Читать книгу Bergdorf sucht... Arzt - Josie Hallbach - Страница 21
Kapitel 18:
ОглавлениеAls am Montag früh um neun Uhr die Schulbehörde in Gestalt eines älteren Herrn mit markantem Schnauzer und einer überaus korrekt wirkenden, grau kostümierten Beamtin erschien, fand sich wieder einmal halb Lämmerbach zur Begrüßung ein.
Paula hatte eigentlich genau dies verhindern wollen, aber weder der Pfarrer noch der Bürgermeister hatten es sich ausreden lassen. In diesem Punkt zeigte man sich wie üblich einig. Außerdem war bereits von beiden eine kleine Rede vorbereitet worden.
Sämtliche Schulkinder, auch die Leipolds von der Hochalm, standen in ihrer Sonntagskleidung merkwürdig verschüchtert an der Straße vor dem Schulgebäude. Man hatte sogar die leicht fiebernde Josepha Baum unsanft aus dem Bett geholt. Darüber hinaus wurden selbst die Kleinkinder nicht verschont und für diesen Anlass aus den letzten Winkeln des Dorfes angeschleppt.
„Nur zur Sicherheit“, wie der Bürgermeister betonte. „Damit die Leut von der Stadt sehn, dass mir auch gnug Jugend habet.“
Die Kleinen trugen Blumensträuße, der Saison entsprechend bunte Tulpen und Narzissen.
Die Prozession begab sich nach eifrigem Händeschütteln und den unvermeidlichen Grußworten an Paulas inzwischen sorgfältig gepflegtem Blumen- und Staudenbeet vorbei in die Schule: Die Lehrerin mit den zwei Besuchern vorneweg, dahinter der Bürgermeister, Anne und der Pfarrer und im Anschluss die Kinder, immer zu zweien, nach Größe und Geschlecht sortiert. Es erinnerte etwas an den Einzug in die Arche.
Die Kinder durften nun im Klassenzimmer Platz nehmen und wurden von Anne betreut, während Paula mit den beiden Inspektoren den Materialraum besichtigte.
Paula führte stolz ihr komplettes Equipment samt wieder funktionsfähigem Laptop vor.
Die Lippen der Beamtin ähnelten dabei allerdings einem Strich in der Landschaft, während der schnauzbärtige Herr wenigstens das eine oder andere Mal zu den Erläuterungen nickte.
„So, dann wollen wir die Schüler nicht länger warten lassen“, schlug er vor, als Paula definitiv nichts mehr einfiel, was sie den beiden Besuchern noch zeigen könnte. Ihr Selbstbewusstsein und die zuversichtliche Stimmung, die durch eine Menge Gebete aufgebaut worden war, begann angesichts dieser ernsten Mienen etwas zu bröckeln. Dafür stellte sich ein flaues Gefühl in der Magengegend ein.
Ziemlich nervös führte sie die zwei ins Klassenzimmer hinüber.
„Es gibt wohl keinen weiteren Klassenraum.“ Die graue Dame mit der betonierten Dauerwelle schaute äußerst missbilligend drein.
„Nein, aber wir haben ein gut funktionierendes System entwickelt, wie wir diesen Raum sinnvoll nutzen.“ Paula erklärte mit kurzen Sätzen das Vormittags-Nachmittags-Unterrichts-Modell.
Die Beamtin, die sich als ehemalige Rektorin einer Realschule entpuppte, kniff auch hierzu bloß die leuchtend rot bemalten Lippen zusammen, die einzig erkennbare Farbe in ihrer ansonsten düsteren Erscheinung. Dadurch wirkte es ein wenig, als würden diese Lippen frei in der Luft hängen und man neigte automatisch dazu, ihr auf den Mund zu starren.
Im Raum herrschte Totenstille und dreizehn Augenpaare, selbst das von Hannes, blickten unbehaglich nach vorne.
Paula war die Einzige, die sich ein Lächeln abrang. Aber sie hatte dabei das Gefühl, als ob ihre Mundwinkel klemmten.
Die Rektorin räusperte sich kurz und begann dann verschiedene Schüler aufzufordern, ihr die Schulhefte und Bücher vorzulegen.
Die Lehrerin hoffte sehnsüchtig, dass sie nicht gerade das Unterrichtsmaterial von Fritz näher inspizieren wollte. Zum Glück fing sie erst einmal an, sich mit Peters Schulranzen-Inhalt zu beschäftigen. Da er seine Herrenmagazinblätter inzwischen nicht mehr mit in die Schule nahm, verlief die Kontrolle überraschend erfreulich. Auch bei Christine gab es wenig zu beanstanden.
Der Blick der Kontrolleurin wurde erst wieder bedenklich, als sie einen Blick auf Friedels Schulutensilien warf. Mit traumwandlerischem Gespür musste sie ausgerechnet deren Matheheft aus der Schulmappe ziehen.
Paula schickte gleich mehrere Stoßgebete gen Himmel und Friedel wurde kreidebleich.
„Fräulein Müller, ich glaub, ich muss brechn“, stammelte sie und wirkte ganz so, als ob sie dies gleich an Ort und Stelle in die Tat umsetzen wolle.
Die Nebensitzer gingen schreiend in Deckung und die Frau von der Schulbehörde ließ erschrocken das Heft fallen und brachte sich ebenfalls aus der Gefahrenzone.
Anne begleitete Friedel daraufhin schnell zur Toilette und murmelte etwas von „Das kommt von der Aufregung.“
Der Bürgermeister stand während dieser Zeit im Türrahmen und hatte vor lauter Anspannung ein krebsrotes Gesicht. Sein Blutdruck befand sich aktuell ganz sicher im ungesunden Bereich.
Glücklicherweise verzichtete die Frau Rektorin nun auf weitere Kontrollen. Paula fiel ein Stein vom Herzen.
„Wie viele Schüler werden momentan in dieser Schule unterrichtet?“, fragte der Schnauzbärtige stattdessen und zog ein kleines Notizbuch heraus.
„13.“
„Alle Klassenstufen?“
„Nein. Ich habe Ihnen eine Liste vorbereitet, aus der die Zusammensetzung hervorgeht.“ Sie reichte ihm den Aufschrieb. Alle wichtigen Unterlagen waren von ihr ordentlich in eine Mappe sortiert worden.
Währenddessen zog die Graukostümierte ein paar Blätter mit Aufgaben heraus und verteilte sie je nach Alter und Klassenstufe an die Kinder und Jugendlichen.
Friedel erschien zwar genau zum richtigen Zeitpunkt wieder im Klassenzimmer, wirkte aber kaum munterer. Ihre Unterlippe zitterte und Fluchtgedanken standen unsichtbar auf ihrer feuchten Stirn. Auch die fiebernde Josepha hing mehr in ihrer Bank, als dass sie saß. Ihr glasiger Blick endete irgendwo im Nirvana. Paulas ungutes Gefühl verstärkte sich gleich um mehrere Prozentpunkte.
Dennoch machten sich alle Schüler ohne Ausnahme über die Arbeitsblätter her. Nicht einmal Hannes schlug quer.
Sie als Lehrerin musste nun in der Ecke sitzen und wurde sich selbst überlassen, während beide Prüfer die Schülerschaft streng beobachteten. Die verzweifelten Blicke der Kinder und Jugendlichen, die in sporadischen Abständen Richtung Lehrerin oder sogar gen Himmel abgesendet wurden, entgingen allerdings niemandem. Fritz kaute nebenbei seinen halben Bleistift ab. Lediglich Peter schrieb unverwandt und mit zuversichtlichem Gesichtsausdruck ein Blatt nach dem anderen voll.
Anne und der Pfarrer hatten inzwischen das Klassenzimmer verlassen, allerdings nicht ohne ein Zeichen gegeben zu haben. Der Pfarrer deutete ein schwebendes Kreuz an und Anne hob die gefalteten Hände. Paula wusste, dass sie die Zeit dazu nutzen würden, für die bemitleidenswerten Schulkinder zu beten. Das hatten sie auch dringend nötig. Sie spürte förmlich wie ihnen allen in diesen Minuten graue Haare wuchsen.
Irgendwann klatschte die Rektorin autoritär in die Hände, so laut, dass Paula vor Schreck beinahe vom Stuhl geplumpst wäre und rief: „Schluss jetzt!“
Nun musste jeder Schüler seinen Namen und sein Alter auf das Papier schreiben. Anschließend wurden die Blätter eingesammelt.
Die meisten Schüler schienen nicht mit ihren Aufgaben fertig geworden zu sein und blickten keineswegs glücklich drein. Dennoch wagte keiner einen Laut von sich zu geben. Das ungewohnte Schweigen lastete schwer über dem Klassenzimmer.
„Ihr dürft jetzt nach Hause gehen“, verkündete die graue Eminenz und innerhalb einer Minute flohen alle nach draußen.
Paula traute sich kaum, in die Augen ihrer Schüler zu schauen. Aber eigentlich musste sie das auch nicht. Die sich anbahnende Katastrophe war unverkennbar.