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II

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Elnarat

Ich saß an meinem Schreibtisch und stand mal wieder kurz vor einem Tobsuchtsanfall ob der Anmaßungen, die sich die Regierungsnationen uns gegenüber herausnahmen. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie wollten uns einfach solange provozieren, bis uns der Kragen platzte und wir unsere Truppen von selbst losschickten. Am liebsten hätte ich einfach alle Diplomaten dieser Welt abgeschossen. Auch unsere. Die Regierung, die noch Gileat unter dem Wissen eingesetzt hatte, dass es selten gut ist, das Militär die Regierungsgeschäfte führen zu lassen, war viel zu feige, duckmäuserisch, ließ sich zu viel gefallen und unterschrieb Gesetze, die ich im Leben nicht verabschiedet hätte. Aber mir waren die Hände gebunden. Das Militär hatte damals nun mal noch keine Regierungskompetenzen. Selbst Gileat hatte eine Militärregentschaft nur unter Kriegsumständen gesetzlich etablieren wollen. Der Mann hatte leicht reden gehabt, hatten sich doch zu seiner Zeit alle um Rat an ihn gewandt. Nicht so in meinem Falle, zumindest nicht zu Beginn. Also musste ich zusehen, wie diese Idioten unser Land immer tiefer in die Scheiße ritten. Wenn ich die Berichte las und die Verhandlungsprotokolle, dann wusste ich genau, dass der nächste Krieg schon vor der Tür stand, so sehr ich auch wünschen mochte, dem wäre nicht so. Der Krieg an sich war nicht das Verschulden unserer Regierung, aber sie versuchten schlicht zu lange, sich an einen labilen Frieden zu klammern, machten zu viele Zugeständnisse an die IN, in der Hoffnung, ihn festhalten zu können. Ich hatte im Laufe der Jahre ein recht untrügliches Gespür dafür entwickelt, was da am Horizont heraufzog. Das Gute daran war, wenn tatsächlich ein weiterer Krieg ausbräche, würde die Regierung in meine Hände fallen. Dann wäre es das gewesen, mit den lästigen Diplomaten, die sich dem Willen der Mächtigen einfach so beugten. Das Problem dabei war, dass ich von Natur aus kein Politiker bin und ich alles andere lieber getan hätte, als die Verantwortung über ein ganzes Land auf meinen Schultern zu tragen. Und so viel ich auch davon verstehe, einen Krieg zu führen... gerne tue ich das nicht.

Ist es nicht Ironie des Schicksals, dass es mich ausgerechnet zu all den Aufgaben herangezogen hat, die mir von allen am allerwenigsten im Blut liegen: Erziehung und die Regierung eines Landes? Vielleicht ist es wahr, dass das Leben nichts als ein großes lautes Klassenzimmer ist.

‚... und sehen uns gezwungen, die Einfuhr ihrer Bodenschätze in unseren Wirtschaftsraum zu reglementieren...’

Das war Narowa. Einer unserer Nachbarn im Osten und fest in der Hand der IN. Ich gab einen frustrierten Laut von mir, der sich selbst für meine Ohren unschön nach übellaunigem Löwen anhörte und pfefferte meinen Reader gegen die Wand. Dieser miese, hinterhältige Feigling! Ich hätte platzen können!

In diesem Moment ging die Tür auf und Thoul trat in mein Arbeitszimmer. Überrascht blickte ich auf und musterte sie. Ihre rechte Hand hielt ein langstieliges Rotweinglas und ihre linke unser großes Schachbrett, auf dessen schwarzen und weißen Feldern schon so mancher unerbittliche Kampf zwischen uns getobt hatte.

Oh, ja, sie war gut geworden, verdammt gut. Alles, was ihr jetzt noch fehlte, war Erfahrung. Das konnte ich ihr nicht abnehmen. Und so wie die politische Lage aussah, würde sie bald Gelegenheit haben, auch die zu sammeln.

Ein Lächeln flog über ihr Gesicht, als sie auf mich an meinem Schreibtisch und den Reader am Boden blickte.

„Lust auf eine Partie Schach?“, fragte sie freundlich, indem sie näher trat und mir einladend das Weinglas entgegen hielt.

Ah... dieses Mädchen! Ich liebte sie für solche Momente.

„Na komm schon. Du sitzt jetzt schon seit Stunden ohne Unterbrechung an deinem Tisch.“

Ich erhob mich und streckte meine steifen Glieder, während ich sie musterte. Sie war verdammt groß für ihre vierzehn Jahre und ihr Haar, das ihr inzwischen glatt und seidig schimmernd bis über die Schultern fiel, reflektierte den Schein meiner Schreibtischlampe.

„Du hast Recht“, gab ich zu und nahm dankbar den Wein an, den sie für mich mitgebracht hatte. Oh, ja, sie wusste, wie sie mir eine Freude machen konnte und allmählich gewann ich immer mehr den Eindruck, dass ihr das Spaß machte.

Ihre schlanken, sehnigen Hände stellten das Schachbrett auf dem Boden des Zimmers ab und begannen die Figuren aufzustellen, während ich mich ebenfalls bäuchlings auf den Boden legte und ihr dabei zusah.

Ich liebte diese Abende. Es gab kaum etwas Besseres, als mit Thoul am Boden zu liegen und Schach zu spielen, ein gutes Glas Wein bei der Hand und ein paar friedliche Momente, die niemand störte.

Zu Anfang hatte ich ihr viel erklären müssen und hatte sie zu verschiedenen Gelegenheiten absichtlich gewinnen lassen, um ihr den Mut nicht zu nehmen. Sie hatte es jedes Mal gemerkt und mich dafür regelrecht zurechtgewiesen. Das hatte eine ganz eigene Wirkung auf ihre Motivation gehabt. Inzwischen musste ich höllisch aufpassen, wenn ich mit ihr spielte. Ihre Fähigkeit, meine Züge vorauszusehen, hatte beinahe beängstigende Ausmaße angenommen. Wenn ich müde war, oder unkonzentriert, steckte sie mich innerhalb einer halben Stunde in die Tasche.

An diesem Tag war es eine längere Sache. Geschlagene zwei Stunden brachten wir über dem Schachbrett zu. Dann glaubte ich, sie tatsächlich am Haken zu haben. Sie stand von meinem Läufer, meinem Springer und meiner Dame im Schach und verstellte sich zwei geschützte Plätze mit ihren eigenen Bauern. Es war nicht so, dass sie ausweglos verloren gewesen wäre. Aber wenn sie jetzt den Fehler machte, von dem ich sicher war, dass sie ihn begehen würde, hätte ich sie innerhalb von sechs Zügen schachmatt. Die Sache gefiel mir gar zu gut – bis die große Rochade kam. Verdammt noch eins, damit hatte ich nicht gerechnet, denn auf den ersten Blick sah es aus, als hätte sie sich damit in noch viel tiefere Schwierigkeiten gebracht. Mit plötzlicher Verwunderung huschten meine Augen übers Schachbrett, da ich erwartet hätte, sie nun noch eher matt setzen zu können. Dann ging es mir auf: Ihr Zug hatte eine Falle geschlossen, die mich in weniger als sechs Zügen besiegen würde. Es gab nichts, was ich dagegen tun konnte. Sie hatte ein weiteres Mal mit gespenstischer Genauigkeit vorausgesehen, was ich tun würde und wann mir die Erkenntnis käme. Ich war beeindruckt.

„Du dreistes Gör, du“, murmelte ich. „Du hast deinen eigenen König als Köder benutzt. Sehr knappe Sache.“

Sie grinste. „Es hat funktioniert, oder?“

„In der Tat, ja. Risikoreich, aber effektiv. Du bist gut geworden“, stellte ich mit anerkennend erhobenen Augenbrauen fest. Gedankenverloren nippte ich an meinem Wein. „Ich denke, wir müssen das nicht bis zum bitteren Ende durchziehen, oder? Ich mag es nicht, am Haken zappeln zu müssen.“

Thoul lachte und zeigte mir dabei eine Front strahlend weißer Zähne. Ich freute mich mit ihr. Es war mir mittlerweile völlig gleichgültig, wenn sie gewann. Eigentlich war es mir sogar lieber. Ihre Freude war größer als meine Genugtuung und ich mochte es, wenn sie sich freute.

Mit einem glücklichen Seufzen stieß ich symbolisch meinen König mit dem Zeigefinger um und rollte mich auf den Rücken, die Hände über dem Bauch verschränkend. Aus der Käferperspektive ließ ich meinen Blick über meine Einrichtung schweifen: Den hellen Teppich, auf dem ich lag, die glatten Wände, der lederne Sessel, den ich so gut wie nie benutzte, den Couchtisch, dessen Glasplatte ob meiner gelegentlichen Wutausbrüche schon dreimal erneuert worden war… wenn ich mir das so recht bedachte, passte der hier gar nicht rein.

Ich hörte, wie Thoul die Schachfiguren eine nach der anderen vom Brett nahm und sie in dem zusammenklappbaren Untersatz verstaute, bevor sie sich bäuchlings hinlegte und den Kopf auf den angewinkelten Arm stützte. Einen Augenaufschlag später spürte ich, dass ihr Blick auf mir ruhte. Ich sah zu ihr auf und runzelte die Stirn, indem ich den Kopf hob. „Gibt es was, was du mir sagen willst?“

Thoul nickte ernst. Oh, nein, nein, nein, nein, nein. Diesen Blick mochte ich gar nicht. Er ging zumeist äußerst unangenehmen Mitteilungen ihrerseits voraus.

„Es gibt Hinweise darauf, dass Léon den Etat seiner Streitmacht nahezu verdoppelt hat“, sagte sie.

Für einen Augenblick lang starrte ich sie nur an, dann ließ ich meinen Schädel wieder auf den Teppich sinken. „Oh, nein“, murmelte ich. „Bitte nicht.“

Sie hob die Brauen. „Leider doch.“

Ich hob die Hände und fuhr mir damit übers Gesicht. „Ganz große Klasse. Nicht auch noch der Niger. Das wird ‘ne unschöne Sache.“

Thoul nickte nur.

Solche Szenen waren nicht ungewöhnlich. Sie hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, alle Berichte zu lesen, die ich auch bekam und war mir in deren Lektüre oftmals gar voraus. Das half, weil sie mir dann erläutern konnte, was sie enthielten und bisweilen erleichterte mir das ganz enorm den Versuch, einen Überblick über das Chaos der Ereignisse zu erlangen. Auch unsere Gespräche über die Lage machten das einfacher. Meine kleine ungezogene Göre war mir in diesen Dingen eine echte Hilfe geworden. Zu Anfang hatte ich sie sehr stark kontrolliert und mir trotz allem die Mühe gemacht, jeden einzelnen der Berichte ebenfalls zu lesen. Als ich allerdings merkte, wie gewissenhaft sie in dieser ihrer neuen Funktion als meine Gehilfin handelte, hatte ich bald begonnen, mich auf sie zu verlassen. Thoul war vermutlich das einzige junge Mädchen der Welt, bei dem ich das ungestraft machen konnte.

Auch fiel mir auf, dass sie manchmal auf Informationen zurückgriff, die niemals aus diesen Berichten stammen konnten. Sie hatte ihr eigenes System der Informationsgewinnung. Es hatte mit sozialen Netzwerken im Internet zu tun. Offenbar hatte sie einen Weg gefunden, durch beiläufige oder selbst scherzhafte Beiträge deren öffentlicher Mitglieder zu politischen oder wirtschaftlichen, selbst sozialen Themen Informationen zu gewinnen, die, wenn nicht zu Entscheidungsfindung, dann doch für gewisse Vorahnungen und Vorausberechnungen nützlich waren, die einem in gewissen Momenten entscheidende Hilfen sein konnten. Mehr als einmal waren wir unseren Gegnern dadurch um einen entscheidenden halben Schritt voraus. Im Krieg ist das oftmals alles, was zählt. Bis heute habe ich nicht vollständig verstanden, wie ihr System funktionierte, doch ich ließ sie gewähren und genoss es, von einer durch Thouls Intellekt überraschend zuverlässigen Informationsquelle zu profitieren, um deren intelligente Nutzung ich mich nicht kümmern musste.

Kurz, wir spielten uns aufeinander ein. Und: Ich arbeitete gern mit ihr. Wir waren ein wahrhaft effizientes Team. Unterstützt natürlich durch meine Generäle und den Geheimdienst, doch ich möchte behaupten, dass ich mir wirklich nicht viel Arbeit habe abnehmen lassen.

Jetzt griff sie nach meinem Oberarm und übte einen sanften, ja, beinahe tröstlichen Druck darauf aus. Ich sah zu ihr auf und blickte in ihre grünen Augen. Immer wieder faszinierte mich dieser Anblick – es gibt wenig grüne Farbe in der Wüste. Für mich symbolisierte sie Gesundheit. Sie wirkte lebendig, frisch, unbeugsam. Wie die junge Frau, deren Augen sie zierte.

„Unsere Truppen sind gut, Elnarat. Du weißt das, du hast sie selbst ausgebildet. Wir schaffen das.“

„Und wenn Narowa und sein beschränkter Nachbar sich auch noch einfallen lassen, uns anzugreifen, was machen wir dann? Dann haben wir einen bilderbuchartigen Mehrfrontenkrieg. Wenn das passiert, dann weiß ich nicht – “

„Wenn das passiert, nutzen wir einfach unsere Vorteile in der Wüste, so einfach ist das. Niemand kennt das Gelände hier so gut wie wir. Die sollen nur kommen.“

Ich lächelte sacht. „Mir ist klar, dass dein enormes Selbstvertrauen nicht ganz unbegründet ist, Thoul. Aber du kannst das nicht ohne Weiteres auf jeden anderen ausdehnen. Unsere Kapazitäten unterliegen gewissen Beschränkungen.“

„Das ist mir durchaus bewusst, Elnarat“, erwiderte sie. „Aber wir kämpfen für etwas – und nicht wie die anderen, weil es uns befohlen wurde. Unsere Entschlossenheit und unsere Stärke werden sie letztendlich doch in die Knie zwingen.“

Mein Blick sprang unsicher zwischen ihren klugen Augen hin und her. Wovon zum Henker redete sie? Natürlich kämpften wir für etwas. Wir wollten unsere Freiheit, unsere Unabhängigkeit. Doch irgendetwas sagte mir, dass Thoul nicht nur von der Verteidigung unseres eigenen Landes sprach.

Ich schob den Gedanken beiseite. Es hätte nur allzu gut zu ihr gepasst, weiter zu denken. Doch was immer sie im Schilde führte, der Augenblick war noch nicht gekommen, es ans Licht zu bringen und ich konnte sicher sein, dass es uns nicht zum Nachteil gereichen würde.

Resignierend griff ich nach meinem Weinglas und stürzte den Rest seines Inhalts hinunter. Thoul musterte mich missbilligend.

„Also schön“, murmelte ich und rappelte mich ächzend auf. „Genug der Entspannung. Wenn die Dinge so stehen, wie du sagst, habe ich noch mehr zu tun, als ich dachte.“

Thoul sah zu mir auf und erhob sich dann ebenfalls. „Du hast Recht. An die Arbeit.“

Es blieb uns noch etwas Zeit, bis die Angriffe kommen würden, noch hatte uns niemand den Krieg erklärt und unter den gegenwärtigen Umständen würde das auch noch keiner tun. Aber viel Zeit war es nicht, die wir haben würden. Thouls geheimer weil vollkommen offensichtlicher Informationsquell hatte uns einmal mehr einen kleinen zeitlichen Vorteil gebracht. Man muss nehmen, was man bekommt. Das Jetzt ist der beste Zeitpunkt um die die Welt zu verändern.

Es war stockduster, als ich erwachte. Thoul musste meine Schreibtischlampe ausgeschaltet haben. Offenbar war ich in meinem großen Sessel am Tisch eingeschlafen. Ich streckte mich, fuhr mir mit der Hand durch den schulterlangen Haarwust und blieb in einem Knoten hängen.

Seufzend stellte ich fest, dass mir noch immer schwindelig war. Stirnrunzelnd versuchte ich mich zu erinnern, was überhaupt losgewesen war.

Ach... richtig. Junggesellenabschied. Einer der Jungs heiratete. Inmitten all der politischen Wirren und Unbill. Solchen Dingen muss besonders in solchen Zeiten Platz und Achtung eingeräumt werden.

Irgendetwas raschelte. Meine Hand sank langsam aus den Haaren herab, während ich mich aus meiner in den Schreibtischsessel gelümmelten Position aufrichtete.

Was zum...?

Auf einem Stützpunkt wie diesem raschelte nichts, wenn die Meisten schliefen. Kein Wind in den Gängen, nur die nächtliche Besetzung der Wachposten. Selbst die waren eigentlich überflüssig, in der Wüste. In der Regel bemerkten wir alles, was sich uns näherte, schon hunderte Kilometer vorher.

Erneut dieses Rascheln. Es hörte sich an, als wenn Stoff aneinander riebe. Naturfasern, die aneinander entlang glitten. Hosenbeine. War Thoul schon wieder auf irgendwelchen nächtlichen Expeditionen unterwegs? Ich erhob mich und trat zur Tür. Auch das angrenzende Zimmer war stockdunkel. Thouls Zimmertür auf der anderen Seite war verschlossen, kein Licht fiel unter dem Spalt hindurch.

Ich schob es auf meinen nicht hundertprozentig... gegenwärtigen Zustand, zuckte die Schultern und wollte mich durch den Raum auf meine Zimmertür zu bewegen, um in meinem Bett den Rest meines Rausches auszuschlafen, als ich spürte, ich war nicht allein. Mitten in der Bewegung hielt ich inne und lauschte. Es war nichts zu hören, doch ich konnte mit untrüglicher Sicherheit fühlen, dass da noch jemand war. Eine Präsenz in diesem Raum, der Fokus einer Aufmerksamkeit, die auf mir ruhte. Jeder kennt das. Wir alle haben das schon erlebt. Da war jemand.

Die Dunkelheit war viel zu tief um etwas zu sehen – was allerdings nicht hieß, dass der andere auch nichts sah. Ich drückte mich leise in Richtung Wand und fand den Lichtschalter. Im gleichen Augenblick, da ich ihn betätigte, tat ich einen Sprung zur Seite und warf mich zu Boden. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich eine Gestalt fluchend das Nachtsichtgerät vom Kopf riss. Ich nutzte die kurze Zeitspanne die mir gegeben war und hechtete hinter das Sofa, gegen dessen Rückenlehne ich mich drückte. Hinter mir hörte ich, wie der Fremde den Schlitten seiner Waffe zurückzog und die erste Kugel in die Kammer glitt.

Na großartig. Ein Attentäter.

„Komm raus und stirb aufrecht wie ein Mann, Elnarat. Du glaubst doch nicht, dass dieses alte Polstermöbel mich davon abhält, dir in den Rücken zu schießen.“

Zu dumm, dass dieses „alte Polstermöbel“ auf meinen eigenen Wunsch hin das einzige war, wohinter man sich in diesem Raum verstecken konnte. In genau solchen Momenten hatte ich gehofft, dann mehr Überblick zu haben. Allerdings hatte ich dabei nie daran gedacht, tatsächlich unvorbereitet und unbewaffnet erwischt zu werden... Mit anderen Worten, der Attentäter konnte gar nicht anders als zu wissen, wo ich steckte. Großartig.

„Na los, Junge. Aufstehen!“

Ich kannte diese Stimme nicht. Ein angeheuerter Killer also.

Das Dumme war, er hatte Recht. Das alte Sofa bot tatsächlich nicht die geringste Deckung, wenn es darum ging, sich vor Kugeln zu schützen. Langsam erhob ich mich hinter der Couchlehne und überlegte derweil fieberhaft, wo ich meine Waffen hingelegt hatte. Garderobe? Konnte nicht sein. Schrank?

Voll aufgerichtet fiel mein Blick auf den Fremden, der mit der Waffe im Anschlag neben dem Schrank stand und mich musterte. Er hatte kurzes blondes Haar und einen hellhäutigen, sehnigen Hals. Groß gewachsen, mindestens so groß wie ich, und mit breiten Schultern stand er da. Ein Nordeuropäer.

„Wer schickt dich?“, fragte ich mit rauer Stimme.

„Sagen wir, gewisse Leute halten dich für eine ernste Gefahr für die gegenwärtige Weltordnung. Dich und die Soldaten, die dir folgen. Man hat sich entschieden, der Schlange den Kopf abzuschlagen.“

„Großartig. Hat ja schon letztes Mal toll geklappt“, kommentierte ich und überlegte noch immer, wie ich ihn loswerden konnte. Mein Blick fiel auf die Türklinke meines Zimmers. Da hing mein Gürtel – mit den Waffen darin.

In diesem Moment schoss der Mistkerl. Die schallgedämpfte Kugel peitschte durch den Raum. Ich wollte in Deckung gehen – was natürlich in dem Moment, in dem man den Schall hört, eine schon völlig obsolete Entscheidung ist. Weil man schon fällt. Der Schmerz kam erst, als ich schon am Boden lag. Ich stöhnte auf. Die Schulter. Immer die verdammte Schulter – lernt denn heute keiner mehr, wie man zielt?

Im nächsten Moment war er über mir und lud erneut durch. Seine Waffe richtete sich auf meine Stirn. Mein Mundraum wurde warm. Der metallische Geschmack meines eigenen Blutes breitete sich darin aus. Kein gutes Zeichen für meine Lunge. Es war ein seltsames Gefühl, dem Tod ins Auge zu blicken. Unwirklich, unfertig. Als wäre die richtige Zeit noch nicht gekommen – und als hätte ich das nicht schon oft genug getan. „Ich wusste, dass einer von diesen Feiglingen früher oder später auf diese Idee kommen würde“, stöhnte ich.

„Ich auch.“ Thouls Stimme.

Dann ein Schuss. Ungedämpft, gefolgt von plötzlicher, absoluter Stille. Überrascht stellte ich fest, dass mein Kopf noch auf meinen Schultern saß. Über mir brach der Attentäter nach hinten zusammen. Ein daumennagelgroßes Loch klaffte zwischen seinen Augen.

Mein Blick wanderte zu Thoul, die noch immer in ihrer Zimmertür stand und ihre Waffe sinken ließ. Mein erster Gedanke war: Nicht schon wieder. Sie hat schon wieder getötet.

Der zweite: Sie hat mir das Leben gerettet.

Ich begann zu lachen. Die Erleichterung, plötzliche Angst, Adrenalin und die schiere Freude, noch am Leben und nicht fernab jeder Schlacht einfach sang- und klanglos erschossen worden zu sein, noch immer in Thouls vertrautes Gesicht sehen zu können... das alles huschte und stolperte in meinem Kopf und meinem Herzen durcheinander. Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. Ich lachte rau und tief und spürte, wie der Schmerz durch meine Schulter zuckte. Ah... ja. Schmerz. Ich war noch am Leben!

Dann hustete ich und Blut spritzte auf den Handrücken, die ich mir vor den Mund gehalten hatte.

Thoul kam zu mir herüber und kniete sich zu mir nieder.

„Guter Schuss“, bemerkte ich trocken, was sie mit einem amüsierten, doch kaum merklichen Kopfschütteln quittierte.

„Deine Lunge hat Schaden genommen, Elnarat. Du musst auf die Krankenstation.“

Ich nickte und zog mich ächzend mit meinen Bauchmuskeln hoch. Thoul stützte mich. Ich beobachtete, wie ihr langes Haar über ihre Schultern nach vorn fiel. Ein Lächeln flog über meine vom Blut feuchten Lippen.

Sie lächelte zurück und ich war einfach nur froh, dass sie bei mir war. Meine blutige Hand schloss sich sanft um ihre Schulter. Dankbar, glücklich.

Ihr Arm legte sich um meinen Rücken, schob mich mit sanfter Gewalt zur Tür hinaus und in Richtung Krankenflügel, um mich dort den sachkundigen Händen eines besorgten Clarence zu übergeben.

Die Soldatenkönigin

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