Ich habe, ehrlich gesagt, die Nase voll.« Sie lachte.

Ich grinste zurück, obwohl ich da noch nicht verstand, wie sie das meinte.

»Zigarette?«, fragte ich, nach wie vor ging es weder voran noch zurück.

Sie nickte, doch als ich meine Gitanes aus der Tasche fummelte, erwies sich die Schachtel als leer. Ich war noch zu blau, um die Situation peinlich zu finden. Genau genommen, war das eine Empfindung, auf die ich auch nüchtern gut verzichten konnte. Was war schon peinlich?

»Pechsache«, sagte ich.

»Glückssache.« Sie lachte und zückte ein Päckchen Marlboro Lights, eine Sorte, mit der man mich jagen konnte. Die Lady hatte einen amerikanischen Akzent, sie trug einen weichen Ledermantel, der sündhaft teuer aussah, wahrscheinlich Bison, und sie rauchte solche Zigaretten. Ich nahm eine, und als ich ihr Feuer gab, lehnte sie sich kurz an mich.

»Sie haben eine Fahne, Fremder«, stellte sie fest. »Grappa, würde ich sagen.«

»Und Sie riechen nach Moschus«, erwiderte ich. »Außerdem wette ich, dass Sie sich unter den Armen rasieren.«

Sie prustete und blies sich eine Strähne von der Nase.

»Nicht nur dort«, sagte sie. »Ich würde Ihnen das ja beweisen, aber …« Sie zog das Wort kokett in die Länge. Ich fragte mich allmählich, in was für einem Film ich war. »Aber … haben Sie hier irgendwo einen Palazzo?«

Ich starrte sie an. Irgendwas stimmte nicht.

»Ich heiße Vickie. Eigentlich Sharon Vicarious Morton, aber das können Sie vergessen. Ich bin Vickie. Mit zwei«, sie reckte mir beide Mittelfinger entgegen, »mit zwei i-Punkten, einer links vom C, der andere rechts vom K. Zeigen Sie mir Ihren Palazzo, Fremder. Es ist die rechte Zeit für eine kleine Fickstunde.«

Das wurde zwischen uns zu einem Code, der in all seiner charmanten Deutlichkeit keinen Aufschub duldete.

Natürlich hatte die Sache einen Haken. Kaum dass ich sie in mein Kämmerchen in San Samuele gelotst hatte, mehr neugierig als lüstern, eher überwältigt als eroberungslustig, kaum dass ich die unschuldsweißen Vorhänge zugezogen hatte, schloss sie die Tür ab und ließ den Schlüssel in ihre Tasche gleiten. Dann langte sie in ihren Buffalo-Bill-Mantel, es knackte, und dann richtete sie ein zierliches Schießeisen auf mich.

»Geladen und entsichert«, erläuterte sie. Mir war absolut schleierhaft, was sie mit mir anstellen wollte, ich stand ganz still in meinem Kämmerlein, bereit, es herauszufinden.

Ich fand es heraus, sie ließ mich nicht lange im Unklaren.

Coyote

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