Читать книгу Die Soldatenkönigin - Julien Junker - Страница 10

Оглавление

Elnarat

Man kann sich vorstellen, in welcher Art von Stimmung ich mich für den Rest des Tages befand. Die meisten, mit denen ich regelmäßig zu tun hatte, kannten mich gut genug, um einen großen Bogen um mich zu machen. Natürlich gibt es immer solche, die keine Wahl haben, als sich dem Sturm zu stellen. Und dann natürlich die, die es nicht besser wissen können. Oder die es wissen, aber nicht danach handeln. Journalisten zum Beispiel scheint ein seltsamer Hang zur Abenteuerlust zu einen, was mich betrifft. Die Pressekonferenz, auf der ich offiziell Gileats Tod bestätigte und meine Nachfolge bekanntgab, war laut und hektisch – bis ich etwas von meiner natürlichen Autorität spielen ließ, wie man es später so schön ausdrückte. Nachdem sie nach meiner Bestätigung der Gerüchte ob Gileats Schicksals eine gute halbe Minute lang auf mich eingeschrien hatten, ließ ich ein Brüllen fahren, wie es einer Horde Rekruten hätte gelten können und erhielt augenblickliche, geschockte Stille. Mit gestreckten Armen auf den Tisch gestützt, der mir als Rednerpult diente, hob ich den Kopf, den ich in einer Geste der schwindenden Geduld gesenkt hatte und blickte in die plötzlich überraschend tiefe Stille. Die Männer und Frauen mit ihren Notepads und Kameras starrten mich mit einer Mischung aus milder Furcht und Betroffenheit an, während ich sie aus zorndunklen Augen taxierte. Der eine oder andere in der ersten Reihe trat einen Schritt zurück und rempelte seinen Hintermann an.

„Schnauze jetzt“, brummte ich, „sonst borg‘ ich mir von einem von euch ‘ne Kamera und mach‘ das selbst. Der nächste, der mir ins Gesicht schreit, kriegt über sein Schicksal in der Zeitung zu lesen, hab‘ ich mich verständlich ausgedrückt?“

Die Stille wurde tiefer, falls das möglich war. Fast erwartete ich es leise plätschern zu hören. Es ist eine schlechte Angewohnheit unter uns Cholerikern, dass wir die, die sich von uns einschüchtern lassen, stets geringschätzen. Aber ich konnte mir nicht helfen.

„Sie dürfen atmen“, grollte ich abschätzig, indem ich mich aufrichtete und die Arme vor der Brust verschränkte und in die großen Augen meiner Zuhörer blickte.

Man muss die junge Frau respektieren, die die Situation schneller als die anderen erkannte und die Gunst der Stunde nutzte, ihrer unter anderen Umständen vermutlich zu zierlichen Gestalt und zu leisen Stimme Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wie es sie in diesen Beruf verschlagen hatte, war mir ein Rätsel. Vielleicht war es die Tatsache, dass sie mehr Mumm in den Knochen und mehr Grips im Hirn hatte, als die meisten ihrer Kollegen. Ihr wohnte ein besseres Gefühl dafür inne, wie man mit einem trauernden, wütenden Soldaten umging. Sie schlängelte sich zwischen ihren vom Donner gerührten Artgenossen nach vorn in die erste Reihe und blickte mir geradewegs in die Augen, hob die Hand, als bäte sie um Erlaubnis, sprechen zu dürfen.

Ich nickte ihr zu.

„Kommandant – das ist nun Ihr Titel, nehme ich an?“

Erneut nickte ich das knappe Nicken meines unter der Oberfläche siedenden Zornes.

„Nun, wir alle können sehen, dass Gileat El Khalfanis Tod Sie schwer getroffen hat. Die Frage, die sich nun jeder stellt ist: Was bedeutet das für das Land? Geht der Kampf um die Unabhängigkeit weiter?“

„Wir machen weiter“, bestätigte ich. „Gileats Tod war ein schwerer Schlag für uns“, gab ich zu und jeder im Raum konnte die Wut in meiner Stimme beben hören. „Aber wer glaubt, uns jetzt im Sand verscharren zu können, hat sich gehörig verrechnet. Die Ermittlungen laufen. Wir finden den Mörder – auch wenn wir vermutlich einen Krieg anzetteln müssten, um die zur Rechenschaft zu ziehen, die tatsächlich dahinter stecken.“ Mein Blick kehrte zu der jungen Journalistin zurück, die auf ihrem Pad tippte, ohne hinzusehen. Sie musterte mich, begegnete meiner Stimmung mit Respekt, aber ohne Angst. „Wir machen weiter“, wiederholte ich, machte es zu einem Versprechen. „Wir bleiben unabhängig.“

Eliot, einer der drei Generäle, die an Gileats Seite unserer Sache gedient hatten, und der während der Pressekonferenz im Hintergrund mit verschränkten Armen neben mir gestanden hatte, begleitete mich mit einem dünnen Lächeln zurück in den Versammlungsraum, in dem wir bereits den gesamten Vormittag mit unserem persönlichen Krisengipfel verbracht hatten. Es galt, die nächsten Schritte zu besprechen, die Nachbeben, die Gileats Tod nach sich ziehen würde, abzuschätzen. „Dein Geschick mit der Presse beeindruckt mich immer wieder“, kommentierte er die Vorstellung, die ich während der letzten zwanzig Minuten gegeben hatte.

„Wenn diese Aasgeier lernen würden, sich wie zivilisierte Leute zu verhalten, müsste ich ihnen nicht jedes Mal die Nase brechen, wenn mir einer von ihnen begegnet.“

„Du musst dennoch bedenken, dass es sich bei der Presse um eines der wichtigsten Instrumente der Regierung handelt. Im geschickten Gebrauch ihrer Fähigkeiten liegt das Geheimnis der gewaltfreien Lenkung der Massen.“

„Ich ernenne dich hiermit zum Propagandaminister, Eliot. Verschieb die Klugscheißerei auf später, wenn ich besser gelaunt bin. Diese Leute wollten wissen, wie es weitergeht und ich habe es ihnen gesagt. Wir kämpfen für Unabhängigkeit – glaubst du, die Menschen wollen angelogen werden?“

„Und doch hast du ihnen einen Halbwahrheit über den Attentäter erzählt“, bemerkte Eliot, die stumme Frage laut zwischen seinen Worten.

„Eine taktische Lüge“, gab ich zurück. „Ich weiß noch nicht, wie ich mit ihm verfahren will.“

„Du hast nicht vor, ihn der weltlichen Gerichtsbarkeit zu übergeben, wie?“

Ich antwortete nicht darauf.

„Wenn wir es richtig anstellen, können wir eine Menge Sympathie auf unsere Seite ziehen, falls wir den Prozess öffentlich genug, fair und medienwirksam gestalten.“

Wir erreichten den Konferenzraum und ich hielt die Tür für Eliot offen. Marochek und Torlan waren bereits dort und sahen uns entgegen. „Ich denke darüber nach“, antwortete ich Eliot, um ihn ruhigzustellen. Er hatte natürlich Recht. Ein öffentlicher, anständiger Prozess war eine gute Gelegenheit, der Weltöffentlichkeit zu beweisen, dass wir ein funktionierendes Rechtssystem hatten, dass wir zivilisierte Leute waren, die nicht einfach aus Affekt handelten, gleich wie sehr sie den Mörder ihres geliebten Anführers tot sehen wollen mochten. Aber es war kein guter Zeitpunkt, mit mir über Vernunft in dieser Sache zu reden.

Eliot, Torlan und Marochek ließen sich mit mir auf den Stühlen um unseren Rundtisch nieder. „Also schön“, brummte ich. „Wo waren wir stehen geblieben?“

Die nächsten Tage sollten arbeitsreich und voller Ablenkung sein. Aber das alles machte mir das Fehlen Gileats, der das alles viel besser im Griff gehabt hätte, nur noch bewusster. Es war wie eine klaffende Wunde, ein Fehler im System. Arbeiten tat es noch, aber die Seele war daraus verschwunden. Der Tod meines Freundes machte mich zum Oberbefehlshaber der Streitmächte, die wenige Jahre zuvor lediglich ein bunter Haufen Rebellen unter der Führung eines begnadeten Generals gewesen waren. Ich empfand das als unpassend, nahezu falsch. Es war mir eine lästige Bürde, die mir ein Schicksal auferlegt hatte, das zu verstehen ich den Versuch mit meinen fünfundzwanzig Jahren bereits aufgegeben hatte.

Ich war nun Kommandant, obwohl mich meine Offizierslaufbahn so früh niemals so weit geführt hätte. Überhaupt waren wir als ehemalige Rebellen zum Teil weniger militärisch organisiert, als man hätte glauben sollen, auch wenn wir die alten Gewohnheiten beibehalten hatten, die uns die Armee eingeimpft hatte. Es gibt nun mal keine fünfundzwanzigjährigen Generäle. Egal wie gut sie sind. Dennoch waren die Männer loyal. Jeder einzelne von ihnen. Sie wussten, wofür sie gekämpft hatten, und es auch von Neuem bereit wären zu tun, und sie wussten, wer sie führte. Niemand machte Anstalten, unsere Truppen zu verlassen. Gileats Verlust war ein harter Schlag. Aber nicht tödlich. Offenbar sind Ideen hartnäckiger als es Menschen allein jemals sein könnten.

Um Gileats Attentäter machte ich noch immer einen weiten Bogen. Nicht weil es mir nicht unter den Nägeln gebrannt hätte, ihn mir vorzunehmen. Mehr, weil ich mir noch immer nicht sicher sein konnte, dass ich ihn nicht sehr langsam auseinander nehmen würde. Mikoras hatte Recht, wenn er mir riet, mich vorerst von dem Mann fern zu halten. Auch Eliots Rat war eine Erwägung wert. Gileats Attentäter hatte internationale Relevanz. Vor allem die Art, wie wir mit ihm verfahren würden. So etwas musste gut überlegt sein. Also schob ich es auf, während ein heimtückischer Teil von mir hoffte, ich könnte die Dinge noch so wenden, dass ich mich persönlich würde um ihn kümmern dürfen.

In der Zwischenzeit veranlasste ich, dass Thoul und mir ein anderes, größeres Quartier zugewiesen wurde, schließlich konnte ich eine elfjährige Göre schwerlich allein in ihren Räumen lassen. Dort vergrub sie sich die ersten Tage oder trieb sich irgendwo auf dem Stützpunkt herum. Ich schob es auf ihre Art und Weise zu trauern und ließ sie in Frieden. Ohnehin fehlte mir die Zeit, mich sofort mit ihr auseinanderzusetzen. Vermutlich aber auch die Kraft, vor allem der Mut. Es war mir einfach unmöglich, die gleiche unbezwingliche Sicherheit und innere Stärke aufzubringen, mit der Gileat diese Situation gemeistert hätte, wäre er an meiner Stelle gewesen.

Tja, wenn ich nicht so ein Feigling gewesen wäre, was Thoul anging, hätten die Dinge sich wahrscheinlich anders abgespielt.

Die Generäle und ich saßen wieder im Konferenzraum, wo wir uns abgesehen von drei kurzen Stunden Schlaf die Nacht um die Ohren geschlagen hatten, als Clarence anklopfte.

„Wir – “

Clarence öffnete die Tür und steckte seinen Silberblondschopf herein. „Elnarat? Du solltest in den Zellentrakt kommen. Es gibt da was, was du dir ansehen musst.“

Ich blinzelte langsam. In den letzten Stunden war mir zum ersten Mal klar geworden, welche Leistung Gileat damit vollbracht hatte, irgendetwas fertig zu kriegen, während die Welt aus allen Richtungen an seinen Rockzipfeln zerrte. Wie war es dem Mann möglich gewesen, sich auf irgendetwas zu konzentrieren?

Ich warf den anderen dreien einen entnervten Blick zu. „Ich komme“, gab ich zurück, wissend, dass Clarence für Gewöhnlich ein gutes Gespür dafür hatte, was warten konnte und was nicht. „Macht ihr bitte weiter und setzt mich nachher über alles in Kenntnis.“

Ein Nicken der drei. Wenigstens war mir das eingespielte Team des Führungsstabes erhalten geblieben. Es wäre nicht auszudenken gewesen, was geschehen wäre, hätten die VNE die gesamte Führungsspitze ausgeschaltet. Allein hätte ich die Aufgabe, die mir die Welt gestellt hatte, niemals bewältigen können.

„Was gibt es?“, fragte ich, als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte.

Clarence sah mich forschend an. „Hast du M’Pelé in die Verhörzelle verlegen lassen?“

Ich runzelte die Stirn. „M’Pelé? Ist das sein Name?“

„Scheint so. Hast du?“

„Nein.“

Der Arzt schürzte die Lippen. Seine Schritte waren lang neben meinen. Clarence war groß, schlank und immer auf dem Weg irgendwohin. Ich kann mich kaum erinnern, ihn jemals schlendern gesehen zu haben. „Dann frage ich mich, wer den Befehl wohl gefälscht hat, und wie.“

Ich hob die Brauen. „Welchen Befehl?“

„Ihn in die Verhörzelle zu bringen. Es hieß, er käme von dir.“

„Interessant. Verifiziert?“

Clarence nickte. „Dein Kommandocode war vollständig und korrekt. Ich hatte keine Bedenken. Also habe ich Hektor Bouvoir mit ihm in den Zellentrakt geschickt und M‘Pelé wie befohlen fixieren lassen. Das war vor dreieinhalb Stunden.“

„Dreieinhalb Stunden“, wiederholte ich. „So weit kann ich mich trotz wenig Schlaf mit einiger Sicherheit zurückerinnern und ich versichere dir, den Befehl habe ich nicht gegeben.“

Clarences Mundwinkel zuckte schwach. „Mir ist vor wenigen Minuten aufgegangen, dass du dich unmöglich um ihn kümmern kannst, da du mit den Generälen in der Krisensitzung steckst. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass du jemand anderen damit beauftragst, also fiel mir kein Grund ein, warum du ihn ins Verhörzimmer bestellen solltest. An dem Punkt habe ich angefangen, mir Sorgen zu machen, jemand könnte was Krummes gedreht haben. Da ich seit dem Befehl nichts mehr von irgendwem gehört habe, was M’Pelé angeht, bin ich mal nachsehen gegangen.“

Das hörte sich alles gar nicht gut an. „Ist er geflohen“, fragte ich, meine Stimme bereits wieder auf dem Weg in tiefe Abgründe.

„Nicht direkt. Aber sieh selbst“, erwiderte Clarence.

Wir bogen in den Gang ein, auf dem sich das Verhörzimmer befand und fanden Bouvoir vor dem Zimmer wachestehend. Er nickte mir zu. „Sir.“

Clarence öffnete das Zimmer für mich und ich trat ein – um Gileats Mörder zusammengesunken im Verhörstuhl, der ihn mit seinen Metallspangen festhielt, vorzufinden. Der Griff eines Utilitymessers ragte aus seiner Brust. Man brauchte kein Arzt zu sein, um hier adäquate Diagnosen zu stellen. Ich fluchte herzhaft. „Wer war das?“

Clarence sah mich sehr ruhig an. „Ich hätte da so eine Idee.“

Ich fand Thoul in der Küche, die unser Quartier luxuriöser Weise beinhaltete. Sie war dabei, Tee aufzugießen. Mich in den Türrahmen lehnend sah ich ihr dabei zu. Einmal mehr fiel mir auf, wie präzise ihre Bewegungen waren. Wenn andere Menschen eine Teekanne abstellen, dann geschieht das in einer großen Bewegung, die den Gegenstand in die Nähe der Oberfläche bringt, auf der sie zum Stehen kommen soll, gefolgt von einer langsamen, vorsichtigen, die verhindert, dass es laut knallt, wenn man die Kanne abstellt. Für Thoul war das alles eine einzige Bewegung. Schnell, effizient und flüsterleise. Es sah gespenstisch aus, als hätte jemand den Ton abgestellt, der eigentlich hätte da sein sollen, wenn jemand eine Kanne mit so viel Schwung auf der Anrichte abstellt.

„Hallo, Elnarat.“

„Warst du das?“

Sie warf mir nur einen einzelnen, eiskalten Blick zu, der mich schaudern machte und keine Zweifel zuließ. Ich schluckte schwer. „Thoul. Du hast ihn umgebracht!“

Sich mir langsam zuwendend straffte sie die Schultern in einer unwillkürlichen Geste, die ich von mir kannte. Wut. Aber ihre war nicht siedend, wie meine. Ihre war eiskalt. „Oh, ja, das habe ich, Elnarat, und bevor du anfängst, therapeutisch wirksam zu werden: Ich würde es wieder tun. Und wieder. Und wieder, wenn ich könnte. Dieser Mann hat meinen Vater umgebracht und er war nicht einmal so menschlich, es von Angesicht zu Angesicht zu tun. Mit einem Messer, einer Pistole, schnell. Nein, er hat ihn heimtückisch vergiftet.“ Ihre Stimme war frostkalt wie die tiefste Wüstennacht. Sie brannte auf der Haut. „Ja, wir hätten ihn vor Gericht stellen, ein wunderschönes juristisches Exempel statuieren und ihn zu lebenslanger Haft verurteilen können. Das wäre menschlich gewesen, fortschrittlich, nicht wahr?“ Sie bewegte langsam den Kopf von links nach rechts, in einem gefährlichen, lauernden Kopfschütteln, das mir Schauer über die Arme jagte. Ihre grünen Augen funkelten mit schneidender Wut, so scharfkantig und präzise wie ihre Bewegungen. „Aber das wäre mir nicht genug gewesen. Nicht mal annähernd. Gileat war mein Vater. Sein Mörder gehört mir.“

Mir begann zu dämmern, dass wir alle dieses Kind vollkommen unterschätzt hatten. Elf! Heiliger Sandsturm! Was ging hier vor? Natürlich war sie wütend, natürlich hatte sie Rachegelüste. Niemand verstand das besser als ich und Tatsache war, dass es dem Mann vermutlich weniger gut ergangen wäre, hätte ich mich mit ihm befasst. Aber ich war Soldat und – verdammt noch mal! – erwachsen!

„Thoul… du kannst nicht einfach jemanden umbringen!“ Ich gebe zu, das war nicht die originellste Antwort auf ihre Rede, schon gar nicht unter den Vorzeichen, unter denen sich diese Situation abspielte. Militärstützpunkt, Krieg…

Sie hob leicht den Kopf und verschränkte die Arme. Oh! Die Geste mochte ich gar nicht. „Nun, wie du siehst, kann ich doch. Er hat bekommen, was er verdient hat.“

„Woher willst du wissen, was er verdient hat?“

Mit einem Mal fiel alle Ruhe von ihr ab. Ihre Arme fielen aus der Verschränkung, ihre Hände ballten sich zu Fäusten, ihr Gesicht verzerrte sich zu dem grausamen Antlitz der Wut, die in ihrem Herzen tobte. „Er hat meinen Vater umgebracht, Elnarat!“, schrie sie mich an. „Und sag mir nicht, dass du mit ihm nicht ein und dasselbe angestellt hättest!“, setzte sie hinterher. Ihr ganzer Körper war hart und angespannt wie der eines hungrigen Löwen vor dem Sprung. Sie starrte mich an, als wollte sie im nächsten Augenblick auf mich losgehen. In diesem Augenblick registrierte sie in meinem kampferfahrenen Gehirn tatsächlich als immanente Bedrohung. Jeder Instinkt warnte mich vor ihr, vor dieser Elfjährigen. Groß, noch schlaksig, mit den langen Gliedern der Pubertät, die den Körper so schnell streckt. Doch ihre Wut verwandelte sie in einen Gegner, der auf dem Schirm jedes erfahrenen Kämpfers aufgetaucht wäre.

„Beruhige dich, Thoul. Du musst lernen deine Regungen zu kontrollieren, sonst wirst du da draußen gewaltig in Schwierigkeiten geraten.“

„Und das von dir, Elnarat?“, schoss sie zurück. Ein dünnes Lächeln legte sich auf schmale Lippen, das von Gewalt sprach. „Lass das meine Sorge sein.“

Mein Blick bohrte sich in ihre Augen. Ein Anflug von Wut packte mich. Diese Antwort hätte mir einer meiner Soldaten geben sollen! Ich musste mich daran erinnern, dass sie nicht unter meinem Kommando stand, dass dies nicht mit einem Verweis, einer Degradierung, einer Untersuchung zu bereinigen wäre. Nein, meine Aufgabe war viel weitreichender als das und ich fühlte mich herzlich unqualifiziert, ihr nachzukommen. Mir war klar, dass ich sie in diesem Augenblick und dieser Sache niemals mit moralischen Argumenten erreichen würde. Sie wuchs zwischen Männern auf, die prügelten, wenn sie wütend waren, die töteten, wenn sie mussten und die an ihrer Stelle hundertprozentig das Gleiche getan hätten. Sie war wütend. Schrecklich, grausam wütend. Sie trauerte und sie ging damit um wie ein Soldat, der seine Gefühle in Stärke und Gewalt verwandelt und sich damit gegen seinen Feind wendet. Niemand konnte ihr das übel nehmen, zuallerletzt ich. Aber sie war ein Kind – hätte es sein sollen. Und nun sollte mir jemand sagen, wie ich all diese Tatsachen vereinen und daraus die richtige Entscheidung triangulieren sollte! Erziehung... Heilige Wüste! Ausgerechnet ich!

Ich legte den Kopf in den Nacken und seufzte.

„Geh in dein Zimmer.“

„Nein.“

Mein Herzschlag wurde schwer und langsam. Ich versetzte ihr einen Blick, stieß mich von der Wand ab und deutete in Richtung ihrer Tür.

„Sieh mir in die Augen und sag mir, dass es falsch war“, sagte sie anstatt zu gehorchen. „Sag mir, dass du ihn nicht umgebracht hättest.“ Ihre Stimme leise und voller harscher Gewissheit.

„Also schön, Schätzchen“, murmelte ich. „Ich werd dir jetzt mal was sagen:“ Ich straffte die Schultern und blickte ihr hart in die grünen, funkelnden Augen, die mich wie über Kimme und Korn hinweg taxierten. „Das mit dem Töten überlässt du demnächst gefälligst den Leuten, die dafür ausgebildet sind.“ Ich setzte mich in Bewegung und kam langsam auf sie zu, sodass sie den Blick heben musste, um mir weiter in die Augen zu starren. „Du wirst hier keine Alleingänge mehr veranstalten. Und schon gar nicht“, ich blinzelte langsam, „meine Kommandocodes hacken um irgendwelche gefälschten Befehle zu geben.“ Ich blieb einen knappen halben Meter vor ihr stehen und starrte meinerseits in die grüne Hölle ihrer kalten Wut hinab. „Hast du das verstanden?“

Schon wieder diese Geste. Sie hob das Kinn und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr Blick war hart und scharf und schien mir ins Gesicht zu schreien, dass sie kein Kind mehr war und sich auch nicht als solches fühlte.

Ich seufzte. Mir dämmerte, dass es keinen Sinn hatte, jetzt mit ihr darüber zu reden. Viel zu deutlich spürte sie, dass ich froh war, dass M‘Pelé tot war.

„Geh in dein Zimmer“, wiederholte ich. Es war kein Befehl. Aber eben auch keine Bitte. Dieses Mal duldeten meine Worte keinen Widerspruch.

Thoul ließ entrüstet die Arme aus der Verschränkung fallen. Offensichtlich betrachtete sie meine Anweisung als echte Anmaßung. Vermutlich war sie in ihrem Leben noch nie auf ihr Zimmer geschickt worden. Ich sah ihr unverwandt in die Augen. Als sie sich drei Sekunden später noch immer nicht bewegt hatte, hob ich die Brauen. Ein Nicken in Richtung Tür genügte. Sie stieß wütend den Atem aus und stürmte aus dem Zimmer.

Ich seufzte tief und ließ mich auf einen Küchenstuhl fallen. Heilige Wüste! Das würde Geschichten geben! Vermutlich würde Thoul von diesem Tag an ihren Ruf weg haben. Davor, dass diese Sache bekannt würde, konnte ich sie nur unvollständig schützen. Der eine Lichtblick an der ganzen Angelegenheit war, dass sie mit elf Jahren nach internationalem Recht noch nicht einmal deliktfähig war. Niemand würde sie dafür belangen können, dass sie den Mörder ihres Vaters eigenhändig gerichtet hatte. Aber es war und blieb ein Mord, der die Welt wieder einmal in zwei Hälften spalten würde. Die, die ihr jubeln würden, und die anderen. Und ich, der ich hätte Sanktionen verhängen sollen, gehörte zu denen, die jubeln wollten. Da war eine leise, dunkle Stimme, die mir triumphal ins Ohr flüsterte. Die insgeheim frohlockte, weil M’Pelé gerichtet worden war und nicht mit einer Gefängnisstrafe davon kommen würde. Ja, ich hätte Thoul am liebsten einen Orden verliehen, denn dafür, dass eine Minderjährige einen Racheakt beging, konnte dem Tschad niemand die Schuld geben. Wäre es einer meiner Soldaten gewesen, ich, oder Gott bewahre! – eines unserer Gerichte! Die Internationale Gemeinschaft hätte Zeter und Mordio geschrien. Thoul hatte den besten Ausgang für alle herbeigeführt. Im Grunde hatte ihr Verbrechen eine internationale Eskalation verhindert.

Ich fuhr mir mit einer müden Geste durchs offene Haar und erhob mich, um mir Kaffee zu machen. Ein Königreich für eine Ladung Koffein! Die langen Nächte und die Anspannung der vergangenen Tage begannen sich bemerkbar zu machen. Allmählich fing ich an, Gileats exzessiven Teekonsum nachvollziehen zu können.

Gileat. Ich hatte ihm gesagt, er würde noch mal sein blaues Wunder mit dem Gör erleben. Damit, dass ich derjenige wäre, der es erlebte, hatte ich nicht gerechnet. Nicht in meinen kühnsten Fieberträumen. Ich verbrannte mir so wie jeden der drei vergangenen Tage die Lippen an dem widerlichen Gesöff und fragte mich, wie man sowas überhaupt trinken konnte.

„Also war sie’s“, meinte Clarence von der Tür aus und sorgte dafür, dass ich gehörig in mich zusammenfuhr und mir den Kaffe über die Hand schüttete. Müde und nachdenklich wie ich war, hatte ich seine Gegenwart nicht registriert. „Sie war es. Und sie bereut nichts. Nicht, dass ich es ihr übel nehmen könnte.“

„Da hast du’s“, nickte Clarence schulmeisterlich, während er sich auf meinem Stuhl niederließ. „Das kommt dabei heraus, wenn man Kinder zwischen Soldaten großzieht.“

Ich lachte leise und zuckte die Achseln. „An den Dingen, wie sie stehen, kann ich nicht viel ändern, fürchte ich.“

„Das sollst du ja auch gar nicht. Alles was du tun musst, ist die Dinge in die richtigen Bahnen zu lenken.“

Ich hob den freien Arm und ließ ihn in einer Geste der Ratlosigkeit wieder fallen. „Wenn du mir sagst wie? Ich bin auch einer von denen, weißt du?“

„Das stimmt“, gab Clarence zu. „Du bist ein alter Haudegen. Aber Thoul ist kein Kind mehr, auch wenn sie äußerlich vielleicht so wirken mag.“ Seine grauen Augen sahen mich nachdenklich an. Da war ein Funken tiefer Sorge und etwas anderes, das ich nicht zuordnen konnte. Gewissheit? „Sie braucht keinen Vater. Den hat sie gehabt und du musst ihn ihr nicht ersetzen. Was sie jetzt braucht, ist jemand, der sie auf das vorbereitet, was ihr bevorsteht. Das ist es, was du ihr geben musst. Du brauchst kein Vater zu sein. Was sie braucht ist ein Mentor.“

Ich sah ihn nachdenklich an und biss mir dabei auf die Lippen. Er hatte Recht. Und wenn dem so war...

Ich beschloss, schleunigst herauszufinden, was ihr Vater ihr bis jetzt beigebracht hatte. Sobald ich die Sache mit dem toten Attentäter irgendwie ausgebügelt hatte…

Eine kleine Bemerkung am Rande: Es ist mir bewusst, dass das alles sehr unwahrscheinlich klingt. Ein junges Mädchen das... nun ja... – ehrlich: Es erscheint noch viel unwahrscheinlicher, wenn man es erlebt. Ich war dabei und ich habe es gesehen. Und nicht, dass es mit dieser Sache aufgehört hätte – im Gegenteil – das war erst der saftige Anfang.

Die Soldatenkönigin

Подняться наверх