Читать книгу Bergdorf sucht... Arzt - Josie Hallbach - Страница 6
Kapitel 3:
ОглавлениеIm „Roten Baum“ ging es am Samstagabend gut zur Sache.
Die Männerriege des Stammtisches war sich zum größten Teil einig. Man diskutierte den plötzlichen Tod der alten Frau Friedrich. Vielleicht lag es daran, dass aufgrund der schlechten Wetterlage mehrere Runden Grog ausgegeben worden waren. Die Stimmung zeigte sich auf alle Fälle merklich aufgepeitscht.
„Ich finds auffällig, dass er so Hals über Kopf abgreist is“, sagte der alte Opa Vollmer gerade.
„Was heißt hier auffällig. Verdächtig is des bessere Wort“, ergänzte ein anderer.
„Ich sag nur, kaum hat er ihr die Spritz gebn, gings merklich bergab mit meiner Mutter“, bestätigte Herr Friedrich zum wiederholten Mal. Er war selbst nicht mehr der Allerjüngste, nahm aber trotzdem den Tod seiner betagten Mutter sehr persönlich. „Ich bin überzeugt, sie könnt heut noch lebn. Sie war immer so a robuste Natur. Ich kann mich net erinnern, dass sie schon jemals länger wie ein Tag im Bett glegn wär.“
„Wer kann auch kontrolliern, was in so ere Spritz drinnen is“, meinte der Volker Zauner düster. „Ich weiß scho, warum ich den Daniel net an mei Frau hinlangn hab lassn. Vielleicht wär ich sonst inzwischn Witwer.“
„Oder dir wäret möglicherweis a paar Hörner aufgsetzt wordn“, lachte es aus der Ecke. „Dei Elsbeth hat doch früher a Schwäche für…“
Der Ausgelachte brauste auf und fiel dem Sprecher ins Wort: „Du pass fei auf, wasd sagst.“
Bürgermeister Baum holte tief Luft und setzte zu einem Schlichtungsversuch an, aber diesmal war ein anderer schneller.
„Und ich hab ihn rausgworfn, den feine Herr Doktor“, kam es aus der Ecke von Matthias Schindhelm, der bisher nur dumpf vor sich hinbrütend einen Grog nach dem anderen hinuntergeschüttet hatte. „Als ich aus em Stall kommn bin, seh ich den Lackaff doch glatt, wie er mei Martha untersucht. Ich hab net lang gfackelt und der Marie gleich noch zeigt, wo der Bartel sein Most holt. Des kann doch net sei, dass des Weib hinter meim Rückn en Doktor holt, nur weil des Mädel a bissel Fieber hat. Da is noch keu Kind dran gstorbn.“
Die meisten waren da anderer Meinung, hielten damit aber hinter dem Berg. Matthias Schindhelm erfreute sich in dieser Runde keiner großen Beliebtheit. Der kritische Punkt stellte sich bei ihm immer dann ein, wenn er nüchtern genug zum Sprechen war, aber bereits so viel Alkohol in sich hatte, dass er aggressiv wurde.
Einer der Bauern, der ebenfalls mindestens einen Grog zu viel intus hatte und dann stets dazu neigte, eine dicke Lippe zu riskieren, meinte feixend: „Jaja, so a alte Lieb, die rostet halt net. Und unser Doktor is nunmal a fesches Mannsbild. Da kommt a kranks Kind grad recht.“
Der warnende Blick des Bürgermeisters kam definitiv zu spät. Es brauchte drei Männer, um den Matthias davon abzuhalten, sich auf den vorwitzigen Bauern zu stürzen.
„Kruzifix, wenn des heut Abend so weiter geht, dann schließ ich ab und ihr könnt daheim weitersaufn“, schimpfte der Gastwirt böse, nachdem jeder wieder auf seinem Platz saß.
„Ma wird ja wohl noch sei Meinung sagen dürfn“, brummte einer beleidigt.
„Und des mit em Martins Daniel ghört endlich amol auf de Tisch. Des is ja wohl keun Zustand net“, ergänzte Herr Friedrich. „Lieber gar keun Doktor wie so einer.“
„Genau des habet ihr ja jetzt erreicht“, erwiderte Edwin Baum und verschränkte die dicht behaarten Arme vor seiner stämmigen Brust. „Ich hoff, ihr seid nun zufriedn. Der einzige Doktor weit und breit, der uns aus unserm Schlamassel hätt rettn können, habt ihr vergällt. A schöne Sippschaft seid ihr.“
„Tätst du deine Kinder oder dei Frau von so eme unerfahrenen Grünschnabel behandeln lassn?“, wandte der mit dem längsten Bart ein.
„Warum net? Natürlich kann er net alles recht machn. Aber wer kann des schon? Des hat au sein Vater net können. Ich weiß noch, wie ihr am Anfang manchmal gegen den gwettert hobt.“
„Ma sagt nix Schlechtes über en Totn“, warf der alte Vollmer ein.
„Genau. Seit er tot is, wird er langsam zum Heilign. Wenn der mitkriegn tät, wie ihr mit seim Sohn umspringt, der würd euch was erzähln. Ihr werdet schon sehn, wie weit ihr mit eurer Sturheit kommt. Denket an meine Worte, wenn keuner mehr euern Käs kaufn mog.“
„Jetzt aber amol halblang“, versuchte Bauer Vollmer seinen aufgebrachten Nachbarn zu beschwichtigen. „Noch is es net soweit.“
„Irgendwann hat alles a End. Und wenn ihr so weitermachet, kommt des schneller als ihr denkt.” Der Bürgermeister wirkte an diesem Abend merklich nüchtern und frustriert wie selten zuvor.
Herr Tannhauer stimmte ihm unerwartet zu. „Manche Leut täts wirklich net schadn, sie würdet a bissel mehr mit de Zeit gehn. Der Daniel hat en gutn Ruf in seim Krankenhaus. Und sei doch ehrlich, Ernst. Dei Mutter häts ohnehin nimmer lang gmacht mit ihre fast neunzig. Sie kann froh sei, dass sie so an friedlichn Tod gfundn hat. Hättet ihr sie denn die nächstn Monate pflegn wolln? Dei Frau jammert eh de ganze Tag wegen ihrm Kreuz.“
Ernst Friedrich stierte bei dieser direkten Ansprache wortlos in seinen Grog und ging allen Blicken aus dem Weg.
„Magst ernsthaft behauptn, der Daniel hätt dei Mutter auf em Gwissn?“, fuhr Helmut Tannhauer fort, die Gunst der Schweigsamkeit nutzend.
Alle Augen richteten sich auf den angesprochenen Ernst.
Der schüttelte den Kopf. „Sie wollt ohnehin nimmer lebn. Des hat sie mir an dem Morgn selber gsagt“, antwortete er leise.
„Siehgst. Und wenn die altn Leut erst amol sterbn wolln, dann gehts nimmer lang. Des weiß ma ja“, schloss der Gemischtwarenhändler.
Er bekam von allen Seiten Zustimmung. Jeder wusste von irgendeinem Bekannten oder Urahn eine ähnliche Geschichte zu berichten.
„Und was machet mir jetzt mit em Daniel?“, fragte Bauer Vollmer schließlich und kratzte sich am Bart.
„Des hättet ihr euch vorher überlegn müssn.“ Edwin Baum war immer noch sauer und schmollte.
„Vielleicht kann ja die Anne…“, schlug Volker Zauner wesentlich kleinlauter vor.
„Lasset des Mädel in Ruh. Die hats grad eh schon schwer gnug“, verteidigte ihr „Onkel Edwin“ sie prompt. „A Wunder, dass die net längst ihr Sach packt hat. Die könnts überall besser habn.“
Dieses Mal endete der Abend alles andere als versöhnlich, obwohl einer sogar den Vorschlag machten, Daniel einen Entschuldigungsbrief zu schreiben. Allerdings wäre dazu ohnehin niemand in der Verfassung gewesen.
Zurück blieb eine kollektive Scham, die man so schnell wie möglich aus dem Gedächtnis zu löschen versuchte.