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Ein Lawinenunglück, bei dem sieben Alpini, italienische Gebirgssoldaten, unter den Schneemassen erstickt waren, brachte sie erneut zusammen. Das Unglück war – nach Analyse und Urteil in der Garage – durch Verantwortungslosigkeit, Ehrgeiz, Leichtsinn und Ignoranz von Offizieren verursacht worden, von Offizieren, die eine militärische Routineübung trotz amtlicher Lawinenwarnung hatten durchführen lassen: Eine Kompanie war über einen gefährdeten Hang marschiert und hatte einen enormen Schneeabgang ausgelöst, sieben junge Männer konnten nur mehr tot aus dem Schnee gezogen werden. In der Garage wurde beschlossen, in allen größeren Orten des Landes eine Flugblattaktion durchzuführen, eine Art pazifistische, jedenfalls gegen die militärische Obrigkeit gezielte Gegeninformation, gegen „Offiziersdünkel“, „Kriegsspielerei“, „verantwortungslose Karrieregeilheit“, der das Leben junger Menschen ausgeliefert worden sei. Und Mara meldete sich (an einem Wochenende, das sie zu Hause bei ihrer Mutter verbrachte) ebenso wie Jul zum Flugblattverteilen in einem der Seitentäler, dem Pustertal, das ihm am fremdesten, ihr aber am vertrautesten war.

Sie fuhren mit noch zwei anderen Gesinnungsfreunden los – wieder im Kleinwagen, der Maras Mutter gehörte, den diese aber nie benützte, weil sie aus Angst vor dem eigenen Fahren sich lieber in einen Zug oder Bus setzte. Mara und Jul waren sich nicht mehr fremd, aber irgendwie benahmen sie sich noch so. Mara ging die Aktion sehr gelassen an, er auch. Er saß neben ihr im Auto, und sie lenkte, während auf den Rücksitzen Bruna und ein compagno über die Lawinentragödie sprachen; Mara und er murmelten manchmal auch ein Wort nach hinten, noch öfter aber machten sie beide einander auf das eine oder andere in der vorbeifliegenden Landschaft aufmerksam: Schneereste auf kahlem Baumgeäst, ein Rabe, der steif auf einem in die Erde gerammten Stock hockte, und die Eiskristallruten über dem Flüsschen Rienz.

Sie parkten das Auto in den Dörfern wenn möglich auf dem Platz vor der Kirche und begannen in den umliegenden Straßen und Gassen den ihnen entgegenkommenden Leuten die Informationszettel entgegenzustrecken. Einige nahmen das Blatt entgegen, Überrumpelte, die keine Zeit zu überlegen hatten, andere rannten aus dem gleichen Grund wie verängstigt weiter.

Jul blieb bei Mara. Ohne dass sie es verlangt hatte, wollte er sie nicht allein lassen. Sie begnügten sich damit, die Flugblätter einigen Passanten in die Hand zu drücken und ein paar Blätter an das Glas einer Auslage oder an eine Hauswand zu kleben, aber sie ließen kein Gasthaus oder Café aus. In Welsberg wurden sie, kurz nachdem sie in einem behäbigen Wirtshaus am Hauptplatz ihre Zettel an ein paar Männer an der Schank verteilt hatten, auf der Straße von einem italienischen Polizeibeamten angehalten und ins nahe gelegene Bezirksgericht geführt. Dort, über ihre Personalien befragt, erklärte Jul sich kurz entschlossen als Maras Bräutigam, außerdem als Korrespondenten einer ausländischen Zeitung, der, auf Besuch bei seiner Verlobten, diese bei Ausübung ihrer bürgerlichen Rechte begleitet habe. Mara hatte das Abgeführtwerden und die Befragung unaufgeregt, beinahe gleichgültig hingenommen, überrascht und verwirrt wurde sie aber ganz offensichtlich durch seine Behauptung, ihr Verlobter zu sein. Wieder auf freiem Fuß, lachten sie alle vier lauthals im Auto auf der Rückfahrt. In ihrem Übermut parkten sie sogar in unmittelbarer Nähe eines Militärpostens (eines mit Stacheldraht umzäunten Häuschens, nur wenige Meter entfernt von der Mühlbacher Klause), zwischen und unter zwei winterkahlen Straßenlinden pinkelten Mara und er in den abgasgrauen Schnee und warfen auch ein paar Flugzettel auf die Böschung; dabei kicherten sie so laut, dass ein Uniformierter sich hinter dem Stacheldrahtzaun aufpflanzte und über die Straße schrie: Wer ist da? Sie sprangen ins Auto und fuhren unbehindert davon.

Der Schmerz der Gewöhnung

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