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Mara schrie unter ihm, wie er sie nie mehr, auch in Jahrzehnten nie mehr, vor Lust hatte schreien gehört. Er wusste, dass ihr Vater in diesem Bett zum letzten Mal geatmet hatte.

Es war kalt in diesem Haus, wie es hinter diesen Mauern immer, auch im Sommer, kalt war. Die Wände kahl oder behängt mit belanglosen, zugetragenen Souvenirartikeln, da und dort eine fabriksmäßig gefertigte Indianerpfeife oder Indianermaske, Geschenke einer Tante in Brasilien.

Dieses Familiengericht spielte sich in ihrem ersten gemeinsamen Sommer ab, nach dem ersten gemeinsam verbrachten Meeresurlaub (während Nixons Napalmbomben den vietnamesischen Wald entlaubten). Mara und Jul waren mit einem alten Kleinwagen an die kroatische Küste gefahren, sie hatten wie Kinder gelebt, genügsam, hatten anfangs sogar nur ein winziges Parterrezimmer gemietet mit einer Fensterluke ohne Blick auf das Meer, aber es gefiel ihnen alles, sie lagen tagsüber auf der Betonmauer eines Anlegeplatzes für Fischerboote, blickten in blitzblaues Wasser, tauchten hinunter und sonnten sich auf der wassernahen Mauer (erst nach Tagen merkten sie, dass nur zwanzig Meter entfernt ein offener Müllberg angelegt war). Sie aßen, was immer ihnen in dem staatlichen Gastbetrieb angeboten wurde, meistens Sardinen mit Bratkartoffeln oder Nudeln mit Gulaschsoße. Mara war schwanger, nur sie zwei wussten es und redeten davon auch nicht nach ihrer Rückkehr. Er erinnert sich an das Gartentürchen (auf Nabelhöhe und mit Karbolineum dunkelbraun gestrichen), dahinter – eben herbeigeeilt – Maras Mutter, noch nicht geblondet, mit ihren natürlich grauen Haaren, laute, freudig sich überschlagende Begrüßungsrufe für Mara, in die er eher zufällig mit einem Kopfnicken einbezogen schien, dann der Empfang im Hausinneren durch Maras Schwester Teresa und ihren schwammgesichtigen Mann Carlo. Ein Familiengericht bei Nachmittagstee. Ja, Mara und er waren am Nachmittag zurückgekommen, an einem heißen Julitag. Und Maras Schwester verkündete schon nach einer Stunde das Urteil: Lebte unser Vater noch, hättest du nie diese Türschwelle überschritten. Dass Mara und er allein, also ohne Anstandsbegleitung, ans Meer gefahren waren und also auch die Nächte miteinander verbracht hatten … Für Teresas Entrüstung lieferte Jul tatsächlich mehr als einen Grund – allem anderen voran musste er sich noch von Ines scheiden lassen. Aber da war ja noch das eine: Er war weder Kaufmann noch Rechtsanwalt noch Arzt, er war nichts als ein lose beschäftigter, sogenannter freier Journalist. Außerdem – er war ganz und gar nicht karrieresüchtig, war nicht ehrgeizig. Er verstand – mit den Augen Teresas war es absurd, ihn neben Mara zu sehen.

Der Schmerz der Gewöhnung

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