Читать книгу Coyote - Jens-Uwe Sommerschuh - Страница 21
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Zuerst schlenderte ich am Hotel vorbei, um einen Blick auf mein Fenster zu werfen, hätte ja sein können, dass Licht brannte. Da oben war es so finster, wie sich das für das Fenster eines Zimmers gehörte, dessen Mieter hier unten stand und Maulaffen feilhielt. Die Straße lag nahezu verlassen, die Chinesen waren keine Nachtschwärmer. Auch die Italiener mit Sonnenbrillen und die Männer, denen Schneidezähne fehlten, waren wie vom Nebel verschluckt.
Ein Bettler bat mich um einen Vierteldollar. Ich zuckte die Achseln. Wer gibt, der hat, war mir Johanns Unterweisung in Erinnerung, und wer hat, der hat auch mehr. Der Bettler beschimpfte mich, das gehörte zum guten Ton, ein Bettler, der sich nicht aufregte, wenn er leer ausging, war unglaubwürdig. Ich ließ ihn fluchen und betrat nun doch das Hotel.
Ich hatte dreimal Post. Nahezu alle netten Bekannten, die meine streng geheime Anschrift kannten, hatten sich die Klinke in die Hand gegeben, um mir Zettel mit lieben Grüßen zu hinterlassen. Morgen würde ich im Chronicle inserieren, dann konnten mich auch all die anderen beglücken.
Als der Inder mir die Blätter mit spitzen Fingern reichte, hielt er die freie Hand auf. Ich sei ja nun umgezogen, er habe niemandem was davon gesagt, trotz zahlreicher Anfragen. Ich sei nicht da, habe er gesagt und dann bei mir geklopft und nachgeschaut, und ich sei wirklich nicht da gewesen. Seine Sprachkenntnisse waren enorm gewachsen.
»Nicht weggegangen und trotzdem nicht da«, brabbelte er, und ich legte ihm einen Zehner in die ausgestreckte Hand.
In meinem Zimmer sichtete ich die frohen Botschaften.
»Muss dich sehen. Dringend. Bin halb neun im Cocodrie. In Liebe. V.«
»Muss mit dir reden. Halb zehn im Specs. Jh.«
Das dritte Schreiben war, was mich nicht überraschte, in Italienisch abgefasst: »Treff, wie vereinbart, um neun«, übersetzte ich, »aber heute. Gnade dir, wenn du Zicken machst.«
Ich lachte unfroh in mich rein. In Liebe und Gnade dir, das gefiel mir. Ein bisschen Liebe und ein bisschen Gnade, purer Balsam war das. Alle gingen davon aus, dass ich aufs Wort gehorchte. Steckst du erst mal in der Scheiße, dann denken die Leute, dass du tust, was sie sagen. Es war besser, nirgendwo drinzustecken, und schon gar nicht in der Scheiße, aber genau das konnte ich von mir schon lange nicht mehr behaupten.
Es war halb elf, ich würde, selbst wenn ich mich in der grauen Nebelsuppe nicht verlief, überall zu spät kommen.
Zehn Minuten darauf betrat ich das Cocodrie, einen Rockschuppen im Szenedreieck zwischen Columbus und Broadway. Der Türsteher erleichterte mich um fünf Dollar, grad sei die dritte von fünf Bands zugange, informierte er mich, The Bad Stress, und das schien ihm allerhand zu bedeuten.
Ich setzte ein strahlendes Lächeln auf, als hätte ich da unheimlich Glück gehabt, und er freute sich für mich. Ich schob mich durch die Menge aus Jeans, Holzfällerhemden und Lederjoppen. Der Sänger röchelte gerade einen Song, der von seinem bevorstehenden Ableben handelte, und ich hoffte, er würde damit warten, bis ich wieder draußen war.
Vickie sah ich nicht. Ich kämpfte mich zum Tresen durch, wo ich zwei, drei Wodka kippte, um mich beim Warten nicht zu langweilen, sicher war sie nur auf dem Klo.
In der ersten Zeit in Venedig hatte sie sich, wenn wir aus waren, ständig aufs Klo verzogen. Erst hatte ich Mitleid gehabt, Menschen mit schwacher Blase waren nicht zu beneiden, bis ich begriff, dass es Leute gab, die dort nicht nur das Übliche verrichteten. Die Schneemänner und Schneewittchen, zu denen damals auch Vickie zählte, waren der allgemeinen Stimmung immer eine Nasenlänge voraus, und sie ließen sich diesen kleinen verkoksten Vorsprung was kosten. Inzwischen war Vickie clean, sie hatte den Austritt aus dem Club der Schnupfer noch in Venedig vollzogen. Denn ihr Interesse für euphorisierende Schneestürme hatte vor ihr einen Berg aufgetürmt, der im Gegensatz zu ihren Kokainvorräten überhaupt nicht geschmolzen war, einen Schuldenberg, der ihr gefährlicher wurde als das Koksen an sich. Drogen töten langsamer als die Abgesandten der Gläubiger aus der Drogenszene. Deshalb hatten wir, als sie meinte, ihren Entzug im Griff zu haben, die Sache mit der Bank riskiert, und mit dem Glück der Tüchtigen hatten wir Einnahmen erzielt, die Vickies Verbindlichkeiten bei Weitem überstiegen.
Jedenfalls war ich es gewohnt, dass Vickie ab und zu für kleine Mädchen verschwand. Und ich konnte nur die Daumen drücken, dass sie keinen Anlass gehabt hatte, in Versuchung zu geraten.
Nach dem vierten Wodka wurde ich unruhig und fragte den Barkeeper, ob er sie gesehen habe, und beschrieb sie ihm. Erst schien er nur wieder Wodka zu verstehen, knurrte dann aber, er achte nicht auf Frauen, und tippte sich an den Ohrring.
Die Band spielte ein optimistisches Stück über die Schmerzen, die nicht enden wollen, was aber noch lange kein Grund sei … Wofür, das ging wieder im Röcheln unter, das Ganze hatte die Wucht einer Schrotladung, der Sänger war voll am Drücker.
Der Einlasser konnte nicht verstehen, dass ich schon wieder abhauen wollte. Immerhin hatte er Vickie gesehen, sie trug nach wie vor den Kanarienfetzen, aber vor allem war sie ihm aufgefallen, weil auch sie trotz The Bad Stress gegangen war, das war der Abend hoffnungsloser Kulturbanausen. Vickie, erfuhr ich, hatte den Laden vor gut einer halben Stunde in Begleitung eines Mannes verlassen.
»Das war so ’n neureicher Arsch mit Sonnenbrille«, präzisierte der Türsteher, »zumindest sah er nach mehr Kohle aus als du.«
Im Moment konnte ich ihn nicht eines Besseren belehren, ich hatte noch was vor. Sie hatte mich sehen wollen, aber nicht warten können, und dass dieser Morbo seine Seuchenfinger wieder nach ihr ausgestreckt zu haben schien, gefiel mir gar nicht.
Im Vesuvio fand ich Johann nicht. Als ich das Specs betrat, bemühte ich mich, die Situation mit einem Blick zu erfassen. Dass heute Peter arbeitete, ein alter Bär, der seine Kundschaft im Zaume hielt, selbst wenn es hart auf hart ging, das war noch das Beruhigendste.
Johann stand am Tresen, vor sich ein kleines Bier und die ultraleichten Kent, auch das ging in Ordnung. Allerdings wirkte er nervös.
Der Mann neben ihm fasste mich sofort ins Auge. Er hatte etwas, das meinen Blick fesselte. Genauer gesagt, fehlte ihm etwas. Ihm fehlten zwei Schneidezähne. Einen Hut trug er jetzt nicht.
An Johanns Arm hing eine Frau Mitte dreißig, die mich anstierte, als hätte ich eine grüne Nase oder als wäre grad von mir die Rede gewesen. Im Hintergrund saß ein Schwarzer, der reichlich Falten im Gesicht hatte, mir verschwörerisch zuzwinkerte und dabei unauffällig den Zeigefinger an den Mund legte.
Ich beschloss, zunächst keinen zu kennen, niemanden außer Peter.
»Na, Strolch«, begrüßte der mich polternd, »hat’s dir die Petersilie verhagelt? Oder hast du im Nebel die falsche Alte geküsst?«
»Lass mich in Ruhe, ich hab meine Tage«, sagte ich. »Mixt du mir ’ne Bloody Mary?«
»Ist geritzt. Queen Mary die Blutige wird umgehend inthronisiert. Mit Stolie oder Moskovskaya?«
Ich zeigte auf den Stolichnaya. Man konnte gegen die Amis sagen, was man wollte, sie hatten zwar nicht viel für die Russen übrig, wären aber im Traum nicht drauf gekommen, eine Bloody Mary mit was anderem als echtem russischen Markenwodka zu mixen. Anfangs hatte Peter mich aufgezogen, eine Bloody Mary sei nichts für die Nacht und nichts für Männer und schon gar nichts für Männer in der Nacht, sondern ein Daylight Drink für Katzen gegen den Kater, aber inzwischen respektierte er meinen Geschmack, nicht zuletzt, weil ich noch nie umgefallen war. Ich hatte eine Reihe erfreulicher Abende hier verbracht und ahnte noch nicht, dass dies nun vorbei war.
»Dein Typ ist heute ziemlich gefragt«, raunte Peter mir zu, als er mir den Drink vorsetzte. Ich starrte vor mich hin, mit der Quizfrage befasst, wie ich Johann allein sprechen könnte.
Auch Queen Bloody Mary II. musste ihr Leben aushauchen, bis die Lösung nahte. Johann kam mit seinem Bier rüber und stellte sich wie zufällig neben mich. Als er das Bier absetzte, schwappte ein Schluck auf den Tresen. Nach einer Weile sah ich, dass er mit dem Finger in der Bierpfütze rumspielte, er malte unablässig Männchen. Schließlich bemerkte ich meinen Irrtum. Es waren Buchstaben. Er schüttelte die Hand aus und begann von Neuem. Endlich begriff ich.
Zehn Minuten nach mir trat er aus der Tür in die dunkle Sackgasse, die im Nebel lag wie alles andere auch. Erst als ich hüstelte wie in einer schlechten Chandler-Verfilmung, sah er mich.
»Pass auf, ganz kurz«, sagte er dann, »hier hat sich vor reichlich einer Stunde ein Kerl nach dir erkundigt, ziemlich auffällig, ein schräger Vogel mit Sonnenbrille, einer von den Italo-Mackern. Hat erst ewig rumgesessen, ehe er nach dir gefragt hat. Spricht irgendeinen Schluchtendialekt. Der Typ wurde wütend, weil Peter so tat, als würde er dich nicht kennen. Ausgerechnet in dem Moment kam deine Lady rein und fragte, ohne nach links und rechts zu gucken, ebenfalls nach dir. Peter blieb dabei, nie gesehen, und die Lady drehte verwirrt wieder ab. Der Kerl ist ihr nachgegangen. Was is’n das für einer?«
Ich unterrichtete Johann knapp. Die Post der letzten beiden Tage erwähnte ich nun auch.
»Gut«, meinte er, »oder nicht gut. Geh rein und zünd dir eine Zigarette an, die du sofort wieder ausdrückst. Fang keine Gespräche an. Tu nichts. Hörst du? Nichts! Es wird dich jemand ansprechen und dir Fragen stellen.«
»Wer?«
»Mister X. Der Problemlöser. Wenn du keinen Mist baust, löst er auch deins.«
»Was für Mist?«
»Leute mit komplizierten Jobs sind zuweilen sehr empfindsam. Und nun nerv mich nicht länger. Über den Preis reden wir später, aber erst, wenn ich wieder da bin. Ich muss wegen einer lukrativen Sache nach Mexiko.«
»Nach Mexiko?«
»Vergiss es!« Er wurde unwirsch. »Ich sag dir das nur, damit du nicht nach mir suchst. Und geh heute Nacht lieber nicht in das Hotel. Tut mir leid, aber ich konnte nicht ahnen, dass dir jemand schon so dicht auf den Fersen war. Und noch eins: Da drin sitzt ein Bulle, ein Ziviler, dem Lauscher wie einer Fledermaus wuchsen, als erst die Sonnenbrille und dann der Kanarienvogel deinetwegen vorsprachen. So, Schluss jetzt! Ich hab noch viel vor heute. Rein mit dir!«
Er war schon auf dem Sprung.
»Warte noch«, sagte ich. »Kennst du die Geschichte von der alten LaFleur?«
Er stutzte.
»Was soll das? Nein, kenne ich nicht. Kenne keine … Wie heißt die?«
»Edith Jeanne LaFleur.«
»Nie gehört.«
Er schlug mir leicht auf die Schulter und war schon um die Ecke, als mir einfiel, dass ich vergessen hatte, nach dem Aussehen des Schnüfflers zu fragen. Doch als ich die Columbus hinunterspähte, war Johann nicht mehr zu sehen.
Mein lieber Mann, dachte ich, der stand aber unter Spannung. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Und ich wunderte mich, dass er von der LaFleur-Story nichts mitbekommen hatte. Oder war das am Ende doch ein Märchen, das nur in Linnets Fantasie existierte? Seltsam fand ich auch, dass das wie aus der Pistole geschossen kam: Nie gehört.
In der Tür stieß ich fast mit der Frau zusammen, die vorhin an Johanns Seite gewesen war. Sie schreckte zurück. In ihrem fahlen Gesicht fiel mir der Mund auf. Leute, die als Kind viel geschlagen worden sind, haben so einen Mund, einen harten Strich, der nie wieder weich wird, selbst wenn das Leben sich zum Besseren wendet. Sie drängte an mir vorbei und ging eilig davon, ich hörte keine Schritte.