Читать книгу Die Soldatenkönigin - Julien Junker - Страница 12

Оглавление

Elnarat

Er hatte ihr viel beigebracht. Wirklich viel dafür, dass sie elf Jahre alt war. Was allerdings ihr größtes Potential war, war ihre Intelligenz, gepaart mit ihrem enormen Bewegungstalent.

Ich begann ihre körperlichen Fähigkeiten und ihre Beweglichkeit zu schulen. Stück für Stück und sehr behutsam, um ihren Knochenbau und ihre Gelenke zu schonen, fing ich an, sie aufzutrainieren.

Aus ihrem Zimmer hielt ich mich weitgehend fern. Irgendwie war ich der Meinung, dass es gut wäre, eine gewisse Privatsphäre zu wahren. Wenn dem nicht so gewesen wäre, hätte ich früher mitbekommen, dass sie Funksprüche mithörte, dass geheime Nachrichten doch auf irgendwelchen Umwegen auf ihrem Schreibtisch landeten und wie gut sie überhaupt in allem Bescheid wusste.

Doch das waren Dinge, die keine wirklichen Schwierigkeiten mit sich brachten. Womit ich zu Anfang mehr Schwierigkeiten hatte, war ihre wirklich, wirklich störrische Ader. Wenn sie zum Beispiel nach drei, vier Stunden des Lernens – ich gebe zu, ich muss wohl ein anspruchsvoller Lehrer gewesen sein – genug hatte, war es oft mehr als schwierig, sie zum Weitermachen zu bewegen. Vor allen Dingen weil ich es nicht gewohnt war, jemandem nicht einfach einen Befehl erteilen zu können. Also setzte ich die einzige Waffe ein, die mir im Laufe der Jahre gegen sie bleiben sollte: Ich war einfach noch viel sturer als sie.

Zu meiner Überraschung klappte das.

Sie lernte schlicht und einfach alles. Geschichte, Physik, Chemie, Biologie, Technik, Taktik, Kampfkunst... Mit anderen Worten einfach alles, was man in einer so hart umkämpften Welt eventuell brauchen konnte, und das in Eigenregie. Ja, es gibt gute, ausgeklügelte Lernprogramme heutzutage, die es jedem ermöglichen, all das Wissen anzuhäufen, das einen zur Hochschulreife befähigt, und darüber hinaus. Die letzten hundert Jahre haben sich durch erstaunliche Fortschritte im Bereich der Methodik des selbstverantwortlichen Lernens ausgezeichnet. Die Frage ist nur, wie diszipliniert sich ein junger Mensch selbst, all das durchzuarbeiten? Allein? Ohne Schulatmosphäre? Schwer. Wenn Thoul nicht ein gewisses Maß an Selbstdisziplin und Wissensdurst mitgebracht hätte – die ganze Sache wäre vor die Hunde gegangen. Ich hatte schlicht zu viel zu tun, um ewig mit der Peitsche hinter ihr zu stehen. Aber wir arbeiteten Abende lang und zum Teil in stillem Einvernehmen, sie an ihrem Schreibtisch, ich an meinem. Unsere Türen standen offen, sodass ich sie sehen konnte, wenn ich aufblickte, und sie mich, wenn sie den Kopf drehte.

Sie war eine sehr gelehrige Schülerin. Vermutlich rührte mein hoher Anspruch schlicht und ergreifend daher, dass ich wusste, sie würde ihn erfüllen können. Mit zwölf Jahren hatte sie die Geschichte der Macht- und Herrscherverhältnisse aller uns umgebenden Länder drauf, die feinen, undurchsichtigen Beziehungen, Verwicklungen und Intrigen zwischen den Mächtigen der Welt – und uns. Ihre schnelle Auffassungsgabe und ihre Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen und Hintergründe zu begreifen, überraschten mich mehr als einmal.

Am Stockkampftraining hatte sie den größten Spaß und immer öfter war sie in den folgenden Monaten im Hangar anzutreffen. Dort lag sie, von Mikoras beaufsichtigt, unter irgendwelchen defekten Shuttles und Gleitern, die sie zu reparieren versuchte. Freiwillig. Es kam auch immer häufiger vor, dass sie mich in die Kommandozentrale begleitete, um sich dort von mir die verschiedenen Schritte, Kriegslisten und Schachzüge erklären zu lassen. Besonders hierin wies ihre Arbeit eine erstaunliche Zielstrebigkeit auf. Allerdings muss ich sagen, das missfiel mir keineswegs. Ich begann mich mit der Situation anzufreunden, stets und ständig von einem ungestümen jungen Mädchen umgeben zu sein, dessen Wissbegierde und Zielstrebigkeit alles übertrafen, was mir je über den Weg gelaufen war. Sie hatte eine unglaublich einnehmende Art an sich, nach Dingen zu fragen, die sie interessierten und ihr Lächeln wurde mir mit der Zeit die schönste Belohnung für meine Mühen. Sie konnte wirklich liebenswert sein, diese kleine freche Göre, die doch so viel Gewaltbereitschaft zeigte. Allmählich konnte ich nachvollziehen, warum Gileat sie so geliebt hatte.

Nichtsdestotrotz war und blieb sie ein Biest. Ihre Grausamkeit und ihre Skrupellosigkeit waren damals geradezu legendär – spätestens nach der Leiche im Verhörzimmer, die sich natürlich nicht besonders gut vertuschen ließ. Es folgte ein Aufschrei der Internationalen Behörden, die Gerechtigkeit forderten, woraufhin ihnen unsere Sympathisanten schlicht den Vogel zeigten und ihnen erklärten, dass es das war, was Thoul bewirkt hätte. Uns kam natürlich zu Gute, dass sie mit elf noch nicht einmal deliktfähig war und als Vollweise, die ihre Eltern unter solch gewalttätigen Umständen verloren hatte, selbstverständlich internationales Mitleid genoss. Da gab es natürlich den Jugendschutz, der sie mir sogleich abspenstig machen wollte, mit der Begründung, ich habe weder die Zeit noch die Fähigkeit, mich eines Kindes anzunehmen – eine Argumentation, der natürlich überhaupt nichts entgegenzusetzen war. Doch wer mich kennt weiß, dass ich meine Versprechen halte und ich hatte ganz sicher nicht vor, dieses von ein paar Winkelbürokraten über den Haufen werfen zu lassen. Also machte ich während einer weiteren Pressekonferenz, während derer meine Lieblingsjournalistin wieder das größte Geschick mit meiner gereizten Persönlichkeit bewies, klar, dass ich jedem, der Thoul von meiner Seite zu reißen versuchte, persönlich den Krieg erklären würde. Als dann noch Thoul aus der Menge der Journalisten auftauchte und mit selbst für mich überzeugend bedrohlicher Miene erklärte, dass sie gedachte, bei ihrem Mentor zu bleiben und niemandem raten würde, sie gegen ihren Willen aus dessen Obhut zu holen, verstummten die Stimmen des internationales Jugendschutzes, ebenso wie die des Gerichtshofes. Also blieb sie bei mir und das Wissen, dass wir, was dies anging, an einem Strang zogen, machte mir so manche Auseinandersetzung, die wir in den ersten Jahren hatte, bedeutend leichter zu ertragen. Doch ich greife voraus.

Wo waren wir?

Beginnen wir mit einem Zeitpunkt ein gutes halbes Jahr nach Gileats Tod. Ich hatte mich einigermaßen in meine neue Rolle eingewöhnt und Thouls Stockkampftraining begonnen. Allmählich schafften wir es, uns miteinander zu arrangieren, trotz mehrmaliger harter Auseinandersetzungen. Sie war zwölf Jahre alt und hatte mir bereits den zweiten Stock in der Hand zerhauen. Danach war ich dazu übergegangen, doch wieder die schwereren zu verwenden, trotzdem ich mit einem jungen Mädchen trainierte. Man sah ihr ihre enorme Kraft wirklich nicht an. Ich schob es auf ihre Entschlossenheit – und die würde sie auch nötig haben, denn die Zeichen standen einmal mehr auf Sturm:

Wir hatten uns niemals irgendwelche Illusionen darüber gemacht, wie schwer es werden würde, unseren unabhängigen Status zu behaupten. Die VNE unterstützten keine Sezessionsbestrebungen und setzten dementsprechend sowohl offiziell als auch hinter den Kulissen alles daran, uns zu sabotieren. Die einfachste Möglichkeit dies zu tun ist die wirtschaftliche Front und auch hier griffen die VNE, beziehungsweise ihre „Gründerstaaten“, die Industrienationen, kurz IN, zu äußerst geschickten Mitteln.

Unser wüstenreiches Land saß auf massiven Vorkommen an Bodenschätzen. Während das unter den falschen Vorzeichen eine wahre Achillesferse sein kann, weil es die wirtschaftliche Entwicklung auf den Bergbau fokussiert und darüber hinaus fruchtbaren Boden für Bürgerkrieg, Kinderarbeit und Schmuggel bietet, lernten wir unter Gileats wegweisender Führung, daraus tatsächlich einen Vorteil zu schlagen. Sehr zum Verdruss der Großen der Welt. Genaue Umwelt- und Arbeitsauflagen, scharfe Kontrollen der Minen sowie des Handels, kombiniert mit Zertifizierung der Minerale machten der Korruption und der wirtschaftlichen Ausbeutung unseres Landes endlich den Garaus. So vermochten wir, einen gewissen Reichtum zu erlangen, der uns auch die Möglichkeit zu umfangreichen Forschungen und innovativen Entwicklungen bescherte, die wir gut zu nutzen verstanden hatten. Wir hatten Topwissenschaftler, Topausrüstung, brillante Forschungsprojekte. So kam es, dass die Militärakademie sowie zahlreiche andere Forschungseinrichtungen unserer sonnenreichen Wüstengebiete die fortschrittlichsten Prototypen im Bereich der solaren Energiegewinnung entworfen hatten. Das allein wäre noch nicht die bahnbrechende Erfindung gewesen. Die IN wären sicher irgendwann selbst dahinter gekommen. Aber wir hatten das eine große Problem beseitigt: Die Speicherung. So stand uns Energie nicht nur zur Tageszeit, sondern eben rund um die Uhr zur Verfügung, und wenn Spitzen nicht abgegriffen wurden, dann überlastete nicht das Netz, sondern sie wurden in die Speicher gespeist, standen somit also zur späteren Verfügung bereit. Das war bahnbrechend. Und machte uns zum Großenergieanbieter, nicht nur für die Staaten Afrikas, sondern eben auch Teilen Europas und Vorderasiens. Die Macht, die uns das gab, verwandelte unser bis dahin mittelmäßig uninteressantes Land mit Autarkieinteressen zum größten Balken im Auge der IN.

Zuerst versuchten sie, uns unser Know-how über wissenschaftliche Zusammenarbeit abzuluchsen. Als selbst Industriespionage nicht funktionierte, wollten sie es uns abkaufen. Wir verweigerten. Das war der Punkt, an dem der Spielplatzbully richtig schlechte Laune bekam. Solange wir unser Know-how nicht teilten, hieß es, bekämen wir keine Unabhängigkeit zugestanden. Nun muss aber jedes unabhängige Land Handel treiben. Unser Strom war neben unseren Bodenschätzen und diversen weniger hochgeheimen Forschungsergebnissen unser wichtigstes Kapital. Man muss nicht Volkswirtschaft studiert haben, um sich auszurechnen, dass wir gar nicht mehr hätten unabhängig sein brauchen, wenn wir das hergegeben hätten. Stellte sich also noch eine einzige Frage: Wie sehr wollten die regierenden Länder dieses Know-how?

Seit dem letzten Weltkrieg war es für die Industrieländer und ihre Bevölkerung schwierig geworden, ihren schier unerschöpflichen Energiehunger zu stillen. Mit den langsam aber sicher versiegenden fossilen Ressourcen zur Gewinnung dieser Energie war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich ihr hoher Lebensstandard nicht mehr würde halten lassen. Um ihre Vormachtstellung gegenüber aufstrebenden Nationen behaupten zu können, mussten sie dieses Problem lösen.

Was ist der größte Ansporn für den „oberen“ Teil der Menschheit? Macht.

Die Frage beantwortet sich also von allein. Um ihren wahnwitzigen Standard halten zu können, musste für wirtschaftliches Wachstum garantieren werden. Das funktioniert nur, wenn andere dafür (im besten Falle) arbeiten oder (im nicht ganz schlimmsten Falle) sterben. Offen und unverblümt hätte die Welt sich kein zweites Mal für diesen Affentanz hergegeben. Also hatten die Industrienationen sich zusammenschließen und unter dem Deckmäntelchen der ehrwürdigen Weltgemeinschaft auf die Hilfe und Arbeitskraft der Kleinen zurückgreifen müssen, ziemlich genauso wie zu früheren Zeiten der Weltgeschichte. So bildeten sich die „Vereinten Nationen der Erde“, ein Bündnis, das die Industrienationen zum Kern hatte, der sich – wenn man ehrlich war – parasitär vom Rest der Welt ernährte, auch wenn offiziell natürlich alle gleich waren. Erstaunlich, wie schwer es war, aus diesem Staatenbund erst einmal auszubrechen, wenn man bedachte, dass er nur dazu nütze war, die IN mit allem zu versorgen, was sie für ihr geheiligtes Wirtschaftswachstum benötigten, und für die „Versorger“ auf der irrwitzigen Hoffnung basierte, selbst irgendwann einmal am oberen Ende der Futterkette anzukommen. Diese abwegige Hoffnung reichte aus, sie über erstaunlich lange Zeit absolut linientreu zu halten. Die Gefügigkeit der Menschen fasziniert mich immer wieder.

Nun tauchten also wir von unten auf der Bildfläche auf, und dieses unbequeme Land des globalen Südens hatte zur Abwechslung neben einem rebellischen Charakter auch noch ein gutes Druckmittel. Energieversorger, die sich gegen die Weltordnung auflehnten. Dem musste ein Riegel vorgeschoben werden. Am einfachsten wäre es gewesen, uns unser Druckmittel zu nehmen. Sie wollten diese Energietechnologie. Sie wollten sie unbedingt. So sehr, dass sie dafür einen Krieg begannen. Einen Krieg, der lange Jahre dauern sollte und einer der größten der Weltgeschichte wurde. Er begann mit den typischen Stellvertreterkriegen, die zustande kommen, wenn die Großen die Kleinen aufwiegeln und aufeinander hetzen. Hahnenkämpfe.

Mit anderen Worten, sie hetzten uns unsere Nachbarn auf den Hals.

Die Soldatenkönigin

Подняться наверх