Читать книгу Die Soldatenkönigin - Julien Junker - Страница 13

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Thoul

Auf die Zeit meiner Ausbildung blicke ich wirklich gern zurück. Es war insgesamt eine gute, ruhige Zeit. Die Staaten der Welt jonglierten noch ihre Drohungen, wogen noch Kosten und Nutzen ab, und ich hatte Gelegenheit, dabei zuzusehen und zu lernen. Ich begleitete Elnarat des Öfteren zu Stabssitzungen und hörte einfach zu; las Berichte, lauschte den Unterhaltungen der anderen Offiziere, der Soldaten, der Zivilisten auf dem Stützpunkt; und ich durchforstete das internationale Netzwerk nach Meinungen, Stimmungen, Reaktionen, nach den Fußabdrücken des Zeitgeistes. Ich schrieb ein nützliches kleines Programm, das nach den Mustern, die ich mit der Zeit entdeckte, suchte. Daran feilte ich oft, sortierte aus, fügte neue Schlagworte hinzu, ganze Phrasen manchmal, und ließ es seine immer feineren Maschen auswerfen. Es sparte Zeit, sich, statt stundenlang Seiten zu durchforsten, jeden Morgen eine Zusammenfassung der globalen Stimmung in Anekdoten geben zu lassen. Ich lernte, was die Menschen beschäftigte. Und ich lernte, wie sehr man sie im Dunkeln ließ, hörte heraus, welche Nachrichten nicht zu den Leuten vorgelassen wurden. Ich berichtete Elnarat gelegentlich davon, sodass wir unsere Sicht über eigene Nachrichtensender kundtun konnten. Es war eine gute Übung für mich und ein zusätzlicher Blickwinkel zu dem, was unsere Spezialisten ohnehin in diese Richtung beitrugen – PR für unser Land. Zusätzlich hatte ich mir eine Möglichkeit ausgedacht, über private Onlinebeiträge Personen zu isolieren, die unsere Informationen mitunter ergänzen konnten, oft ohne es zu wissen. Ich vertraute auf die Bereitschaft der Leute, viele scheinbar unwichtige Details mitzuteilen, und verknüpfte sie. Natürlich konnte ich nicht hoffen, dass eine Schlüsselfigur ihre Vorhaben öffentlich machte – obwohl es auch das alle Schaltjahre einmal gab. Aber die reine Information von Person X, ich bin hier und tue dies, war wertvoll.

Eines Morgens, als ich noch dabei war, die während der Nacht von meinen Filterprogrammen mitgeschnittenen Nachrichten anzusehen, beschlich mich ein seltsames Gefühl. Unter dem bloßen Inhalt der Botschaften lag eine bedrohliche, schwer greifbare Spannung. Ich wurde unruhig. Etwas war während der Nacht – das heißt, während des Tages anderer Leute – geschehen, und es war mitnichten gut. Immerhin konnte ich darauf vertrauen, dass man keine Raketen auf uns richten und den Stützpunkt direkt vernichten würde. Abwehrsysteme hatten wir, und seit der Gründung der VNE hatte man endgültigste Schritte wie Atomwaffen ohnehin nicht mehr zu befürchten. So fair muss man sein, das war einer der Vorteile, den dieses Bündnis allen Beteiligten beschert hatte.

Der digitale Blätterstapel in meiner Hand schrumpfte rapide als ich mich, Zettel für Zettel mit den Fingerspitzen vom Stapel blätternd, durch die Nachrichten arbeitete. Schließlich verlor ich die Geduld und fegte in die Kommandozentrale. Eigentlich war einem Kind meines Alters und noch dazu einem Zivilisten wie mir der Zutritt ohne Genehmigung strengstens untersagt, doch bestand eine Art stille Übereinkunft, mich gewähren zu lassen.

Die vielen verschlossenen Gesichter und der generelle Aufruhr, dem ich auf den Gängen begegnete, schürten meine bösen Vorahnungen. Weit mehr Soldaten als gewöhnlich kreuzten meinen Weg und nicht wenige waren, ganz genau wie ich, in großer Eile.

Als ich schließlich die Zentrale erreichte, ging meine Ankunft völlig im Rufen und Rennen der mich umgebenden nervösen Hektik unter. Etwas lag ganz fürchterlich im Argen.

Um mich blickend wurde ich Elnarat gewahr, der mit einigen anderen über einen Holotisch gebeugt dastand. Der Tisch selbst zeigte nicht nur seinen Teil an Daten auf der Oberfläche an, es häuften sich auch noch Dokumentenleser und Karten in wilder Unordnung. Krisensitzung.

Elnarat stand in voller Uniform gewandet mit dem Rücken zu mir und gestikulierte heftig. Blanke Nerven, mobilisierte Soldaten – in Kombination mit der wilden Unruhe konnte das nur eines heißen. Wir wurden angegriffen.

Ich trat zwischen sie, an Elnarats rechte Seite.

„Was ist los?“

Meine leise Stimme, die nicht nach Aufmerksamkeit fragte, sondern sie als selbstverständlich voraussetzte, brachte die vier hochrangigen Offiziere am Tisch dazu, sich verwundert umzudrehen.

„Raus, Kleine, heute ist hier kein Platz und keine Zeit für Kinder.“

Ich habe Marochek – einen der Generäle – einfach ignoriert, zum einen weil im Augenblick sowieso alle zu beschäftigt waren, um sich um meinen Rauswurf zu kümmern, zum anderen weil ich sehr wohl das kleine Lächeln bemerkt hatte, das sich bei meinem Erscheinen auf Elnarats angespannte Züge gelegt hatte. Das legte ich ungeniert als Erlaubnis zur Mitsprache aus. Also schnappte ich mir den zuoberst liegenden Leser, ohne weiter auf eine Antwort zu warten.

„He! Wirst du wohl die Finger-“

Ich nahm aus dem Augenwinkel gerade noch die Hand wahr, die sich mit nicht besonders freundlichen Absichten nach meiner Schulter ausstreckte, dann gellte ein kurzer, schmerzerfüllter Schrei durch den Raum.

Es dauerte nicht lang, bis das Rufen und Trappeln um uns her wieder einsetzte. Der Schrei war in ein Ächzen übergegangen und ich wusste, welches Bild sich den Soldaten im Raum bot.

Elnarat hatte hinter meinem Rücken vorbei die Hand um die Finger des Generals geschlossen und diese mit einem stählernen Griff derart zusammengedrückt, dass die Gelenke knackten. Und Marochek hielt das tatsächlich aus, ohne die ganze Zeit über zu schreien. Ich, über das Gerät – den jüngsten Bericht einer feindlichen Truppenbewegung – gebeugt, hob angesichts dieser erstaunlichen Leistung anerkennend eine Braue, ohne die Augen von der Schrift zu lösen. Die Warnung in Elnarats Augen wandelte sich angesichts dieser Geste in ein schelmisches Blitzen. Mein Vater hatte oft so dreingeblickt.

„Sie ziehen gegen uns in den Krieg“, sagte ich schließlich.

Marochek machte sich mit unwirscher Geste von seinem Befehlshaber los, massierte Leben zurück in seine malträtierten Finger und nickte mir nur knapp zu.

„Unsere Forderungen sind damit wohl abgelehnt.“

Ich starrte auf den Text, dann auf eine der Karten. Mein Finger wanderte einige Stellen im südlichen Dschungelgebiet in der Mitte unseres Kontinents nachdenklich ab.

Kolwarpass – Nordstraße -

Innehaltend sah ich auf den Bericht, studierte dann wieder die Karte. Und lachte auf, was alle Umstehenden zu einer erstaunten Pause nötigte.

„Ein lachendes Kind in der Kommandozentrale. Vor einer Konfrontation!“

„General“, war alles, was Elnarat daraufhin erwiderte, doch dieses eine Wort war drohender, als anderer Leute Geschrei es je hätte sein können.

Meine Reaktion hatte durchaus ihre Gründe. Mein System hatte Gold für mich gefunden.

„Wie sicher, denken Sie, sind diese Daten?“ Das Gesicht zum gemarterten Zweiten General erhoben wartete ich auf eine Antwort. Der seufzte mit einem Blick auf Elnarats Züge und ging trotz der wenigen Zeit, die alle im Moment hatten, auf meine Frage ein.

„Von geringer Glaubwürdigkeit, aber den Kommandanten davon zu überzeugen hatte bisher keinen nennenswerten Erfolg“, grollte er.

Die anderen beiden Generäle stärkten ihrem Vorredner verhalten nickend den Rücken.

„Erklären Sie sich“, verlangte ich. Es war mir wohl bewusst, dass mein kurzzeitiges Recht, so frei zu sprechen, nur auf den stummen Befehlen in Elnarats Augen beruhte. Zeit, mich zu beweisen.

„Wir haben vor Kurzem ein fremdes Signal aufgefangen, das zweifelsfrei belegt, dass einer unserer Überwachungssatelliten – eben jener, von dem diese Daten stammen, der einzige über diesem Gebiet – von außen beeinflusst wird. Diese Daten“, deutete er auf das Gerät in meiner Hand. „-sind nicht zuverlässig.“

Das erklärte natürlich die hitzige Diskussion zwischen den vieren.

Elnarat, der mit verschränkten Armen hinter mir stand, erwiderte nichts, sondern blickte nur stumm in die nun bereits vor Zorn funkelnden Augen des anderen, als ich mich zu ihm herumdrehte.

„Ist das so?“

Mein Mentor nickte knapp.

Ich überlegte. Sah zu Elnarat. Für ihn war dies ganz offensichtlich ein Test und gleichzeitig eine Möglichkeit für mich, vor den anderen zu zeigen, was ich konnte.

„Sie denken also, ein Angriff von Süden ist ausgeschlossen?“

„Ja.“

„General, was denken Sie dazu?“, richtete ich das Wort an Mayyal Torlan.

„Der Angriff wird von Osten erfolgen, es ist der sinnigste Schritt. Die Route ist ungefährlicher, es gibt ergiebigere Quellen, besser befestigte Wege“, sagte sie.

„Alles Details, von denen Neu-Kamerun aber nicht unbedingt etwas weiß.“ Erneut beugte ich mich über den Tisch. „Und selbst wenn, ist es nicht relevant. Nicht in diesem Fall. Sie kommen von Süden.“

„Ach... und woher weiß ein kleines Mädchen so gut darüber Bescheid?“, brummte Marochek missmutig. Es war offensichtlich, dass er meinen Auftritt als reine Zeitverschwendung ansah.

Ich lächelte den General an und es war kein nettes Lächeln. Er hatte mich auf nicht besonders taktvolle Weise herausgefordert. Jetzt wollte ich ihn nur zu gern schlagen.

„Erstens führt Präsident Afar diese Armee. Selbiger ist geradezu besessen von seinen Ahnen und ihren Siegen. Präsident Colhi, einer eben jener vergötterten Vorfahren, nutzte die hier angewendete Strategie seinerzeit erfolgreich. Glauben Sie mir, Afar hat noch nie etwas selbst Erdachtes verwirklicht und wird seinen Vorvätern auch diesmal nacheifern, auch entgegen aller Vernunft und Logik. Und zweitens, wenn Ihnen diese zugegebenermaßen vage Vermutung noch nicht genügt-“ Damit zog ich mein eigenes Lesegerät hervor und legte es auf den Tisch.

„– habe ich heute Morgen diesen kleinen Text eines der Soldaten Afars mitgeschnitten. Die an sich harmlosen, namenlosen Landschaftsbeschreibungen untermauern den Report eines Zivilisten aus dieser Gegend – südlich unserer Position – der etwas beobachtet, das er für Truppenbewegungen hält. Es besteht eine Chance, dass diese Angaben korrekt sind. Es dürfte nicht schwer sein, eine Aufklärungsdrohne in das betreffende Gebiet zu schicken und das zu bestätigen. Wenn sich Afars Truppen tatsächlich dort aufhalten, wird uns folglich nur weißgemacht, dass man unseren Satelliten manipuliert.“

Verdatterte Stille folgte. Der Erste General, Eliot, stand auf, nahm meinen Text an sich und studierte ihn grübelnd. Ich sah in sein erfahrenes und doch jugendliches Gesicht, bis er die dunklen Augen zu meinen hob und einen Mundwinkel halb hob. „Nicht schlecht. Gar nicht mal schlecht.“

„Was wir tun sollten, ist Folgendes-“

Mit Genugtuung sah ich Elnarats zufriedenes Grinsen, als er nacheinander die Gesichter der Generäle musterte, deren nun überzeugter Fokus sich ganz meinen Daten widmete. Die Situation schien ihm zu gefallen. Ich hatte seinen Test bestanden und alle, die mich bis dahin nicht für voll genommen hatten, berechneten mich neu.

„Wir stationieren uns hier und dort. Die Gleiterstaffeln bleiben zurück, bis wir sehen, wie viele überleben-“

Trotzdem sie sofort auf die neuen Daten vor sich zu reagieren begannen, hatten die drei Männer schmunzelnde Schwierigkeiten, das Geschehen völlig zu glauben – ein Kind erklärte ihnen ihre eigene Taktik, ein zwölfjähriges, störrisches Kind...!

Marochek runzelte die Stirn ob meiner letzten Worte. „Überleben? Werden sie etwa ernsthaft versuchen-“

„Ja, das werden sie“, schaltete sich Elnarat ein. „Sie haben keine Ahnung, worauf sie sich einlassen. Auf die Wüste sind sie nicht vorbereitet. Sie werden ihre Artillerie auf dem Landweg zu uns bringen und die Wüste wird sie in eine Umarmung nehmen, aus der es kein Entkommen gibt. Der Sand, Marochek, sie werden im Sand stecken bleiben. Die Waffen und Fahrzeuge Neu-Kameruns waren nie speziell für die Wüste ausgelegt und nach den letzten Grenzverschiebungen schon gar nicht mehr. Sie werden unvorbereitet in die Schlacht getrieben, haben nicht genug Wasservorräte. Was an Fußsoldaten überlebt, wird kaum eine Gefahr sein. Deswegen bleiben, wie diese junge Dame hier bereits vorgeschlagen hat, unsere Bodenstaffeln nahe der Basis. Luftabwehr stellen wir an den südlichen Flanken auf und heizen die Gleiter ordentlich vor – das wird genügen. Was da gegen uns zieht, ist kein Vernichtungsschlag, das ist ein Selbstmordkommando. Wenn diese Armee erst geschlagen ist, wird es ein Leichtes, ihnen einen Friedensvertrag abzuzwingen, der es ihnen unmöglich macht, andere im Kampf gegen uns zu unterstützen.“ Er blickte die Generäle nacheinander an. „Einen Moment bitte.“

Er legte mir einen Hand auf die Schulter und führte mich mit sanfter Bestimmtheit zu einem Stuhl, auf welchem er mich mit leichtem Nachdruck zu sitzen bat.

„Das war gut. Lass es dir nicht zu Kopf steigen. Und bleib für die nächsten paar Stunden bitte von meinem Radar verschwunden“, murmelte er mir gutmütig brummelnd zu.

Ich lächelte

Damit ging er eine Schlacht gewinnen.

Die Soldatenkönigin

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