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2.10 Der charismatische Studentenführer

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Die Zeit, in der Visser ’t Hooft die internationale Jugend- und Studentenarbeit des YMCA und des WSCF leitete, ging zu Ende. Er hatte als internationaler Sekretär für die Jungenarbeit des YMCA begonnen und seit 1924 zahlreiche kleinere und größere internationale Treffen in der christlichen Jugendarbeit für Schüler in Europa organisiert. Außerdem hatte er eine moderne internationale Zeitschrift für junge Leute gegründet. Mit seinen, vor allem amerikanischen, Auftraggebern verband ihn die Einsicht, dass die Nachkriegsjugend Gefahr lief, demoralisiert zu werden, vor allem in Europa. Seine eigenen theologischen Überzeugungen bei dieser Arbeit fußten vor allem auf der kirchlichen Offenbarungstheologie Karl Barths. Er widersprach den Kulturtheologen, die Religion als rein akademisches Phänomen studierten und insbesondere die Bibel historischkritisch analysierten, wie etwa Ernst Troeltsch. Angesichts der Herausforderungen totalitärer Bewegungen, die Zugriff auf die Massen suchten, hielt er den kulturtheologischen Ansatz für einen großen Fehler.

Auf den großen Konferenzen, an denen er teilnahm, konnte er viel lernen, was er dann auf seinen eigenen Konferenzen in die Praxis umsetzte. Nach und nach begriff er seine eigene Arbeit als einen Baustein in der großen wachsenden internationalen ökumenischen Bewegung. Um 1930 wechselte er vom YMCA zum WSCF; zu einer Zeit, als die Kriegsgefahr in Europa zunahm. In dieser Zeit entwickelte er sich zu einem charismatischer Redner für Studenten, die seinen Humor und Realismus schätzten. Mit seiner Zeitschrift The Student World wollte er Studenten erziehen und sie ermutigen, eine international eng verbundene christliche Elite in spe zu werden. Er befürwortete, dass Kirchenmitglieder ihren Glauben und ihr Fachwissen miteinander in Beziehung setzten. Visser ’t Hooft erwartete wenig von idealistischem Internationalismus und Abrüstung, aber viel von dem, was er als christlichen Realismus betrachtete. Diesen begann er zunehmend kirchlich zu artikulieren. Nachdem er die Bedeutung des Aufstiegs des Nationalsozialismus in Deutschland kurzfristig unterschätzt hatte, erkannte er den Ernst der Entwicklungen und begann, die betroffenen Studenten geistlich zu stärken, damit sie die Gefahren und Chancen in der Situation erkennen konnten. Mission und Ökumene waren für Visser ’t Hooft untrennbar miteinander verbunden. Eine lebendige Kirche brauchte seiner Meinung nach eine missionarische Haltung. Für die Mission sah er in dieser Zeit die wichtige Aufgabe darin, die Kolonien auf ihre Unabhängigkeit vorzubereiten und Missionen zu neuen Kirchen zu entwickeln. Trotz seiner Faszination entschied er sich allerdings nicht für eine Tätigkeit im Bereich der Mission.

Visser ’t Hooft gelang es nicht, die transatlantische ökumenische Kluft zwischen Amerikanern und Europäern nicht schließen. Freilich analysierte er die Spannungen zwischen praktischem, erfolgsorientiertem amerikanischem Handeln und europäischer Reflexion gründlich. Die Unterschiede sah er einerseits in der fehlenden Verbindung zwischen den Fragen von Kirche und Gesellschaft im Leben und Arbeit und der fehlenden Aufmerksamkeit für die dogmatischen Unterschiede im Verständnis der Kirchen in Glaube und Kirchenverfassung andererseits begründet. Er hoffte, dass die Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen diese Spannung konstruktiv aufnehmen würde und hielt sich selber dafür geeignet, in diesem Prozess eine wichtige Rolle zu spielen.

Als ein Kandidat für die leitende Position des zu besetzenden Generalsekretärs des Ökumenischen Rates der Kirchen gesucht wurde, wurde er von John Oldham, William Temple und John Mott vorgeschlagen. Alle drei sahen in Visser ’t Hooft einen Mann mit einem guten Netzwerk und der richtigen Einstellung, um für diese Organisation alles auf eine Karte zu setzen. Visser ’t Hooft hatte eine klare Vision und verband festen Glauben mit strategischem Denken. Außerdem war er gesund und verfügte über eine fast grenzenlose Energie. Visser ’t Hooft entwickelte einen Führungsstil, der den 1930er Jahren entsprach, zielgerichtet und lösungsorientiert. Sein Auftreten hatte allerdings auch seine verletzenden und einschränkenden Aspekte. Einige empfanden seinen aus Genf dozierenden Ton als belehrend. Zudem war er sich nicht immer bewusst, wovon er als Experte sprach. Das Netzwerk, das Visser ’t Hooft fast täglich nutzte, war auf Eliten hin orientiert. Dadurch erhielt sein Auftreten manchmal etwas Weltfremdes für Außenstehende. Er wollte immer auf hohem Niveau sprechen. Seine Blatt The Student World war kein oberflächliches unterhaltsames Studentenmagazin. Dem prophetischen Ton, den Karl Barth am Vorabend des Zweiten Weltkriegs von einer authentischen Ökumene forderte, konnte Visser ’t Hooft jedoch nicht gerecht werden, da ihm die dafür notwendige Unterstützung fehlte.

Willem Adolf Visser 't Hooft

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