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2.7 Auf dem Weg zu Transkulturalität: Schlüsselbegriffe 2.7.1 UngleichheitUngleichheit

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Für jede Form des Konfliktmanagements, und so auch, wie oben gezeigt, für die Strategien der BikulturalitätBikulturalismus, Bikulturalität, des MultikulturalismusMultikulturalismus und der InterkulturalitätInterkulturalität, ist der Umgang mit UngleichheitUngleichheit und DifferenzDifferenz zentral. KonfliktmanagementKonfliktmanagement verlangt nach Aushandlungsprozessen. Hierbei ist die Anerkennung von Ungleichheit und Differenz ein wichtiger Schritt. Ob sie anerkannt werden oder auch nicht, Ungleichheit und Differenz sind Kardinalprobleme menschlicher Gesellschaften und Ursachen für vielfältige gesellschaftliche Konflikte.

UngleichheitUngleichheit kennt viele Formen. Individuell sind die Menschen nicht gleich. Sie unterscheiden sich biologisch und sozial, so in ihrer körperlichen Ausstattung und ihren genetischen Dispositionen, in ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten, Interessen und Neigungen, Lebensformen und Tätigkeiten, Anschauungen, Aktivitäten und vielem mehr. Zum Problem werden diese naturgegebenen oder auf persönlichen Entscheidungen basierenden Ungleichheiten, wenn sie, gesellschaftssystemisch begründet, Anhaltspunkte für soziale Ungleichheiten ergeben, diese Ungleichheiten politisch organisiert und legitimiert werden und/oder sie sich aus den ökonomischen Verhältnissen ergeben. Ist die GleichheitGleichheit der Menschen ein allgemeines Gerechtigkeitsideal und gilt Gleichheit vor dem Gesetz als demokratisches Grundprinzip, so sind ökonomische, politische, soziale und andere Ungleichheiten tief im Funktionieren der KlasseKlassengesellschaften verwurzelt. Soziale Ungleichheiten sind überall und alltäglich wahrnehmbar: als Unterschiede zwischen armen oder reichen Menschen, als Unterschiede in ihren Lebensverhältnissen, wenn sie in einer heruntergekommenen Wohnung in einem ebensolchen Viertel oder in einer Penthouse-Wohnung eines noblen Quartiers leben, in den Diskriminierungen, wenn ihnen als Gehbehinderte zu hohe Treppen den Zugang zu öffentlichen Gebäuden und Räumen verwehren oder in den Ausgrenzungen, wenn vor Hunger und Krieg Geflüchteten Schutz, Hilfe und menschenwürdige Behandlung vorenthalten wird.

Während soziale DifferenzierungDifferenzierungsozialeDifferenzierung sowohl aus gesellschaftlicher Arbeitsteilung als auch aus vielen anderen Aspekten individueller und gesellschaftlicher Verfasstheit resultiert, „geht es bei der UngleichheitUngleichheit um Rangunterschiede bzw. Statusdifferenzen, die auf privatwirtschaftlichen Eigentums-, MachtMacht, -verhältnisse und HerrschaftsverhältnisseHerrschaftsverhältnissen beruhen“ (Butterwegge 2020, 12; Hervorhebung von mir). Ökonomische Ungleichheit sei der Schlüssel zur Erklärung gesellschaftlicher Verwerfungen unterschiedlicher Art. In Verteilungskonflikten sieht Butterwegge die grundlegenden KonfliktKonflikte, denen Beziehungs-, Anerkennungs- und Wertschätzungskonflikte nachgeordnet blieben (vgl. ebd., 13f.). Nach Berger/Powell (2009, 15) besteht soziale UngleichheiUngleichheitsozialet dann, „wenn Menschen (immer verstanden als Zugehörige sozialer Kategorien) einen ungleichen Zugang zu sozialen Positionen haben und diese sozialen Positionen systematisch mit vorteilhaften oder nachteiligen Handlungs- und Lebensbedingungen verbunden sind.“ Soziale Ungleichheit bedeutet demnach nicht notwendig Ungerechtigkeit, vielmehr gäbe es auch Formen legitimer sozialer Ungleichheit. Butterwegge verweist auf Berufe, die ein unterschiedliches Maß an Talent, Engagement und praktischer Routine erforderten, was sich in der PrestigePrestige- und Einkommenshierarchie niederschlagen würde (ebd., 15). Kontrovers diskutiert werde, „welche Form sozialer Ungleichheit man als gerecht oder legitim und welche als ungerecht oder illegitim ansehen“ (vgl. ebd.) könne.

Strittig sei zudem

die Funktionalität der sozioökomischen UngleichheitUngleichheit sozioökonomische, des Reichtums und der ArmutArmut für das bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Ungleichheit ist ein konstitutives Merkmal jeder kapitalistischen Gesellschaft, aber für diese auch insofern nützlich, als die Armut wie eine Drohkulisse, ein Druckmittel und ein Disziplinierungsinstrument wirkt, während der Reichtum umgekehrt als Leistungsanreiz, Lockmittel und Belohnung für aufstiegsorientierte Gruppen der Bevölkerung erscheint. (ebd., 17)

Von diesen Überlegungen ausgehend, stellt sich die Frage, in welcher Weise UngleichheitUngleichheit mit dem Verständnis von KulturKultur und weitergehend auch mit dem von Transkulturalität zusammenhängen. Ungleichheit erstreckt sich ja keineswegs nur auf sozioökonomische Ungleichheit, sondern auch auf Ungleichheiten, die aufs engste konstitutiv für das Kulturelle sind, von denen hier als Formen die BildungsungleichheitBildungsungleichheit und die sprachliche Ungleichheit erwähnt werden sollen. In diesem Zusammenhang wird auch die Kritik an Wimmers Bestimmung von ‚Kultur‘ in Abschnitt 2.3 präzisiert, die darin besteht, dass er die sozioökonomischen und politischen Dimensionen des Kulturellen zu wenig berücksichtigt.

Wie Quenzel/Hurrelmann (2019, 3) in ihrem Band über „Bildungsarmut“ zeigen, gilt es in der bildungswissenschaftlichen und soziologischen Ungleichheitsforschung als ausgemacht, dass BildungBildung mittlerweile das vorherrschende Medium zur Produktion und Reproduktion sozialer UngleichheitUngleichheitsoziale darstellt. Bildung wird nicht zuletzt deshalb immer bedeutsamer,

weil in modernen Gesellschaften auf der individuellen Ebene der Bedarf an Kompetenzen zur Bewältigung komplexer Anforderungen an die Lebensführung und auf der gesellschaftlichen Ebene die Nachfrage nach analytischen und kommunikativen Qualifikationen stark gestiegen ist (ebd.).

Für die Angehörigen der jungen GenerationGeneration bedeuten die wachsenden Bildungsanforderungen, dass sie einen immer größeren Teil ihrer Adoleszenz statt mit Lohnerwerbsarbeit für den Besuch von Schulen und Hochschulen nutzen, sich bilden und auf eine berufliche Karriere vorbereiten können. Doch aufgrund sozialer Ungleichheiten, Prozesse der MigrationMigrationMigrationArbeits-, Bildungs-, Heirats-, Pendel- darin eingeschlossen, können längst nicht alle Angehörigen dieser Generation von der Möglichkeit längerer Bildungswege profitieren. Selbst unter jenen, die Schul- und Hochschulabschlüsse vorweisen könnten, sind die „ersten zehn bis fünfzehn Jahre des Erwerbslebens […] quer durch alle Bildungsschichten von befristeten Verträgen, temporärer Arbeitslosigkeit, Teilzeitjobs und Mehrfachjobs geprägt“ (ebd., 14). Vor allem bei den weniger Erfolgreichen bestehen die Konsequenzen in geringerem Selbstwertgefühl, psychischer Belastung, demonstrativem Konsum und deviantem Verhalten, fehlenden Netzwerken, geringeren Erwerbschancen und gesundheitlichen Problemen, während auf der Ebene der Gesellschaft ökonomische Folgen, Folgen für die politische IntegrationIntegration und für den sozialen Zusammenhalt zu Buche schlagen (vgl. ebd., 14-20).

Butterwegge (2020) kritisiert das Konzept der ‚Bildungsarmut‘, weil es „zur Reduktion des Armutsproblems auf seine kulturelle Dimension bei[trägt]“. Es suggeriere, dass ArmutArmut durch Bildungsdefizite bedingt sei. „Auch weckt der Begriff ‚Bildungsarmut‘ kaum Empathie, Mitgefühl oder Mitleid, sondern dient […] eher der Diffamierung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen“ (ebd., 227).

Einkommens- und finanzschwachen Familien wird auf diese Weise das sie sozial ausgrenzende und stigmatisierende Etikett der „Bildungsferne“ angeheftet. Damit vertauscht man Ursache und Wirkung, denn ArmutArmut zieht in einer zunehmend ökonomischen Imperativen gehorchenden, marktförmig bzw. kapitalistisch organisierten Gesellschaft zwangsläufig mangelnde bzw. mangelhafte BildungBildung nach sich, während eine gute (Aus-)Bildung heutzutage keineswegs mehr die Gewähr dafür bietet, außerhalb des breiten Niedriglohnsektors zu arbeiten. Bildung garantiert weder den beruflichen und sozialen Aufstieg, noch verhindert sie den wirtschaftlichen Abstieg. (ebd. 230f.)

Wenn höhere oder geringere BildungBildung kein unmittelbares Korrelat in den Dynamiken von sozialem Auf- oder Abstieg hat, so ist der Zusammenhang zwischen ‚BildungsungleichheitBildungsungleichheit‘ und der ‚(Re-)Produktion kultureller Verhältnisse‘ dennoch ersichtlich, wie die oben von Quenzel/Hurrelmann referierten Erkenntnisse zeigen.

Sprachliche UngleichheitUngleichheitsprachliche wird in diesem Buch in verschiedenen Zusammenhängen behandelt. Einzelne Aspekte von sprachlicher Ungleichheit, hier insbesondere von sprachlicher DiskriminierungDiskriminierung großer Gruppen der Bevölkerung in BelgienBelgien und in KanadaKanada/Canada, wurden bereits in den Abschnitten 2.2, 2.4 und 2.5 angesprochen. Andere Aspekte finden sich in Kapitel 5. Sprachliche Ungleichheit ist wie jede Form von Ungleichheit das Ergebnis von MachtMacht, -verhältnisse, die ausgeübt wird, um Menschen hierarchisch zu behandeln, sie in Kategorien einzuteilen und sie als Einzelne und Angehörige dieser Kategorien mit Bewertungen zu versehen (vgl. Blommaert 2010, 154). Die AkteurInnen dieser Macht, die Mächtigen oder die von ihnen Ermächtigten, sind nicht nur jene, welche die Macht haben, Befehle zu erteilen und Anweisungen zu geben oder die als SprecherIn von und für Gruppen eigens für diese Rolle legitimiert sind. Im Fall von sprachlicher Ungleichheit sind die AkteurInnen nicht einige Wenige, sondern kurioserweise viele und potentiell alle, die zu einer Sprachgemeinschaft gehören. Sie üben sprachlich symbolische Macht aus, und dies sowohl gegenüber den Angehörigen dieser Gemeinschaft selbst als auch gegenüber anderen, mit denen sie einen Kommunikationsraum teilen, die aber andere Sprachen sprechen. Typische Fälle für Letzteres bestehen in der sprachlichen Ungleichbehandlung von MinderheitenMinderheiten – als autochthone, migrantischemigrantisches Schreiben oder als genderbasierte Minderheiten – durch die Angehörigen der MehrheitsgesellschaftMehrheit, -sgesellschaft oder durch die Apparate des Staates.

MigrationMigrationMigrationArbeits-, Bildungs-, Heirats-, Pendel- geht geradezu zwangsläufig mit dem Anwachsen sprachlicher DiversitätDiversitätsprachliche in gesellschaftlichen Räumen einher und zieht im NationalstaatNationalstaat das nach sich, was Coulmas (2005) als ‚Sprachregimes‘ beschreibt. Er versteht darunter ein Bündel von Gewohnheiten, rechtlichen Regulierungen und Ideologien, die je nach sozialem Raum die Praxis der SprecherInnen in der Wahl der sprachlichen Mittel beschränken. Busch (2013, 135) verweist zudem darauf, dass es hierbei nicht nur um normative Regulierungen von Sprache, sondern auch um die UngleichheitUngleichheitsozioökonomische in der Verteilung von Ressourcen und MachtMacht, -verhältnisse geht. Sprachliche IntegrationIntegration und Partizipation unterliegen den jeweiligen Sprachregimes, die ihrerseits wiederum Einfluss darauf haben, wie sich das sprachliche Repertoire von ImmigrantInnen verändert. Sprachliche Ungleichheit ergibt sich hierbei durch die Hierarchisierung von Sprachen im Rahmen von gesellschaftlicher MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit.

Anders verhält es sich mit Formen von sprachlicher DiskriminierungDiskriminierung in einer Sprache. Sie entsteht dadurch, dass unsere sprachlichen Handlungen, wenn wir über andere und mit anderen Menschen reden, immer auch Kategorisierungen umfassen: wir teilen Menschen in Kategorien ein und schreiben diesen Kategorien zusätzliche Eigenschaften zu, die nicht selten Bewertungen darstellen oder solche implizieren.

Stefanowitsch (2012) diskutiert die Problematik von sprachlicher UngleichheitUngleichheitsprachliche an einigen Beispielen, darunter an Aussagen wie „Frauen gehen gern shoppen“ oder „Männer können ihre Gefühle nicht zeigen“. Einer der Mechanismen, die zu DiskriminierungDiskriminierung beitragen, besteht darin, dass den Mitgliedern der jeweiligen KategorieKategorie, Kategorisierung noch weitere und scheinbar allgemeingültige Eigenschaften zugeschrieben werden, ohne Rücksicht darauf, ob dies für die Angehörigen dieser Kategorie zutrifft. Ein anderer Mechanismus setzt an der Relevanz von Unterscheidungen an, beispielsweise beim biologischen GeschlechtGender. Stefanowitsch erwähnt hierfür Tätigkeitsbezeichnungen, bei denen nach GeschlechtGeschlecht unterschieden werde (Student/Studentin, Krankenpfleger/Krankenpflegerin), wiewohl das einzig Relevante, was bei der Tätigkeit eine Rolle spielen sollte, die Qualifikation und die Bereitschaft zu dieser Tätigkeit sei. Zwar könne auf die irrelevante GeschlechtGeschlechtermarkierung verzichtet werden, aber sie sei so tief in das Alltagsdenken eingegraben, dass geschlechtsneutralen Formulierungen (Studierende, Pflegekräfte) nicht selten mit Spott oder Unwillen begegnet würde (vgl. ebd., 4).

Besonders problematisch seien

sprachliche Kategorien, wenn sie nicht nur mit zusätzlichen Bedeutungsaspekten behaftet sind, sondern außerdem historischen Ballast transportieren. Die fast schon verzweifelt anmutende Suche nach einem ‚akzeptablen‘ Wort für ‚Menschen mit dunkler Hautfarbe‘ – von Neger zu Farbiger oder Schwarzer zu Person of Color (PoC) oder dunkelhäutiger Mensch – verstellt nicht nur den Blick auf die Frage, warum man Menschen überhaupt nach ihrer Hautfarbe kategorisiert, sondern auch auf die geschichtlichen Zusammenhänge, aus denen diese KategorisierungKategorie, Kategorisierung hervorgegangen [ist] und zu denen sie beigetragen hat. (ebd., 4)

In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat die Kritik seitens der feministischen Bewegung an sexistischem Sprachgebrauch und dem KolonialismusKolonialismus in der Sprache zu einer deutlichen Sensibilisierung für die Problematik sprachlicher UngleichheitUngleichheitsprachliche geführt. Vieles an Veränderungen in Richtung sprachlicher Sichtbarkeit von Frauen und von GeschlechtergerechtigkeitGeschlechtergerechtigkeit in der Sprache wurde inzwischen erreicht (vgl. die Studien in Spieß/Reisigl 2017 und Reisigl/Spieß 2017). Zugleich zeichnet sich in jüngster Vergangenheit aus der Sicht heutiger Trans-Gendertheorien deutliche Skepsis gegenüber der Verfestigung einer binären GeschlechtGeschlechterordnung ab. Dass wir es hierbei mit einem fundamentalen WandelWandel nicht nur der Geschlechterkonstruktionen, sondern auch der kulturellen Verhältnisse zu tun haben, sei hier zumindest erwähnt.

Im Sinne eines Fazits zur Problematik von UngleichheitUngleichheit sei auf die Untersuchungen von Haug (2011) verwiesen. Für Haug ist „KulturKultur […] selbst ein integraler Bestandteil der MachtMacht, -verhältnisse-, HerrschaftHerrschafts- und KlassenverhältnisseKlasse, -nverhältnisse – und diese sind überall und immer kulturell überformt“ (ebd., 38). Mit anderen Worten: Ungleichheit und Differenz sind Haug zufolge zentrale Elemente des Kulturellen. Doch was bedeutet es dann, wenn Geertz (1996) eine seiner Wiener Vorlesungen unter die Frage stellt: „Was ist eine Kultur, wenn sie kein Konsens ist?“ (ebd., 67ff.). Steht hier eine Ungleichheits- und Konfliktkonzeption gegen eine Konsens- und Ausgleichskonzeption von Kultur? Die Antwort auf die Leitfrage gibt Geertz am Schluss der erwähnten Vorlesung: Kultur bedeutet Umgang mit Differenz.

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