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I. Auslegung der bankrottstrafrechtlichen Krisenbegriffe

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Der Gesetzgeber hat im Gesetzgebungsverfahren zur Insolvenzordnung (in Kraft getreten zum 1.1.1999)[8] mögliche Auswirkungen der Reform auf die Insolvenzdelikte im engeren Sinn (bzw. deren Auslegung) allein im Zusammenhang mit der Einführung des Insolvenzgrundes drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO), auch hier nur fragmentarisch, berücksichtigt.[9] Namentlich Art. 60 EGInsO[10] beinhaltet nur eine terminologische Anpassung. Darüber hinaus wurden mögliche Konsequenzen für das Insolvenzstrafrecht nicht in die Überlegungen einbezogen.[11] Der historische Auslegungsansatz führt insoweit mit Blick auf die Bankrottdelikte kaum weiter. Der Gesetzgeber verfolgte mit der Novellierung des Insolvenzrechts vorrangig das Ziel, durch Ausweitung und Ergänzung der Eröffnungsgründe eine zeitliche Vorverlagerung der Insolvenzverfahrenseröffnung zu bewirken, insbesondere um (auch im Interesse der Gläubigerschaft) die Chancen einer Sanierung und Fortführung des betroffenen Unternehmens zu erhöhen.[12] Danach treten die Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens früher ein und sind an geringere Voraussetzungen geknüpft als noch von der Konkursordnung vorgesehen.[13] Die mögliche Folge, zugleich eine Ausweitung und Verschärfung der Insolvenzdelikte zu realisieren, hat der Gesetzgeber dagegen nicht erwogen. Dennoch befürworten ein Teil des Schrifttums[14] sowie die Rechtsprechung[15] eine (strenge) insolvenzrechtsakzessorische Auslegung der strafrechtlichen Krisenmerkmale.

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Für eine „strikte“ Insolvenzrechtsakzessorietät spricht, neben der terminologischen Identität und dem Postulat der Einheit der Rechtsordnung,[16] die Vergleichbarkeit der Schutzziele des Insolvenzverfahrens und des Bankrotttatbestands. § 283 StGB schützt die individuellen Vermögensinteressen der Gesamtgläubigerschaft.[17] Das Insolvenzverfahren soll – in Parallele hierzu – primär eine möglichst auskömmliche (quotenmäßige) Befriedigung der Gläubigerschaft bewirken. Das Insolvenzrecht dient insofern ebenfalls den Vermögensinteressen des betroffenen Gläubigerkreises.[18] Dennoch rechtfertigt dieser scheinbare „Gleichklang“ keine identische Begriffsauslegung. Trotz des vergleichbaren Regelungszwecks bleiben die „unterschiedlichen Wege seiner Verwirklichung zu beachten“.[19] Das Insolvenzstrafrecht schützt nicht das Insolvenzverfahren mit „sämtlichen Regelungseffekten“.[20] Zudem bestehen auch darüber hinaus inhaltliche Unterschiede. Etwa differenziert § 283 Abs. 1 StGB im Gegensatz zu den Insolvenzeröffnungstatbeständen nicht hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs der Krisenmerkmale.[21] Die Vorschrift knüpft auch – anders als die Tatbestände der Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4 und 5 InsO) – ebenfalls nicht an dem Unterlassen der Initiative, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, an,[22] die zugleich Regelungsgegenstand der §§ 17–19 InsO sind. [23] Der Regelungsinhalt der im Katalog des § 283 Abs. 1 StGB genannten Bankrotthandlungen weicht hiervon vielmehr deutlich ab.

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Anlass für eine abweichende Auslegung ist jedoch in erster Linie der divergierende Telos von Insolvenzrecht und einer strafrechtlichen Sanktionierung. Die Verwirklichung von Bankrotthandlungen in der Krise einerseits und von Insolvenzeröffnungstatbeständen andererseits begründen gänzlich abweichende Rechtsfolgen. Dementsprechend sind die Funktionen der Rechtsbegriffe in den unterschiedlichen Regelungszusammenhängen nicht identisch.[24] Die Eröffnung und Durchführung eines Insolvenzverfahrens ist primär auf Seiten des Gemeinschuldners, aber, wie gezeigt, auch auf Seiten der Gläubigerschaft mit erheblichen Rechtseingriffen verbunden. Die Insolvenztatbestände wägen diese Folgen gegeneinander. Die Voraussetzungen der Insolvenzgründe dokumentieren (in individuell unterschiedlicher Weise) die Anforderungen an eine wirtschaftliche Krise des Schuldners, die geeignet und erforderlich sind, die mit der Insolvenzverfahrenseröffnung verbundenen (auch grundrechtsrelevanten) Eingriffe, zugleich den „Übergang“ vom Einzel- in ein Gesamtvollstreckungsverfahren, zu rechtfertigen.[25] Beispielsweise sind die Rechtsfolgen eines Insolvenzverfahrens schon bei drohender Zahlungsunfähigkeit (als frühzeitigem Krisenstadium vergleichsweise geringer Intensität) nur gerechtfertigt, wenn der Schuldner selbst über deren Auslösung (durch Eigenantrag) disponieren kann.[26] In diesem Fall besteht dementsprechend auch keine Insolvenzantragspflicht.[27] Überschuldung löst ein Insolvenzverfahren allein bei Betroffenheit einer juristischen Person aus, da nur in diesen Fällen eine spezifische Gefährdungslage (keine natürliche Person als persönlich haftender Schuldner) besteht.[28]

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Die Auslegung des Bankrotttatbestands als materielle Strafnorm ist dagegen an einem abweichenden Maßstab orientiert. Im Kontext von § 283 Abs. 1 StGB ist die Krisensituation konstitutives Element des Unrechts der Tat.[29] Die Gefahr, dass ein Geschäftspartner – ebenfalls ein Kreditnehmer der Bank – in eine wirtschaftliche Krise gerät, ist (jenseits von § 283 Abs. 1 StGB) das wirtschaftliche Risiko des Gläubigers. Das Adressatenausfallrisiko ist dementsprechend ein wesentliches wirtschaftliches Risiko der Bank. Der Krisenbegriff des § 283 Abs. 1 StGB begründet insoweit eine normative Zäsur dieser Risikozuordnung, da nach Eintritt (drohender) Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung das Vermögen des Schuldners den vollständigen Ausgleich sämtlicher Verbindlichkeiten nicht mehr gewährleistet. In dieser Situation verbietet § 283 Abs. 1 StGB dem Schuldner, bestimmte vermögensmindernde Dispositionen oder informationsbezogene Handlungen, die die wirtschaftlichen Interessen der Gesamtgläubigerschaft gefährden.[30] Maßgeblich ist danach, ob die Krise in Kombination mit der Bankrotthandlung zu einer derart gewichtigen Gefährdung der wirtschaftlichen Interessen der Gesamtgläubigerschaft führt, die (im Lichte des verfassungsrechtlich verbürgten Übermaßverbots) einen Unrechtsgehalt begründet, der eine Sanktionierung durch Kriminalstrafe rechtfertigt. Die Funktion des Krisenmerkmals besteht also nicht darin, eine wirtschaftliche Krise des Schuldners zu umschreiben, die eine Insolvenzeröffnung rechtfertigt (§§ 17–19 InsO) oder den Schuldner hierzu zwingt (§ 15a Abs. 4 und 5 InsO). Sie liegt vielmehr darin, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen die im Katalog des § 283 Abs. 1 StGB genannten Bankrotthandlungen eine strafrechtliche Sanktion rechtfertigen. Für diese Frage besitzen die Insolvenztatbestände allenfalls indiziellen Charakter.[31]

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Überdies ist zu bedenken, dass die Ausweitung der Gestaltungsmöglichkeiten des Insolvenzverfahrensrechts, die insbesondere mit Blick auf eine Verbesserung der Sanierungschancen erfolgte, gleichzeitig die Eingriffsschwelle für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens senkt. Das Insolvenzverfahren ist danach für den Schuldner nicht mehr „die Katastrophe schlechthin“, sondern begründet „eine Möglichkeit zur Lösung seiner wirtschaftlichen Probleme mit einer Reihe von Chancen“.[32] Die insolvenzrechtliche Relativierung der Eingriffsintensität rechtfertigt zugleich, die Voraussetzungen der Insolvenztatbestände auszuweiten. Die Rechtsfolge des § 283 Abs. 1 StGB ist dagegen durch die Insolvenzrechtsreform unverändert. Die verfassungsrechtliche „Schranke“ des Übermaßverbots liegt damit im strafrechtlichen Kontext unverändert hoch. Die erforderliche autonom strafrechtliche Auslegung der Krisenmerkmale kann danach allenfalls orientiert an der insolvenzrechtlichen Begriffsausfüllung erfolgen.[33] Diese bilden dementsprechend (nur) den Ausgangspunkt – nicht aber das Ergebnis – einer strafrechtlichen Begriffsbestimmung.[34] Eine abweichende strafrechtliche Definition (drohender) Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ist dementsprechend in Bereichen veranlasst, in denen eine unveränderte Übertragung der insolvenzrechtlichen „Vorgaben“ zu einer unverhältnismäßigen Ausweitung der Strafbarkeit führen würde.[35] Im Ergebnis besteht aus diesen Gründen nur eine funktionale Insolvenzrechtsakzessorietät der Krisenmerkmale.[36] Die „Komplikationen“, die eine Spaltung der straf- und insolvenzrechtlichen Voraussetzungen der Krisenmerkmale, ebenfalls die weitere Differenzierung innerhalb des Insolvenzstrafrechts (zwischen den Bankrottdelikten und dem Tatbestand Insolvenzverschleppung), bewirkt, sind aufgrund des abweichenden Regelungszusammenhangs und der damit verbundenen Relativität der Rechtsbegriffe sowie der deutlich divergierenden Zielrichtungen der betroffenen Normen nicht vermeidbar.

Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der KrisenmerkmaleB › II. Zahlungsunfähigkeit

Bankrott und strafrechtliche Organhaftung

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