Читать книгу Die Soldatenkönigin - Julien Junker - Страница 9

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Thoul

Als Elnarat den Raum schließlich verlassen hatte, war ich in Gedanken längst beim dritten notwendigen Schritt meiner Rache angelangt. Mein Vater hatte mich nie gelehrt, zaghaft zu sein, oder zögerlich. Ich war erst elf junge Jahre alt, doch ich wusste in diesem Moment genau, was ich wollte und was nicht: Ich wollte nicht, dass der Mörder meines Vaters weiter auf dieser Welt wandelte. Ich neidete ihm die Wüstensonne, die mein Vater nie mehr auf der Haut würde spüren können, mit dem ganzen bedingungslosen Hass eines Kindes, dessen Knabenmorgenblütenträume irgendwo zwischen all den Abschiedsworten gestorben waren.

Was ich wollte, war einfach zu sagen, auch wenn dieser Wunsch in seiner Heftigkeit mehr als nur erschreckend für mich war: Ich wollte diesen Mann töten, mit aller Raffinesse und Grausamkeit, die ich in den von Krieg geprägten Tagen meiner Kindheit aufzubringen vermochte. Zweifel, ob ich diesen Plan zur Reife bringen könnte, hatte ich keine. Mein Vater hatte mir über die Jahre – gewollt oder ungewollt – genug an Wissen und Können zukommen lassen. Das soll mir an dieser Stelle keine unverdienten Lorbeeren bescheren, ich nenne einfach die Fakten. Ich war größer als die meisten meines Alters, besaß eine schnellere Auffassungsgabe und war absolut gesehen um einiges ruchloser. Menschen, die mich einem Ziel näherbringen konnten, wusste ich zu beeinflussen.

Ja, ich hatte meine Hausaufgaben gemacht. Es war wohl der überall schwelende Krieg, der mir früh beibrachte, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, und so unterschied ich. Etwas in mir spürte den Umbruch. Ich war ruhelos und wissbegierig. Wo andere Kinder meines Alters von ihren Eltern ins Bett gebracht wurden und brav schliefen, blieb ich wach und lernte und las heimlich unter der Bettdecke von großen Politikern, Kriegsmanövern und Verschwörungen, während mich mein Vater allem Anschein nach selig träumend wähnte. Im Nachhinein bin ich sicher, dass er mich in gewisser Weise in meinem Eifer bestärkte, etwa indem er gelegentlich „vergaß“, seinen privaten, passwortgeschützten Computer abzuschalten, wenn er mich in unseren Räumen allein ließ. Er wusste worauf es ankam, wenn man sein Kind auf diese Welt vorbereiten wollte. Wer, wenn nicht er? Allein dass ich so früh Interesse an alledem entwickelte, dürfte ihn überrascht haben. Doch seine Strategie hatte Erfolg. Ich lernte, mit Computern umzugehen. Und nachdem ich zwei Tage lang vergeblich versucht hatte, zum Attentäter meines Vaters zu gelangen, half mir diese Fertigkeit schließlich zu meinem ersten Mord.

Zwei Tage lang hatte ich also versucht, mich unbemerkt an den Wachen in der Krankenstation vorbei zu stehlen, sie mit tränenfeuchten Augen gebeten, Gileats Mörder ins Gesicht sehen zu dürfen, sogar Krankheit vorgetäuscht, um meine widerholte Anwesenheit glaubhaft zu machen. Ich aß nicht, schlief kaum, klagte über Kopfschmerzen. Clarence war fürsorglich, schob meine Symptome auf meinen Kummer. Vielleicht war auch nicht alles gespielt. Aber als es mich meinem Ziel nicht näher brachte, verflog alles Unwohlsein.

Am dritten Tag setzte ich mich an den Rechner meines Vaters, benutzte sein noch gültiges Passwort, loggte mich in die Stützpunktdatenbanken ein und fand den Code, den ich brauchte. Heute würde ich anders handeln, aber damals war nichts auf der Welt zielstrebiger als der Dickkopf jenes Kindes, das nach Genugtuung schrie. Jene Genugtuung sollte mir mehr als erwiesen werden.

Ich bekam, was ich wollte. Elnarats Kommandocode, von mir missbraucht, brachte den Attentäter in meine Reichweite. Die ihm als Wachen zugeteilten Soldaten fesselten ihn für mich an den Verhörstuhl des Raumes, in dem ich ihn haben wollte. Ein kleines Ablenkungsmanöver, und ich war durch die Tür und mit ihm allein.

Er wusste zuerst nicht, was geschah. Seine Angst konnte ich spüren, seine Verwirrung, die gleiche Panik, die ihn vor seiner Festnahme so kopflos hatte werden lassen. Er blinzelte gegen das strategisch platzierte Licht an, das auf ihn schien, bis seine Augen sich daran gewöhnten und er mich sehen konnte. Er erkannte mich. Ich sah ihn blinzeln, sich umsehen, sah, wie er sich fragte, was gerade geschah, was geschehen würde. Ich glaube, diese Ungewissheit hat ihn mehr gequält als die Angst, die ihm ein halbes Dutzend Folterknechte eingeflößt hätten. Er war kein mutiger Mann, kein zynischer, kalter Attentäter. Was ich wusste, war, dass er ein Mann in Geldnot war, der sich irgendwo in seinem Leben verzettelt hatte, die perfekte Beute für diejenigen, die ein austauschbares Werkzeug suchten, um ihre Interessen durchzusetzen. Er hatte allein und nach Anweisung gehandelt, er hatte verdrängt, was geschehen würde, er hatte mich nicht verletzen wollen, war doch nur so völlig allein, so völlig hilflos, und es tat ihm leid.

„Es tut mir leid“, wiederholte er leise.

„Leid“, sagte ich tonlos, nachdem er geendet hatte. „Leid? Leid?“ Ich ging auf ihn zu und schmetterte ihm meine Faust mit all meiner unterschätzten Kraft ins Gesicht. Er schrie auf, riss an seinen Fesseln in einem fruchtlosen Versuch, mir auszuweichen. Keuchte, blinzelte, sah mich ungläubig an. Ich war stärker, als ich aussah. Blut tropfte ihm über Lippen und Kinn.

„Es tut dir leid?“, zischte ich. „Und was habe ich davon? Was hat mein Vater davon? Du jämmerliches, weinerliches Aas hast das eine Leben beendet, das vor hatte, Leute wie dich aus ihren selbst verschuldeten Löchern zu zerren und ihnen ein anständiges Leben zu geben! Du hast dir selbst ins Fleisch geschnitten, und bestimmt nicht zum ersten Mal. Erwartest du Mitleid? Mildernde Umstände? Ja, die würde man dir vielleicht zugestehen. Vielleicht. Es könnte sein, dass man dich nur recht kurz wegsperrt und dann laufen lässt und du könntest all deine Fehler genau so weitermachen wie vorher auch. Und deshalb bin ich hier.“

An diesem Punkt stellte ich mich direkt vor ihn und sah ihm in die geröteten, ungläubigen Augen. Er atmete schwer, hatte keine Worte, keinen Rückhalt, nichts aufzubieten gegen ein rasend wütendes Kind, von dem er wohl dachte, man hätte sie geschickt, um ihn zu demoralisieren. Nicht mal um Gnade bat er, sah sich wohl ausgeliefert und wehrlos, hoffte wohl, leise und still am Ende besser aus alldem hervorzukommen. Eigentlich hätte er Hilfe gebraucht, und schon lange bevor man ihn fand und missbrauchte, schon lang vor diesem Tag.

Ausgerechnet in Gegenwart dieses Mannes wurde mir zum ersten Mal wirklich bewusst, welche Arbeit da vor den Männern lag, die mein politisch allzu aktiver Vater in die Rebellion geführt hatte, als er sah und begriff, wie viel in unserem und auch in anderen Ländern falsch lief. Wie oft den gerechten Grundsätzen so vieler Staaten zum Trotz gehandelt wurde, wie viele litten, wie vielen man ihre Würde nahm, um sinnlose Gier zu befriedigen. Als er sah, dass die Staatsführer vergessen hatten, was es heißt, der erste Diener des Staates zu sein.

Ich habe meinen Vater oft von diesen Dingen reden hören. Aber dort erst begann mir klar zu werden, was sicher auch ihm klar gewesen sein musste und was mich mein Leben lang begleiten sollte: Dass für eine Revolution mehr nötig war, als nur eine alte Regierung abzusetzen. Jemand musste danach auch das korrigieren, was falsch gewesen war. Den Menschen Hoffnung geben, dass es nicht wieder so sein musste wie zuvor. So viele verstanden immer noch nicht, dass hinter Banknoten und Statistiken Schicksale stehen. Leben enden können.

Mein Vater hatte es verstanden. Und wie so oft in den Annalen der Menschheit hatte man ihn ermordet. All das musste enden, auch wenn es nicht für alle enden konnte, so hatte er es schweren Herzens formuliert. Was er wollte, war für unser Land eine beständige Position innerhalb der Welt einzufordern. Ihr zu zeigen, dass wir durchaus Willens waren, Frieden zu wahren, wenn wir nur nicht vergessen würden. Aber vielleicht war das nicht genug. Ich begann, im Attentäter meines Vaters einen leibhaftigen, zitternden Vertreter all derer zu sehen, die Hilfe brauchten. Der Funke, der mich über alle kommenden Jahre antrieb, glomm ausgerechnet in Gegenwart des Mannes auf, der Gileat ermordet hatte.

Damals habe ich das nicht in diese Worte gefasst, und ich war zu jung, zu abgrundtief wütend, zu schwer verletzt für Verständnis oder Milde oder Gnade. Den Mann, der mir ein Sinnbild wurde, konnte ich nicht schonen.

Ich sah ihn an. Er sah zurück.

„Verstehst du, was ich sage?“

Er schüttelte den Kopf.

Ich zog ein Messer meines Vaters von hinter meinem Rücken aus meinem Gürtel. Der Attentäter fuhr zurück, soweit der Stuhl es zuließ, und kämpfte wieder gegen seine Bande.

„Nein!“

„Du hast dein Leben beendet, als du meinen Vater getötet hast.“

Er wand sich, die Augen auf der Tür, den blinden Kameras, meiner eiskalten Miene, dem Messer. „Bitte-“, brach es stockend aus ihm hervor.

„Nein.“

Ich versenkte das Messer mit einer gezielten Bewegung in seinem Herzen.

Die Soldatenkönigin

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