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10 Uhr

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Hans Martin hatte noch vor dem Frühstück mit den beiden Damen mit seinem Wohnungsnachbar Josef telefoniert, der im Zoo arbeitete. Dieser war sofort bereit, Hans Martins Überraschung zu unterstützen. Außerdem hatte er ihm einen Parkplatz im Wirtschaftshof des Tiergartens reserviert. So mussten sie mit dem Rollstuhl nicht durch den Schlosspark fahren, was bei den Schotterwegen beschwerlich sein konnte. Den Weihnachtsmarkt vor dem Schloss Schönbrunn wollten sie sowieso an einem anderen Tag besuchen.

Hans Martin hob das Mädchen aus dem Fahrzeug in ihren Rollstuhl und übernahm das Schieben.

Das Wetter meinte es gut mit ihnen, es versprach ein kalter, aber trockener Tag zu werden. Erst im Laufe der nächsten Tage sollte der Schnee nach Wien kommen.

»Wo fangen wir an?«, fragte Juliana aufgeregt. Während der Autofahrt hatte sie Hans Martin mit Fragen nach der Überraschung gelöchert, aber nichts erfahren. Auch Camilla wusste nichts von seinem Vorhaben.

Zu dritt spazierten sie zum Polarium des Tiergartens. Das Gebäude beherbergte nicht nur die Pinguine, davor befand sich auch eine der Hauptattraktionen des Zoos, die Robben. Deren Becken war besonders großzügig gehalten, mit viel Landfläche und einem Schwimmbecken, das den Besuchern einen Blick unter Wasser bot. Die Fütterung der Robben wurde jedes Mal von etlichen Besuchern verfolgt, die ihren Spaß daran hatten, wenn die Tiere im hohen Bogen ins Wasser sprangen, um die Fische in der Luft zu erwischen.

Vor dem Eingang zur Pinguinanlage erwartete sie ein Mann in Hans Martins Alter. Er reichte Juliana die Hand.

»Hallo, da seid ihr ja. Ich heiße Josef und bin unter anderem für die Pinguine verantwortlich. Hans Martin hat mir verraten, dass Du die kleinen Tierchen so gerne hast.«

»Ja und wie. Die sind so süß, und sie können so gut schwimmen. Und wenn sie an Land herumwatscheln, das ist so lieb zum Anschauen«, sagte Juliana strahlend.

»Wenn das so ist, wie wäre es dann, wenn Du mir beim Füttern hilfst, Fräulein?«

Julianas Gesicht strahlte noch mehr.

»Sehr, sehr gerne. Aber geht das denn überhaupt? Ich meine, wie komme ich denn mit meinem Rollstuhl …«

»Wir werden nicht die Pinguine im Polarium füttern, sondern nehmen uns die Gruppe im Freigehege vor. Hans Martin wird Dich sicherlich gerne über die Absperrung heben. Mit etwas Glück lässt sich einer der kleinen Freunde vielleicht auch kurz streicheln.«

Juliana nickte mehrmals, das Angebot verschlug ihr die Sprache. Schon fünf Minuten später stand sie mitten im Gehege der Pinguine, umringt von ihren Lieblingstieren und einem Eimer mit Fischen auf ihrem Schoß. Josef zeigte ihr, wie sie den hungrigen Tieren den Fisch zuwerfen sollte. Es dauerte nicht lange, bis der erste Pinguin nahe genug kam und Juliana ihm zaghaft über das Fell streichen konnte.

Neben der Absperrung standen Camilla und Hans Martin und sahen dem überglücklichen Mädchen zu.

»Danke Hans Martin. Sieh nur, wie sie strahlt.«

»Josef wohnt neben mir. Wir haben uns vor Kurzem über seinen Job hier unterhalten, und nachdem Du die Pinguine erwähnt hast, habe ich mich bei ihm erkundigt.«

»Dir ist schon klar, damit bist Du bei ihr zu einer ganz besonders wichtigen Person geworden. Ich meine nur, wenn … Also, wenn Du Dir nicht sicher bist, dann … Wie soll ich sagen, Du hast gemeint, Du bist Dir selbst nicht sicher …«, stotterte Camilla herum, da sie nicht wusste, wie sie es Hans Martin genau sagen sollte.

»Ich weiß, was Du sagen willst, Camilla.« Hans Martin holte tief Luft. Diese Art von Gesprächen fiel ihm schwer. Er war es nicht gewohnt, über seine Gefühle zu sprechen, doch ihm war klar, dass er Camilla gegenüber offener werden musste.

»Ich bin nicht der Typ Mann, der viel darüber spricht. Aber Du und Juliana seid mir sehr wichtig. Du bedeutest mir viel und ich bin gerne mit Euch unterwegs. Ich habe nicht vor … Nein, ich werde nicht einfach von einem Tag auf den anderen verschwinden, ich möchte bei Dir bleiben.«

Camilla sah ihn verschmitzt an und hakte sich bei ihm ein.

»Schon gut, mein grauer Hase. Bemüh Dich nicht weiter, ich verstehe Dich schon.« Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

»Wenn wir gerade dabei sind, was war das mit Deinem Ex?«, lenkte Hans Martin ihre Unterhaltung auf ein anderes Thema.

»Ein Fehler aus meiner Jugend. Ich habe Radu in der Slowakei kennengelernt. Damals war ich jung, naiv und von seinem Geld beeindruckt. Er hat mir teure Geschenke gemacht und mich in noble Lokale ausgeführt. Natürlich war ich ihm schnell verfallen, ohne nachzufragen, woher das viele Geld kam. Bis er mich seinen Freunden vorgestellt hat und ich erfahren habe, was er so macht. Er hat mir angeboten, für ihn Drogen zu schmuggeln und als ich abgelehnt habe ...« Ihr Blick wurde nachdenklich und traurig.

Hans Martin zog Camilla zu sich.

»Ich war fast zwei Wochen im Krankenhaus, nachdem er und seine Freunde sich ... austobten. Da war ich schon schwanger, was ich aber erst im Spital erfahren habe. Meine Schwester hat mich geholt und nach Wien gebracht. Ich bin untergetaucht, Juliana kam auf die Welt und den Rest kennst Du.«

»Julianas Behinderung, ist er dafür verantwortlich?«

»Kann sein. Ihre Beine bekommen durch ein Nervenleiden keine Befehle vom Hirn, eine Behandlung ist nicht möglich. Ich brauchte Geld, um ihr ein normales Leben bieten zu können. Zufällig habe ich Victor getroffen und er hat mir angeboten, legal bei ihm zu arbeiten. Ich habe gewusst, was er mit Arbeiten meint, dass ich in seiner Bar als Nutte tätig bin. Aber ich brauchte Geld. Du weißt selber, bei ihm ist es wenigstens sauberes Geld und er sorgt dafür, dass das Lokal drogenfrei bleibt.«

»So hat jeder von uns eine dunkle Vergangenheit.« Hans Martin küsste ihre Stirn.

»Aber was zählt, ist das Hier und Jetzt. Sieh Dir Deinen kleinen Sonnenschein an, wie glücklich sie ist. Du hast genug Geld auf der Seite, um Dich auf eine Ausbildung zu konzentrieren. Und Deinem Exfreund kannst Du ausrichten, dass er sich nicht mit mir anlegen soll.«

»Was das Geld betrifft …«

»Frag nicht nach«, unterbrach er Camillas Versuch, ihn zu fragen, und umarmte sie.

Eine Minute lang drückte sich Camilla schweigend an Hans Martin.

»Danke. Ich ...«

»Ich weiß, Camilla. Ich Dich auch.«

Trotz allem fiel es Hans Martin schwer, romantische Gefühle zu zeigen. Camilla löste sich von ihm und versuchte, ihr trauriges Gesicht zu überspielen.

»Was ist mit Deiner Vergangenheit? Wann erzählst Du mir, was Dich zu diesem unromantischen, meist mürrischen Mann hat werden lassen?«

»Nicht hier, nicht heute. Wenn wir zwei in Ruhe zusammensitzen, dann vielleicht.«

Die Fütterung war vorüber, für Hans Martin genau zum richtigen Zeitpunkt. Er hob Juliana wieder über die Absperrung, wobei sie ihn mehrmals fest umarmte und sich bedankte.

»Das habe ich gern gemacht, kleiner Sonnenschein.«

»Das war unglaublich. Hast Du gesehen, ich habe sie sogar streicheln können. Und wie sie geplaudert haben. Das ist der beste Tag meines Lebens!«, meinte sie aufgeregt und verpasste Hans Martin einen Schmatzer auf die unrasierte Wange.

»Du musst Dich wieder einmal rasieren, das sticht.«

Sie spazierten zwar noch an den anderen Gehegen vorbei, die Pinguinfütterung blieb aber Julianas Highlight, von dem sie noch beim Verlassen des Tiergartens schwärmte.

»Was habt ihr heute Abend vor?«, fragte Hans Martin, als sie wieder im Wagen saßen.

Er erzählte ihnen von der Einladung bei Gabriele, die Camilla von einigen Besuchen in seinem Büro kannte.

Für Juliana war klar, dass sie hingehen würden, da sie sich noch mehr Erzählungen über Hans Martins Beruf erhoffte.

Adventmörder

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