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2.4 Brückenbauer zwischen Europäern und Amerikanern

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Vom 16. Oktober bis zum 12. Dezember 1925 war Visser ’t Hooft in den USA und in Kanada, um sich über die Arbeit der American Movement for Boys in the High Schools zu informieren und die europäischen Kontakte zum YMCA-Hauptquartier zu stärken. Er musste auch den internationalen YMCA in Washington vertreten, wo verschiedene Treffen der amerikanischen Jugendarbeit stattfanden. Ein weiterer wichtiger Grund seines Besuchs war die Vorbereitung der YMCA-Weltkonferenz, die 1926 in Helsinki stattfinden sollte. Visser ’t Hooft war beeindruckt von der amerikanischen Organisation und der Bekanntheit, die die Arbeit in der Öffentlichkeit hatte. Er war aber weniger begeistert vom Inhalt der Programme in den Vereinigten Staaten. Sie waren in seinen Augen zu moralistisch; man beließ es oft bei den dos and donts, ohne dass dem persönlichen Glaubensleben der Jungen Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Wenn sie dann mit der Realität des echten Lebens konfrontiert wurden, war die Gefahr der Enttäuschung groß.31

Nach seiner Rückkehr aus Amerika präsentierte sich Visser ’t Hooft regelmäßig in Europa als Kenner des amerikanischen kirchlichen und christlichen sozialen Lebens. Als eines der größten Probleme der Zukunft sah er, auch aufgrund seiner Erfahrungen auf der Stockholmer Konferenz 1925, den Widerspruch zwischen dem Charakter Europas und dem Amerikas, nicht zuletzt im Hinblick auf das Christentum. Die Mentalitätsunterschiede waren groß und die Kluft wurde durch Missverständnisse weiter verschärft, zum Beispiel durch das Bild, das man voneinander hatte. In Deutschland wurden Amerikaner, so sah es Visser ’t Hooft, als Barbaren betrachtet.32

Er sah es als seine Aufgabe, diese gegenseitigen Vorurteile zu verringern. Während seiner Vorträge in den Vereinigten Staaten ermahnte er die Amerikaner, dass amerikanische Schüler zu schnell aufwuchsen und sich schon sehr früh wie Erwachsene verhielten. Das lag seiner Meinung nach an der gemeinsamen Ausbildung von Jungen und Mädchen und an der herausfordernden Art und Weise, wie sich die Mädchen kleideten.33 Für Visser ’t Hooft sollte der YMCA eine klare Botschaft für eine in seinen Augen oft gleichgültige und manchmal zynische Jugend in den Vereinigten Staaten haben. Junge Menschen seien hungrig nach Authentizität anstatt nach »slogans and schemes«. Eine echte, glaubwürdige Spiritualität erforderte, dass Jugendleiter es ohne Zögern wagten, über den Abstand und den Unterschied zwischen Gott und dem Menschen zu sprechen.34

Vom 1. bis zum 6. August 1926 fand in Helsinki die YMCA-Weltkonferenz unter der Leitung von John Mott statt. Der YMCA sah sich selbst als sozialer Schmelztiegel, in dem soziale Unterschiede keine Rolle spielten. Es wurde, allerdings unterschiedlich erfolgreich, auch eine gute Zusammenarbeit zwischen kirchlichen und Laienorganisationen angestrebt, denn sowohl Laien als auch Geistliche hatten Führungspositionen im YMCA inne (aber nie im Namen der Kirche). Einige neue Ideen, die in Helsinki ausprobiert wurden, betrafen die Arbeit mit Fragebögen sowie die Auflösung der 1500 Teilnehmer in fünfzig Arbeitsgruppen. Erstmals war auch die Zielgruppe selbst vertreten: 231 Jungen waren als Teilnehmer anwesend. John Mott, der schon damals einen sehr guten Ruf und viel Erfahrung mit der Organisation internationaler Konferenzen hatte, bat Visser ’t Hooft, als sein persönlicher Assistent aufzutreten. Dies war eine einmalige Chance, viel über die Organisation und Leitung einer großen internationalen Konferenz zu lernen. Visser ’t Hooft merkte, dass Mott etwas Unangreifbares hatte und gerne eine Konferenz mit einem Grundsatzstatement eröffnete, während er die Ausarbeitung von Details anderen überließ. In Helsinki waren die Spannungen zwischen den französischen und deutschen Delegierten groß. Ein Vermittlungsangebot von Mott wurde abgelehnt.35 Visser ’t Hooft beobachtete all das sorgfältig und entwickelte sich ab diesem Zeitpunkt zu einem »Brückenbauer«, der sich aus Realismus und wegen seiner eschatologischen Orientierung besonders von den Deutschen angesprochen fühlte, jedoch in Bezug auf die Sozialethik und die praktische Arbeitshaltung von den Amerikanern.

Das Jahr 1928 brachte Höhen und Tiefen.36 Am 27. Februar wurde das erste Kind von Wim und Jetty, Anna Johanna, geboren. Sie erhielt den Rufnamen Anneke. Im selben Jahr starb Wims Mutter Jacoba Lieftinck nach langjähriger Krankheit am 13. Dezember. Sein Vater beschloss daraufhin, seine Arbeit als Jurist zu beenden und Wim und Jetty baten ihn, nach Genf zu kommen und dort bei ihnen zu leben. Das Haus Zonnebloem am Koninginneweg in Haarlem wurde verkauft; im April 1929 zog der Vater nach Genf. Mit der Geburt von Anneke und der Ankunft von Vater Visser ’t Hooft war das Haus in Petit-Saconnex zu klein geworden und sie zogen in ein größeres Haus, in die 18 Chemin de la Combe in den Genfer Stadtteil Champel. Dort wurde am 29. März 1930 das zweite Kind geboren; Hendrik Philip, der nach seinem Großvater benannt wurde.


Jetty mit ihrer Tochter Anneke, ca. 1930

Nach Familientradition wurde sein Rufname Hans. Am 15. August 1930 starb jedoch sein stolzer Namensgeber, Großvater H. Ph. Visser ’t Hooft, mit 65 Jahren in Genf.37 Die Familie hatte zu dieser Zeit nur ein spärliches Auskommen und die Abwicklung des Nachlasses von Vater Visser ’t Hooft fand zu einer Zeit statt, als vieles mühsam und schwierig war. Knapp ein Jahr später wurde dann am 13. April 1931 mit Cornelis ein weiterer Sohn geboren. Er wurde Kees gerufen und kam »etwas früher, aber nicht weniger willkommen.«38 Im Mai 1931 bezog die Familie schließlich ein Chalet an der Route de Florissant, in dem sie bis 1938 wohnte.39 Mutter Boddaert, in der Familie »Moek« genannt, kam in dieser Zeit oft zu Wim und Jetty nach Genf und half ihrer Tochter, die nicht bei guter Gesundheit war, mit den kleinen Kindern. Wim war immer sehr beschäftigt und oft lange abwesend. Jetty, für die Kinder Mammie, mochte keine Hausarbeit. Deshalb kümmerte sich ein Mädchen um die Hausarbeit, aber auch um die Kinder. Im Laufe der Jahre folgten verschiedene Mädchen und ihre Schwestern. Nicht jede war gleich geeignet und es kam auch manchmal vor, dass die Kinder geschlagen wurden. Weder Wim noch Jetty waren warme oder zugewandte Eltern; die Kinder mussten sich oft alleine mit ihren persönlichen Höhen und Tiefen auseinandersetzen. Aber Jetty war eine Mutter, die bei einem Tee nach der Schule hören wollte, was die Kinder in der Schule erlebt hatten.


Wim, Jetty und ihre drei Kinder Anneke, Hans und Kees, ca. 1933

Anneke, Hans und Kees wuchsen auf, ohne ihren Vater Atta (bei Homer Väterchen) viel gesehen zu haben.40 Die Ferien waren kurz, normalerweise verbrachten sie sie irgendwo in den Schweizer Bergen; Atta hatte immer Arbeit mit. Er kletterte gern in den Bergen. Als Alpinist hatte er, so beschrieb er sich, eine beträchtliche Ausdauer.41 Allerdings gab es auch Reisen in die Niederlande, um die Familie zu besuchen. Jetty war mit einem extrovertierten Mann verheiratet, aber sie selber mochte keine öffentlichen Auftritte und stellte sich nicht gerne in den Vordergrund. Sie bedauerte, keine wirkliche Ausbildung gehabt zu haben, las aber viel, insbesondere über die Stellung der Frauen.

Wenn Wim nicht auf Reisen war, verbrachte er die ersten Jahre abends zu Hause in Genf und arbeitete an seiner Dissertation, oft bis spät in die Nacht. Aufbau und Inhalte dieser Studie beschrieb er in etwa dreißig Manuskripten.42 Amerika kam nach dem Ersten Weltkrieg in Europa in Mode, wurde aber oft schlecht verstanden. Zwar hatten sich die Vereinigten Staaten nach der erfolgreichen Teilnahme am Krieg zunächst Europa zugewandt, doch nach dem Krieg kehrten sie zur Politik des Isolationismus zurück und wurden nicht Mitglied des Völkerbundes. Gleichzeitig blieben die Vereinigten Staaten das »gelobte Land« für die Europäer. Der Wohlstand, sichtbar in Automobilen, mechanischer Tonübertragung, Film, einer neuen Tanzkultur und Charles Lindberg, der in seinem Spirit of St. Louis nach Europa flog, war faszinierend. In den Roaring Twenties überschwemmten alle Arten neuer amerikanischer Produkte die europäischen Märkte und brachten die amerikanische Kultur nach Europa.

Am 26. Oktober 1928 wurde Visser ’t Hooft in Leiden mit seiner Studie The Social Gospel in America promoviert. Sein Doktorvater war Professor H. T. de Graaf (1875–1930), Professor für die Lehre der gottesdienstlichen Gemeinschaft. Mit seiner Arbeit wollte Visser ’t Hooft einen konstruktiven Beitrag zur Verbesserung des theologischen Verständnisses zwischen Amerikanern und Europäern, insbesondere der Deutschen, leisten. Er argumentierte gegen das immanente Gottesbild, in dem Offenbarung mit Ethik verschmilzt. Zugleich suchte er in seiner Dissertation eine theologische Grundlage für die soziale Verantwortung der Kirche. Er meinte, diese in einem Gottesbild zu finden, in dem die Menschen auf der Grundlage von Gericht und Gnade zur Verantwortung gerufen werden, das ihnen aber auch ermöglichte, durch Gottes Geist zu handeln.

Visser ’t Hoofts Studie baute auf seiner Analyse der gesellschaftlich engagierten Theologie des Sozialen Evangeliums (Social Gospel) in den USA auf. Einer der wichtigsten Vertreter dieser Bewegung war der amerikanische Baptistenpfarrer und Professor für Theologie, Walter Rauschenbusch (1861–1918). Er hatte seine Überlegungen in Büchern wie Christianity and the Social Crisis (1907) oder A Theology for the Social Gospel (1917) formuliert, auf die Visser ’t Hooft auch in seiner Arbeit ausführlicher einging.43 Rauschenbusch wollte das Reich Gottes vor Apokalyptik und jenseitiger Orientierung bewahren. Doch Visser ’t Hoofts Kritik war, dass Rauschenbusch damit einer nicht autorisierten »Immanenz« verfiel, indem er nämlich vor allem auf Gottes Werk in der Welt hinwies. Viele Jahre später meinte er allerdings, dass er Rauschenbusch 1928 zu wenig gerecht geworden sei und dass dieser als Theologe einen wichtigeren Beitrag zum ökumenischen Gespräch geleistet habe.44 Visser ’t Hooft stellte das amerikanische Social Gospel der europäischen Theologie gegenüber, insbesondere gegenüber der deutschen Theologie, die zu dieser Zeit noch stark von Luthers Zwei-Reiche-Lehre geprägt war. Im Hintergrund war bereits der Gegensatz zwischen den beiden ökumenischen Bewegungen von Life and Work auf der einen Seite und Faith and Order auf der anderen Seite erkennbar. Visser ’t Hoofts Ziel war, nicht nur die unterschiedlichen Positionen herauszuarbeiten, sondern auch die Vorurteile abzubauen und um Verständnis für die unterschiedlichen Standpunkte zu werben. Letzteres gelang allerdings nicht wirklich. Die Studie von Visser ’t Hooft wurde sehr unterschiedlich rezensiert.45


Visser ’t Hooft und Pierre Maury als Bergsteiger, Saas-Fee, 1934

Willem Adolf Visser 't Hooft

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