Читать книгу Willem Adolf Visser 't Hooft - Jurjen Albert Zeilstra - Страница 9
2. Bereits erschienene Lebensbeschreibungen
ОглавлениеÜber die Jahre und Jahrzehnte hinweg sind zahlreiche längere und kürzere Lebensbeschreibungen von W. A. Visser ’t Hooft erschienen. Die meisten sind keine wissenschaftlich fundierten Studien, sondern sogenannte commemorative writings, Schriften mit Erinnerungscharakter.8 Sie wurden aus Anlass eines Jubiläums oder eines Geburtstages geschrieben. Zudem gibt es Interviews sehr unterschiedlicher Art und Qualität9 sowie verschiedene Visser ’t Hooft offen bewundernde Schriften. Diese »Hagiographien« wurden meist von Freunden und (ehemaligen) Kollegen geschrieben, die damit Visser ’t Hooft in einem denkwürdigen Moment ehren wollten. Inwieweit diese Beschreibungen auch einen kritisch-wissenschaftlichen Ton enthalten, ist sehr unterschiedlich.10 Zahlreiche längere und kürzere Medienberichte erschienen nach seinem Tod am 4. Juli 1985; vor allem in englischen, deutschen, französischen und niederländischen Zeitungen und Zeitschriften.11 Die meisten Nekrologen schrieben eine Hommage oder einen tribute, oft mit persönlichen Anekdoten veranschaulicht. Häufig wollten die Autoren mit ihrer Sichtweise auf Visser ’t Hooft auch das Existenzrecht der ökumenischen Bewegung oder des Ökumenischen Rates der Kirchen betonen. Eine bemerkenswerte Ehrerbietung machte der Journalist Gerhard Rein, der während der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Neu-Delhi Jugenddelegierter war. Er nannte Visser ’t Hooft »die bedeutendste unbekannte Person in Deutschland«, die ihn von einem naiven frommen jungen Mann zu einem kritischen Bürger und kritischen Christen, der die Welt entdeckte, verwandelte.12
Zu den Autoren, die sich wissenschaftlich mit dem Leben Visser ’t Hoofts befassten, zählen die niederländischen Theologen H. Berkhof und die Kirchenhistoriker A. J. Bronkhorst, A. J. van der Bent und P. N. Holtrop und der Autor dieses Buches.13 Oft listen sie jedoch mehr oder weniger dieselben Daten auf. Eine kritische Interpretation, mit einer weiten Perspektive und unter Verwendung breiter historischer Interpretationslinien gibt es dagegen kaum. Eine aktuelle Ausnahme ist die 2017 veröffentlichte Studie von Jan Schubert, »Willem Adolph Visser ’t Hooft (1900–1985). Ökumene und Europa«.14 Schubert wählt den biografischen Ansatz, um Visser ’t Hoofts Europaideen vorzustellen, und skizziert ihn dabei als einen unabhängigen professionellen Vertreter verschiedener internationaler ökumenischer Organisationen. Was Schubert jedoch nicht bietet, ist eine gründliche kritische Analyse der Entwicklung des Denkens von Visser ’t Hooft über Europa, einschließlich der hohen Erwartungen an den Föderalismus in Verbindung mit der erwarteten Erneuerung der Kirche. Weil Schuberts Untersuchung nicht weiter geht als bis zum Jahr 1966, wird der biografische Anspruch nicht eingelöst und es werden Brüche und Enttäuschungen nur unzureichend dargestellt.15
Die vorliegende Studie umfasst dagegen auch die letzte Lebensphase Visser ’t Hoofts. Allerdings wird hier der Frage nach Europa nicht weiter vertiefend nachgegangen, da der Autor bereits 1995 eine theologische Studie zu diesem ökumenischen Themenkomplex vorgelegt hat.16 Die Studie zu Visser ’t Hoofts theologischem Denken durch Michael Kinnamon war dem Autor zum Zeitpunkt der Fertigstellung des niederländischen Manuskripts der Biografie nicht verfügbar. Kinnamons Einschätzung ist gründlich und untersucht sowohl die Memoiren von Visser ’t Hooft als auch andere Quellen, aber nicht sehr kritisch.17 Als ehemaliger Mitarbeiter des Ökumenischen Rates und Theologe kann er sich nicht genug distanzieren, um eine mehr oder weniger objektive Sichtweise zu vertreten, wie dies ein Historiker gerne tun würde.
Eines der Hauptprobleme der vorhandenen biografischen Veröffentlichungen über Visser ’t Hooft besteht darin, dass sie zum einen oft bereits Veröffentlichtes einfach übernehmen und weiterschreiben, und dass sich ihre Schilderungen zum anderen stark an den veröffentlichten Erinnerungen Visser ’t Hoofts orientieren. Es gibt verschiedene autobiografische Dokumente, die Visser ’t Hooft selbst verfasst hat, und es gibt andere, bei denen er von anderen unterstützt wurde, insbesondere von seiner Assistentin Aat Guittart. Sie erstellte beispielsweise noch zu seinen Lebzeiten gemeinsam mit ihm eine biographische Dokumentensammlung.18 Unter Visser ’t Hoofts autobiografischen Dokumenten nehmen seine Erinnerungen einen zentralen Platz ein. Eine frühe Fingerübung war für ihn in dieser Hinsicht die Broschüre »Lernen, mit der Ökumene zu leben«, die auf zwanzig Radioansprachen basierte, die er 1968 für den niederländischchristlichen Rundfunk (NCRV) hielt.19 Auch sein Buch »Gottes Vaterschaft in einem Jahrhundert der Emanzipation« von 1983 hatte einen stark autobiografischen Charakter.20 Bei der Abfassung seiner Erinnerungen spielte der Pfarrer C. Michael de Vries, der seit 1963 für die Rundfunkarbeit der Kommunikationsabteilung des Ökumenischen Rates der Kirchen verantwortlich war, eine wichtige Rolle. De Vries war auch verantwortlich für die autorisierte niederländische Übersetzung des Manuskripts. Diese erschien 1971, die englische 1973.21 1972 erschienen die Erinnerungen auf Deutsch und Schwedisch; 1975 auf Französisch. Die meisten Recherchen zu seinen Memoiren übernahm Visser ’t Hooft selbst. In seinem Vorwort betonte er, dass er kein »Ich-Buch« schreiben, aber mit diesem Buch vor allem einen Teil seiner Schuld gegenüber der ökumenischen Bewegung zurückzahlen wollte. Seine Absicht war dabei, der ökumenischen Bewegung, insbesondere dem Ökumenischen Rat der Kirchen, breitere öffentliche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Nach seiner Pensionierung wollte Visser ’t Hooft einem großen Publikum zeigen, dass es in der ökumenischen Bewegung stets um tiefere Dinge ging, als um Konferenzen und Resolutionen. Das Vorbild, das er vor Augen hatte, fand er in den Erinnerungen seines Freundes Marc Boegner, dem Präsidenten der Reformierten Kirche Frankreichs, für den er das Vorwort schrieb.22 Als erfahrener Experte fühlte er sich berufen, nach innen, in die Ökumene hinein, zu informieren und zu inspirieren und zugleich außerkirchliche Kreise für die Ökumene zu interessieren.23
In den Archiven des Ökumenischen Rates der Kirchen befinden sich zahlreiche kleine handschriftliche Notizen unter den Archivdokumenten. Sie stammen von Visser ’t Hooft selbst und sind oft in seiner ebenmäßigen Handschrift auf seinem geliebten, rechteckigen Notizblockpapier, Größe A5, geschrieben. Sie geben Auskunft über Jahre und Details, über die die Dokumente schweigen, und stellen Verbindungen her. Diese Notizen fertigte Visser ’t Hooft nach seiner Pensionierung 1966 an.
Die Memoiren von Visser ’t Hooft sind ein typisches Beispiel für die Erinnerungen einer Person, die in einer öffentlichen Funktion eine wichtige Rolle spielte, und die sich nun nach ihrem beruflichen Rückzug rechtfertigen und erklären will. Verschiedene Studien mit wissenschaftlichem Anspruch verwenden sie allerdings in der Regel zu unreflektiert und zu leichtfertig als »Hauptquelle« für eine von Visser ’t Hooft beschriebene Entwicklung.24 Denn die Erinnerungen sind ein Zeitdokument von Visser ’t Hooft, das um 1970 geschrieben wurde. Die Rezensionen zu ihnen waren zwar überwiegend positiv, wurden aber auch fast alle von Freunden von Visser ’t Hooft verfasst.25
Einige Mitarbeiter, mit denen er viel zusammen gearbeitet hatte, äußerten sich allerdings kritisch, obwohl sie das nach außen hin nicht formulierten.26 In seinen Memoiren erklärt Visser ’t Hooft seine eigenen Handlungen, während er noch immer mit vielen Personen, die er in dem Buch erwähnte und die noch am Leben waren, in Kontakt stand. Albert van den Heuvel und Konrad Raiser berichten etwa, dass sie Teil einer Gruppe junger Mitarbeiter waren, die an einem monatlichen Privatissimum zur »Geschichte der Ökumene« bei Visser ’t Hooft in seinem Wintergarten teilnehmen durften. Dort teilte ihnen Visser ’t Hooft seine eigenen Untersuchungsergebnisse mit. Er schätzte es, wenn er von gut vorbereiteten jungen Leuten kritisch befragt wurde. Gleichwohl erinnert sich Albert van den Heuvel, dass er manchmal widersprach: »Aber das war überhaupt nicht der Fall!« Und Visser ’t Hooft erwiderte dann: »So hätte es sein sollen!« Eine kritische Analyse dazu wird in Kapitel 9.4. gegeben.
Es versteht sich von selbst, dass Informationen aus autobiografischen Quellen in einer wissenschaftlichen Biografie vorsichtig und kritisch verwendet werden müssen. Die Fragen, wie diese autobiografischen Texte in das Leben von Visser ’t Hooft passen, was wir aus ihnen über sein Selbstbild zum Zeitpunkt des Schreibens lernen können, und wie sie von den Lesern aufgenommen wurden, spielten eine wichtige Rolle bei der Abfassung dieser Biographie.