Читать книгу Coyote - Jens-Uwe Sommerschuh - Страница 8

Оглавление

5


Johann unterhielt sich, als ich ihn im Vesuvio fand, mit einem mageren, zappligen, pferdeschwänzigen Greis, den er mir als bedeutend insofern vorstellte, dass er einst das eine oder andere Glas mit Jack Kerouac geleert habe. Kerouac, nach dem die Gasse hieß, die auf Höhe des Vesuvio in die Columbus Avenue mündete, war oft hier aufgekreuzt, bis er im nicht eben hohen Alter von siebenundvierzig Jahren seinen Trinkgewohnheiten zum Opfer fiel.

Außerdem habe der Alte schon mal neben Bob Dylan gestanden, und zwar hier, und er hatte sich kürzlich, ich sah es an den weißen Puderresten im Nasenhaar, eine Spur reingezogen, mehr Schnee, als gut für ihn war. Wenn er weiter so gestikulierte, würden ihm in Kürze die Arme abfliegen, ein Handicap, ohne Frage, bei dem die Krankenversicherungen neuerdings immer öfter auf stur schalteten.

Johann fing meinen Blick auf. Vor ihm stand ein kleines Bier. Daneben lagen die ultraleichten Kent.

»Ich werd nicht wieder«, sagte er zwinkernd und zeigte mit schauderhaft schlecht gespielter Entgeisterung zur anderen Seite der Columbus. »Da drüben geht Jerry Garcia.«

Mein Gott, dachte ich, lass die Toten ruhen. Aber es wirkte.

»Hihi, nich möööglich!« Der Zappelopa kicherte und spielte einen irren Lauf auf der Luftgitarre. »The Grateful Deeaaad«, jubelte er, »hunnerttausend im Golden Gate Park.« Und dann war er zur Tür hinaus, sprang über einen sechs Meter langen Chevy, der da gar nicht stand, und war schon auf der anderen Seite der Columbus, um im Specs zu verschwinden.

»Das ist North Beach«, meinte Johann, »die Vergangenheit wirft ellenlange Schatten, und alle bedienen sich. Hast du gesehen, was für einen Schatten der hatte? Wo ist denn die Lady?«

Ich zuckte die Schultern und steckte mir eine Gitane an. Johann nahm auch eine, denn ultraleichte Kent waren eine Zumutung.

Ich brachte unser Zerwürfnis zur Sprache, ohne den seidenen Anlass zu erwähnen. Ich schenkte mir auch die Sache mit dem Drohbrief und das Thema Italien sowieso. Dafür schilderte ich meinen Kurzbesuch bei Captain Nagaer und plauderte lang und breit über Joshua und Bekker, ohne dass Johann mich unterbrochen hätte, sogar das Eichhörnchen baute ich mit ein.

Johann wusste nicht genau, was mit uns war. Nur dass mit uns was war, das wusste er genau.

»Mist«, sagte er, »so ein Krach ist nicht gut fürs Geschäft. Da leidet die Kreditwürdigkeit.«

Wir schwiegen uns an wie zwei Reisende, die nicht wissen, ob ihr Bahnsteig noch von Zügen frequentiert wird, und wenn ja, ob es noch Tickets gibt, und wenn auch das, wohin sie eigentlich wollen. Ich jedenfalls schwieg auf genau diese Weise. Ich überlegte, ob ich mich bei Johann nach diesem Dawn erkundigen sollte. Dann fiel mir ein, dass Joshua gesagt hatte, ich solle nie nach ihm fragen.

»Falls ich klarsehe«, sagte Johann und fuhrwerkte mit der Hand in seinem grauen Bart herum, »solltest du untertauchen und die Lady wiederfinden.«

Er gab mir die Adresse eines Hotels in der Stockton Street, es hieß Obrero. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag.

»Ab halb eins«, sagte er, »wenn die Musikkapelle von der Columbus in die Stockton einbiegt. Bleib auf jeden Fall dort.«


Das Obrero lag am Westrand von Chinatown, zu Fuß keine zehn Minuten vom Vesuvio entfernt, ein unauffälliger dreigeschossiger Klinkerbau. Parterre befand sich ein Alles-was-des-einfachen-Chinesen-Herz-begehrt-Laden, dem eine grüne Markise Schatten spendete. Ich klingelte an der schmalen Pforte neben dem Geschäft.

Das Zimmer, in dem ich zehn Minuten später stand, war winzig. Das Fenster ging auf einen zwei Meter breiten Lichtschacht hinaus, und ich blickte auf eine Ziegelwand. Sie hatten die Schachtwände geteert, damit die Aussicht an Trostlosigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Schon wieder fühlte ich mich an die Pechmarie erinnert. Sie war nicht durch ein Tor gegangen, sondern in diesen Schacht gesperrt worden, wo es ein Leichtes gewesen war, Kübel von Teer über ihr auszuleeren, ohne sie zu verfehlen.

Obwohl das Gewimmel in der Stockton ein fast ausschließlich chinesisches Gewimmel war, hatte sich der Hotelier als Inder entpuppt, und zwar als ein besonders übellauniger, der sich nichts, aber auch gar nichts von der wuseligen Freundlichkeit der Chinesen abgeguckt hatte. Seine Gesichtspigmente hatten sich auf der Suche nach der griesgrämigsten Tönung zwischen Olive und Kartoffelschale eingependelt, was durch das dunkelweiße Unterhemd, das er trug, gekonnt unterstrichen wurde. Mein Versuch, mit ihm Konversation zu machen, scheiterte kläglich, weil er so tat, als wäre die englische Sprache im Grunde unaussprechbar und allenfalls dazu angetan, einen unverschämten Zimmerpreis stoisch zu wiederholen. Mir war ziemlich schnuppe, was es kostete, wenn nur die Treppe zum Dach in der Nähe lag. Zum Schein feilschte ich, bis ich diese Kammer im Obergeschoss für einen halben Dollar weniger bekam.

Ich verbrachte in dem miesesten Verschlag, in den ich je meinen Fuß gesetzt hatte, den Rest des Tages und recht und schlecht die Nacht, nachdem ich versucht hatte, dem Schlaf mit einem Flachmann namens Jack Daniel’s auf die Sprünge zu helfen. Mehrmals schreckte ich hoch, weil ich im Traum Schritte gehört hatte. Einmal waren da wirklich Schritte, aber sie schlurften an meiner Tür vorüber, entfernten sich, kurz darauf rauschte fern die Klospülung. Ich sackte wieder weg.

Dann war ich woanders. Neben mir eine Frau mit eigenartig unscharfem Antlitz. Sie hatte dunkle, fast schwarze Haare und eine kleine, ganz leicht himmelwärts schwingende Nase. Dann verschwamm das Gesicht wieder. Wir badeten in einem lehmigen Bach, und als wir aus dem Wasser stiegen, leuchtete ihre Haut in brandigem Rot, während mein Körper gelb geworden war. Ich hockte mich hinter sie und strich ihr mit dem Zeigefinger über den schmalen Rücken, fuhr hinauf bis zum Hals und wieder hinunter.

»Oijoi«, seufzte sie und ließ sich auf die Seite fallen. Beim Klang ihrer kratzigen Stimme brach mir der Schweiß aus, lief an mir runter und wusch nicht nur den gelben Lehm weg, sondern mich selbst. Ich begann mich aufzulösen. Ich sah mich nicht mehr. Ich sah sie nicht mehr. Ich wusste, dass sie noch da war, ich hörte ihren Atem. Fern vernahm ich Schienenstöße.

»Ich hab so ein klitzekleines Ziehen im Bauch«, flüsterte sie.

Ich lauschte.

»Kann gut sein«, flüsterte sie, »ich krieg sie immer bei Vollmond, und das ist schon fast zwei Tage her.«

Ich lauschte.

»Vielleicht wird es ein Mädchen«, hörte ich mich murmeln.

»Oder ein Junge«, flüsterte sie.

Ich lauschte.

Doch nun blieb es still. Auch das Geräusch des fahrenden Zuges war nicht mehr zu hören. Ich hatte mich vollständig aufgelöst.

Als ich mich wieder spürte, stand ich in der Ecke eines Zimmers mit schweren purpurnen Gardinen, und ich hatte immer noch nichts an. Auf dem Tisch lagen Berge von Geldscheinen. In einem Sessel vor dem purpurverhangenen Fenster saß eine hellblonde Frau in einer Pose, die es nicht in jedem Kino zu sehen gibt. Die linke Hand bewegte sich gleichmäßig zwischen den leicht geöffneten Schenkeln. Die rechte Hand war auf mich gerichtet. Sie hielt eine Pistole. Die linke Hand bewegte sich schneller. Die rechte Hand begann zu zittern.

»Schieß doch endlich«, wollte ich sagen, doch es wurde nur ein Krächzen draus. Sie war noch nicht so weit.

Plötzlich schwenkte die rechte Hand zur Seite, jemand war lautlos hereingekommen. Es war Linnet. Ich bemerkte, dass ich nicht mehr nackt war. Linnet schien weder die Pistole noch die Frau zu sehen, die jetzt auf sie zielte.

»Ich habe Feierabend«, sagte sie fröhlich zu mir, »kommst du mit zur Golden Gate Bridge?«

Ich nickte und löste mich aus meiner Ecke.

Der Schuss war viel leiser, als ich erwartet hatte. Die Kugel ging durch Linnets Latzhose, direkt neben dem Aufnäher, auf dem »Blue Asphalt« stand. Linnet schüttelte sich kurz, als wäre sie gekitzelt worden. Sie wandte sich unbeeindruckt zur Tür, und ich folgte ihr benommen. Nach zwei Schritten erstarrte ich.

»Du Mistkerl«, hatte ich die Frau im Sessel sagen hören, »du kannst gar nicht gehen. Oder habe ich dich etwa freigegeben?«

Coyote

Подняться наверх