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3.5 Wolfgang Welsch: Transkulturalität als philosophisches Konzept

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Ein Name, der in der neueren deutschsprachigen Literatur zur Transkulturalität oft wiederkehrt, ist der des Philosophen Wolfgang Welsch, dem nicht selten auch die Vaterschaft für das Konzept der Transkulturalität zugesprochen wird bzw. die er selbst auch reklamiert (vgl. Abschnitt 3.1). Welsch hat seit 1992 mehrere Aufsätze publiziert. Einzelne seiner Beiträge wurden mehrfach in unterschiedlichen Sammelbänden publiziert, was die Vermutung bestärkt, dass seinen Überlegungen besonderes Gewicht zuerkannt wird. Welsch ist aber keineswegs der erste, der sich im deutschsprachigen Raum mit Transkulturalität befasst. Bereits Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre zirkulierte das Konzept in den ErziehungswissenschaftenErziehungswissenschaften und in der EthnologieEthnologie.1

In seinem Aufsatz, „Was ist eigentlich Transkulturalität“ aus dem Jahre 2010 erklärt Welsch, dass er seinen ersten Aufsatz (vgl. Welsch 1992) aus dem Unbehagen heraus geschrieben habe, dass der traditionelle Kulturbegriff nicht mehr auf die gegenwärtigen Kulturen und kulturellen Verhältnisse passe und demzufolge durch ein anderes, zeitgemäßes Verständnis von KulturKultur(en) ersetzt werden müsse. Wenn dieser Befund seither von vielen KulturwissenschafterInnen geteilt wird, so zeigt sich jedoch, dass Welschs historische Herleitung seiner Kritik auf einem nicht erheblichen Irrtum basiert. Darauf wird gleich noch einzugehen sein.

Welschs Anliegens ist es, eine neue KonzeptualisierungKonzeptualisierung von ‚KulturKultur’ zu erarbeiten, die auf die Verhältnisse des 21. Jahrhunderts angewendet werden kann. Dafür findet er mit der Metapher des ‚Geflechts’ ein (altes) neues Leitbild, das er auf verschiedenen Ebenen und Extensionen von Kultur und kulturellen Verhältnissen mit dem Ziel dekliniert, ein „Modell von Durchdringungen und Verflechtungen“ (2010, 39) zu entwerfen. Kultur sei heute „permeativ und nicht separatistisch verfasst“ (ebd.). Ausgangspunkt ist für ihn die Unterscheidung einer inhaltlichen Bedeutung von einer extensionalen Bedeutung von ‚Kultur’. Unter der inhaltlichen Bedeutung versteht er die Praktiken, durch welche die Menschen ein menschentypisches Leben führten, also Alltagsroutinen, Kompetenzen, Überzeugungen, Umgangsformen, Sozialregulationen, Weltbilder und dergleichen. Unter der Extension von Kultur versteht er die geographische oder nationale oder ethnische Ausformung dieser Praktiken. „‚Kultur’ bezieht sich hier auf die Ausdehnung derjenigen Gruppen (oder Gesellschaften oder Zivilisationen), für welche die betreffenden kulturellen Inhalte bzw. Praktiken charakteristisch sind“ (ebd., 39f.). Die begriffliche Revision von ‚Kultur‘, die Welschs Konzept der Transkulturalität vorschlägt, bezieht sich vor allem auf ihre extensionale Bedeutungsdimension. Er unterscheidet dabei eine Makroebene von einer Mikroebene. Auf der Makroebene seien heutige Kulturen durch externe VernetzungVernetzung und internen Hybridcharakter sowie durch die Vieldimensionalität des Wandels geprägt, bedingt durch MigrationMigrationsprozesse, technologische Entwicklungen und innere Differenzierungen in den Gesellschaften. Auf der Mikroebene gehe es um die transkulturelle Prägung der IndividuenIndividuum, Individuen und darum, dass die interne Transkulturalität, u.a. in Form von Patchwork-IdentitätenPatchwork-Identitäten, den Umgang mit der externen Transkulturalität erleichtere.

Welschs Konzept von Transkulturalität steht, bezogen auf die Entwürfe der in 3.2, 3.3 und 3.4 genannten AutorInnen, in einem anderen Referenzsystem. Er spricht als Philosoph über KulturKultur und Transkulturalität, als solcher ist sein Denken darauf bezogen, die Welt und die menschliche Existenz zu ergründen, zu deuten und zu verstehen. Transkulturalität wird bei ihm von 1992 an zu einem philosophischen Begriff ausgeformt, um zu beschreiben, warum und in welcher Weise „[w]ir Menschen […] wesentlich Kulturwesen“ sind, wie es im ersten Satz des Beitrags von 2010 heißt. Als philosophischer Begriff ist Transkulturalität auf Plausibilität angewiesen. Fragen nach der Konsistenz der Daten und nach den Methoden, die zur Datenanalyse und zur TheorieTheorie der unsichtbaren Hand-/Begriffsbildung herangezogen werden, wie es in empirischen Wissenschaften wie EthnologieEthnologie, GeschichtswissenschaftGeschichtswissenschaft, SprachwissenschaftLinguistik und anderen Disziplinen unumgänglich zum fachlichen Selbstverständnis gehört, stellen sich für ihn nicht. Welschs methodischer Zugriff besteht in der Kontrastierung: er stellt der Wahrnehmung heutiger Lebensformen der Menschen ein der Übergangszeit von Aufklärung zur Romantik zugeschriebenes Kulturverständnis gegenüber – „Kultur als Kugel“ –, um sich eine argumentative Kontrastfolie in Form eines „traditionellen Kulturbegriffs“ zu schaffen, die es ihm erlaubt, den WandelWandel der kulturellen Praktiken seit Ende des 20. Jahrhunderts mit einem neuen Begriff, eben Transkulturalität, zu betrachten.

Die Kritik an Welschs Konzept der Transkulturalität entzündet sich einerseits an der historischen Herleitung seiner Argumentation und andererseits an der wohl kaum anders als reduktionistisch zu nennenden Betrachtung der konkurrierenden oder auch komplementären Konzepte von Multi- und InterkulturalitätInterkulturalität.

Welschs historischer Referenzpunkt ist das philosophische Werk von Johann Gottfried Herder (1744-1803). Welsch schreibt Herder ein Verständnis von KulturKultur zu, das darin bestehe, sich Kultur als eine Kugel vorzustellen. Zu diesem Bild von Kultur als Kugel gehöre das Gebot der HomogenitätHomogenität nach innen und die strikte Abgrenzung nach außen. Jede Kultur solle, als Kultur eines Volkes, von den Kulturen anderer Völker spezifisch unterschieden und distanziert sein (vgl. Welsch 2010, 40). Doch wie Löchte (2005), Saal (2014) und auch das NetzwerkNetzwerk „Transkulturelle Verflechtungen“ (2016) nachgewiesen haben, hat Herder zwar die Kugelmetapher tatsächlich verwendet, sie aber, anders als Welsch behauptet, nicht auf ‚Kultur’, sondern auf die ‚NationNation’ bezogen (Transkulturelle Verflechtungen 2016, 29ff.). Welsch selbst zitiert Herder mit den Worten: „Jede Nation hat ihren Mittelpunkt der Glückseligkeit in sich, wie jede Kugel ihren Schwerpunkt“ (Welsch 2010, 40). Welsch argumentiert zweitens damit, dass Herder, von der Kugelmetapher für Kultur ausgehend, Kulturen als hermetisch abgeschlossene Sphären und autonome Inseln angesehen habe. Doch auch hierbei ist Widerspruch angezeigt: Denn im Gegensatz zu Welschs Behauptung erkennt Herder vielmehr an, „dass es zu kulturellen Vermischungsprozessen kommt, die dann wiederum Neues hervorbringen“ (Transkulturelle Verflechtungen 2016, 29). Und drittens stellt sich die Frage, warum sich Welsch überhaupt auf Herder bezieht, wo es doch in Weimar auch dessen Gegenspieler Johann Wolfgang von Goethe gab, der seinerseits ein Konzept von ‚WeltliteraturWeltliteratur‘ und ‚Weltverkehr‘ (vgl. auch Abschnitt 5.1.2) vertrat, das offen für KulturkontaktKulturkontakt und kulturellen Austausch war, wie es im Übrigen auch von Herder selbst so gesehen wurde.2

Kritik sieht sich Welschs Konzept der Transkulturalität auch noch von anderer Seite ausgesetzt. Welsch betont, dass sein auf Prozesse orientiertes Transkulturalitätskonzept große Unterschiede zu den Konzepten der Multi- und InterkulturalitätInterkulturalität aufweise, die noch immer am alten Kugelmodell festhielten. „Der Unterscheid zwischen beiden ist nur, dass der MultikulturalismusMultikulturalismus dies im Blick auf Verhältnisse innerhalb von Gesellschaften, die Interkulturalisten hingegen im Blick auf die Verhältnisse zwischen Gesellschaften tun“ (ebd., 46). Welsch sieht sich mit dieser Auffassung der Kritik seitens der Interkulturalitätsforschung ausgesetzt, die ihm vorwirft, nicht auf der Höhe der aktuellen Diskussionen zur Interkulturalität zu sein.3 Ernst/Freitag (2014, 16) weisen zudem darauf hin, dass in frühen Arbeiten von Welsch die Machtfrage weitgehend unbeleuchtet bleibt.

Welschs Konzept der Transkulturalität zielt darauf ab, die uns – hierzulande – umgebenden und formenden Vernetzungen und Mischungen der kulturellen Praktiken zu modellieren, weshalb der Erkenntnisrahmen als autofokussiert zu beschreiben ist. In diesem Zugriff mag auch die Begründung liegen – neben der philosophischen Diskussion zu KulturKultur und kulturellem WandelWandel –, dass Welschs Konzept der Transkulturalität in den deutschsprachigen Ländern auf breite Resonanz gestoßen ist.

Transkulturalität  - Prozesse und Perspektiven

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