Читать книгу Die Soldatenkönigin - Julien Junker - Страница 18
ОглавлениеThoul
Er hatte mich auf die Krankenstation verfrachtet und war gegangen. Dort saß ich nun, allein mit einem Sieg, der seinen Glanz für mich verloren hatte. Clarence war als Chefarzt mit weit dringenderen Fällen als mir beschäftigt, mit Männern und Frauen, denen der Tod viel näher war als mir. Niemand scherte sich um mich, die ich ohne ersichtliche Wunden dasaß und auch keine Anstalten machte, innerhalb der nächsten Minuten das Zeitliche zu segnen. Um mich herum herrschte eine Geräuschkulisse aus Schreien, Stöhnen und Rufen nach diesem oder jenem medizinischen Gegenstand.
All das war mir gleichgültig. Meine Gedanken waren bei Elnarat. Er hatte mich nicht eines weiteren Blickes gewürdigt, doch ich konnte ahnen, wie er fühlte. Seine Hände hatten gezittert, als er mich anwies, dort sitzen zu bleiben, wo ich jetzt war. Dieses Mal würde ich bleiben. Meine Schuldgefühle waren entsetzlich. Ich hatte viel mehr getan, als nur einen Befehl zu missachten, ich hatte sein Vertrauen enttäuscht. Es ging, das wurde mir nach und nach klar, auch ihm nicht darum, dass ich nicht gehorcht hatte. Sein Vertrauen hatte sich allein auf meine Sicherheit bezogen. Er hatte verhindern wollen, dass mir auf dem Schlachtfeld etwas zustieß – oder, so gesehen, dass mir das Schlachtfeld zustieß. Er hatte mich schützen wollen und ich hatte es nicht verstanden. Ich war schuld, dass er zum ersten Mal das Versprechen an meinen Vater hatte brechen müssen. Dass er es nicht selbst getan hatte, war egal.
Als ich dort saß, sickerte die Erkenntnis der Tragweite, die meine Handlungen für Elnarat hatten, immer tiefer in mein Bewusstsein. Hatte ich vor wenigen Minuten noch völlig gefühllos gemordet, so brach ich jetzt fast unter der Last meiner Emotionen zusammen, auch wenn dies niemand hätte an meiner starren Gestalt hätte ablesen können.
Die Männer da draußen waren mir nicht nur unbekannt gewesen, sondern obendrein noch meine Feinde. Bei Elnarat hingegen sah das anders aus. Vollkommen anders. Ich für meinen Teil hatte gelernt, ihn nicht nur als Mentor, sondern beinahe auch als Freund und Verbündeten zu schätzen. Und einem Vertrauten so zuzusetzen, war schlimm.
Während mir diese Gedanken noch durch den Kopf gingen, griff eine Gestalt nach meinem Handgelenk und fühlte meinen Puls.
Mein Kopf schoss in die Höhe.
„Na, na, wer wird denn...“, murmelte es neben mir.
Ein weißer Kittel raschelte, als Clarence in weiser Voraussicht seine Hand zurück zog. Ich sah mich halb um. Die Räume waren stiller geworden. Das Schlimmste schien überwunden, und nun sah das importierte südafrikanische Medizingenie müde lächelnd auf mich hinab. Auch an seiner Kleidung haftete trockenes Blut.
„Nun, Kleines, wie kann ich dir helfen?“
„Mir fehlt nichts.“
„Ach.“
Hätte er eine Brille getragen, hätte er mich jetzt kritisch über ihren Rand hinweg gemustert. „Das erklärt natürlich deine Anwesenheit auf meiner Station.“
Er betrachtete mich von oben bis unten.
„Du siehst ein wenig...“
„...dreckig und blutverschmiert?“
„...dreckig und blutverschmiert aus. Entschuldige die indiskrete Frage, aber es ist natürlich völlig normal, dass du bei der Schlacht...-“
„Clarence?“
„Hm?“
„Nichts davon, ja?“
„Dann noch mal zurück zur Frage nach dem Grund deiner Anwesenheit?“
Der Kerl konnte wirklich die Unschuld selbst sein. Aber diese Frage war wirklich nicht das, was ich in diesem Moment hören wollte.
„Elnarat.“
„Soll ich mich blöd stellen und fragen, ob er dich so zugerichtet hat, oder willst du mir einfach in vollständigen Sätzen antworten?“ Ich schickte ihm eine Sekunde lang einen Blick tiefsten Grolls, den er mit einem Lächeln quittierte. Er kannte mich tatsächlich eben so lange wie mein Vater und war – neben Elnarat – die einzige Person, die auf diese Art mit mir reden durfte.
„Ich war auf dem Schlachtfeld, ja. Außer ein bisschen Sand und Blut hat mich aber nichts getroffen. Elnarat wollte trotzdem, dass du nachsiehst, ob ich irgendwelche tödlichen Wunden davongetragen habe. Was absolut...-“
„Na, na. Im Grunde hat er vollkommen Recht. Auch wenn ich-“, er zückte einen Scanner und prüfte meine Körperfunktionen, „... keinerlei Verletzungen feststellen kann. Dein Blutdruck und deine Sauerstoffsättigung sind sogar außergewöhnlich gut, und das, obwohl du fast... drei Stunden unter der prallen Wüstensonne gewesen sein musst und das auch nicht eben unter einem Sonnenschirmchen.“
Ich schnaubte ein kurzes, trockenes Lachen.
„Wobei es durchaus sehr fürsorglich von Elnarat ist, dich hier her zu bringen. Man kann ja nie wissen, nicht wahr?“
„Ist das so.“
Clarence und seine elende Klarsicht. Selbstverständlich hatte er Recht, nur, mir erneut den Unterschied zwischen Elnarats und meinen Handlungen zu verdeutlichen, war nicht gerade eine von Feingefühl geprägte Tat.
Doch wie es Clarences Art war, wohnte seiner Direktheit immer eine ganz eigene Art von Feingefühl inne.
„Sei nicht wütend.“ Er legte mir eine Hand auf die Schulter. „Er meint es gut. Es ist nicht leicht, eine Armee zu führen und nebenbei Vormund und Vorbild für jemanden zu sein. Ich kann mir auch denken, dass es für ihn ein Schock war, dich dort draußen zu erleben. Glaub mir, ich weiß, wie es auf einem Schlachtfeld zugeht. Und ich weiß, was er vermeiden wollte. Wir haben es selbst oft genug erlebt. Er, ich, dein Vater, deine Mutter: Der Krieg ist ein Dieb, Thoul, er nimmt uns allen einen Teil von uns selbst und beschwört Seiten an uns herauf, fürchterliche Seiten manchmal, von denen wir lieber nie erfahren hätten. Und er gibt nichts zurück.“ Ich dachte an mein völlig kaltblütiges Töten und nickte unwillkürlich.
„Und davor wollte Elnarat dich bewahren. Ich kenne dich recht gut, Kleines. Du bist deiner Mutter sehr ähnlich. Auch sie hat es gehasst, von etwas abgehalten zu werden. Aber im Nachhinein wirst du merken, dass es Dinge gibt, bei denen man sich wünscht, jemand hätte einen von ihnen fern gehalten. Das hat Claire gewusst, und Elnarat weiß es auch. Dass du gut – sehr gut, wie ich von einigen gehört habe – mit der Situation umgegangen bist, hat er sicher gesehen. Dennoch...“, Clarence seufzte, „... Du siehst es ja an all meinen Patienten: Krieg verwundet. Überall.“
Vorsichtig betastete er die vom Sand gereizte Haut an meinen Händen.
„Das hier wird schnell verheilen.“
Er fing meinen Blick.
„Alles andere nur langsam. Schutz, Thoul, das war es, was Elnarat dir noch viel länger gewähren wollte. Du hast ein eigenes kluges Köpfchen und er hat darauf vertraut, dass du es nicht dazu benutzt, dir zu schaden. Er macht sich nun mal Sorgen um dich. Quäl dich jetzt nicht mehr, es ist passiert, und ihr beiden werdet es irgendwie verwinden. Und... rein als Randnotiz: Eine Entschuldigung kann manchmal Wunder wirken.“
Ich hörte sein Schmunzeln, ohne ihn ansehen zu müssen.
„Ja...“
Plötzlich fühlte ich mich nicht mehr so niedergeschmettert. Rührung trifft eher, was Clarence damals in mir geweckt hat. „Mach dir keine Sorgen. Er wird dir verzeihen.“
Zum zweiten Mal an diesem Tag zuckte ich zusammen.
„Clarence, du weißt zu viel.“
Sein linker Mundwinkel hob sich leicht.
„Das tut mir Leid, Kleines. Ich werde mich bemühen, das zu ändern. Du wärst dann auch fertig. Wenn du mich also entschuldigst, ich habe noch viel zu tun.“
Ein warmes Lächeln entließ mich.
„Offizielle Erlaubnis zum Wegtreten erteilt, Miss.“
„Danke.“
Nachdenklich verließ ich die Krankenstation und begab mich in unser Quartier. Die Tür zu Elnarats Raum war geschlossen, also streifte ich mir die blutigen Kleider vom Leib, wusch mich und schlüpfte in meine generelle Trainingskleidung. Einige Stunden strich ich ruhelos durch meine Räume, fasste dann einen Entschluss, ging in die Küche und bereitete Tee für zwei Personen. Damit trat ich vor Elnarats Zimmer. Ich hatte Einiges wieder gut zu machen. Gleichzeitig hoffte ich inständig, hinter dieser Tür keinen Elnarat zu finden, der bereits mehr als genug andere Flüssigkeiten zu sich genommen hatte. Trotzdem zögerte ich nicht, vorsichtig zu klopfen.
„Ja?“
Ich lächelte. Er hatte nicht getrunken. Die Tür schwang auf.
„Elnarat, ich habe Tee gekocht.“
Ein leises Lachen antwortete mir.
„Tee, hm? Ganz der Vater...“
Elnarat saß auf dem Boden, den Rücken an sein Bett gelehnt, die Arme auf die Knie gestützt. Er trug noch immer seine Kampfkleidung, die wie meine kaum noch einen sauberen Flecken aufwies. Vor seinen Füßen stand zwar eine nicht etikettierte Flasche mit offensichtlichem Inhalt, jedoch war diese immer noch fest verschlossen. Ich betrachtete ihn genauer.
Einzelne Strähnen seines dunklen Haares fielen ihm über die Stirn und sein Gesicht war staubig. Er hatte nicht einen Handgriff getan, seit er wieder hier war und gestärkt hatte er sich auch nicht. Ich ließ mich neben ihm nieder und reichte ihm eine Tasse voll dampfender Flüssigkeit.
„Wie der Vater. Hier. Du siehst aus, als könntest du’ s vertragen.“
„Ja, Miss. So sagen sie doch jetzt oder? Miss... ha!“
Mit zynischem Grinsen setzte er die Tasse an die Lippen und verzog kurz darauf das Gesicht.
„N... ach verdammt!“
„Vorsicht heiß!“, lächelte ich. Ich atmete einmal tief durch.
„Elnarat, hör zu...“
„Du brauchst mir nichts zu erklären. Komisch, dass ich angenommen habe, du würdest auf mich hören. Warum reg’ ich mich überhaupt auf?... Na los, dann tu schon, was du nicht lassen kannst, raus damit!“
Seine Verletztheit stand zwischen uns wie eine solide Mauer. Aber auch wenn seine Worte mich trafen, ich würde nicht wieder gehen. Ich war mit einem Vorschlaghammer in sein Zimmer gekommen und hatte nicht vor, unverrichteter Dinge abzuziehen.
Elnarat sah mich gleichgültig an. Sein Blick war so leer wie schon im Hangar.
„Ich will dir nur sagen, dass mir... wirklich leid tut, was ich getan habe. Es war nicht richtig, dein Vertrauen zu missbrauchen. Ich... Entschuldige bitte.“
Beinahe hätte ich in den Sekunden, in denen ich auf eine Antwort wartete, die Luft angehalten. Dann plötzlich sah ich in Elnarats Augen etwas aufblitzen. Endlich, endlich war wieder Leben in seinem Blick. Sein Grinsen war leicht, fast unmerklich, und längst nicht mehr zynisch. „Ach nein... jetzt sieh sich einer das an...“ Und er nahm einen weiteren Schluck Tee, während ich buchstäblich aufatmete. Nach einigen Augenblicken der Stille setzte er die Tasse wieder ab. „Du hast mich heute enttäuscht, das will ich gar nicht bestreiten.“
Ich nickte betreten und starrte auf meinen Tee.
„Aber wenn ich mir so anhöre, was sie über dich erzählen, nun... dann scheine ich da der Einzige zu sein.“ Er stellte die Tasse beiseite, fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und sah mich direkt an. „Du hast wirklich gute Arbeit geleistet.“ Kurz schien er etwas zu erwägen, dann richtete er sich auf und winkte mich mit einer Hand zu sich heran. „Komm her.“
Ich beugte mich vor und ließ es zu, dass er mich umarmte.
„Nächstes Mal“, setzte er an, als wir uns trennten, „... werd’ ich aber wirklich böse.“
Ich lachte leise und schlug seine drohend auf mich gerichtete Hand beiseite. „Es wird kein nächstes Mal geben.“
Ein Nicken. „Ich vertraue dir.“
Das saß noch einmal. Aber ich akzeptierte die Spitze, denn zum Einen war sie rechtens und zum Anderen war ich viel zu erleichtert um auch nur das Geringste zu erwidern.