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2.9 Sekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen im Aufbau

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Eine der Thesen in Visser ’t Hoofts Dissertation von 1928 war:

»Die Einheit der christlichen Kirchen und Konfessionen kann nur dann wirklich gefördert werden, wenn eine Synthese zwischen der Zunahme des praktischen und ethischen Niveaus (Stockholm) und der Annäherung auf dem Gebiet der kirchlichen Lehre und der Kirchenordnung (Lausanne) gefunden werden kann.«151

Mitte der 1930er Jahre schien das Motto »Lehre teilt, aber Dienst vereint« (»doctrine divides, but service unites«), mit dem Bischof Söderblom 1925 die Entstehung von Life and Work begründet hatte, seine Magie in den Augen Vieler verloren zu haben. Die Fortführungskomitees der beiden ökumenischen Bewegungen, der des praktischen Christentums (Life and Work) einerseits und der von Glaubens- und Kirchenverfassung (Faith and Order) andererseits, setzten nun auf Unterstützung für eine kraftvolle internationale Kirchenbewegung. Das Wort »Ökumene« wurde jetzt immer häufiger verwendet. Im Sommer 1937 gab es zwei große Konferenzen, bei denen sich zunächst die Mitglieder von Life and Work in Oxford trafen, und dann die Mitglieder von Faith and Order in Edinburgh. Die Mitglieder dieser Bewegungen waren offizielle Kirchendelegierte, aber es gab auch informelle Mitglieder, beispielsweise Experten oder Leute aus der Mission.152 Visser ’t Hooft war an beiden Konferenzen beteiligt.

1937 wurde ein wichtiges »ökumenisches Jahr«, aber jeder, der Sofortlösungen aus Oxford und Edinburgh erwartete, musste enttäuscht sein. Visser ’t Hooft, der seit 1930 Mitglied des Fortführungskomitees für Faith and Order war, zeigte sich erfreut über die Begeisterung, mit der sich die Studenten auf die Konferenzen von 1937 freuten. Aber er fand es auch sinnvoll, sie zu warnen:

»Es ist gut möglich, dass viele junge Christen mit der ökumenischen Bewegung sehr ungeduldig werden, weil dies in einer Welt, die so viel mehr als Worte braucht, nicht genug zu sein scheint. Das ist alles schön und gut, solange diese Ungeduld nicht in pharisäerhafter und negativer Kritik zum Ausdruck kommt, sondern in dem Versuch, die Kirchen (unsere eigenen Kirchen) zu einer tieferen Hingabe an den Willen Gottes zu bringen, der sowohl Wahrheit als auch Einheit symbolisiert.«153

Mit None Other Gods hatte er bereits etwas früher ein inhaltlich gut zugängliches Büchlein für Studenten veröffentlicht, insbesondere für die britischen und amerikanischen Studenten. Darin stellte er theologisch komplexe Themen vereinfacht dar.154 Für ihn war dies eine Fingerübung für das aus seiner Sicht wichtigere Buch The Church and its Function in Society, das er zusammen mit Joseph Oldham, dem schottischen Missionar und Pionier von Life and Work verfasste und das dann 1937 erschien. Es kam noch vor der Konferenz heraus und brachte ihm einen sehr guten Ruf bei den Teilnehmern ein, sofern sie ihn nicht bereits schon kannten.155 Inhaltlich baute Visser ’t Hooft in seinem Beitrag zu diesem Buch auf seiner Studie Le catholicisme non-romain von 1933 auf. Das Buch von Visser ’t Hooft und Oldham war der erste Band in der Reihe Church, Community and State und wurde als erster Teil zur Vorbereitung auf die Konferenz von Life and Work in Oxford veröffentlicht. Die anderen Bände erschienen später.156 Visser ’t Hooft schrieb unter dem Titel The Nature of the Church die ekklesiologischen Hauptkapitel, während Oldham für die Hauptkapitel über die Funktion der Kirche in Bezug auf die Gesellschaft verantwortlich war.

In der Analyse von Oldham und Visser ’t Hooft stand die Kirche im Mittelpunkt des Kampfes gegen totalitäre Bewegungen, die mit ihrer absoluten Anziehungskraft auf den Menschen die gesamte Zivilisation unterminierten. In dieser Situation war die Kirche Christi die einzige Hoffnung für die Welt. Bei diesen Überlegungen zeigte sich der Einfluss von Karl Barth auf Visser ’t Hooft; Barths Kirchliche Dogmatik erschien seit 1932.157 Es war eine Glaubenswahrheit, an einer universellen Kirche, die sich in ganz verschiedenen Kirchen zeigte, festzuhalten. Zwar gab es Unterschiede, aber daneben doch die Realität der Einheit der Kirche, wie Gott sie als Geschenk gegeben hatte. Hieraus entsprangen das Gebet und die Fähigkeit, zu gemeinsamen Aussagen und Handlungen zu kommen.158 Die Kirchen mussten sich von nichts und niemandem funktionalisieren oder gleichsetzen lassen. Sie mussten sich einer anderen Mission bewusst sein, in erster Linie, um eine vollständige Kirche zu sein: »Lass die Kirche die Kirche sein.« Das waren geflügelte Worte, die oft zitiert wurden. Visser ’t Hooft gab vor, in seinem Beitrag »rein beschreibend« zu sein. Aber er brachte verschiedene theologische Stücke in seinen Text ein. Und zugleich stellte er die zentralen Fragen, die auch für die kommenden Jahre wichtig werden sollten: »Gibt es eine Kirche in den Kirchen?« und »Können die Kirchen miteinander sprechen und handeln?« Mit dem Neuen Testament betrachtete er die Kirche nicht quantitativ als eine Ansammlung unverbindlicher Gläubiger, sondern vor allem qualitativ als ein neues Schöpfungswerk von Gott als einer gegebenen Einheit.159 Diese Kirche war selbst Teil der Botschaft (Kerygma) des Neuen Testaments. Jesus wurde von Visser ’t Hooft historisch als der Gründer der Kirche, ekklesia, angesehen. Das letzte Abendmahl dieser Kirche war ihr Gründungsmoment schlechthin.

Nachdem er die Besonderheiten der verschiedenen Typen von Kirchen skizziert und Hauptkirchentypen aufgelistet hatte, lehnte Visser ’t Hooft die sogenannte branch theory ab, die die bestehenden christlichen Kirchen als Zweige einer Art Urkirche ansah. Nach dieser Auffassung war jede Kirche mit ihren unterschiedlichen Erscheinungsbildern ein Teil der einen großen Weltkirche und es kam darauf an, dass sie einander wertschätzten und ergänzten. Er sah Gemeinsamkeiten zwischen der Verzweigungstheorie und dem neutestamentlichen Bild des Leibes Christi mit seinen vielen Mitgliedern, führte aber die Verzweigungstheorie nicht auf die Bibel, sondern auf den »modernen Humanitarismus« zurück: »Seine Schwäche ist, dass es die Frage der Einheit von der Frage der Wahrheit trennt.«160 Für Visser ’t Hooft blieb die Wahrheitsfrage von grundlegender Bedeutung, wenn es um die Einheit der Kirche ging. Die Ökumene könne nicht einfach ein Kompromiss oder ein überlassener Raum sein; überall lauerte der Relativismus als Gefahr. Er berief sich dabei auf den russisch-orthodoxen Priester George Florovsky aus Paris, der die Kirche, ähnlich einer Ikone, als lebendiges Bild der Ewigkeit in der Zeit bezeichnet hatte.161

Im Juli 1937 trafen sich 425 Teilnehmer in Oxford, darunter dreihundert Delegierte aus 120 Kirchen in 40 Ländern, zur großen Universal Conference on Life and Work (Weltkonferenz für Praktisches Christentum). Einige sprachen sogar von einem Konzil, aber das war nach Visser ’t Hooft nicht zutreffend. Obwohl er einen objektiven Grund sah, sich im Namen der Kirchen zu treffen, war es keine Versammlung der Kirchen. Das Treffen in Oxford konnte nur wenig mehr sein als eine international humanitarian organization (internationale humanitäre Organisation). Er fasste die ökumenische Situation von 1937 in zwei Fakten zusammen:

»[…] die Tatsache, dass alle beteiligten Kirchen an die Kirche als eine Realität glauben, die jenseits jedes historisch gebundenen kirchlichen Körpers liegt und nicht von Menschen, sondern von Gott geschaffen wurde; und die andere Tatsache, dass dieselben Kirchen zu dieser Zeit nicht in einer vereinten Kirche zusammengeführt werden können.«162

Dies war noch nicht die Kirche Christi in ihrer vollen Form. Aber die Kirchen waren bereits Zeugen dieser Kirche, Visser ’t Hooft verwendete in diesem Zusammenhang den englischen Begriff earnest (aufrichtig).163 Auf der Konferenz war er Vorsitzender der Arbeitsgruppe »Die Kirche und der Krieg« und verfasste die Schlusserklärung mit. Die Deutsche Evangelische Kirche war in Oxford nicht vertreten; es gab auch keine kontroversen Diskussionen über die Situation in Deutschland. Das wichtigste Ergebnis von Oxford war die Absicht, die Bewegung Praktisches Christentum mit der Bewegung Glauben und Kirchenverfassung zu einem Ökumenischen Rat der Kirchen zu fusionieren. Beide Bewegungen nominierten dazu jeweils sieben Delegierte, um die Fusion vorzubereiten. Dieses 14-köpfige Komitee beschloss, 1938 dazu eine Sonderkonferenz einzuberufen. Auf ihr sollten dann die Verfassung erarbeitet und die erforderlichen Ernennungen vorgenommen werden. Visser ’t Hooft war zufrieden. Mit diesen Entschlüssen war der Weg für einen Ökumenischen Rat der Kirchen bereitet.

Aber sein Lehrer Karl Barth funkte dazwischen. Barth ärgerte sich sehr über die »unmögliche Rede«, die der Erzbischof von Canterbury, Cosmo Gordon Lang, in Oxford gehalten hatte. Lang verteidigte im Hinblick auf Deutschland eine Hinhaltepolitik, so wie sie die britische Regierung in dieser Zeit pflegte. Auf die Oxford-Erklärung zur deutschen Kirche, in der unpolitisch Solidarität geäußert wurde, gab es selbst in Deutschland heftige Reaktionen: »Lassen Sie die Kirche die Kirche sein (Let the Church be the Church)« wurde von den Nazis als Aufruf zu kirchlicher Opposition verstanden.164 Doch Barth nannte die Erklärung »Limonade«, im Gegensatz zu dem Wein, der im Psalm 104,15 das Herz eines Menschen erfreut.165 Visser ’t Hooft fand, dass Barth jetzt die Ökumene karikierte. Der anglikanische Beitrag war vielleicht zu groß gewesen, doch hatte Oxford die Kirche als Kirche ernst genommen. Man hatte den deutschen Kontakten zugehört, wenn sie auch nicht in Oxford anwesend waren. Die Schlusserklärung formulierte das maximal Mögliche.166

Visser ’t Hooft versicherte Barth feierlich, dass er schon vor langer Zeit seine frühere, natürliche Freude »an großen weltweiten Konstruktionen« gegen Nüchternheit eingetauscht habe. Solange er sich nicht selbst engagierte, habe Barth nicht das Recht, die ökumenische Bewegung auf diese Weise zu kritisieren. Er appellierte in seiner typischen Art an Barth:

»Ich werde schon manchmal meine Hände schmutzig machen, aber wie kann man darüber klagen, wenn sich 99% der Christenheit in dieser Lage befinden? Ich erwarte nicht, dass Du mir ein größeres Vertrauen entgegenbringst, als ich verdiene, und ich hoffe, dass Du mir manchmal so deutlich wie möglich sagen wirst, dass ich danebengehauen habe oder auch feige gewesen bin. Aber ich werde Deine höchst notwendige Kritik nur ernst nehmen, wenn ich bemerke, dass Du versuchst, etwas von der Sache zu verstehen, und Dir die Sache nicht zu leicht machst.«167

Jetzt hatte er Barth doch herausgefordert. In einer ausführlich dokumentierten Antwort erklärte Barth, dass die Argumentation aus Oxford nicht hilfreich sei. In Oxford seien die nicht geistigen Straßen begangen worden, entsprechend sei das Ergebnis. Barth verwies Visser ’t Hooft auf 1. Korinther 2,13: »Und davon reden wir, nicht mit Worten, wie menschliche Weisheit sie lehrt, sondern mit Worten, wie der Geist sie lehrt, indem wir für Geistliches geistliche Bilder brauchen.«168 Das waren seine Spielregeln, nach denen er selbst seine Dogmatik schrieb, von der er hoffte, dass sie für die Ökumene nützlich sein werde. Ohne diese Regeln wäre das gesamte ökumenische Unternehmen »Zeit- und Kraftverschwendung«.

1937 hätte aus der Ökumene ein deutlicher Aufruf zum Kampf kommen sollen. Weil das nicht geschehen war, waren für Barth die Spielregeln außer Kraft gesetzt. Ein echter ökumenischer Führer suchte nicht politische Unterstützung und hielt sich mit Gefühlen zurück, sondern musste es wagen, sich weit aus dem Fenster zu lehnen. Eine klare Unterscheidung zwischen den Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche war jetzt unvermeidlich.169

Vom 9. bis 12. Mai 1938 trafen sich die 14 Delegierten von Life and Work und Faith and Order sowie einige weitere Delegierte im Auditorium des Akademiegebäudes der Universität Utrecht, um eine Verfassung für den Ökumenischen Rat der Kirchen zu erarbeiten. Wieder gab es keine deutsche Delegation. Im März 1938 war der sogenannte »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich erfolgt, die internationalen Spannungen wuchsen. Auf der Utrechter Konferenz gelang es, in Anlehnung an Oxford und Edinburgh, einen provisorischen Ökumenischen Rat der Kirchen zu errichten (in process of formation), der eventuell bereits 1940, wahrscheinlich aber im August 1941 gegründet werden sollte. Es bestand Einigkeit darüber, dass dieser Ökumenische Rat selbst keine Kirche werden und keine Gesetzgebungs- oder Regulierungskompetenzen über die Mitgliedskirchen ausüben sollte. Seine Autorität sollte sich auf geistig-inhaltliche Prämissen stützen. Nach ausführlichen Diskussionen wurde als Verfassung für den Ökumenischen Rat der Kirchen schließlich die Basisformel von Faith and Order übernommen, die sich wiederum auf die Pariser Basis des YMCA stützte:

»Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die unseren Herrn Jesus Christus als Gott und Erlöser annehmen.«170

William Temple schrieb eine Erklärung, in der er die Grundlage von Faith and Order als Muster zur Versöhnung interpretierte. Mit ihr wollte der Ökumenische Rat der Kirchen den Wunsch zum Ausdruck bringen, dass er eine Gemeinschaft von Kirchen sei, die diese Wahrheiten akzeptierten. Wichtig für den zukünftigen Generalsekretär war dabei folgende Bemerkung:

»Die Autorität, die der Rat haben wird, hängt von dem Gewicht ab, das er in den Kirchen gemäß der Weisheit des Rates selbst haben wird.«171

Während sich die Kirchendelegationen vorläufig auf Regionen und nicht auf konfessionelle Gruppen stützten, wurde, wie bereits erwähnt, ein vorläufiges Komitee des sich im Aufbau befindlichen Ökumenischen Rates eingesetzt. Dieses traf sich am 13. Mai zum ersten Mal in Utrecht. Weil die tatsächliche Gründung des Ökumenischen Rates wegen des Krieges nicht plangemäß vollzogen werden konnte, wurde dieses vorläufige Komitee viel bedeutsamer als ursprünglich gedacht.172

Vorsitzender wurde William Temple, der Erzbischof von York, zusammen mit den Vizevorsitzenden John Mott, Germanos Strenopoulos (1872–1951), Vertreter des Patriarchats von Konstantinopel, Erzbischof von Thyateira und Exarch des Ökumenischen Patriarchats in Westeuropa und wichtiger Ansprechpartner von Visser ’t Hooft, und Marc Boegner (1881–1970), dem Präsidenten der Fédération Protestant de France. Der Ausschuss beschloss, den 37-jährigen Visser ’t Hooft zu fragen, ob er die Vollzeitstelle des Generalsekretärs übernehmen würde. Viele dachten, der britische Presbyterianer William Paton (1886–1943), Sekretär des International Missionary Council, hätte die besten Chancen auf diese Führungsposition. Aber Visser ’t Hooft hatte eine breitere Entwicklung, ruhigere Umgangsformen und ein ausgezeichnetes Netzwerk unter jungen Menschen. Er sprach auch mehrere Sprachen, wenn auch mit einem starken niederländischen Akzent. Der Einwand, dass Visser ’t Hooft für eine so schwere Position noch sehr jung war, wurde von Temple vom Tisch gefegt. Während allerdings Life and Work ihm sofort alle wichtigen Verantwortlichkeiten übertrugen, hielt sich Faith and Order noch etwas zurück. Vom 29. August bis zum 1. September 1938 fand in Clarens in der Schweiz ein Fortsetzungstreffen von Faith and Order statt, bei dem die Pläne schließlich mit ein paar geringfügigen Änderungen genehmigt wurden.

Willem Adolf Visser 't Hooft

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