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Vickie verließ das Vesuvio im Sturmschritt, ich hatte Mühe, ihr zu folgen. Dank ihrer Aufmachung als Kanarienvogel konnte ich sie selbst im dicksten Gedränge nicht verlieren. Sie schien zu wissen, wohin es ging, und das konnte nur Johann ihr verklickert haben. Zielstrebig schwenkte sie nach links auf den Broadway, überquerte die Grant Avenue. Auf der blassblauen Fassade über dem New Sun Hong Kong Restaurant huschte ein riesiger olivfarbener Drache vom dritten in den ersten Stock. Als ich ihm mit der Faust drohte, erstarrte er zum Wandgemälde.

»Die Feinde lauern überall, nicht wahr?«

Ihr entging aber auch nichts.

»Ist es hier?«, fragte sie, als wir die Stockton Street erreichten.

Ich antwortete nicht gleich. Irgendein Detail war durch mein Blickfeld gezischt, hatte mit ein paar Sekunden Verspätung in meinem Hirn Alarm ausgelöst, aber das hatte offenbar vergessen zu speichern, was ich gesehen hatte.

Ich sah mich um. Überall Chinesen. In die Richtung, aus der wir gekommen waren, entfernte sich ein Mann, der ein bisschen groß war für einen Chinesen. Er trug einen bei Chinesen wenig gebräuchlichen grauen Hut mit breiter Krempe, mehr sah ich nicht von ihm, gleich würde er im Gewimmel verschwinden. Aber ich würde mich jetzt nicht zum Affen machen, indem ich ihm hinterherrannte.

»Ist das hier, verdammt noch mal, ist das hier die richtige Straße?«, wiederholte Vickie ungeduldig.

»Jaja«, sagte ich abwesend und sann darüber nach, ob es eine gute Idee war, jetzt in dieses Zimmer zu gehen. »Lass uns die Sache verschieben und erst noch irgendwo …«

»Kommt nicht infrage«, fuhr sie dazwischen, und ich fügte mich. Statt meine Zeit damit zu vertrödeln, Gespenster zu sehen, sollte ich es auch diesmal mit Anstand hinter mich bringen. Danach könnte ich die Beine hochlegen oder es lassen. Ich würde von Neuem zu hören kriegen, dass es wieder phänomenal war. Sie fand es immer phänomenal, und Millionen Frauen würden sie drum beneiden, all die Frauen, die noch nicht den Weg gefunden hatten, aber wahrscheinlich wäre keine dieser Frauen scharf drauf, denselben Weg zurückzulegen, den Vickie hinter sich hatte, nicht eine würde sich das antun wollen, abgesehen von den Ahnungslosen, die von solchen Sachen träumten.

Wir stiegen hinauf. Der Inder war nicht zu sehen. Hinter der Luke hockte ein Mädchen, das elf, zwölf Jahre alt sein mochte, die Tochter vielleicht, eine schüchterne Inderin in Miniaturausgabe, die noch nicht die grünbraune Gesichtsfarbe ihres Alten hatte.

Als ich mir den Schlüssel schnappte, war mir, als wollte die Kleine was sagen. Ihr Mund klappte auf und klappte wieder zu, und der Blick, mit dem sie mich musterte, glich einem verschleierten Doppelpunkt.

Vielleicht, beruhigte ich mich, guckten indische Jungfrauen so. Die hier schloss für einen Moment die Augen. War wohl doch nichts. Was Vickie anbelangte, so hatte die Kleine sie so komplett übersehen, wie nur weibliche Wesen ihre Geschlechtsgenossinnen übersehen können.

»Du lieber Himmel«, meinte Vickie, als ich sie in mein Gemach einließ, »so eine hübsche Klosterzelle aber auch. Da wird es ja Zeit für ein Stündchen Sünde.«

Ein seltsamer Duft hing im Zimmer. Nicht Bourbon, nicht Jack Daniels Schweiß, nein, es war etwas anderes. Ein süßer Anflug von Fremde. Nach einer Nacht war ich mit dieser Absteige noch nicht vertraut genug, um ihren Standardgeruch zu kennen. Doch hier roch es merkwürdig.

Das Fenster stand offen. Das Bett war gemacht worden, und es hing ein frisches Handtuch da.

So ein Apartment mit Blick auf einen geteerten Lichtschacht, sagte ich mir, duftete eben mal so und mal so.

»Du hast mir letzte Nacht gefehlt«, bemerkte Vickie, während sie aus den Jeans hüpfte, umgehend machte ein Hauch von Moschus die Runde und überzog alles andere. Das T-Shirt flog in die Ecke und der klitzekleine schwarze Rest. Ich schaute mich unschlüssig um. Es war verdammt eng hier, vor allem, wenn sich zwei nicht in die Quere kommen sollten.

»Setz dich aufs Bett«, riet sie mir, ihre Stimme rutschte eine ganze Oktave tiefer, die Vorfreude war unverkennbar. »Ich nehme den Schemel.«

So eine kleine Fickstunde hatte mit der guten alten Rein-Raus-Geschichte so viel zu schaffen wie die Aussicht auf einen fernen Gipfel verglichen mit seiner Besteigung. Vickie würde sich niemals und von niemandem besteigen lassen. Ihr Schießeisen benutzte sie schon lange nicht mehr. Sie vertraute darauf, dass ich sie nicht anrühren würde, während sie sich mit ein paar geschickten Handgriffen Feuer unterm Kessel machte.

Sie sah ziemlich schön aus, wie sie sich streichelte und mich dabei mit gelber werdendem Blick fixierte. Ab und zu zuckte ihr Bauch, und ihre hellen Brüste wippten nach. Wieder staunte ich, dass ihr ungewöhnlich länglicher Nabel, der wie ein Schlüsselloch aussah, so weit oben saß. Er war näher bei den Brüsten als bei ihrem Schoß, obwohl sie weiß der Himmel keine Hängetitten hatte. Es lag daran, dass sie sich rasierte, was ihren Bauch in ein weites kahles Feld verwandelte, ohne Wald weit und breit.

Sie fuhr sich mit der Linken sacht über die Brustwarzen, während die Rechte inzwischen ein glucksendes Geräusch erzeugte. Der Moschusduft verstärkte sich. Ich lächelte. Wir waren seit anderthalb Jahren ein Paar, und sie hatte mir schon des Öfteren, ohne zu stottern, mitgeteilt, dass sie mich liebe. Und ich hatte nach einer Weile begriffen, dass sie auf ihre Weise tatsächlich etwas in der Art für mich empfand.

Sie konnte sehr eifersüchtig werden. Wenn sie wüsste, dass ich was mit anderen Frauen hätte, hatte sie mal gesagt, wäre der Zauber dahin. Wie bei dem Kerl, mit dem sie vorher zusammen war.

Morbo war ein Thema für sich. Ich hatte ihn beerbt, ohne dass er gestorben war. Mir war noch heute schleierhaft, was sie an dem gefunden hatte. Aber das denken alle Männer über ihre Vorgänger. Und leider schien Morbo quicklebendig zu sein. Vickie hatte sich geschworen, nachdem sie im Koksrausch in diesen Schlamassel geraten war, nie wieder …

»Träum nicht«, zischte sie. »Schau mich an! Schau mir in die Augen!«

Es war dieser Balanceakt, der sie faszinierte. Ich sollte sie begehren, aber ich würde keine Chance haben.

Sie hatte sich damals in die Lesbenszene gestürzt. Das Trauma der Gewalt hatte ihr ein Tabu beschert und zugleich manische Lust. Aber mit Frauen machte es ihr auf die Dauer keinen Spaß. Wenn sie es sich in aller Stille selber machte, dann war das Wichsen, hatte sie erklärt, besser als gar nichts, aber eben eine halbe Sache. Und wenn es ihr eine Frau machte, dann empfand sie das als Wichserei von fremder Hand. Sie brauchte einen Kerl dazu, einen Mann, der scharf auf sie war und den sie lieben könnte …

»Schau mich an«, brüllte sie. Was war ich aber heute auch wieder für ein miserabler Liebhaber!

Seit sie vom Koks weg war, worauf ich mir durchaus was einbildete, schien sich ihre Gier um ein, zwei Grad abgekühlt zu haben, aber sie kam schneller. Heute hatte sie allerdings Verspätung.

Ich schaute ihren Brüsten beim Zappeln zu. Das war ein Anblick, der mich noch jedes Mal freute, eine kleine Freude für einen Mönch, der der Liebe im Großen und Ganzen und Besonderen abgeschworen hatte.

Ich mochte Brüste schon immer. Leider bekam ich als Kind, nachdem ich abgestillt worden war, eine Ewigkeit keine mehr zu sehen. Mit acht oder neun Jahren stöberte ich in Versandhauskatalogen herum. Mich interessierten nicht die Seiten mit dem Spielzeug oder den Kinderklamotten, sondern die mit den Badeanzügen und den Dessous. Ich pauste diese Fotos mit Bleistift auf Butterbrotpapier, ließ die Wäsche aber weg, sodass die blanken Brüste sichtbar wurden, die ich mit fantasievollen Warzen ausstattete.

Mein Lieblingsmodel hatte eine Figur, die der meiner Mutter nicht unähnlich war. Das wurde mir aber erst viel später klar. Die Brüste waren schwungvoll, und ich dachte nicht im Traum an Sex, sondern nur an Schönheit. Ich hätte was darum gegeben, wenn diese zwölf Zentimeter kleine nackte Frau sich vor mir bewegt, mit mir getanzt hätte.

Die Magazine, die mir später in die Hände fielen, bargen diese Reize nicht. Ich lernte zwar einiges über den enormen Formenreichtum im Brustsektor und konnte mich lange nicht entscheiden, was ich theoretisch amüsanter finden sollte, die flachen Brüstchen mit Höfen kleiner als ein Sechser, in deren Mitte Nippel prangten, die an Rosinen, Himbeeren oder gar an Brombeeren erinnerten, oder die mächtigen Busen mit Höfen groß wie Teichrosen, aber winzigen Erbsen. Damals war ich ein kleiner Experte, der mit seinem Wissen eh noch nichts anfangen konnte. Ich schaute mir im Zoo die fröhlich schaukelnden Hängedinger der Orang-Utan-Ladies an und dachte: Donnerwetter, die haben sich nicht so affig wie die Menschenfrauen.

Vickie hatte mich jetzt scharf ins Auge gefasst.

»Ich fick dich …«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor, »… und du …«, sie ächzte, »… wirst mich …«, ihr Stöhnen wurde lauter, »… niemals …«, es ging in ein Winseln über, »… verlassen!«

Ich sah, wie sie abhob. Sie stand, und ihr ganzer Körper vibrierte in nicht enden wollendem Nachbeben. Ihr Mund öffnete sich weit. Die Schneidezähne blitzten auf. Und da durchzuckte es mich. Mir war eingefallen, was ich da unten auf der Straße gesehen hatte. Ein Gesicht, in dem diese beiden Zähne fehlten.

Coyote

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