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1.4 Aktualität des Buchs
ОглавлениеDie Erforschung transkultureller Prozesse hat im zurückliegenden Jahrzehnt erheblich Fahrt aufgenommen. In diesem Kontext zeichnen sich zwei Tendenzen ab. Einerseits, sozusagen forschungsimmanent, lässt sich eine rasch wachsende Ausdifferenzierung von Konzepten und Forschungsfeldern im Umfeld von Transkulturalität beobachten. So befassen sich große Forschungsverbünde mit Fragestellungen, die sich explizit oder auch implizit auf Transkulturalität beziehen. Zu nennen wäre der an der Universität Bonn angesiedelte Sonderforschungsbereich „MachtMacht, -verhältnisse und HerrschaftHerrschaft, -sverhältnisse – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive“, der Sonderforschungsbereich „Verräumlichungsprozesse unter Globalisierungsbedingungen“ an der Universität Leipzig oder auch, deutlich kleiner, das Graduiertenkolleg „DiversitätDiversitätkulturelle: Vermittlungsprozesse von Differenz in transkulturellen Räumen“ an der Universität Saarbrücken.1
Andererseits sieht es ganz danach aus, dass Transkulturalität zu einem Schlüsselkonzept zeitgenössischen Institutionen- und Wissenschaftsverständnisses avanciert. Diese Tendenz zeigt sich darin, dass sich inzwischen ganze Universitäten, wie etwa jene in Heidelberg2 oder Bayreuth3, die Erforschung transkultureller Prozesse als profil- und gar exzellenzbestimmend auf die Fahnen schreiben.
Es ist nicht davon auszugehen, dass auf diesen unterschiedlichen Ebenen der Institutionalisierung – Universität, Sonderforschungsbereich, Graduiertenkolleg, Forschungsgruppen – ein in sich kohärentes Wissenschaftskonzept von Transkulturalität existierte, und noch viel weniger, dass die beteiligten Akteure – ForscherInnen, WissenschaftsmanagerInnen, Institutionen der Forschungsförderung etc. – sich gegenseitig auch im Detail verstünden, wenn sie sich miteinander über Transkulturalität austauschten. Dazu sind die Phänomene und Betrachtungsweisen viel zu komplex, die Zugänge zu verschieden und die Dynamik des Wandels viel zu groß. Jedoch entwertet dies den Begriff der Transkulturalität nicht, sondern zeigt im Grunde zweierlei: einerseits, dass ‚Transkulturalität’ wie viele Grundbegriffe der KulturKultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften von einer beträchtlichen Unschärfe gekennzeichnet ist, zumal, wenn alltagssprachliche Vorstellungen mit (fach-)wissenschaftlichen ineinanderfließen. Andererseits scheinen gesellschaftliche Institutionen mit dem Begriff der ‚Transkulturalität’ ein erhebliches Innovationspotential zu verbinden, wenn es darum geht, Geschichte und Gegenwart anders und besser verstehen zu wollen. Das Andere besteht darin, dass gegenläufig zur Fragmentierung der Welt in immer kleinere und speziellere Teile und auch anders, als es mit dyadischen Begriffspaaren wie global vs. lokal, Mikro- vs. Makro-, Ereignis vs. Prozess, Eigen vs. Fremd der Fokus auf die Verflechtungen, die grenzüberschreitenden Rekonfigurationen und InteraktionenInteraktionen und die hierbei entstehenden kulturellen Formen, Praxen und Anschauungen gerichtet wird. Darüber hinaus scheinen sie in dem Befund übereinzustimmen, dass globale Phänomene wie wachsende MigrationMigrationArbeits-, Bildungs-, Heirats-, Pendel- und Mobilität, wie Strukturwandel in den Ökonomien, Märkten und den internationalen Beziehungen sowie die Möglichkeiten des Internets und der DigitalisierungDigitalisierung die Sozialbeziehungen und kulturellen Verhältnisse radikal verändern und daraus auch für die Wissenschaft und ihre Institutionen neue Fragestellungen erwachsen. Transkulturalität stellt dafür offenbar eine entsprechende Perspektive dar.
Seine Aktualität bezieht der Band schließlich auch aus der akademischen Lehre. In diesem Bereich soll er auch primär seine Zielgruppe haben: in den Studierenden und Lehrenden in Masterstudiengängen, gegebenenfalls auch in Bachelorstudiengängen an Universitäten und Hochschulen in den deutschsprachigen Ländern.
Einen nicht unerheblichen Teil des Materials, das diesem Band zugrunde liegt, hat der Autor forschungsbegleitend in zahlreichen Vorlesungen und Seminaren des viersprachigen Masterstudiengangs „Moving Cultures – Transcultural Encounters / Cultures en mouvement – rencontres transculturelles / Culturas en movimiento – encuentros transculturales“ (kurz MCTE oder Moving Cultures) an der Goethe-Universität Frankfurt am MainFrankfurt am Main vorgetragen und zur Diskussion gestellt. Seit 2012 wird dieser viersemestrige Studiengang gemeinsam von AnglistInnen und RomanistInnen des Fachbereichs Neuere Philologien getragen. Das Studienprogramm stützt sich darüber hinaus auf eine breite inter- und transdisziplinäre KooperationKooperation mit Lehrenden anderer Institute und Fachbereiche quer durch die Universität Frankfurt am Main, von der AnthropologieAnthropologie und EthnologieEthnologie über die ErziehungswissenschaftenErziehungswissenschaften, Humangeografie, PolitikPolitikKultur-, Sprachpolitik, Sozial-- und Sozialwissenschaften bis zur TheologieTheologie.
Waren es Anfang der 2010er Jahre nur wenige Masterstudiengänge, die ein Studium auf dem FeldFeld, Feldtheorie der Transkulturalität ermöglichten – „Transkulturelle Studien“ an der Universität Bremen, „Moving Cultures“ in Frankfurt am MainFrankfurt am Main und „Transcultural Studies“ in Heidelberg –, so werden inzwischen an zahlreichen Universitäten einschlägige Bachelor- und Masterstudiengänge angeboten, inzwischen auch als binationale Studiengänge mit Doppelabschlüssen in DeutschlandDeutschland und FrankreichFrankreich bzw. in PolenPolen. Geplant ist auch ein binationaler deutsch-argentinischer Studiengang.
Universität | Bezeichnung des Studiengangs | Abschluss | Konzeption |
Bonn | Transkulturelle Studien/Kulturanthropologie | Master | disziplinär – AnthropologieAnthropologie |
Bremen | Transkulturelle Studien | Master | transdisziplinäres Programm von Ethnologie,Ethnologie Kulturwissenschaft,Kulturwissenschaft Religions- und LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft |
Duisburg-Essen | Kunstwissenschaft und Transkulturalität | Master | disziplinär – Kunstwissenschaft |
Düsseldorf | Transkulturelle Studien. Sprache, Literatur, Medien, Kunst | Bachelor | trans-/pluridisziplinär – binationaler Studiengang Düsseldorf – Toulouse |
Erfurt | Geschichte transkulturell | Master | disziplinär – Geschichte |
Frankfurt am MainFrankfurt am Main | Moving Cultures – Transcultural Encounters / Cultures en mouvement – rencontres transculturelles / Culturas en movimiento – encuentros transculturales“ (kurz MCTE oder Moving Cultures) | Master | transdisziplinär – Anglistik, Romanistik in KooperationKooperation mit anderen Disziplinen |
Graz | Transkulturelle KommunikationKommunikation | Bachelor | disziplinär – Kommunikationswissenschaft |
Heidelberg | Transcultural Studies | Master PhD | transdisziplinär, mit Schwerpunkt auf Süd- und Ostasien; Geschichte, Religion, Ökonomie und Gesellschaft, Kunst und KulturKultur; gemeinsames Promotionsprogramm mit der Universität Venedig |
Heidelberg | Transkulturelle Studien. Literaturen und Sprachkontakte im frankophonen Raum | Master | trans-/pluridisziplinär – binationaler Masterstudiengang mit der Universität Montpellier |
Leipzig | Theaterwissenschaft transkulturell. Geschichte, TheorieTheorie der unsichtbaren Hand, Praxis | Master | disziplinär – Theaterwissenschaft |
Oldenburg | Transkulturelle interreligiöse Studien | Professionalisierungsprogramm | disziplinär – TheologieTheologie |
Paderborn | PopMediaCulture: Transkulturelle argentinisch-deutsche Pop-KulturKultur-Vermittlung | Master | Anbahnungsphase für die Einrichtung eines binationalen Masterstudiengang mit der Universität Buenos Aires |
Tübingen | DeutschDeutsch-polnische transkulturelle Studien / Polsko-niemieckie studia transkulturowe | Master | trans-/pluridisziplinär – mit Doppelabschluss in Tübingen und Warschau, Literatur-, Kultur-Kultur, Theaterwissenschaft |
Wien | Transkulturelle KommunikationKommunikation | Bachelor | disziplinär – KommunikationswissenschaftKommunikationswissenschaft |
Tab. 1.1:
Studiengänge zu Transkulturalität an deutschsprachigen Universitäten
Die jeweiligen Studienprogramme lassen im Wesentlichen zwei divergierende Ausrichtungen erkennen. Erkennbar ist einerseits ein disziplinäres Konzept, d.h., dass der Studiengang von einer Disziplin wie Geschichte, AnthropologieAnthropologie, TheologieTheologie, Kunstwissenschaft oder von einer Philologie wie Frankoromanistik ausgeht und darin die Gegenstände dieser Disziplin in ihren transkulturellen Bezügen vermittelt werden. Auf der anderen Seite ist die Tendenz erkennbar, dass es sich um pluri- bzw. transdisziplinäre Studiengänge handelt, die von eigens eingerichteten pluridisziplinären Studien- und Forschungszentren oder von mehreren Instituten/Disziplinen getragen werden.
Die Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, zumal im Zuge von Verfahren der Akkreditierung und Reakkreditierung von Studiengängen einiges in Bewegung ist. So wurde beispielsweise der 2013 an der Universität Konstanz eingerichtete Studiengang „Transkulturelle Geschichte und AnthropologieAnthropologie“ schon 2016 wieder eingestellt. An einzelnen Universitäten werden die Studiengänge inzwischen von der Einrichtung von Professuren flankiert, wie zuletzt – im Jahre 2020 – in Bremen mit einer „Professur für EthnologieEthnologie mit dem Schwerpunkt Transkulturelle Prozesse“, an der Universität für angewandte Kunst in Wien mit einer Professur für „Transkulturelle Studien“ oder an der Martin-Luther-Universität Halle mit einer Professur für „Inter- und transkulturelle Studien”.