Читать книгу Medical Cuisine - Johann Lafer - Страница 10
WAS BEIM GENIESSEN PASSIERT
ОглавлениеEgal ob wir unserer Lieblingssymphonie von Beethoven lauschen, ein faszinierendes Gemälde betrachten oder aber an einer Rose schnuppern: Am Anfang jeden Genusses steht ein sinnlicher Eindruck. Häufig kommen sogar mehrere Sinne zum Einsatz – insbesondere beim Essen. Wenn wir zum Beispiel die erste Erdbeere der Saison vor uns haben, sehen wir die leuchtend rote Farbe, ertasten ihre typische Form, riechen ihren – hoffentlich! – intensiven Duft. Beißen wir dann hinein, spüren wir zunächst die Süße, die wir über entsprechende Rezeptoren auf der Zunge wahrnehmen. Sobald wir das Fruchtstückchen schlucken, ziehen die Aromastoffe durch unsere Nasenhöhle. Dort sorgen Millionen Riechsinneszellen mit spezifischen Sinneshärchen dafür, dass wir Zigtausende verschiedene Duftstoffe unterscheiden können. Dockt ein Duftmolekül an ein passendes Sinneshärchen an, entstehen elektrische Reize, die dem Gehirn Informationen zum spezifischen Aroma der Erdbeere liefern. Außerdem erhält es Informationen zur Konsistenz der Frucht und zur Geschmacksqualität (in diesem Fall eben »süß«).
Das Besondere bei kulinarischen Genüssen: Anders als bei optischen, haptischen und akustischen Reizen gelangen die Details zu Geschmack und Duft auf direktem Weg in die Amygdala. Diese auch Mandelkern genannte Region des Gehirns bildet einen wichtigen Bestandteil des sogenannten limbischen Systems. Dort werden Gefühle verarbeitet und Triebe gelenkt. Außerdem sorgt dieser Teil des Gehirns dafür, dass wir Situationen emotional bewerten und wiedererkennen können. Und er ist darüber hinaus verantwortlich für die Ausschüttung von Endorphinen – Hormonen, die wie eine Art körpereigene Droge wirken und beispielsweise Empfindungen wie Schmerz oder auch Hunger mitregulieren. Wirkmächtige Stoffe also, die der Volksmund daher gern mit dem Wort »Glückshormone« übersetzt.
Das limbische System bildet eine Art riesigen Speicher. In diesem legt unser Gehirn unter anderem alle Geschmackseindrücke ab, die wir im Lauf des Lebens erfahren. Das Spannende dabei: Diese Eindrücke liegen dort nicht isoliert, sondern gebündelt mit Gefühlen, die der Geschmack in uns ausgelöst hat, und mit Erinnerungen an die Umstände, unter denen wir ihn wahrgenommen haben.
All dies erklärt, warum Essen so viel in uns auslösen kann. Weshalb ein Stück Apfelkuchen für viele ein so unnachahmlicher Genuss ist: Erreichen die Duft- und Geschmacksinformationen unser Gehirn, öffnet sich damit das ganze Paket. Wir fühlen uns umstandslos in Mamas oder Omas Küche zurückversetzt, die den besten Apfelkuchen der Welt backen konnte – und wir spüren, wie sich das Gefühl der Geborgenheit, das wir damals gefühlt haben, wohlig in uns ausbreitet.
Leider funktioniert das Ganze auch umgekehrt: Wer beispielsweise aufgrund einer nicht durchgegarten Hähnchenkeule einmal eine Salmonellenvergiftung erlitten hat, dem dürfte beim Geruch von Brathähnchen auf der Stelle übel werden.
Doch zurück zum Angenehmen: Haben wir eins unserer Lieblingsgerichte im Mund, schüttet unser Gehirn jede Menge Dopamin aus – und das umso mehr, je hochkalorischer die Nahrung ist, die wir zu uns nehmen. Dopamin wird auch »Motivationshormon« genannt. Denn weil wir uns so gut fühlen, wenn dieses Glückshormon den Körper flutet, regt es dazu an, die entsprechenden Handlungen zu wiederholen. Einfach weil wir das Glücksgefühl immer wieder spüren wollen. Dieser Prozess erklärt, wie sich Essensvorlieben ausprägen können: Wir lernen durch das wiederholte Essen, dass Apfelkuchen »schmeckt« – und zwar besonders gut. Bei Sellerie dagegen kommt es zwar auch zu einer Dopaminausschüttung, doch diese fällt gemeinhin deutlich schwächer aus. Hinzu kommt: Eine hohe Zufuhr von Kohlenhydraten, etwa von Zucker im Kuchen, fördert die Bildung eines weiteren Glückshormons, des Serotonins. Dieser Botenstoff macht uns gelassen, dämpft Ängste und Aggressionen. Beides hat zur Folge, dass wir nach Hochkalorischem beinahe süchtig werden können – nach Gemüse eher nicht.
Die Vorliebe für Süßes ist angeboren. Man kann sie aber auch auf gesunde Art stillen, zum Beispiel mit Beeren.